Urteil des BPatG vom 05.02.2004

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BPatG 253
9.72
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
2 Ni 14/02 (EU)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
5. Februar 2004
In der Patentnichtigkeitssache
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betreffend das europäische Patent 0 541 904
(= DE 592 09 165)
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 05. Februar 2004 unter Mitwirkung des Vorsitzen-
den Richters Meinhardt sowie des Richters Dipl.-Ing. Dr. Henkel, der Richterin
Püschel und der Richter Dipl.-Ing. P. Harrer und Dipl.-Ing. Schmitz
für Recht erkannt:
1. Das europäische Patent 0 541 904 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig er-
klärt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten für die Klägerin gegen Si-
cherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstre-
ckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesre-
publik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 541 904 (Streitpatent), das
am 15. Juli 1992 unter Inanspruchnahme der Prioritäten der drei deutschen Ge-
brauchsmusteranmeldungen 91 14 218, 91 14 219 und 91 14 220, jeweils vom
15. November 1991, angemeldet worden ist. Das in der Verfahrenssprache
Deutsch veröffentlichte Streitpatent, das beim Deutschen Patent- und Markenamt
unter der Nummer 592 09 165 geführt wird, betrifft einen "Tisch, insbesondere Zu-
richt- und Schweißtisch". Es umfasst 4 Patentansprüche, von denen Patentan-
spruch 1 in der geltenden Fassung (= Fassung, die er durch die beschränkte Auf-
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rechterhaltung im Einspruchsbeschwerdeverfahren vor dem Europäischen Patent-
amt erhalten hat) gemäß EP 0 541 904 B2 folgenden Wortlaut hat:
"1. Zuricht- und Schweißtisch (1), mit einer Tischplatte (2) so-
wie an den Kanten der Tischplatte seitlich angeordneten,
nach unten stehenden Wangen (3,4), wobei die Tischplatte
(2) sowie die seitlichen Wangen (3, 4) mit über die ganze
Oberfläche verteilten, unmittelbar in der Tischplatte (2) so-
wie in den Wangen (3, 4) angeordneten und unmittelbar zur
Aufnahme von Spannelementen dienenden, zylindrischen
Durchgangsbohrungen (9) versehen sind, die in einem
dadurch ge-
kennzeichnet,
zen (14, 81), die sich an der Unterseite der Tischplatte ab-
stützen, als auch das Standrohr (52, 72) einer Schraub-
zwinge (51) durch die Durchgangsbohrungen (9) hindurch-
seitlichen Wangen (3, 4) im. wesentlichen winkelförmig aus-
gebildete, als Befestigungsmittel dienende Stützen (10) mit
wenigstens zwei im rechten Winkel zueinander verlaufen-
den Schenkeln (11, 12) lösbar befestigt sind, wobei in den
Schenkeln (11, 12) ebenfalls zylindrische Bohrungen (9)
und/oder langlochförmige Durchbrechungen (13) gleicher
Breite vorgesehen sind."
Bezüglich der weiteren Patentansprüche wird auf die Patentschrift
EP 0 541 904 B2 Bezug genommen.
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Streit-
patents sei nicht patentfähig, weil er sich für den Fachmann in naheliegender
Weise aus dem Stand der Technik ergebe. Dies gelte auch für die hilfsweise ver-
teidigten Fassungen des Streitpatents.
