Urteil des BPatG vom 30.03.2000

BPatG: stand der technik, patentanspruch, wand, ausbildung, form, fig, unterliegen, vollstreckbarkeit, obsiegen, zugehörigkeit

BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 27/99 (EU)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
30. März 2000
In der Patentnichtigkeitssache
betreffend das europäische Patent 0 568 799
BPatG 253
9.72
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(DE 593 02 795)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 30 März 2000 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Grüttemann sowie der Richter Dipl.-Ing. Riegler, Dipl.-Ing. Schmidt-Kolb,
Dipl.-Ing. Sperling und der Richterin Sredl
für Recht erkannt:
Das europäische Patent 0 568 799 wird mit Wirkung für das Ho-
heitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang des Pa-
tentanspruchs 1 dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß Patentan-
spruch 1 folgende Fassung erhält:
"1. Schalung für eine Aufkantung an einer insbesondere wasserun-
durchlässigen Verbindung zwischen einer Unterlage und einer
Wand, gekennzeichnet durch ihre Ausbildung als verlorenes Ab-
schalelement (1) mit einem im wesentlichen trapezförmigen Quer-
schnitt, wobei die längere der beiden verschieden langen Seiten
des trapezförmigen Querschnitts auf die Unterlage (13) aufzustellen
und offen ist, die gegenüberliegende, kürzere Seite eine Be-
toneinfüllöffnung (11) bildet und die geneigten Seiten durch Wan-
dungsteile (2a, 2b) aus einem durchbrochenen Material (6) gebildet
sind, die durch die Betoneinfüllöffnung (11) überbrückende Ab-
standshalter (3a, 3b) miteinander verbunden sind und wobei mit
den Wandungsteilen (2a, 2b) eine Halterung (4) für eine flächige
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 9/10 und die
Beklagte 1/10.
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Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung für die Klägerin in Höhe von
2.000,- DM und für die Beklagte in Höhe von 18.000,- DM vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 16. März 1993 angemeldeten und
ua mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten
europäischen Patents 0 569 799 (Streitpatent), für das die Priorität des deutschen
Gebrauchsmusters 92 06 140 vom 7. Mai 1992 in Anspruch genommen worden
ist. Das Streitpatent, das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Ak-
tenzeichen 593 02 795 geführt wird und das eine Schalung für eine Aufkantung
betrifft, umfaßt 9 Patentansprüche. Patentanspruch 1 hat in der Verfahrensspra-
che Deutsch folgenden Wortlaut:
"1. Schalung für eine Aufkantung an einer insbesondere wasserun-
durchlässigen Verbindung zwischen einer Unterlage und einer
Wand, gekennzeichnet durch ihre Ausbildung als verlorenes Ab-
schalelement (1) mit einem im wesentlichen trapezförmigen Quer-
schnitt, wobei die längere der beiden verschieden langen Seiten
des trapezförmigen Querschnitts auf die Unterlage (13) aufzustellen
und offen ist, die gegenüberliegende, kürzere Seite eine Be-
toneinfüllöffnung (11) bildet und die geneigten Seiten durch Wan-
dungsteile (2a, 2b) aus einem durchbrochenen Material (6) gebildet
sind, die durch die Betoneinfüllöffnung (11) überbrückende Ab-
standshalter (3a, 3b) miteinander verbunden sind und wobei mit
den Wandungsteilen (2a, 2b) eine flächige Dichtung (5) zu verbin-
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zu-
rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 9 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
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Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streit-
patents sei nicht patentfähig, weil er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Zur
Begründung beruft sie sich auf die Druckschriften
Prospekt der Fa. AMICO Alabama Metal Industries Corporation in der Pro-
spektsammlung „1989 Sweet’s Catalogue File“,
EP 0 341 507 A2,
EP 0 457 167 A1 und
Prospekt der Fa. Tricosal GmbH „FIX-Verlegebügel zum FIX-Arbeitsfugen-
band“ von 1990.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 0 568 799 mit Wirkung für das Hoheitsge-
biet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang des Patentan-
spruchs 1 für nichtig zu erklären.
In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte eine neue Fassung des Patent-
anspruchs 1 überreicht und erklärt, daß sie Patentanspruch 1 des Streitpatents mit
dieser Fassung verteidige. Wegen des Wortlauts der verteidigten Fassung wird
auf den Urteilstenor verwiesen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen Patentanspruch 1 in
der verteidigten Fassung richtet.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent unter Be-
rufung auf das Fachbuch "Tiefbaufugen" von Klawa und Haack, Ernst & Sohn,
Verlag für Architektur und technische Wissenschaften, Berlin, 1989 (Anl B 1) im
angegriffenen Umfang für patentfähig.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage erweist sich nur teilweise als begründet.
Das Streitpatent ist im Umfang des allein angegriffenen Patentanspruchs 1 inso-
weit für nichtig zu erklären, als die Beklagte diesen Patentanspruch in der erteilten
Fassung nicht mehr verteidigt. Die aufgenommene Beschränkung ("Halterung für"
eine flächige Dichtung) hält sich im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung und
des erteilten Patents (s Sp 1 Z 55). Weder der Schutzbereich noch der Gegen-
stand des erteilten Patents werden erweitert.
