Urteil des BPatG vom 17.05.2010

BPatG: stand der technik, druckgas, unnötige kosten, wesentlicher grund, vertagung, patentanspruch, vorbenutzung, fig, patentfähigkeit, einspruch

BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
15 W (pat) 305/05
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
17. Mai 2010
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 199 25 945
- 2 -
hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündlichen Verhandlungen vom 18. März 2010 und vom 17. Mai 2010 unter
Mitwirkung
des
Vorsitzenden
Richters
Dr. Feuerlein,
der
Richterinnen
Schwarz Angele und Dipl.-Chem. Zettler sowie des Richters Dr. Lange
beschlossen:
I.
Das Patent wird beschränkt aufrecht erhalten
auf Grundlage der Patentansprüche 1 und 2 gemäß Haupt-
antrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung am
17. Mai 2010,
Beschreibung und Zeichnungen wie Patentschrift.
II.
Der Kostenantrag der Einsprechenden wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Auf die am 8. Juni 1999 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte
Patentanmeldung ist das Patent 199 25 945 mit der Bezeichnung
“Druckgas- und stopfenbetätigte Gießeinrichtung“
erteilt
worden.
Veröffentlichungstag
der
Patenterteilung
in
Form
der
DE 199 25 945 B4 ist der 26. August 2004.
- 3 -
Die Patentansprüche 1 bis 3 lauten:
Gegen das Patent hat die J… GmbH in S…
Einspruch eingelegt.
Die Einsprechende führt aus, dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig
sei, weil er nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischer Tätigkeit beruhe. Zu-
sätzlich macht sie noch eine offenkundige Vorbenutzung aus dem Jahr 1988 gel-
tend. Sie stützt sich dabei auf die Druckschriften
D1
US 5 271 539 A
D2
JP 2-25269 A mit PATENT ABSTRACT OF JAPAN 02025269 A
- 4 -
D2a deutsche Übersetzung der JP 2-25269 A
D3
Auftragsbestätigung für den Verkauf einer Vergießeinrichtung
RGD - Ge 6/200: Anlagen 1 bis 4.
Im Prüfungsverfahren wurden außerdem die CH 646 624 A5 und die
US 5 465 777 A entgegengehalten.
Die Patentinhaberin hat der Einsprechenden in allen Punkten widersprochen. In
der mündlichen Verhandlung vom 18. März 2010 hat sie das angegriffene Patent
(im Folgenden das Patent) mit schriftsätzlich eingereichten Ansprüchen gemäß
Hauptantrag und Hilfsanträgen 1 bis 3 sowie mit den in der mündlichen Verhand-
lung vorgelegten Ansprüchen gemäß Hilfsanträgen 4 und 5 gegenüber dem vor-
gebrachten Stand der Technik verteidigt. Nachdem die Einsprechende beantragt
hat, das Verfahren zu vertagen und der Patentinhaberin die Kosten des Verhand-
lungstermins aufzuerlegen, wurde das Verfahren vertagt.
Mit Schriftsatz vom 13. April 2010 hat die Patentinhaberin neue Anspruchsätze
gemäß Haupt- und Hilfsantrag eingereicht und beantragt, das Patent im Umfang
dieses Haupt- bzw. Hilfsantrags aufrecht zu erhalten.
Mit Schriftsatz vom 21. April 2010 hat die Einsprechende erklärt: “Der Antrag auf
Vertagung der mündlichen Verhandlung wird hiermit zurückgenommen. Es wird
gebeten im schriftlichen Verfahren nach Aktenlage zu entscheiden.“
In der mündlichen Verhandlung vom 17. Mai 2010 verteidigt die Patentinhaberin
das Patent mit den Ansprüchen 1 und 2 gemäß dem nunmehr einzigen Antrag
(Hauptantrag). Sie beantragt, das Patent beschränkt aufrecht zu erhalten, auf
Grundlage der Patentansprüche 1 und 2 gemäß Hauptantrag, überreicht in der
mündlichen Verhandlung am 17. Mai 2010, Beschreibung und Zeichnungen wie
Patentschrift.