- 4 -
Sie beruft sich hierzu auf folgende vorveröffentliche Druckschriften:
NK7
EP 0 266 172 A2
NK8
DE 91 09 540 U1
NK9
US 4 867 427
NK10 DE 90 15 218 U1
NK13 Prospekt/Katalog
"Werkzeugmaschinen und Werkzeu-
ge aus der DDR", WMW-Export-Import, Volkseigener
Außenhandelsbetrieb der DDR, Berlin, VEB Vorrich-
tungsbau HOHENSTEIN, Betrieb des VEB Werkzeug-
maschinenkombinat "Fritz Heckert", DDR, Hohenstein-
Ernstthal;
NK14 EP 0 068 258 A2
NK17 DE 35 40 221 C1
NK18 FR 1 158 225 [NK18a] mit Übersetzung [NK18b]
NK19 FRONOBER, M. et al., Vorrichtungen: Gestalten Be-
messen Bewerten, Lehrbuch, 10. Auflage, VEB Verlag
Technik, Berlin, 1987, S. 207 - 209;
NK20 FR 2 657 037 A1 [NK20a] mit Übersetzung [NK20b]
NK21 FR 564 689
Darüber hinaus beruft sie sich darauf, dass auf Zuricht- und Schweißtischen, wie
sie in der NK10 (DE 90 15 218 U1) beschrieben seien, bereits vor dem Prioritäts-
zeitpunkt des Streitpatents auch Schraubzwingen mit einem Standrohr, das durch
die Durchgangsbohrungen des Tisches hindurchgreife, benutzt worden seien - die
Anlage NK12 zeige Fotos der Verwendung - und zwar im Jahre 1989 durch die
Firma Lummel GmbH in Karlstadt/Main, und stellt diese Behauptung unter Zeu-
genbeweis.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin weiter geltend gemacht, dass das
Streitpatent die Priorität dreier Gebrauchsmusteranmeldungen nicht in Anspruch
nehmen könne. Denn entgegen den in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs
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vom 14. Oktober 2003, X ZR 4/00 - Elektronische Funktionseinheit genannten
Voraussetzungen für eine wirksame Inanspruchnahme der Priorität sei der Gegen-
stand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in keiner der drei Gebrauchsmus-
teranmeldungen identisch bzw. in einer sich aus einer Neuheitsprüfung ergeben-
den Weise offenbart. Die vor dem Anmeldetag des Streitpatents eingetragenen
Gebrauchsmuster
NK24 91 14 218 U1
NK25 91 14 219 U1
NK26 91 14 220 U1
seien daher ebenfalls als vorveröffentlichter Stand der Technik zu berücksichtigen,
welcher der Patentfähigkeit des Streitpatents entgegenstehe.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent Nr. 0 541 904 mit Wirkung für das Ho-
heitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklä-
ren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise verteidigt sie ihr Patent gemäß den in der mündlichen
Verhandlung überreichten Hilfsanträgen, und zwar nach Hilfs-
antrag 1 unter Einfügung des Wortes "selbst" in Spalte 6, Zei-
le 8 des Streitpatents EP 0 541 904 B2 hinter den Worten "die
sich" und nach Hilfsantrag 2 durch Einfügung der Worte "mit
aus ihm heraustretenden Kugeln (91)" an der vorgenannten
Stelle.
- 6 -
Sie tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält das
Streitpatent in der nach dem Einspruch beschränkten Fassung oder zumindest in
einer der beiden hilfsweise verteidigten Fassungen für patentfähig.
Entscheidungsgründe
Die Klage, mit der der in Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1
lit. a EPÜ iVm Art. 52 Abs. 1, Art. 56 EPÜ vorgesehene Nichtigkeitsgrund der
mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, ist zulässig und in vollem Um-
fang begründet. Denn der Gegenstand des Streitpatents ergibt sich sowohl in der
geltenden Fassung als auch in den nach Hilfsantrag 1 und 2 verteidigten Fassun-
gen in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.
I
Das Streitpatent betrifft nach Patentanspruch 1 einen Zuricht- und Schweißtisch.
Das technische Problem besteht darin, einen bekannten Tisch so auszugestalten,
dass damit Geräte, Gestelle und dergleichen auf einfache und rationelle Weise
aus ihren Einzelteilen exakt aufgebaut und dann durch Schweißpunkte fixiert wer-
den können.
Die Lösung der daraus resultierenden Aufgabe wird in dem Zuricht- und Schweiß-
tisch nach Anspruch 1 gesehen, wovon die Merkmale des Anspruchs 1 des Haupt-
antrages nach dem Vorschlag der Klägerin folgendermaßen aufgegliedert sein
können:
- Oberbegriff -
1
Zuricht- und Schweißtisch
2.
mit einer Tischplatte;
3.
an den Kanten der Tischplatte sind seitlich angeordnete,
nach unten stehende Wangen vorgesehen;
- 7 -
4.
die Tischplatte sowie die Wangen sind mit Durchgangsboh-
rungen versehen;
5. die
Durchgangsbohrungen
5.1
sind über die ganze Oberfläche verteilt, und zwar un-
mittelbar in der Tischplatte sowie in den Wangen an-
geordnet,
5.2
sind in einem gleichmäßigen Rastermaß angeordnet,
5.3
sind zylindrisch ausgestaltet,
5.4
dienen unmittelbar zur Aufnahme von Spannelemen-
ten;
- Kennzeichen -
6.