Im übrigen war die Klage abzuweisen, da dem Patentanspruch 1 des Streitpatents
in der verteidigten Fassung der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden
Patentfähigkeit nicht entgegensteht (Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Abs 1
lit a EPÜ, Art 56 EPÜ).
I.
1) Das Streitpatent betrifft eine Schalung für eine Aufkantung an einer Verbin-
dung zwischen einer Unterlage und einer Wand. Nach den Angaben der Streit-
patentschrift müssen derartige Schalungen mühevoll in Handarbeit mit Scha-
lungsbrettern hergestellt werden (Sp 1 Z 6-8).
2) Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde, die für eine solche Schalung
aufzuwendende Arbeitszeit entscheidend zu verringern (Sp 1 Z 9-11).
3) Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung
eine Schalung für eine Aufkantung an einer insbesondere wasserundurch-
lässigen Verbindung zwischen einer Unterlage und einer Wand,
1. wobei die Schalung als verlorenes Abschalelement ausgebildet ist
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1.1. mit einem im wesentlichen trapezförmigen Querschnitt,
1.1.1. wobei die längere der beiden verschieden langen Seiten des
trapezförmigen Querschnitts auf die Unterlage aufzustellen
1.1.2.
und
offen
ist,
1.1.3.
die
gegenüberliegende, kürzere Seite eine Betoneinfüllöffnung
bildet,
1.1.4. und die beiden geneigten Seiten durch Wandungsteile aus
einem durchbrochenen Material gebildet sind,
1.1.4.1.
die
durch
die Betoneinfüllöffnung überbrückende
Abstandshalter miteinander verbunden sind
1.1.5. und wobei mit den Wandungsteilen eine Halterung für eine
flächige Dichtung verbunden ist.
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II.
Der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 ist neu, was auch die Klä-
gerin nicht in Abrede stellt.
Die Klägerin hat den Senat aber auch nicht davon überzeugen können, daß sich
der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 für den Fachmann, einen
Fachhochschulingenieur des Bauwesens, in naheliegender Weise aus dem Stand
der Technik ergab.
Die von der Klägerin entgegengehaltene europäische Offenlegungsschrift
0 457 167 A1 betrifft eine Schalungsplatte zum Herstellen einer Schalung insbe-
sondere für ein Balken- oder Streifenfundament mit wenigstens einer offenen Be-
grenzungsfläche und Seitenwänden aus einem Stabmaterial und einem mit dem
Stabmaterial verbundenen flächigen Material, das ein Streckmetall, also ein
durchbrochenes Material sein kann. Aus dieser Schalungsplatte wird bestim-
mungsgemäß die gewünschte Schalung durch einfaches Hochbiegen der Sei-
tenwände hergestellt (Sp 1, Z 29 bis 35), die dann auch als verlorene Schalung
(Sp 1, Z 52 bis 56) Verwendung finden kann.
Somit unterscheidet sich der Gegenstand nach dem Patentanspruch 1 von dem
Gegenstand der Druckschrift EP 0 457 167 A1 durch folgende Merkmale:
a) Beim Gegenstand des Patentanspruchs 1 handelt es sich um eine spezielle
Schalung für einen ganz bestimmten Verwendungszweck, nämlich um eine
Schalung für eine Aufkantung an einer insbesondere wasserundurchlässigen
Verbindung zwischen einer Unterlage und einer Wand.
b) Der Querschnitt der Schalung ist im wesentlichen trapezförmig. Die bekannte
Schalungsplatte kann zwar in eine gewünschte Form gebogen werden, beschrie-
ben ist in der Entgegenhaltung jedoch lediglich eine rechteckige Form.
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c) Die Wandungsteile sind durch Abstandhalter verbunden, die die Betoneinfüll-
öffnung überbrücken. Bei der bekannten Schalung überbrücken die Abstandhalter
die Wandungsteile an ihren der Betoneinfüllöffnung gegenüberliegenden Enden.
d) Mit den Wandungsteilen ist eine Halterung für eine flächige Dichtung verbun-
den.
Es kann dahinstehen, welche Bedeutung den vorstehend unter b) und c) ge-
nannten unterschiedlichen Merkmalen für die Lösung der dem Patent zugrunde-
liegenden Aufgabe zukommt, die für eine Schalung für eine Aufkantung aufzu-
wendende Arbeitszeit entscheidend zu verringern. Denn in jedem Fall ist der dem
unterschiedlichen Merkmal d) zugrunde liegende Gedanke, in eine Schalung für
eine Aufkantung eine Halterung für eine flächige Dichtung zu integrieren und damit
ein Bauteil zu schaffen, in das lediglich noch die Dichtung eingesetzt werden muß,
weder aus der oben genannten Entgegenhaltung EP 0 457 167 A1 selbst, noch
aus dem übrigen von der Klägerin entgegengehaltenen Stand der Technik in
naheliegender Weise abzuleiten.