- 5 -
Die Patentansprüche 1 und 2 gemäß Hauptantrag lauten:
Der Vertreter der Einsprechenden hat schriftsätzlich den Antrag gestellt, das Pa-
tent im vollen Umfang zu widerrufen. Zum Termin am 17. Mai 2010 ist die Ein-
sprechende nicht erschienen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
- 6 -
II.
1.
Das Bundespatentgericht bleibt auch nach Wegfall des § 147 Abs. 3 PatG für
die Entscheidung über die Einsprüche zuständig, die in der Zeit vom
1. Januar 2002 bis zum 30. Juni 2006 eingelegt worden sind (BGH, GRUR 2007,
859 - Informationsübermittlungsverfahren I und BGH, GRUR 2007, 862 - Infor-
mationsübermittlungsverfahren II, BGH, GRUR 2009, 184 - Ventilsteuerung).
2.
Der rechtzeitig und formgerecht eingelegte Einspruch ist zulässig, denn es
sind im Hinblick auf den druckschriftlich belegten Stand der Technik innerhalb der
Einspruchsfrist die den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit nach § 21
Abs. 1 PatG rechtfertigenden Tatsachen im Einzelnen dargelegt worden, so dass
die Patentinhaberin und der Senat daraus abschließende Folgerungen für das
Vorliegen oder Nichtvorliegen der geltend gemachten Widerrufsgründe ohne ei-
gene Ermittlungen ziehen können (§ 59 Abs. 1 PatG).
3.
Der Gegenstand des angegriffenen Patents geht nicht über den Inhalt der
Anmeldung hinaus, in der sie beim Deutschen Patent- und Markenamt ursprüng-
lich eingereicht worden ist (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG). Der geltende Patentan-
spruch 1 findet seine Grundlage in den am Anmeldetag eingereichten Patentan-
sprüchen 1, 2 und 4 i. V. m. S. 5 Abs. 2 sowie S. 6 der ursprünglichen Beschrei-
bung. Unteranspruch 2 lässt sich aus dem ursprünglichen Unteranspruch 3 her-
leiten. Mit den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten neuen Patentansprü-
chen 1 und 2 ist der Schutzbereich des Patents nicht erweitert worden, da die
neuen Ansprüche ihre Grundlage in den erteilten Patentansprüchen 1, 2, und 3
i. V. m. Abs. [0022] und [0026] finden.
4.
Die druckgas- und stopfenbetätigte Gießeinrichtung nach dem “Teapot-Prin-
zip" gemäß dem geltenden Patentanspruch 1 erweist sich als patentfähig
(§§ 1 bis 5 PatG). Das Patent war deshalb beschränkt aufrecht zu erhalten.
- 7 -
a)
Der Gegenstand des Anspruchs 1 betrifft eine druckgas- und stopfenbetä-
tigte Gießeinrichtung nach dem „Teapot-Prinzip" zum automatischen Gießen von
Metallschmelzen in Gießformen (8), mit einem feuerfest ausgekleideten Kes-
sel (1), einem druckdichten Deckel (2), einem Eingusssiphon (3) und einem Aus-
gusssiphon (4), welcher in ein Gießbecken (5) mündet, welches eine mittels eines
Stopfens (6) verschließbare Auslauföffnung (9) aufweist. Gemäß der Patentschrift
ist eine derartige druckgas- und stopfenbetätigte Gießeinrichtung allgemein be-
kannt und in den Figuren 5 und 6 der Patentschrift gezeigt - vgl. Abs. [0006] der
Patentschrift. Bei einer solchen druckgasbetätigten Gießeinrichtung wird die
Schmelze durch Druckerhöhung aus dem Kessel in das Gießbecken gedrückt,
dessen Ablauföffnung mit dem Stopfen verschließbar ist. Das Niveau der
Schmelze im Gießbecken wird dabei unabhängig vom jeweiligen Kesselinhalt
durch entsprechende Druckregelung auf gleicher Höhe gehalten, so dass für die
Stopfendosierung konstante Bedingungen vorliegen - vgl. Abs. [0007]. Bisher
hatten die allgemein bekannten Kessel ein ungünstiges Verhältnis von Nutz- zu
Gesamtfassung an Schmelze, d. h. es verbleibt bei der Druckförderung eine nicht
unerhebliche Menge an Restschmelze im Kessel - vgl. Abs. [0010]. Laut Vortrag
der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung vom 18. März 2010 war dies
ein wesentlicher Grund dafür, dass die bisher bekannten Gießöfen ein Durchmes-
ser-Höhen-Verhältnis von etwa 1:1 aufwiesen. Eine größere Bodenfläche des
Kessels wurde vermieden, da sich dadurch bei gleichem Mindest-Schmelzspiegel
im Kessel eine größere Menge an Restschmelze ergeben hätte.
