Urteil des BPatG vom 18.06.2002

BPatG: telekommunikation, ältere marke, dienstleistung, verwechslungsgefahr, bestandteil, verkehr, kennzeichnungskraft, wortmarke, wiedergabe, wiederholung

BUNDESPATENTGERICHT
27 W (pat) 241/00
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
18. Juni 2002
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. K. Wessing und Koll.,
Königsallee 92 a, 40212 Düsseldorf,
betreffend die eingetragene Marke 396 00 815
BPatG 154
6.70
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hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die
mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2002 unter Mitwirkung der Vorsitzenden
Richterin Dr. Schermer, der Richterin Friehe-Wich und des Richters Schwarz
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Beschlüs-
se der Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Mar-
kenamts vom 25. September 1998 und vom 29. April 2000 aufge-
hoben und die Löschung der Marke 396 00 815 aufgrund des Wi-
derspruchs aus der Marke 1 188 149 angeordnet.
G r ü n d e
I.
Gegen die am 10. August 1996 veröffentlichte Eintragung der Wortmarke
TelAB Select
für "Geräte der Telekommunikation; Telekommunikation" ist Widerspruch eingelegt
aus der prioritätsälteren Wortmarke
TELLABS
eingetragen am 14. Juli 1993 unter der Nr 1 188 149 für "elektrotechnische und
elektronische Geräte, Apparate und Instrumente, soweit in Klasse 9 enthalten;
Test-, Signal- und Übertragungsapparate und -geräte; Apparate und Instrumente
zum Aufzeichnen, Empfangen und Wiedergeben von akustischen und visuellen Si-
gnalen; Kabel, Antennen, Apparate und Geräte zur Verarbeitung, Übertragung und
zum Empfang von Daten; Computer, Mikroprozessoren, magnetische Datenträger;
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auf Datenträgern gespeicherte Programme für Computer und Datenverarbeitungs-
geräte; Teile der vorstehenden Waren soweit in Klasse 9 enthalten".
Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat im Verfahren vor der Markenstelle mit
Schriftsatz vom 19. Juni 1998 die Benutzung der Widerspruchsmarke bestritten.
Daraufhin hat die Widersprechende mit Schriftsatz vom 18. September 1998 dar-
auf hingewiesen, daß sich die Widerspruchsmarke am 19. Juni 1998 noch in der
Benutzungsschonfrist befunden habe, so daß die mit Eingabe von diesem Tag er-
hobene Einrede mangelnder Benutzung unerheblich sei.
Die Markenstelle für Klasse 9 hat durch zwei Beschlüsse, von denen einer im Erin-
nerungsverfahren erging, den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung ist
jeweils ausgeführt, der Nichtbenutzungseinwand sei gemäß § 43 MarkenG zuläs-
sig. Die Widersprechende habe dementsprechend gemäß § 43 Abs 1 S 2 Mar-
kenG die Benutzung glaubhaft zu machen gehabt. Den Anforderungen an die
Glaubhaftmachung einer rechtserhaltenden Benutzung sei sie aber nicht nachge-
kommen, denn die im Erinnerungsverfahren - erstmalig - vorgelegten Unterlagen
schlüsselten die getätigten Umsätze nicht nach den einzelnen Waren des Waren-
verzeichnisses auf. Auch aus den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen sei
nicht zu ersehen, welche konkreten Umsätze mit welchen konkreten Waren in wel-
chem konkreten Jahr gemacht worden seien. Damit fehle es an einer Glaubhaft-
machung der rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie meint, daß die
Markenstelle die verfrüht erhobene Einrede mangelnder Benutzung als irrelevant
hätte zurückweisen müssen. Daß die Markenstelle erst nach Ablauf der Benut-
zungsschonfrist über den Widerspruch entschieden habe, könne nicht zu Lasten
der Widersprechenden gehen, zumal die Inhaberin der angegriffenen Marke die
Einrede der mangelnden Benutzung nach Ablauf der Schonfrist nicht neu erhoben
habe. Vorsorglich hat sie weitere Benutzungsunterlagen vorgelegt. Sie hat ferner
darauf hingewiesen, daß - wie aus der eidesstattlichen Versicherung des Herrn
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Patrick Shanahan hervorgehe - bereits im Jahr 1997 zahlreiche elektrotechnische
und elektronische Geräte unter der Bezeichnung "TELLABS" an die Markeninha-
berin geliefert worden seien und daß diese Lieferungen in TELLABS-Verpackun-
gen stattgefunden hätten. In der von der Widersprechenden weiter vorgelegten ei-
desstattlichen Versicherung vom 30. März 2001 hat Herr Erroi, Prokurist der Firma
Tellabs GmbH, München, ua - von der Markeninhaberin unwidersprochen - bestä-
tigt: "Am 14. Dezember 1998, 16. März 2000 und 24. März 2000 wurden unmittel-
bare Sendungen an die Deutsche Telekom, Darmstadt bzw Malsch durch Vermitt-
lung der von mir vertretenen Gesellschaft geliefert." Dies hat die Markeninhaberin
nicht bestritten. Die Widersprechende hält die einander gegenüberstehenden Mar-
ken auch für verwechselbar. Die Waren der Widerspruchsmarke seien identisch
mit den Waren und Dienstleistungen, für die die angegriffene Marke bestimmt sei.
