Urteil des BPatG vom 17.05.2002

BPatG: computer, software, verkehr, post, internet, begriff, englisch, wörterbuch, erstellung, unterscheidungskraft

BPatG 152
10.99
BUNDESPATENTGERICHT
27 W (pat) 166/02
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die angemeldete Marke 300 90 042.2
hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Schermer sowie die Richter Dr. van Raden und Schwarz
am 25. Februar 2003
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beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Mar-
kenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamtes
vom 17. Mai 2002 aufgehoben.
G r ü n d e
I
Die Wortmarke
clipmail
soll für
"Auf Datenträgern gespeicherte Computer-Programme und Com-
puter-Software; Design, Wartung und Vermietung von Computer-
Software; Vermietung der Zugriffszeit zu Datenbanken; Erstellen
von Programmen für die Datenverarbeitung; Computersystemana-
lysen"
in das Register eingetragen werden.
Die Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die
Anmeldung wegen mangelnder Unterscheidungskraft zurückgewiesen. Das
Wort "clipmail" sei eine sprachübliche gebildete Wortkombination, die als beschrei-
bende Sachangabe nur darauf hinweise, dass die hierunter angebotenen Waren
und Dienstleistungen das Versenden von Videoclips im Internet ermöglichten; die
angesprochenen Verkehrskreise würden der Anmeldemarke daher keinen indivi-
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dualisierenden Hinweis auf die betriebliche Herkunft aus einem bestimmten Unter-
nehmen entnehmen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Zur Begrün-
dung führt sie aus, der Begriff "clipmail" sei sprachunüblich gebildet, da es keine
Begriffe gebe, bei denen das Wort "mail" mit Begriffen wie Schallplatte, Filme, Dis-
ketten, Videofilme oder CD-ROM verbunden sei. Die Anmeldemarke sei daher un-
terscheidungskräftig und nicht freihaltebedürftig.
II
Der zulässigen Beschwerde kann in der Sache der Erfolg nicht versagt bleiben, da
der Anmeldemarke weder das erforderliche Mindestmaß an Unterscheidungskraft
nach § 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG abgesprochen werden kann noch Anhaltspunkte
dafür bestehen, dass sie gemäß § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG freihaltebedürftig wäre.
Zwar hat die Markenstelle zutreffend festgestellt, dass das Wort "clip", das in sei-
ner ursprünglichen Bedeutung für eine Klammer steht (vgl Ernst, Wörterbuch der
industriellen Technik, Band II Englisch-Deutsch, 6. Aufl, S 220), ua auch kurze Vi-
deosequenzen bezeichnet, und das weitere Element "mail" das englische Wort für
"Post" und in Zusammenhang mit elektronischen Medien insbesondere zur Be-
zeichnung sog. "elektronischer Post" ("e-mail") üblich ist. Sofern der Verkehr die
Marke überhaupt übersetzen wird, wird er sie daher zunächst nur als "Clip-Post"
verstehen. Es steht aber nicht zu erwarten, dass der Verkehr diesen neuen Ge-
samtbegriff dann unmittelbar und ohne weiteres Nachdenken nur in dem von der
Markenstelle genannten Sinn auffassen wird, demzufolge die hiermit gekennzeich-
nete Software bzw die auf die Erstellung entsprechender Computerprogramme ge-
richteten Dienstleistungen allein dem Versenden von Videoclips im Internet die-
nen. Denn zum einen reduziert sich die Bedeutung des Wortes "clip" für sich allein
gesehen auf dem hier in Rede stehenden Warensektor nicht auf "Videoclip"; viel-
mehr wird dieses Wort auch für Dienstmerkmale im digitalen Telefonnetz (vgl Irl-
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beck/Langenau, Computer-Lexikon, 4. Aufl, S 162; Irlbeck, Computer-Englisch,
