Urteil des BPatG vom 09.07.2008
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BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
24 W (pat) 85/08
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2008 005 711.4
hat der 24. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts unter
Mitwirkung des Richters Viereck als Vorsitzenden, des Richters Eisenrauch und
der Richterin am OLG Kortge in der Sitzung vom 8. Juni 2010
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Mar-
kenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamts
vom 9. Juli 2008 aufgehoben.
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G r ü n d e
I.
Die am 30. Januar 2008 angemeldete Wortmarke
ProdFLOW
ist für Dienstleistungen in Klasse 42 bestimmt.
Seitens der Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamts ist
die Anmeldung zunächst mit Bescheid vom 9. April 2008 gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1
und 2 MarkenG beanstandet worden.
Die Anmelderin hat dem Dienstleistungsverzeichnis daraufhin folgende Fassung
gegeben:
„42: wissenschaftliche und industrielle Analysedienstleistungen,
Durchführung von wissenschaftlichen und technologischen For-
schungsarbeiten“.
Mit Beschluss der Markenstelle - besetzt mit einer Beamtin des höheren
Dienstes - vom 9. Juli 2008 ist die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungs-
kraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) zurückgewiesen worden.
Zur Begründung ist ausgeführt, „Prod“ sei eine gebräuchliche Abkürzung für die
Begriffe „produktiv, produzieren, Produkte, Produktion, Produktivität, Produzent“;
das englische Wort „FLOW“ bedeute „Fluss“. Der inländische Verkehr verstehe
das angemeldete Zeichen ohne Weiteres als „Produktionsfluss“ (i. S. v. kontinuier-
licher Ablauf der Produktion). Der entsprechende englischsprachige Begriff laute
„production flow“. Die angemeldete Bezeichnung sage in Bezug auf die bean-
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spruchten Dienstleistungen aus, dass diese sich inhaltlich mit einem Produktions-
fluss befassten bzw. darauf ausgerichtet seien, einen solchen herzustellen oder zu
optimieren. Dem Beschluss waren einige Internet-Ausdrucke (5 Blatt) beigefügt.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie stellt
den (sinngemäßen) Antrag,
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 9. Juli 2008 aufzuheben und die an-
gemeldete Marke in das Markenregister einzutragen.
Bei der Prüfung der Unterscheidungskraft sei nach höchstrichterlicher Rechtspre-
chung ein großzügiger Maßstab anzulegen. „ProdFLOW“ sei eine neue Wortbil-
dung ohne eindeutigen Begriffsinhalt. Es sei fraglich, ob es sich bei dem ersten
Wortelement „Prod“ um eine Abkürzung handele, zumal es im Englischen ein ent-
sprechendes Verb mit der Bedeutung „anstacheln, anstoßen“ gebe. In Bezug auf
die beanspruchten Dienstleistungen sei der Sinngehalt der angemeldeten Be-
zeichnung in der maßgeblichen Gesamtheit vage; eine analysierende Betrachtung
sei nicht geboten. Ergänzend wird auf die Entscheidung des BPatG vom
29. Oktober 2003 (32 W (pat) 260/02 - PASSflow) hingewiesen.
Wegen sonstiger Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Anmelderin ist zulässig und begründet. Die Schutzhinder-
nisse der fehlenden Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) und der
unmittelbar dienstleistungsbeschreibenden Angabe (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG)
greifen im vorliegenden Fall - entgegen der Auffassung der Markenstelle - nicht
ein.
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Die angemeldete Bezeichnung verfügt über ein ausreichendes Maß an Unter-
scheidungskraft, um die betriebliche Herkunft der betroffenen Dienstleistungen in
Klasse 42 anzeigen zu können. Die Unterscheidungskraft einer Marke ist im Hin-
blick auf die konkret beanspruchten Dienstleistungen zu beurteilen, wobei es auf
die Anschauung der maßgeblichen Verkehrskreise ankommt (EuGH GRUR
Int. 2005, 135, Nr. 19 - Maglite; GRUR 2005, 763, Nr. 25 - Nestlé/Mars; BGH
GRUR 2009, 952, Nr. 9 - DeutschlandCard). Dabei ist auf die mutmaßliche Wahr-
nehmung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständi-
gen Durchschnittabnehmers der fraglichen Dienstleistungen abzustellen (st. Rspr.;
vgl. z. B. EuGH GRUR 2004, 943, Nr. 24 - SAT 2).
Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zei-
chen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel
für die von der Marke erfassten Dienstleistungen (und Waren) eines Unterneh-
mens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefasst zu werden. Denn die
Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeich-
neten Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. EuGH GRUR 2006, 229, Nr. 27 -
BioID; BGH GRUR 2009, 411, Nr. 8 - STREETBALL).
Allerdings folgt das Vorhandensein von Unterscheidungskraft im vorliegenden Fall
noch nicht aus der besonderen Schreibweise der angemeldeten Marke. Denn der
Wechsel von Normalschrift und Großschreibung stellt ein gebräuchliches Mittel
(vor allem in der Werbung) dar, um zusätzliche Aufmerksamkeit hervorzurufen
(vgl. Ströbele in: Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl., § 8 Rdn. 127). Auf eine be-
triebliche Herkunftsangabe wird allein deshalb nicht geschlossen. Es kann auch
dahingestellt bleiben, ob es sich bei „ProdFLOW“ um eine neue Wortbildung (der
Anmelderin) handelt; die Verwendung von „prodflow“ seitens verschiedener Un-
ternehmen, wie sie aus dem Internet ersichtlich ist, spricht gegen diese Behaup-
tung der Anmelderin. Hierauf kommt es aber letztlich nicht an.
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Eine glatt beschreibende (bzw. Merkmals-) Bezeichnung i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 2
MarkenG stellt „ProdFLOW“ nicht dar; der angefochtene Beschluss ist nicht (mehr)
auf dieses Schutzhindernis gestützt. Mithin kann unter diesem Aspekt auch nicht
ein Mindestmaß an Unterscheidungskraft, das nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs für eine Registrierung ausreicht, verneint werden.
Gleichfalls nicht mit der gebotenen Sicherheit feststellen lässt sich ein enger be-
schreibender Bezug des Markenworts zu den beanspruchten Dienstleistungen.
Die Bezeichnung „ProdFLOW“ weist für den hier maßgeblichen deutschen Ver-
kehr keinen ohne Weiteres naheliegenden oder sich unmittelbar aufdrängenden
Sinngehalt auf. Zwar wird die Bedeutung des englischen Verbs „to prod“ (= je-
manden stoßen, antreiben; vgl. PONS, Wörterbuch für Schule und Studium, Teil 1,
Englisch-Deutsch, 1. Aufl., S. 1010) deutschen Interessenten betreffender Dienst-
leistungen wohl überwiegend nicht bekannt sein, so dass die Annahme der Mar-
kenstelle, der erste Wortteil werde als Abkürzung verstanden (z. B. für Produkt
oder Produktion), nicht fernliegen dürfte. Auch kann nicht zweifelhaft sein, dass
„product flow“ und „production flow“ im Englischen geläufige technologische (u. U.
auch ökonomische) Fachbegriffe verkörpern.
Jedoch fehlt es an Belegen, dass „prod flow“ - in dieser oder in zusammenge-
schriebener Form - die allgemein gebräuchliche Abkürzung oder Kurzform dieser
Fachbegriffe, international und auch im deutschen Sprachbereich, darstellt. Auch
ergänzende Recherchen des Senats (mit Hilfe einer Internet-Suchmaschine) ha-
ben insoweit keine verwertbaren Erkenntnisse für eine entsprechende Annahme
erbracht. Die Eingabe von „prodflow“ ergibt so gut wie ausnahmslos Treffer, die
auf einen marken- oder firmenmäßigen Gebrauch hindeuten. Dass „prodflow“ ein
häufig (oder auch nur gelegentlich) verwendeter (Fach-) Begriff - zumindest im
englischen Sprachbereich - ist, ergibt sich daraus nicht.
Die Annahme der Markenstelle, die vorliegend beanspruchten Analyse- und For-
schungsdienstleistungen würden sich inhaltlich mit einem Produktionsfluss (etwa
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bei Inline-Messungen in großtechnischen Anlagen) befassen, erscheint somit nicht
unmittelbar naheliegend. Die angemeldete Bezeichnung kann viel eher - als sog.
sprechendes Zeichen - in einem ganz anderen Sinn verstanden werden, nämlich
dahingehend, dass die betreffenden Dienstleistungen „flüssig“ (d. h. zügig und
zielstrebig) erbracht werden.
Der Beschluss der Markenstelle kann somit keinen Bestand haben und ist auf die
Beschwerde hin aufzuheben.
Viereck
Eisenrauch
Kortge
Bb