Der Zusatz "Select" sei bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr außer Acht zu
lassen, weil er eine reine Beschaffenheitsangabe für Telekommunikationsgeräte
darstelle. In klanglicher und bildlicher Hinsicht seien "TelAB" und "TELLABS" na-
hezu identisch.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke begehrt die Zurückweisung der Beschwer-
de. Sie meint, die mit Schriftsatz vom 19. Juni 1998 erhobene Nichtbenutzungs-
einrede erfülle die Voraussetzungen von § 43 Abs 1 S 2 MarkenG. Die Widerspre-
chende habe mit der Erinnerung die Rechtsauffassung der Markenstelle insoweit
nicht angegriffen. Wenn sie im Beschwerdeverfahren nunmehr die Erhebung der
Einrede gemäß § 43 Abs 1 S 2 MarkenG als fehlerhaft ansehe, mache sie dies
verspätet geltend. Für eine Wiederholung der Einrede habe keine Veranlassung
bestanden.
Es sei zweifelhaft, ob die vorgelegten Unterlagen eine markenmäßige rechtserhal-
tende Benutzung ausreichend belegten, insbesondere, ob die Widerspruchsmarke
im Sinne eines Produktkennzeichens und nicht nur im Rahmen firmenmässigen
Gebrauchs benutzt werde. Aus der vorgelegten Broschüre lasse sich ersehen,
dass kein konkretes Produkt, sondern die Gesamtproduktionspalette mit dem Be-
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griff "TELLABS" verknüpft werde. Auch auf den vorgelegten Rechnungen erschei-
ne "TELLABS" als Geschäftszeichen. Die Marke sei den beanspruchten Waren
mithin nicht zuzuordnen.
Mit der Ladung hat der Senat die Beteiligten ua auf die Entscheidung des Bundes-
patentgerichts BPatGE 43, 8 – Rhoda-Hexan/Sota-Hexal hingewiesen. In der
mündlichen Verhandlung ist die Markeninhaberin bei ihrer Ansicht geblieben, die
vor Ablauf der Benutzungsschonfrist erhobene Einrede der Nichtbenutzung sei mit
dem Ablauf dieser Frist wirksam geworden, und hat die Einrede ausdrücklich nicht
erneut erhoben.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Auf die zulässige und begründete Beschwerde der Widersprechenden waren we-
gen bestehender Verwechslungsgefahr die angefochtenen Beschlüsse der Mar-
kenstelle aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen (§ 9
Abs 1 Nr 2 MarkenG).
1.
streitens der rechtserhaltenden Benutzung war die Widerspruchsmarke noch kei-
ne fünf Jahre in dem Register eingetragen, so daß die Erhebung der allein infrage
kommenden Nichtbenutzungseinrede gemäß § 43 Abs 1 S 2 MarkenG zu diesem
Zeitpunkt noch nicht zulässig war. Sie konnte daher keine Rechtswirkungen entfal-
ten (BPatGE 43, 8, 11 ff – Rhoda-Hexan/Sota-Hexal; 27 W (pat) 27/99 – DATA
MAX, vgl Pavis-Proma, CD-ROM Markenentscheidungen).