Um beim Entleeren die Schmelze im Kessel bis auf den Mindest-Schmelzspiegel
drücken zu können, liegt der maximale Überdruck im Kessel bei den bekannten
Gießöfen bei etwa 0,7 atü. Bis zu diesem Mindest-Schmelzspiegel wird das Ni-
veau der Schmelze im Gießbecken auf gleicher Höhe gehalten. Einen Beleg für
den Druckwert von 0,7 atü gibt die CH 646 624 A5. Dort ist ausgeführt, dass das
Druckniveau beim vollem Ofen etwa einem Druck von 1,3 bar und bei “fast leerem
Ofen" einem Wert von etwa 1,7 bar entspricht. Ausgangsniveau ist dabei ein
Druck von 1 bar. Der atmosphärische Überdruck entspricht dort also 0,7 bar bzw.
- 8 -
0,7 atü. Zum Erreichen des Niveaus N2 (Füllen des Gießbeckens) ist sogar ein
noch höherer Überdruck von etwa 1,1 bar notwendig - vgl. S. 3 re. Sp. Zn. 42 bis
47 der CH 646 624 A5.
b)
Dem Patent liegt dementsprechend das objektive Problem zugrunde, eine
druckgas- und stopfenbetätigte Giesseinrichtung der eingangs genannten Art an-
zugeben, bei der schon im drucklosen Zustand Schmelze im Gießbecken ist und
die durch einen stark reduzierten Restschmelze-Inhalt für häufiges Entleeren ge-
eignet, d. h. ausreichend flexibel für den häufigen Werkstoff-Wechsel bzw. den
Teilzeit-Betrieb ist. Gleichzeitig soll zum Entleeren der Gießeinrichtung deutlich
weniger Überdruck benötigt werden als bei den herkömmlichen Gießvorrichtungen
- vgl. Abs. [0011] des Patents.
c)
Die Giesseinrichtung zur Lösung des Problems gemäß geltendem Patentan-
spruch 1 betrifft - nach Merkmalen gegliedert:
1
Druckgas- und stopfenbetätigte Gießeinrichtung nach dem „Teapot-
Prinzip" zum automatischen Gießen von Metallschmelzen in
Gießformen (8),
2
mit einem feuerfest ausgekleideten Kessel (1),
3
einem druckdichten Deckel (2),
4
einem Eingusssiphon (3) und
5
einem Ausgusssiphon (4),
6
welcher in ein Gießbecken (5) mündet,
6.1
welches
eine
mittels
eines
Stopfens
(6)
verschließbare
Auslauföffnung (9) aufweist;
7
der Kessel (1) ist in seinem Boden mit einer Rinne (11) ausgerüstet,
in der sowohl der Ausgusssiphon (4) als auch der Eingusssiphon (3)
enden;
8
die Gießeinrichtung weist ein Gesamtfassungsvermögen von
4600 kg Eisenschmelze auf, und
- 9 -
8.1
ist per Druckförderung komplett bis auf den Inhalt der Rinne (11),
dem Gießbecken (5) und den Siphons (3, 4) entleerbar und
8.2
wird zum Entleeren die Schmelze mit einem maximalen Überdruck
von 0,3 atü in das Gießbecken (5) gedrückt, und
9
die
äußere
Mündung
des
Eingusssiphons
(3)
und
die
Auslassöffnung (9) des Gießbeckens (5) sind derart angeordnet,
dass der die Schmelze enthaltende Kessel (1) im Störfall derart
kippbar ist, dass einerseits das Gießbecken (5) soweit leerläuft, dass
der Stopfen (6) geöffnet werden kann, und dass andererseits die
Schmelze nicht aus dem Eingusssiphon (3) ausläuft.
