Urteil des BPatG vom 24.05.2006

BPatG: verwechslungsgefahr, kennzeichnungskraft, auflage, gemüse, schokolade, wortmarke, handel, begriff, produkt, patent

BUNDESPATENTGERICHT
28 W (pat) 54/05
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
24. Mai 2006
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Marke 301 45 747
BPatG 154
08.05
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hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die
mündliche Verhandlung vom 24. Mai 2006 unter Mitwirkung …
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss
der Markenstelle für Klasse 29 vom 25. Februar 2006 aufgehoben.
Wegen des Widerspruchs aus der Marke 399 80 218 wird die Lö-
schung der angegriffenen Marke 301 45 747 angeordnet.
G r ü n d e
I.
In das Register eingetragen ist die Marke
Moussette
für die nachstehenden Waren der Klasse 29
„Konserviertes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse;
Brotaufstriche im Wesentlichen bestehend aus Gemüse und/oder
zubereitetem Obst.“
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Die Marke wurde am 30. Juli 2001 angemeldet und am 19. Oktober 2001 einge-
tragen. Gegen die Eintragung wurde Widerspruch erhoben aus der Marke
die am 17. Dezember 1999 beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldet
und am 3. Februar 2000 in das Register eingetragen worden ist für die folgenden
Waren der Klassen 29 und 30:
„Walnuss-, Haselnuss-, Erdnuss-, Cashewkerne, Pistazienkerne
und Mandeln, getrocknet, geröstet, gesalzen und/oder gewürzt;
getrocknete Früchte; Müsli, nämlich Nahrungsmittelmischung, im
Wesentlichen Getreideflocken und Trockenfrüchte enthaltend;
Nuss-Nougat-Creme, Nusspasten, Margarine, Speiseöle, Speise-
fette; alle vorgenannten Waren aus oder unter Verwendung von
Nüssen hergestellt; Brotaufstriche, nämlich Nuss-Nougat-Creme,
Kakao- und Nusspasten, Schokolade und Pralinen; Getreideprä-
parate und Getreideriegel für Nahrungszwecke unter Zusatz von
Zucker und/oder Honig und/oder Kakao und/oder Früchten
und/oder Schokolade und/oder Nüssen; Müsli, nämlich Nah-
rungsmittelmischung, im Wesentlichen Getreideflocken und Tro-
ckenfrüchte enthaltend; Back- und Konditorwaren, Biskuits, Ku-
chen, Schokolade, Schokoladenwaren, Pralinen, Zuckerwaren,
Bonbons, Marzipan, Puffmais; im Extrudierverfahren hergestellte
Weizen-, Reis- und Maisprodukte für Nahrungszwecke; sämtliche
vorgenannten Waren unter Verwendung von Nüssen hergestellt.“
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Mit Beschluss vom 25. Februar 2005 hat die Markenstelle für Klasse 29, vertreten
durch einen Beamten des höheren Dienstes, den Widerspruch zurückgewiesen
mit der Begründung, dass zwischen den Vergleichsmarken keine Verwechslungs-
gefahr i. S. v. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG bestehe. Zwar könnten sich die beiden
Marken auch im Bereich identischer Waren begegnen. Die angegriffene Marke
halte jedoch den erforderlichen deutlichen Abstand zu der älteren Widerspruchs-
marke.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Widersprechende weiterhin die Löschung der
angegriffenen Marke mit der Begründung, dass zwischen den Vergleichsmarken
Verwechslungsgefahr i. S. v. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG bestehe. Die Widerspre-
chende meint, ihre Marke verfüge jedenfalls über eine durchschnittliche Kenn-
zeichnungskraft. Hierzu trägt sie - insoweit unbestritten - vor, dass die Wider-
spruchsmarke in vielfältiger Weise zur Kennzeichnung der eingetragenen Waren
bundesweit in über 2.700 Filialen der Widersprechenden benutzt werde.