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Die Ausführungen der Markeninhaberin zur Frage der Zulässigkeit der seinerzeit
erhobenen Nichtbenutzungseinrede und zur Frage, ob die Benutzung der Wider-
spruchsmarke hinreichend glaubhaft gemacht ist, sind nicht im Sinne einer - nun-
mehr zulässigen - erneuten konkludenten Erhebung der Nichtbenutzungseinrede
auszulegen. Dies widerspräche den Erklärungen der Markeninhaberin, die sowohl
schriftsätzlich wie auch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich die Ansicht
vertreten hat, einer Wiederholung bzw erneuten Erhebung dieser Einrede bedürfe
es nicht; in der mündlichen Verhandlung hat sie darüber hinaus ausdrücklich er-
klärt, die Einrede nicht erneut zu erheben.
Die Widersprechende hat sich auf die Unwirksamkeit der Nichtbenutzungseinrede
auch nicht - wie dies die Markeninhaberin unzutreffend vorträgt - erst im Be-
schwerdeverfahren berufen; sie hat dies vielmehr bereits mit Schriftsatz vom
18. September 1998, also vor Erlaß des Erstbeschlusses der Markenstelle, gel-
tend gemacht und auch ihre Erinnerungsbegründung hierauf gestützt. Dass sie
daneben - vorsorglich - Benutzungsunterlagen vorgelegt hat, kann ihr nicht zum
Nachteil gereichen, sondern entspricht einer sorgfältigen Prozessführung, bei der
sie auch die Möglichkeit eines Festhaltens an der mit dem Erstbeschluß geäußer-
ten Rechtsansicht der Markenstelle in Betracht gezogen hat.
Die Markeninhaberin hat auch nicht Zwischenrechte gemäß § 22 Abs 1 Nr 2 Mar-
kenG erworben. Denn dies würde erfordern, daß die Voraussetzungen des § 51
Abs 4 in Verbindung mit § 49 Abs 1 S 1 MarkenG am Tag der Veröffentlichung der
Eintragung der jüngeren Marke vorgelegen haben. Zu diesem Zeitpunkt konnten
die Voraussetzungen noch gar nicht vorliegen, weil die ältere Marke seinerzeit
noch gar nicht fünf Jahre lang in das Register eingetragen war.
Wegen der Unzulässigkeit der Nichtbenutzungseinrede kommt es auf die Frage,
ob die Benutzung der Widerspruchsmarke hinreichend glaubhaft gemacht worden
ist, mithin nicht an.
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2.
klanglicher Hinsicht gegeben.
Die Kennzeichnungskraft und damit der Schutzumfang der Widerspruchsmarke ist
als von Haus aus normal anzusehen. Anhaltspunkte für eine Stärkung oder
Schwächung sind nicht ersichtlich.
Die von dem Warenverzeichnis der jüngeren Marke umfaßte Dienstleistung "Tele-
kommunikation" liegt zwar im Gegensatz zu den weiterhin beanspruchten "Gerä-
ten der Telekommunikation" nicht im Identitätsbereich der Waren der Wider-
spruchsmarke. Die Dienstleistung "Telekommunikation" weist nach Ansicht des
Senats aber zumindest einen mittleren Ähnlichkeitsgrad zu den Waren der Wider-
spruchsmarke auf, jedenfalls soweit es sich um Geräte handelt, die zum Empfang
und zur Wiedergabe von akustischen oder visuellen Signalen bestimmt sind (zB
Telefonapparate, Anrufbeantworter, Faxgeräte, Mobiltelefone). Aufgrund der rela-
tiv engen wirtschaftlichen Verflechtung der Waren und der Dienstleistung, die dar-
auf beruht, daß bei dem Vertrieb und der Bewerbung der Waren vielfach auf ihre
Eignung für einen bestimmten Typ eines Telekommunikationsnetzes hingewiesen
wird und die Waren dem Verbraucher sogar mit vertraglicher Bindung an ein be-
stimmtes Netz angeboten werden (zB Netzkartenverträge für Mobiltelefone), lie-
gen hier Umstände vor, die beim Verkehr - abweichend von dem Grundsatz, dass
die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen eher die Ausnahme bildet (vgl
BGH GRUR 1999, 731 - CANON II) - zu der Annahme einer Herkunft aus gleichen
betrieblichen Ursprungsstätten oder zumindest wirtschaftlich verbundenen Unter-
nehmen führen können (vgl bereits 29 W (pat) 138/97 "Telekommunikation" ähn-
lich "elektronischen Geräten"; 24 W (pat) 228/97 "Telekommunikation" ähnlich
"Datenverarbeitungsgeräten", jeweils zitiert in Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von
Waren und Dienstleistungen, 12. Aufl, S 393).