Figuren 1 und 2 des Patents zeigen eine entsprechende Gießeinrichtung:
- 10 -
d)
Der zuständige Fachmann ist hier ein Diplomingenieur der Metallurgie bzw.
Werkstofftechnik, der eine langjährige Tätigkeit und große Erfahrung auf dem Ge-
biet der Gießereitechnik aufweist und der mit der Entwicklung von Gießwerkzeu-
gen beauftragt ist.
e)
Die Neuheit der beanspruchten druckgas- und stopfenbetätigten Gießeinrich-
tung nach dem “Teapot-Prinzip" zum automatischen Gießen von Metallschmelzen
in Gießformen ist anzuerkennen, da keine der im Einspruch als auch im Prüfungs-
verfahren aufgegriffenen Druckschriften eine Vorrichtung mit sämtlichen Merkma-
len des Patentanspruchs 1 offenbart, wie sich im Einzelnen auch aus den nachfol-
genden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit ergibt.
Auch die von der Einsprechenden geltend gemachte offenkundige Vorbe-
nutzung kann nicht weiterführen, da sie nicht belegt wurde. Von Seiten der Ein-
sprechenden wurde in Anlage 2 unter “Urheberrecht und Geheimhaltung“ Ge-
heimhaltung festgelegt. In der mündlichen Verhandlung vom 18. März 2010 wurde
die offenkundige Vorbenutzung von der Einsprechenden auch nicht weiter verfolgt.
f)
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auf einer erfinderischen
Tätigkeit.
aa) Die Druckschrift JP 2-25269 A mit PATENT ABSTRACT OF JAPAN
02025269 A (D2) und die deutsche Übersetzung der JP 2-25269 A (D2a) betrifft
einen druckgasbetätigten Gießofen nach dem “Teapot-Prinzip“.
Der D2/D2a liegt das Problem zugrunde, einen druckgasbetätigten Gießofen be-
reitzustellen, der den Anteil der Flüssigmetallrestmenge in Bezug auf die druckge-
gossene (herausgepresste) Flüssigmetallmenge stark reduziert - vgl. S. 6 Abs. 2
der D2a -, was u. a. der Aufgabenstellung des Patents entspricht - vgl. Abs. 4.b).
Der Fachmann hatte demnach Anlass diese Druckschrift auf jeden Fall zu beach-
ten, da hier das gleiche Problem wie nach dem Patent behandelt wird.
Eine Ausführungsform des druckgasbetätigten Gießofens zur Lösung dieses
Problems gemäß den Fig. 1 bis 3 und Seite 8 in D2a umfasst eine Drucksteuervor-
- 11 -
richtung 11, die über ein Druckbeaufschlagungsrohr 10 mit der Flüssigmetallkam-
mer 1 verbunden ist. In der Flüssigmetallkammer 1 befindet sich das Flüssigme-
tall 4 im Innern des Ofenkörpers 1a. Der Ofenkörper 1a ist mit einem Ofen-
deckel 7, der zwangsläufig druckdicht
sein muss, ausgerüstet. Wie aus Fi-
gur 1 ersichtlich ist, beruht der Gieß-
ofen auf dem “Teapot-Prinzip“. Es sind
ein Aufnahmesiphon 5a, ein Ausguss-
siphon 6a und eine Ausgusskammer 6,
in die der Ausgusssiphon 6a mündet,
vorgesehen.
Die
Ausgusskammer 6
weist einen Ausgussdüse 8 auf. Der
Ofenkörper 1a der Flüssigmetallkam-
mer 1 ist aus feuerfestem Material - vgl.
D2a S. 5 Abs. 2 -, und die Flüssigme-
tallkammer 1 ist am Boden mit der
Gicht 3 verbunden. Aufnahmesiphon 5a
und Ausgusssiphon 6a liegen niedriger als die Flüssigmetallkammer und öffnen
sich in der Seitenfläche des Gichtteils, so dass der niedrigste Flüssigmetallspiegel
bei Höchstdruck zum Druckgießen unter der Ebene der Bodenfläche der Flüssig-
metallkammer 1 liegt. Somit wird die Flüssigmetall-Restmenge, die nicht druckge-
gossen werden kann, gegenüber dem Stand der Technik stark verringert - vgl.