Die europäische Druckschrift betrifft, wie vorstehend schon ausgeführt, eine
Schalungsplatte zum Herstellen einer Schalung, insbesondere für ein Balken- oder
Streifenfundament. Der Entgegenhaltung ist kein Hinweis dahingehend zu
entnehmen, daß diese Schalungsplatte auch für die Herstellung einer Aufkantung
geeignet sein könnte. Da sich eine Aufkantung allein schon von ihren Dimensio-
nen her wesentlich von einem Streifenfundament unterscheidet, liegt es für den
Fachmann, der entsprechend der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe
die für eine derartige Schalung aufzuwendende Arbeitszeit verringern möchte,
nicht nahe, eine gattungsfremde Schalung für ein Streifenfundament zum Aus-
gangspunkt seiner Überlegungen zu machen. Auch die Frage der Halterung einer
flächigen Dichtung bietet die Entgegenhaltung keinen gedanklichen Anhaltspunkt,
da diese nur bei einer Aufkantung auftretende Fragestellung hier nicht an-
gesprochen ist.
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Die Maßnahme, bei einer Schalung für eine Aufkantung mit den Wandungsteilen
eine Halterung für eine flächige Dichtung zu verbinden, wird dem Fachmann auch
durch den übrigen von der Klägerin genannten Stand der Technik nicht nahege-
legt.
Das von der Beklagten zitierte Fachbuch "Tiefbaufugen" von Klawa und Haack,
Bild A 2/65 zeigt zwar unter a) eine (wiedergewinnbare) Schalung für eine Auf-
kantung; jedoch ist hierbei keine flächige Dichtung vorgesehen. Eine solche ist
zwar unter c) dargestellt, jedoch dort im Zusammenhang mit einem Wandsockel.
Aus diesem Grund wird der Gedanke, in die Schalung für die Aufkantung eine
Halterung für eine flächige Dichtung zu integrieren, dem Fachmann hierdurch nicht
nahegelegt, zumal die in Bild A/265c dargestellte Dichtung nicht an der Schalung
des Wandsockels, sondern an der aus der Bodenplatte herausragenden
Wandbewehrung befestigt ist.
Die von der Klägerin noch genannten Entgegenhaltungen befassen sich nicht mit
der Herstellung einer Aufkantung. Die in der mündlichen Verhandlung von der
Klägerin nicht mehr aufgegriffene Druckschrift EP 0 341 507 A2 betrifft ebenfalls
lediglich eine Schalung für ein Streifenfundament. Wegen der hier vorgesehenen
Abstandhalter 10 (vgl Fig 3) wird der Fachmann diese Schalung nicht mit der An-
ordnung einer flächigen Dichtung in Verbindung bringen. Somit vermag auch diese
Entgegenhaltung dem Fachmann keine Anregung zu geben, eine Schalung für
eine Aufkantung mit einer Halterung für eine Dichtung nach Patentanspruch 1 des
Streitpatents zu schaffen.
Der von der Klägerin vorgelegte AMICO-Prospekt betrifft eine teils wiedergewinn-
bare, teils verlorene Stirnabschalung für einen Wandabschnitt, und zwar die Her-
stellung der Nut, die von dem Beton des anschließend aufzubetonierenden
Wandabschnitts ausgefüllt wird. Schon aus diesem Grund wird der Fachmann, der
die Arbeitszeit für die Herstellung einer Schalung für eine Aufkantung verringern
will, keinen gedanklichen Bezug zu diesem Stand der Technik herstellen, so daß
der AMICO-Prospekt weder für sich noch in Verbindung mit dem zuvor abge-
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handelten Stand der Technik die Schaffung einer Schalung nach Patentan-
spruch 1 des angegriffenen Patents nahelegen kann, also einer Schalung mit im
wesentlichen trapezförmigem Querschnitt, wobei die kürzere Seite eine Be-
toneinfüllöffnung bildet, die geneigten Seiten der Wandungsteile durch die Be-
toneinfüllöffnung überbrückende Abstandhalter miteinander verbunden sind und
wobei mit den Wandungsteilen eine Halterung für eine flächige Dichtung verbun-
den ist. Bei dieser Sachlage kann es dahinstehen, ob der AMICO-Prospekt, des-
sen Zugehörigkeit zum Stand der Technik von der Patentinhaberin bestritten wird,
vorveröffentlicht ist oder nicht.
Der von der Klägerin außerdem noch entgegengehaltene Tricosal-Prospekt lehrt
lediglich die Halterung einer Flächendichtung mittels eines Bügels, der an den
Bewehrungsstäben einer Wandbewehrung einhängbar ist. Die Herstellung von
Aufkantungen ist hier ebenfalls nicht angesprochen, so daß der Fachmann auch
aus dieser Entgegenhaltung keine Anregung erhält, bei einer Schalung für eine
Aufkantung mit deren Wandungsteilen eine Halterung für eine flächige Dichtung
zu verbinden.
Der Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung ist mithin rechtsbeständig.
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III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 84 Abs 2 PatG iVm § 92 Abs 1 ZPO und
entspricht dem jeweiligen Obsiegen bzw Unterliegen der Parteien.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs 1 PatG
iVm § 709 ZPO.
Grüttemann Riegler
Schmidt-Kolb Sperling
Sredl
Pr