3. Aufl, S 125; Kußmann. Lexikon der Kommunikations- und Informationstechnik,
3. Aufl, S 168; Ernst, aaO) und als Bestandteil der Wörter "clipart" für einen Vorrat
grafischer Grundmuster (vgl Irlbeck/Langenau, aaO; Irlbeck, aaO; Kussmann,
aaO; Ferretti, Wörterbuch der Elektronik, Datentechnik und Telekommunikation,
Teil 2 Englisch-Deutsch, 2. Aufl, S 149) sowie "clipboard" für eine Zwischenablage
im Speicher (vgl Irlbeck/Langenau, aaO; Ferretti, aaO; Ernst, aaO, S 221) verwen-
det. Ein Verständnis der Anmeldemarke im Sinne von "clip-Post" drängt sich
daher nicht unmittelbar auf; die Mehrdeutigkeit des Bestandteils "clip" führt aber
auf der anderen Seite auch nicht dazu, dass seine Verbindung mit dem weiteren
Wort "mail" nur jeweils als Angabe verschiedener möglicher Eigenschaften der ge-
kennzeichneten Produkte und Dienstleistungen angesehen werden wird, weil der
Verkehr zwar möglicherweise dem Gesamtbegriff "clipmail" Merkmale der Produk-
te und Dienstleistungen entnehmen kann, soweit er "clip" die Bedeutungen "Video-
clip" und "Dienstmerkmale im digitalen Telefonnetz", uU auch "(digitale) Grafikbi-
bliothek" beilegt, nicht aber wenn er es als Abkürzung für "clipboard", also einen
digitalen Zwischenspeicher, ansieht.
Zum anderen werden die angesprochenen Verkehrskreise nicht ohne weitere In-
formationen über den genauen Inhalt und den Verwendungszweck der mit der An-
meldemarke versehenen Computerprogramme bzw der auf ihre Erstellung gerich-
teten Dienstleistungen von vornherein annehmen, diese dienten allein der Versen-
dung von Videos im Internet. Es ist nämlich eher unwahrscheinlich, dass den an-
gesprochenen Verkehrskreisen, zu denen nicht nur Computer-Fachleute, sondern
auch lediglich computerinteressierte Laien gehören, die über eher oberflächliche
Kenntnisse der elektronischen Datenverarbeitung verfügen, bekannt ist, dass sich
Videoclips nicht wie andere Bilder mittels der üblichen E-Mail-Programme, son-
dern nur mittels besonderer Software verschicken lassen. Ohne Kenntnis dieser
weiteren Informationen hat der Verkehr, der ohnehin nicht zu analysierenden Be-
trachtungen neigt (st Rspr, vgl BGH GRUR 1992, 515, 516 – Vamos; BGH
GRUR 195, 408, 409 – PROTECH), daher wenig Veranlassung, die Anmeldemar-
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ke lediglich als Angabe bestimmter Eigenschaften der mit ihr gekennzeichneten
Waren und Dienstleistungen und nicht als Hinweis auf ihre betriebliche Herkunft
aufzufassen. Hierfür spricht als Indiz auch, dass der Begriff "clipmail" nach Re-
cherchen des Senats bislang nicht als Fachbegriff für bestimmte Eigenschaften
von Computer-Software üblich ist, sondern, soweit sein Gebrauch überhaupt fest-
stellbar ist, bisher stets nur (von anderen Zeicheninhabern als der Anmelderin) zur
herkunftshinweisenden Kennzeichnung von Computerprodukten verwendet wird;
dementsprechend ist die Bezeichnung "clipmail" auch in Großbritannien und
Frankreich als Marke für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9 und 41 einge-
tragen.
Da sich der Begriff "clipmail" bislang - obwohl dies nahegelegen hätte - auch nicht
als beschreibender Fachbegriff für besondere Software eingebürgert hat, sondern
vielmehr ausschließlich als herkunftshinweisende Produktbezeichnung verwendet
wird, steht auch künftig nicht zu erwarten, dass die Mitbewerber an seiner be-
schreibenden Verwendung ein solches Interesse haben werden, dass es für die
Benutzung durch die Allgemeinheit freizuhalten wäre.
Da somit im Ergebnis nicht festgestellt werden kann, dass absolute Hindernisse
der Schutzfähigkeit der Anmeldemarke entgegenstehen, war der Beschluss der
Markenstelle aufzuheben.
Dr. Schermer
Dr. van Raden
Schwarz