S. 9 Abs. 1.
Damit offenbart die D2/D2a dem Fachmann, dass zur Lösung des Problems, die
Flüssigmetall-Restmenge zu verringern, herkömmliche Druckgas- und stopfenbe-
tätigte Gießeinrichtungen nach dem “Teapot-Prinzip“ mit den bekannten Merkma-
len 1 bis 6.1 - vgl. die Ausführungen unter Absatz 4.a) - mit einem Aufnahmesi-
phon und Ausgusssiphon, der am Boden mit einer Gicht verbunden ist, auszu-
statten. Er erkennt aus den Figuren 1 bis 3 deutlich, dass die Gicht als Rinne aus-
- 12 -
gebildet sein muss, in der Aufnahmesiphon und Ausgusssiphon enden (Merk-
mal 7).
In D2/D2a nicht beschrieben sind die Merkmale 8, 8.1, 8.2, und 9. Zwar ist es
durchaus möglich, die Oberfläche in Figur 1 der D2 nachträglich so geneigt einzu-
zeichnen, dass das Merkmal 9 erfüllt ist, dazu muss der Fachmann aber die Lehre
des Patents kennen. Anregungen, diese Lehre aus der D2/D2a ohne nachträgli-
che Betrachtungsweise zu ziehen, hatte der Fachmann jedoch nicht. Selbst bei
Kenntnis von D2/D2a hatte er keinen Anlass zu der Lehre des Patents im Hinblick
auf ein Durchmesser-Höhen-Verhältnis des Gießofens von > 1 mit den Merkma-
len 8, 8.1, 8.2 zu gelangen - vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 X ZR 65/05 -
Einteilige Öse, in juris.
bb) Auch die Druckschriften US 5 271 539 A (D1) sowie US 5 465 777 A und
CH 646 624 A5, können hier nicht weiterführen. Die D1 betrifft eine druckgasge-
steuerte Gießeinrichtung nach dem “Teapot-Prinzip“ zum automatischen Gießen
von Metallschmelzen in Gießformen - vgl. Sp. 1 Zn. 10 bis 17 und Figur 1. Dabei
soll auch das Problem gelöst werden, die im Gießofen verbleibende Restschmelze
zu minimieren - vgl. Sp. 2 Zn. 14 bis 18. Die D1 offenbart aber weder eine Rinne
im Boden des Kessels gemäß Merkmal 7 noch ein Durchmesser-Höhenverhältnis
des Gießofens von > 1 entsprechend den Merkmalen 8, 8.1, 8.2 und auch nicht
Merkmal 9. Die Schrift gibt aus fachmännischer Sicht keinen Anlass, zur Ausfüh-
rung des Durchmesser-Höhenverhältnisses von > 1 gemäß den Merkmalen 8 bis
8.2 und der Anordnung der Mündung des Einganssiphons und der Auslassöffnung
des Gießbeckens entsprechend Merkmal 9.
cc) Die Druckschriften US 5 465 777 A - vgl. Fig. 1 - und die CH 646 624 A5
- vgl. Fig. 1 - beschreiben druckgasbetätigte Gießeinrichtungen zum automati-
schen Gießen von Metallschmelzen in Gießformen. Anregungen, die im Gießofen
verbleibende Restschmelze zu minimieren, sind aus diesen Druckschriften nicht
zu entnehmen. Hinweise für den Fachmann, die Merkmale 7 bis 9 des Patents zu
verwirklichen, sind dort nirgends gegeben. Auch die Zusammenschau der Druck-
- 13 -
schriften (D1) sowie US 5 465 777 A und CH 646 624 A5 mit D2/D2a konnte den
Fachmann nicht zu den Merkmalen 8 bis 9 des Patents führen.