Spannelemente greifen durch die Durchgangsbohrungen
hindurch
7.
als Spannelemente dienen
7.1
sowohl Spannbolzen, die sich an der Unterseite der
Tischplatte abstützen,
7.2
als auch das Standrohr einer Schraubzwinge;
8.
auf der Tischplatte und/oder an den seitlichen Wangen sind
Stützen befestigt
9. Die
Stützen
9.1
sind im wesentlichen winkelförmig ausgebildet
9.2
dienen als Befestigungsmittel
9.3
weisen wenigstens zwei im rechten Winkel zueinan-
der verlaufende Schenkel auf
9.4
sind lösbar befestigt
10.
In den Schenkeln sind
10.1 ebenfalls zylindrische Bohrungen
10.2 und/oder
langlochförmige
Durchbrechungen gleicher
Breite vorgesehen.
- 8 -
II
Als der für einen Schweißtisch der patentgemäßen Art zuständige Fachmann wird
zwischen den Parteien einvernehmlich ein Diplom-Ingenieur mit wenigstens Fach-
hochschulabschluss im allgemeinen Maschinenbau gesehen, der im Vorrichtungs-
bau tätig ist und dort über eine entsprechende mehrjährige Berufserfahrung ver-
fügt.
Die Neuheit des gewerblich anwendbaren Zuricht- und Schweißtisches nach dem
Anspruch 1 in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung sowie auch in den
hilfsweise verteidigten Fassungen kann dahinstehen, da es ihm an der zu fordern-
den erfinderischen Tätigkeit mangelt.
Der Fachmann findet in dem Katalog "Werkzeugmaschinen und Werkzeuge aus
der DDR" [NK13], von dessen Vorveröffentlichung der Senat aufgrund der Anga-
ben auf der ersten Seite überzeugt ist und die auch von der Beklagten zugestan-
den wird, einen "Vorrichtungsbaukasten im Bohrungssystem", der den schnellen
Aufbau von u.a. Schweißvorrichtungen (S 1, 1. Abs) gewährleistet. Damit wird ihm
ein Zuricht- und Schweißtisch, mit einer Tischplatte sowie an den Kanten der
Tischplatte seitlich angeordneten, nach unten stehenden Wangen
(dort gem S 1,
li Sp als Grundkörper aus dünnwandigem Grauguss oder U-Träger in u.a. breiter
Ausführung bezeichnet) an die Hand gegeben. Die Tischplatte sowie die seitlichen
Wangen sind mit über die ganze Oberfläche verteilten, unmittelbar in der Tisch-
platte sowie in den Wangen angeordneten und unmittelbar zur Aufnahme von
Spannelementen dienenden, zylindrischen Durchgangsbohrungen versehen, die
in einem gleichmäßigen Rastermaß angeordnet sind. Die Durchgangsbohrungen
können mit und ohne Gewinde ausgestattet sein. Auf der Tischplatte und/oder an
den seitlichen Wangen können im wesentlichen winkelförmig ausgebildete, als Be-
festigungsmittel dienende Stützen (zB Winkel S 7 u 8) mit wenigstens zwei im
rechten Winkel zueinander verlaufenden
Schenkeln lösbar befestigt sein, wobei in
den Schenkeln ebenfalls zylindrische Bohrungen und/oder langlochförmige Durch-
brechungen (zB Winkel S 8) gleicher Breite vorgesehen sind. Zum Zusammen-
- 9 -
spannen dieser Stützen und anderer Teile der Gesamtvorrichtung dienen bei der
NK13 unterschiedlich ausgestaltete mechanische Spannelemente, wie Spann-
schrauben, verschiedene Spanneisenformen, Exzenterspanner und Kniehebel-
spanner (S 1, li Sp, unten).
In der streitpatentgemäßen Lehre nach Anspruch 1 (aller Fassungen) sind als
Spannelemente Spannbolzen, die lösbar befestigt sind, und eine Schraubzwinge,
deren Standrohr durch die Durchgangsbohrungen
hindurchgreifen, angegeben.
Gemäß Hauptantrag stützen sich die Spannbolzen an der Unterseite der Tisch-
platte ab. Für den Fachmann sind Bolzen in erster Linie Metallstifte zum Verbin-
den von Bauteilen miteinander oder Fixieren aneinander. Unter Spannbolzen ver-
steht er solche Bolzen, die zudem ein Verspannen der zu verbindenden Teile ge-
geneinander ermöglichen. Dazu gehören auch Schrauben, die mit ihren Köpfen
oder einer Mutter o. dgl. Schraubteil die zu verspannenden Bauteile hintergreifen.