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Auch bei Annahme einer nur mittleren Ähnlichkeit der Dienstleistung der jüngeren
Marke im Verhältnis zu den Waren der Widerspruchsmarke kann der Abstand der
Marken unter Berücksichtigung der normalen Kennzeichnungskraft der älteren
Marke nicht mehr als ausreichend erachtet werden, um die Gefahr von Verwechs-
lungen auszuschließen. Das gilt erst recht hinsichtlich der identischen Waren.
In der angegriffenen Marke wird ein erheblicher Teil der angesprochenen Ver-
kehrskreise - zu denen neben technischen Fachleuten insbesondere Endverbrau-
cher als Käufer von Telekommunikationsgeräten einerseits und Abnehmer von Te-
lekommunikationsdienstleistungen andererseits gehören - den Bestandteil "TelAB"
als den Gesamteindruck prägend ansehen. Denn bei dem weiteren Bestand-
teil "Select" handelt es sich um ein in der Bedeutung von "auswählen, ausgewählt"
praktisch allgemein bekanntes Wort, das gerade im Bereich der Telekommunika-
tion als beschreibender Hinweis auf die eine Auswahl von Verbindungen ermögli-
chende Funktion der entsprechend gekennzeichneten Produkte oder Dienstlei-
stungen gebräuchlich ist. Die Ansicht der Markeninhaberin, auch der Bestand-
teil "TelAB" habe in dem Sinne von Telefon-Anrufbeantworter einen beschreiben-
den Inhalt und werde vom Verkehr entsprechend verstanden, mag hinsichtlich ei-
nes Teils der Fachleute zutreffen, die "AB" möglicherweise als Abkürzung für An-
rufbeantworter kennen. Bei den Endverbrauchern kann hiervon aber in der Regel
nicht ausgegangen werden, zumal sie ohnehin nicht geneigt sind, neue Wortbil-
dungen wie "TELAB" einer analysierenden Betrachtung zu unterziehen und sich
Gedanken über die mögliche Bedeutung einzelner Wortelemente zu machen. Für
diese Verkehrskreise stellt sich "TelAB" daher als der für die Kennzeichnung we-
sentliche Bestandteil dar, Warenkennzeichnung dar, an dem sie sich allein orien-
tieren (vgl Althammer/Ströbele, MarkenG, 6. Aufl, § 9 RdNr 185 ff).
Stehen sich somit die Wörter "TelAB" und "TELLABS" gegenüber, kann die Gefahr
von Verwechslungen jedenfalls in klanglicher Hinsicht nicht ausgeschlossen wer-
den. Denn es ist entgegen der Ansicht der Inhaberin der jüngeren Marke damit zu
rechnen, daß der Verkehr "TelAB" weit überwiegend als einheitliches Wort wie
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"teelab" oder "tellab" ausspricht und nicht die längere umständlichere Wiederga-
be "Tel - A - Be" wählt. Das gilt selbst für diejenigen Verkehrskreise, die "AB" als
Abkürzung auffassen, etwa für Anrufbeantworter, denn auch leicht aussprechbare
Abkürzungen werden vielfach als Wort ausgesprochen, zB UNO oder NASA. Bei
einer Gegenüberstellung von "teelab" oder "tellab" einerseits und "tellabs" besteht
aber eine so starke Klangähnlichkeit, daß in Wechselwirkung dazu eine mittlere
Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen ausgeglichen wird (vgl EuGH
GRUR 1998, 387, 389 - Sabèl/Puma; 1998, 922, 923 - Canon; BGH GRUR 1999,
241 - Lions; 2000, 506 - ATTACHÈ/TISSERAND) und daher auch insoweit eine
Verwechslungsgefahr zu bejahen ist.
Dr. Schermer
Schwarz
Friehe-Wich