Die erfindungsgemäße Lösung des Problems, eine druckgas- und
stopfenbetätigte Gießeinrichtung nach dem „Teapot-Prinzip" zum automatischen
Gießen von Metallschmelzen in Gießformen mit den Merkmalen 1 bis 7 bereitzu-
stellen, insbesondere mit der Maßgabe, das Durchmesser-Höhenverhältnis des
Gießofens von > 1 entsprechend den Merkmalen 8, 8.1, 8.2 und die Anordnung
der Mündung des Einganssiphons und der Auslassöffnung des Gießbeckens ent-
sprechend Merkmal 9 auszubilden, hat weder aus den in Betracht zu ziehenden
Entgegenhaltungen noch deren Zusammenschau nahe gelegen. Vielmehr ermög-
licht die Verwirklichung der Merkmale 8 bis 8.2 eine weitere, überraschend einfa-
che zusätzliche Verbesserung des Verhältnisses von Nutz- zu Gesamtfassung an
Schmelze und des zur Entleerung benötigten Überdrucks.
g)
In Verbindung mit Patentanspruch 1 hat auch der darauf rückbezogene
Patentanspruch 2 Bestand, da er eine vorteilhafte und nicht selbstverständliche
Ausführungsform der im Anspruch 1 angegebenen Vorrichtung beschreibt.
5.
Der Antrag der Einsprechenden, der Patentinhaberin die Kosten der Termins
zur mündlichen Verhandlung vom 18. März 2010 aufzuerlegen, ist unbegründet
und war deshalb zurückzuweisen.
Auch im Einspruchsverfahren vor dem Bundespatentgericht trägt jeder Beteilige
grundsätzlich seine Kosten selbst, was sich für dieses Verfahren aus § 147 Abs. 3
Satz 2 PatG (in der Fassung vom 15. Dezember 2004 bis 30. Juni 2006) in Ver-
bindung mit § 62 Abs. 1 PatG ergibt. Von dieser Regel kann abgewichen werden,
wenn dies aus Gründen der Billigkeit gerechtfertigt erscheint. Eine vom Regelfall
abweichende Kostenentscheidung kann dann notwendig sein, wenn sich das Ver-
halten eines der Beteiligten im Verlauf des Verfahrens als ein Verstoß gegen die
allgemeine prozessuale Sorgfaltspflicht darstellt. Der Verstoß muss dabei von ei-
nem derartigen Gewicht sein, dass es unbillig erscheint, die ohne weiteres ver-
meidbaren Kosten den anderen Beteiligten tragen zu lassen. Dies bedeutet, dass
- 14 -
derjenige, der vorwerfbar aus Säumnis oder Nachlässigkeit unnötige Kosten ver-
ursacht, diese auch billigerweise tragen muss (vgl. Schulte, Patentgesetz mit EPÜ
8. Auflage zu § 80 Rn. 9, 13).
Ein solcher verschuldeter Pflichtenverstoß der Patentinhaberin ist hier nicht er-
kennbar. Aufgrund des Verhaltens der Patentinhaberin war jedoch zunächst die
Vertagung der mündlichen Verhandlung notwendig geworden. Sie hat unmittelbar
vor dem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom
17. März 2010 einen neuen Hauptantrag und drei Hilfsanträge, in der mündlichen
Verhandlung vom 18. März 2010 selbst zwei weitere Hilfsanträge vorgelegt. Die
Änderungen der Patentansprüche entstammten dabei zum Teil aus den ursprüng-
lich eingereichten Patentansprüchen 2 und 4 und zum Teil aus der Beschreibung.
Im Verlauf der mündlichen Verhandlung gab der Senat zu erkennen, dass eine
Aufrechterhaltung des Patents in einer der vorgelegten beschränkten Fassungen
in Betracht kommt. Diese für die Einsprechende neue Situation verlangte nach
Überlegung und Vorbereitung, was der verteidigten Fassung des Patents entge-
gengehalten werden könnte. Da sich der Vertreter der Einsprechenden nicht in der
Lage sah, sich “aus dem Stand“ oder nach einer entsprechenden kurzzeitigen
Unterbrechung der mündlichen Verhandlung zu der beschränkten Verteidigung
des Patents zu äußern, wurde der Termin auf Antrag der Einsprechenden vertagt.