Der Fachmann sieht demnach aufgrund der ihm mit dem Anspruch 1 des Haupt-
antrags an die Hand gegebenen Lehre des Streitpatents jeden ihm zur Verfügung
stehenden Bolzen, solange er als Spannelement geeignet ist. Er ist nicht an eine
bestimmte Ausgestaltung eines Spannbolzens gebunden und schon gar nicht an
eine aus mehreren Einzelteilen bestehende Ausführung, bei welcher Kugeln mit-
tels eines Schraubmechanismus radial nach außen gedrückt werden, wie bei dem
von der Beklagten als vorbekannt in der mündlichen Verhandlung vorgeführten
oder bei dem von ihr selbst entwickelten Spannbolzen. Mögen solche (Schnell-)
Spannbolzen handhabungs- und anwendungstechnische Vorteile besitzen (vor
Schweißspritzer geschützt), so sind sie für den Fachmann dennoch nicht zwingen-
der Bestandteil der streitpatentgemäßen Lehre nach Anspruch 1 gemäß Hauptan-
trag. Die zum Verspannen der Bauteile miteinander dienenden Spannschrauben
von NK13 stellen für den Fachmann ebenfalls Spannbolzen im streitpatentgemä-
ßen Sinn dar, die sich mittels ihrer Köpfe oder Muttern o. dgl. Schraubteile bei Be-
darf an der Unterseite der Tischplatte abstützen können und lösbar befestigt sind.
- 10 -
Nach dem Hilfsantrag 1 verlangt die streitpatentgemäße Lehre Spannbolzen, die
sich selbst an der Unterseite der Tischplatte abstützen. Die Spannschrauben der
NK13 sind - wie oben begründet - Spannbolzen im streitpatentgemäßen Sinn, da
mittels des Schraubenkopfes und/oder einer Mutter o. dgl. Schraubteils (als sol-
ches kann auch der Schwenkhebel gem S 22 von NK13 dienen) die Spannwirkung
ausgeübt wird. Jede Spannschraube bildet somit mit ihrem Kopf und/oder dem
Schraubteil eine funktionale Einheit als Spannbolzen. Demnach stützen sich auch
bei der NK13 die Spannbolzen selbst an der Unterseite der Tischplatte ab. Die
Einfügung von "selbst" in den Anspruch 1 bewirkt somit keine engere Auslegung
des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag, sie beschränkt den Anspruch nicht.
Gemäß dem Hilfsantrag 2 sind Spannbolzen vorgesehen, die sich mit aus ihm he-
raustretenden Kugeln an der Unterseite der Tischplatte abstützen. Dies sagt dem
Fachmann zwar, dass es sich hierbei nicht (wie nach Hauptantrag und erstem
Hilfsantrag) um einen beliebigen Bolzen, wie einen Schraubbolzen handeln kann,
sondern um einen anderen Spannbolzen, bei dem bestimmte Bauteile des Bol-
zens auf Kugeln einwirken, um deren radiales Heraustreten zu bewirken. Er er-
kennt, dass dabei die Kugeln mit den weiteren Bauteilen des Spannbolzens eine
funktionale Einheit bilden und, obgleich doch nur die Kugeln am Wirkort anliegen,
sich der Spannbolzen selbst (wie schon gem Hilfsantrag 1) funktionsgleich mit
dem durch einen Schraubbolzen mit Kopf und/oder Schraubteil gebildeten Spann-
bolzen (nach der NK13) an der Unterseite der Tischplatte abstützt. Die Lehre des
Streitpatents gemäß zweitem Hilfsantrag schränkt den Fachmann zwar auf solche
Spannbolzen mit heraustretenden Kugeln ein, jedoch nicht auf den Bolzentyp der
Beklagten, der in der Streitpatentschrift abgebildet ist (Fig 9 - 11), sondern nur all-
gemein auf Bolzen dieses grundsätzlichen Wirkprinzips. Solche waren schon vor
dem Zeitrang des Streitpatents bekannt, wie die Beklagte selbst einräumt und in
der mündlichen Verhandlung demonstriert hat. Obgleich die Spannschrauben
nach NK13 dort eine Variante von Spannbolzen sind, lässt sich der Fachmann
hiervon nicht binden. Gerade dann, wenn der Kopf oder der Schraubteil einer als
Spannelement dienenden Spannschraube schlecht zugänglich ist, sucht er nach
einer alternativen Lösung, die einfacher und zweckmäßiger handhabbar ist. Dabei
- 11 -
stößt er von selbst auf den von der Beklagten als vorbekannt bezeichneten
Spannbolzen, bei dem sich aus ihm heraustretende Kugeln an der unzugänglichen
Seite einer Platte oder eines Winkels o. dgl. abstützen und deshalb eine Zugäng-
lichkeit nur von einer Seite erforderlich ist. In naheliegender Weise ergänzt der
Fachmann deshalb die ihm durch den Bausatz nach dem Katalog NK13 u.a. als
Spannelemente angebotenen Spannschrauben bei Bedarf oder Wunsch durch
solchermaßen bekannte Spannbolzen, bei welchen heraustretende Kugeln die
Spannkraft auf das Bauteil übertragen.