Die Widersprechende beantragt,
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 29 des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 25. Februar 2005 aufzuheben und
die angegriffene Marke wegen des Widerspruchs aus der Marke
399 80 218 zu löschen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält insbesondere eine unmittelbare klangliche Verwechslungsgefahr für aus-
geschlossen und trägt dazu wie folgt vor: Im Regelfall würden Verkaufsgespräche
bzw. Telefonate über die in Frage stehenden Produkte nur zwischen dem Her-
steller und dem Handel geführt. Diese Verkehrskreise wüßten ganz genau, wer mit
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wem über welches Produkt ein Telefonat bzw. ein Verkaufsgespräch führt. In die-
sen Zusammenhängen könne es zu keinen Verwechslungen kommen. Und was
den Endverbraucher betreffe, so führe dieser keine Telefonate über Produkte, die
er im Regal sieht, in den Einkaufskorb legt und kauft. Er führe im Regelfall auch
keine Kaufgespräche, ohne das Produkt in der Hand zu halten und hierüber Fra-
gen zu stellen. Alle anderen Annahmen gingen weit an der Realität vorbei.
Zu den weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Verfahrensakten.
II.
Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig und in der Sache begründet,
weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zwischen den Vergleichsmarken
zu Verwechslungen i. S. v. § 9 Abs. 1 Nr. 2 kommt. Markenähnlichkeit i. S. v § 9
Abs. 1 MarkenG kann in klanglicher, schriftbildlicher oder begrifflicher Hinsicht be-
stehen. Dabei besteht markenrechtliche Verwechslungsgefahr bereits dann, wenn
nur in einer dieser Richtungen ausreichende Übereinstimmungen festgestellt wer-
den (vgl. EuGH GRUR Int. 1999, 734, 736 - Lloyd; BGH GRUR 2005, 326-327,
Nr. 16, - il Padrone/Il Portone, GRUR 1999, 241, 243 - lions). Vorliegend kommt
die angegriffene Marke der Widerspruchsmarke jedenfalls klanglich verwechselbar
nahe.
Die Marken können sich in den Bereichen identischer Waren einerseits und ent-
fernt ähnlicher Waren andererseits begegnen. Das getrocknete Obst aus dem Wa-
renverzeichnis der angegriffenen Marke ist mit den getrockneten Früchten aus
dem der Widerspruchsmarke identisch. Das konservierte und gekochte Obst und
die Brotaufstriche aus Obst oder aus Obst und Gemüse aus dem Warenverzeich-
nis der angegriffenen Marke sind den Trockenfrüchten in dem Warenverzeichnis
der Widerspruchsmarke zumindest entfernt ähnlich. Gleiches gilt für das Verhält-
nis von Gemüseprodukten zu den Erdnüssen in dem Warenverzeichnis der Wi-
derspruchsmarke (vgl. Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienst-
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leistungen, 13. Auflage, 2005, S. 85 und 113 zu den Stichwörtern „Erdnüsse“ und
„Gemüse“). Das folgt daraus, dass Erdnüsse - entgegen dem Allgemeinverständ-
nis - nicht im eigentlichen Sinne Nüsse sind, sondern Hülsenfrüchte.