Diese Vertragung gemäß § 99 Abs. 1 PatG in Verbindung mit § 227 Abs. 1 ZPO
war auch notwendig, denn durch die unmittelbar vor der Hauptverhandlung bzw.
die im Termin selbst vorgelegten neuen Haupt- und Hilfsanträge wurde die Ein-
sprechende mit neuen Tastsachen- und Rechtsfragen konfrontiert, die möglicher-
weise eine neue Recherche erforderlich machten, um sich vollständig zur Patent-
fähigkeit der verteidigten Fassung äußern zu können. Es konnte der Einsprechen-
den auch nicht zugemutet werden sich gleichsam “vorauseilend“ mit einer even-
tuellen Beschränkung des Patents zu befassen um so auf einen Rückzug der Pa-
tentinhaberin auf die Beschreibung oder auf Ausführungsbeispiele vorbereitet zu
sein. Es ist vielmehr das Recht der Einsprechenden, ihren Angriff auf die in den
erteilten Patentansprüchen aufgenommenen Merkmale zu beschränken und ihre
- 15 -
Angriffsstrategie hierauf einzurichten. Zieht sich die Patentinhaberin unmittelbar
vor oder im Verlauf der mündlichen Verhandlung auf eine geänderte Fassung des
Patents zurück, so gebietet es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, dass dem
Gegner, notfalls durch Vertagung des Verfahrens, ausreichend Gelegenheit gege-
ben wird sich mit dieser neuen Situation auseinander zu setzen. Dies gilt auch
dann, wenn die erfolgte Beschränkung den “Kern der Erfindung“ betrifft, oder als
Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik durchaus erkennbar und erwart-
bar erschien (vgl. hierzu BGH GRUR 2004, 354 - Vertagung).
Diese notwendige Vertagung führt jedoch nicht dazu, dass der Patentinhaberin
nunmehr aus Billigkeitsgründen die Kosten des ersten Termin gemäß § 62 Abs. 1
PatG aufzuerlegen wären. Die Einsprechende hatte mit Schriftsatz vom
5. März 2010 unter anderem einen neuen druckschriftlichen Stand der Technik in
das Verfahren eingeführt und eine eigene offenkundige Vorbenutzung behauptet.
Damit hat sie zunächst ihrerseits eine veränderte prozessuale Lage herbeigeführt.
Mit ihren mit Schriftsatz vom 17. März 2010 vorgelegten Haupt- und Hilfsanträgen
hat die Patentinhaberin auf diesen neuen Sachvortrag unmittelbar reagiert und ihr
Patent nur noch beschränkt verteidigt. Im Verlauf der mündlichen Verhandlung
sodann hat der Senat in den Sach- und Streitstand eingeführt und seine rechtliche
Wertung zur Schutzfähigkeit des Streitpatents zu erkennen gegeben. Daraufhin
hat die Patentinhaberin zwei weitere Hilfsanträge vorgelegt, zu denen sich der
Vertreter der Einsprechenden nicht äußern wollte, sondern eine Vertagung des
Termin beantragte. Dies ist ebenso wenig zu beanstanden wie das vorherige Ver-
halten der Patentinhaberin. Dass ein angegriffenes Patent beschränkt wird, um
damit die Zweifel des Gerichts an der Patentfähigkeit auszuräumen, entspricht
einer üblichen und sorgfältigen Vorgehensweise bei der Verteidigung eines
Schutzrechts. In einer derartigen Situation kann der Gegner zwar die Vertagung
des Termins nach § 227 Abs. 1 ZPO verlangen, denn er braucht seine Recherche
zunächst nur auf das erteilte Schutzrecht richten. Gründe, die durch die Vertagung
entstehenden Kosten der Patentinhaberin aufzuerlegen, liegen damit aber nicht
vor. Hier nahm die Einsprechende die zugesprochene Überlegungsfrist zudem
- 16 -
nicht wahr, denn sie äußerte sich weder schriftsätzlich zu den neuen Patentan-
sprüchen, noch erschien sie zum zweiten Verhandlungstermin. Auch aus diesem
Verhalten ergibt sich, dass Billigkeitsgründe für eine Kostenauferlegung nach
§ 62 PatG nicht vorliegen.
Feuerlein
Schwarz-Angele
Zettler
Lange
Bb