Bei dem bekannten Bausatz nach dem Katalog NK13 sind weitere Spannelemente
wie Federspanner, Hakenspanner, Kniehebelspanner oder Niederzugspanner vor-
gesehen, die auch zum Auf- bzw. Einspannen von Werkstücken dienen
. Eine
Schraubzwinge findet sich auf Seite 23 des Katalogs ebenfalls, diese ist aber er-
kennbar nicht dafür vorgesehen oder geeignet, mit ihrem Standrohr durch die Boh-
rungen der Tischplatte hindurch zu greifen.
Somit unterscheidet sich der Tisch des Streitpatents von dem Bausatz des Kata-
logs NK13 nach dem geltenden Anspruch 1 nach Hauptantrag sowie Hilfsantrag 1
nur und nach Hilfsantrag 2 auch durch eine solche Schraubzwinge als weiteres
Spannelement. Andere Eigenschaften, welche die Beklagte beim Streitpatent gel-
tend machen will, spielen jedoch keine Rolle. Spezielle Angaben zu den aufzu-
spannenden und zu verschweißenden Werkstücken sowie den Dimensionierun-
gen des Schweiß- und Zurichttisches, beispielsweise der Wandstärke, sowie den
aufzunehmenden Kräften finden sich im Anspruch 1 (aller Fassungen) nämlich
nicht. Solcher Angaben bedarf es auch nicht, da der Fachmann in der Lage ist, die
Randbedingungen zielgerichtet festzulegen und die Vorrichtungen nach den zu er-
wartenden Kräften zu dimensionieren. Dies vermag er auch bei dem Baukasten
nach dem Katalog NK13, wenn jener seinen Anforderungen diesbezüglich nicht
entspricht.
- 12 -
Die streitpatentgemäße Vorrichtung nach Anspruch 1 (aller Fassungen) stellt dem
Wesen nach - ebenso wie in NK13 - einen Bausatz dar, dessen Teile - wie der
Fachmann weiß - in beliebiger Zusammenstellung bedarfsorientiert, jedoch nicht
zwingend zugleich, eingesetzt werden. Die Verwendung der streitpatentgemäßen
Schraubzwinge als Spannelement ist nicht unter allen Umständen notwendig. Der
Bausatz kann sowohl mit als auch ohne diese Schraubzwinge sinnvoll angewen-
det und im Weiteren auch noch durch andere Spannelemente (Kniehebelspanner
oder Niederzugspanner wie bei der NK13 aber auch durch herkömmliche
Schraubzwingen) ergänzt werden, wenn sie an das System entsprechend ange-
passt sind. Die Schraubzwinge nach Anspruch 1 des Streitpatents, die mit dem
Standrohr die Durchgangsbohrungen der Tischplatte durchgreift, ist also Baukas-
tenteil, das der Fachmann nur bei Bedarf heranzieht. Genau so ist der Fachmann
bei der Verwendung des Bausatzes nach NK13 nicht auf die dargestellten Bau-
kastenteile beschränkt, sondern fügt im Bedarfsfall z.B. außer einfacher zu hand-
habenden Spannbolzen auch andere ihm bekannte Werkzeuge und Vorrichtungen
hinzu, wenn das Standardprogramm seinen Anforderungen nicht genügt.