Im Zusammenhang mit Trockenfrüchten enthält die Widerspruchsmarke keine be-
schreibenden Anklänge. Insoweit mag der Marke eine durchschnittliche Kenn-
zeichnungskraft zukommen. Dagegen ist die Widerspruchsmarke im Zusammen-
hang mit Erdnüssen von Haus aus kennzeichnungsschwach, weil die Wort- und
Bildbestandteile der Marke eindeutig auf den deutschen Begriff „Nüsse“ hinwei-
sen. Darunter zählen die angesprochenen weitesten Verkehrskreisen regelmäßig
auch die Erdnüsse; denn deren botanische Natur als Hülsenfrüchte wird bei Er-
werb und Verbrauch dieser Produkte durch den Endverbraucher regelmäßig ver-
nachlässigt. Allerdings wird die Marke nach dem unbestrittenen Sachvortrag der
Widersprechenden ständig benutzt und zwar bundesweit in zahlreichen Filialen
der Widersprechenden. Weitere konkrete Angaben fehlen jedoch, insbesondere
zur Dauer der Benutzung, zu den konkreten Umsätzen, zum Werbeaufkommen
der Widersprechenden für die Widerspruchsmarke und zur Marktposition der Wi-
dersprechenden im Vergleich zu ihren Mitbewerbern. Bei diesem Sachvortrag hält
der Senat es nur für gerechtfertigt, von einer leichten Verbesserung der ursprüng-
lichen Kennzeichnungsschwäche der Widerspruchsmarke auszugehen mit der
Folge, dass die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke für Erdnüsse deut-
lich unter dem Durchschnitt liegt.
Unter diesen Voraussetzungen muß die angegriffene Marke im Bereich von Wa-
renidentität und durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke
- das gilt für die Waren getrocknetes Obst und Trockenfrüchte - einen deutlichen
Abstand zur Widerspruchsmarke halten, während in den Bereichen nur entfernter
Warenähnlichkeit und unterdurchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Wider-
spruchsmarke, wie sie in Bezug auf alle anderen Waren bestehen, an diesen Ab-
stand keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden können.
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Doch auch bei Warenferne und unterdurchschnittlicher Kennzeichnungskraft der
Widerspruchsmarke kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zwischen den
Vergleichsmarken zu klanglichen Verwechslungen i. S. v. § 9 Abs. 1 Nr. 2
MarkenG kommt. Hier steht der angegriffenen Wortmarke „Moussette“ für die Wi-
derspruchsmarke die klangliche Bezeichnung „Nussetti“ gegenüber. Denn beim
Zusammentreffen von Wort- und Bildbestandteilen - wie im Fall der Widerspruchs-
marke - misst der Verkehr i. d. R. dem Wort als einfachster und kürzester Bezeich-
nungsform eine prägende Bedeutung zu (ständige Rspr., vgl. zuletzt BGH
GRUR
2006, 60, 62 (Nr.
20) -
coccodrillo und weitere Nachweise bei
Ströbele/Hacker, Markengesetz, 8. Auflage, 2006, § 9 Rdnr. 296).
Im Fall der angegriffenen Wortmarke ist davon auszugehen, dass jedenfalls ent-
scheidungserhebliche Anteile der angesprochenen Verkehrskreise die angegriffe-
ne Wortmarke phonetisch „Mussett“ oder „Mussette“ aussprechen werden, weil sie
in der Marke eine Anlehnung an das französisch stämmige, inzwischen einge-
deutschte Wort „Mousse“ sehen werden. Dieser Begriff wird an erster Stelle im
Zusammenhang mit der Zubereitung von Speisen verwandt und beschreibt dann
Pürees aus Fleisch, Fisch, Obst oder Gemüse, die warm oder kalt serviert werden
können. „Mousse au Chocolat“ bezeichnet auch im Deutschen eine schwere
Schokoladensüßspeise, für die so gut wie nie die deutsche Entsprechung „Scho-
koladencreme“ oder „Schokoladencremespeise“ verwandt wird (zu beiden Be-
deutungen vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 5.
Auflage, 2003,
Seite 1103). „Mousse“ wird im Deutschen phonetisch wie „Mus“ mit Dehnungs-U
und scharfem „ss“ ausgesprochen (vgl. Duden- vermeintlich, Deutsches Univer-
salwörterbuch, 5. Auflage, 2003, Seite 1103).