In der einschlägigen Fachwelt sind Schraubzwingen als Spannmittel weit verbrei-
tet. Überwiegend sind dies solche, die (wie auch in der NK13 abgebildet) unab-
hängig einsetzbar sind. Vor dem für das Streitpatent maßgeblichen Zeitrang waren
dem Fachmann aber auch jene Zwingen bereits bekannt, die für das Zusammen-
wirken mit einem Arbeitstisch vorgesehen sind. Ein Beispiel hierfür findet sich in
der NK20. Die daraus bekannte Schraubzwinge durchgreift die Bohrung der Tisch-
platte einer Werkbank und dient als Spannelement zum Einspannen eines Werk-
stückes. Sie bietet eine ersichtlich einfache Handhabung und ermöglicht erkenn-
bar ein vorteilhaftes Spannen des Werkstücks unmittelbar auf die Werkbank. Ob-
gleich diese Zwinge dort für den Arbeitstisch eines Tischlers oder Heimwerkers
vorgeschlagen ist, drängt sie sich dem Fachmann aufgrund ihrer allseitigen Eig-
nung sofort auch zum Einsatz im Zusammenhang mit anderen Arbeitstischen als
Baukastenteil auf, wenn es dabei um das Ein- und Aufspannen von Werkstücken
geht. Ohne weitere Überlegungen greift er deshalb auf jene bekannte Schraub-
zwinge der NK20 zurück, deren Standrohr in Durchgangsbohrungen eines Werkti-
- 13 -
sches einsteckbar ist, und verwendet diese bei Bedarf auch im Zusammenhang
mit dem aus NK13 bekannten Bausatz.
Weil die streitpatentgemäße Lehre nach Anspruch 1 (aller Fassungen) dem Fach-
mann einen Bausatz in hergebrachter Form an die Hand gibt, bei dem ein Grund-
körper durch unterschiedliche Bausatzteile einzeln und miteinander ergänzbar ist,
wobei das Aufgreifen der einzelnen Bausatzteile nach Art und Umfang je nach Be-
darf allein ins Ermessen des Fachmanns fällt, besitzt die Erfindung nicht die Quali-
tät einer Kombinationserfindung. Vielmehr stellt sie eine Aggregation von Bausatz-
bestandteilen dar, da sie nur an sich Bekanntes nebeneinander stellt.
Zum Aufgreifen der bekannten, in einfacher Weise mit dem Tisch in Wirkverbin-
dung bringbaren Schraubzwinge, die mit dem Standrohr eine Durchgangsbohrung
einer Tischplatte durchgreift, und (Hilfsantrag 2) bzw. oder (Hauptantrag sowie
Hilfsantrag 1) dem Heranziehen des ebenfalls bekannten Spannbolzens, welcher
eine Zugänglichkeit nur von einer Seite erfordert, da sich aus ihm heraustretende
Kugeln an der unzugänglichen Seite abstützen, und zur Ergänzung des aus dem
Katalog NK13 bekannten Bausatzes durch diese Spannelemente, wird der Fach-
mann gerade wegen ihrer erkennbaren Vorteile und des absehbaren Erfolges, in
naheliegender Weise geführt. Ohne erfinderisch tätig zu werden, gelangt er dabei
zu dem ihm als Bausatz angebotenen Schweiß- und Zurichttisch nach Anspruch 1
des Streitpatents sowohl in der vorrangig verteidigten Fassung, wie auch in den
hilfsweise verteidigten Fassungen.
Da dem Fachmann aus dem einschlägigen Stand der Technik nach alledem der
unmittelbare Weg zum Streitpatent gewiesen wird, erweist sich weder der An-
spruch 1 nach Hauptantrag, noch der nach Hilfsantrag 1, noch der nach Hilfsan-
trag 2 als rechtsbeständig.
In den Ansprüchen 2 bis 4 sind einfache Weiterbildungen des Zuricht- und
Schweißtisches nach dem Hauptantrag angegeben, die auf gewöhnlichen hand-
werklichen Maßnahmen beruhen, welche ins übliche fachmännische Können fal-
len. Diese sind von der Beklagten nicht als patentfähig verteidigt worden und auch
- 14 -
der Senat vermag dort nichts Patentfähiges zu erkennen. Diese Ansprüche haben
daher das Schicksal ihres übergeordneten Anspruchs 1 zu teilen.
Aus den einzeln dargelegten Gründen war das Patent antragsgemäß in vollem
Umfang für nichtig zu erklären. Unter diesen Umständen kann dahingestellt blei-
ben, ob das Streitpatent die Prioritäten der deutschen Gebrauchsmusteranmel-
dungen 91 14 218 [NK24], 91 14 219 [NK25] und 91 14 220 [NK26] nicht in An-
spruch nehmen kann, wie die Klägerin geltend macht, und damit auch die NK24
bis NK 26 als vorveröffentlichter Stand der Technik zu berücksichtigen wären.
III
Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 84 Abs 2
PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs.1 PatG, 709 ZPO.
Meinhardt Dr.
Henkel
Püschel
Harrer
Schmitz
Be