Klanglich unterscheiden sich „Mussett“ bzw. „Mussette“ einerseits (an dieser Stelle
jeweils phonetisch geschrieben) und „Nussetti“ andererseits nur durch den An-
fangs- und den Endbuchstaben. Im Übrigen besteht Übereinstimmung. Schon
deswegen besteht zwischen beiden Marken eine deutliche klangliche Nähe. Diese
Nähe wird zweifelsfrei zur markenrechtlichen Verwechslungsgefahr gesteigert
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durch folgende Besonderheiten des vorliegenden Falles. Die beiden Anfangsbuch-
staben „M“ und „N“ sind sich klanglich besonders nahe, so dass es hier leicht zu
einem Verhören kommen kann derart, dass an Stelle von „N“ vermeintlich der
Buchstabe „M“ gehört wird und umgekehrt. In diesen Fällen kommt es hier nicht
nur zu einer nahezu vollständigen klanglichen sondern auch zu einer begrifflichen
Übereinstimmung der verhörten Bezeichnungen. Denn die Unterschiede in den
begrifflichen Anklängen - bei der angegriffenen Marke an „Mousse“, bei der Wider-
spruchsmarke an „Nuss“ - werden klanglich nur durch die unterschiedlichen An-
fangsbuchstaben festgelegt. Bei einer Verwechslung der Anfangsbuchstaben
nimmt die falsch wahrgenommene Marke jeweils den begrifflichen Anklang der
Vergleichsmarke an - „Mussett“ oder „Mussette“ wird zu „Nussett“ oder „Nussette“,
„Nussetti“ wird zu „Mussetti“. Bei dieser Sachlage kann nicht ausgeschlossen wer-
den, dass es jedenfalls bei einer mündlichen Verständigung über die Vergleichs-
marken zu Verwechslungen i. S. v. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG kommen kann.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke geht fehl in der Annahme, dass solche
klanglichen Verwechslungen aus praktischen Gründen die Ausnahme bleiben
müßten. Es kann dahinstehen, ob es im Verhältnis zwischen den Produzenten und
den Groß- und Einzelhändlern zu keinen Irrtümern in der mündlichen Verständi-
gung kommen kann. In jedem Fall kann es zu solchen Verwechslungen im Ver-
hältnis zwischen den Endabnehmern und dem Handel und zwischen den Endab-
nehmern untereinander kommen. Der Umstand, dass Waren zunehmend „auf
Sicht“ gekauft werden, rechtfertigt nicht die Annahme, dass schon deswegen
klangliche Verwechslungen für den markenrechtlichen Schutz keine Bedeutung
mehr haben könnten. Denn auch dem Kauf auf Sicht gehen häufig mündliche
Nachfragen, Empfehlungen und Bestellungen und insbesondere Gespräche der
Verbraucher unter einander voraus, bei denen klangliche Verwechslungen vor-
kommen können (vgl. BGH GRUR 2005, 326-327 (Nr. 16) - il Padrone/Il Portone,
GRUR 1999, 241, 243 - lions). Es kommt hinzu, dass erfahrungsgemäß auch bei
einer nur optischen Wahrnehmung einer Marke gleichzeitig der Charakter des den
Gesamteindruck prägenden Markenwortes unausgesprochen mit aufgenommen
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und damit die Erinnerung an klanglich ähnliche Marken geweckt wird, die von frü-
heren Begegnungen bekannt sind. In diesen Fällen kann die klangliche Ver-
wechslungsgefahr nicht durch ein unmittelbares Verhören ausgelöst werden, son-
dern durch die ungenauen Erinnerungen an den Klang einer der beiden Marken
(vgl. BPatGE 23, 176, 179 - evit/ELIT; BPatG GRUR 1998, 59, 61 - Coveri - und
Ströbele/Hacker, Markengesetz, 8. Auflage, 2006, § 9 Rdnr. 125).
Auf die Frage, ob es zwischen den Vergleichsmarken daneben auch zu schriftbild-
lichen oder begrifflichen Verwechslungen kommen kann, kommt es bei dieser
Sach- und Rechtslage nicht mehr an.
gez.
Unterschriften