Urteil des BPatG vom 17.06.2009

BPatG: stand der technik, patentanspruch, zahl, beeinflussung, messung, speicher, maschine, interpolation, auflösung, ingenieur

BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
19 W (pat) 38/05
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
17. Juni 2009
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 195 38 496.2-56
hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 17. Juni 2009 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dipl.-Ing. Bertl, des Richters Dr.-Ing. Kaminski, der Richterin Kirschneck
und des Richters Dipl.-Ing. Groß
- 2 -
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Das Deutsche Patent- und Markenamt - Prüfungsstelle für Klasse G01B - hat die
am 16. Oktober 1995 eingereichte Anmeldung durch Beschluss vom 4. März 2005
zurückgewiesen mit der Begründung, dass das Verfahren gemäß dem Patentan-
spruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin vom
28. April 2005, eingegangen per FAX am gleichen Tag.
Sie hat in der mündlichen Verhandlung beantragt,
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 01 B des Deut-
schen Patent- und Markenamtes vom 4. März 2005 aufzuheben
und das Patent aufgrund folgender Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche 1 bis 19, eingereicht mit Schriftsatz vom
28. Mai 2009, angepasste Beschreibung, Seiten 1 bis 11, einge-
reicht mit Schriftsatz vom 5. Juli 2005, sowie
2 Blatt
Zeichnungen,
Figuren 1
bis 4,
vom
Anmeldetag
16. Oktober 1995,
hilfsweise
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag, überreicht in der mündlichen
Verhandlung, übrige Patentansprüche 2 bis 19 sowie Beschrei-
bung und Zeichnungen wie Hauptantrag.
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Der gemäß Hauptantrag geltende Patentanspruch 1 lautet:
„Verfahren zum Schnellen Messen der Dicke (d) oder Masse eines
Faserbandes (20) in einer Faserband bearbeitenden Maschine,
wie Strecke oder Karde, bei dem
ein von der Dicke (d) des Faserbandes (20) abhängiges Primär-
Messsignal (u
1
(d)), welches unter Zuhilfenahme eines Messge-
bers (1, 2, 3) erzeugt wird, vor Weitergabe als Messsignal (u
2
(d))
über eine Signal-Beeinflussung (10) geführt wird,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Signal-Beeinflussung (10) abschnitts- oder punktweise das
Primär-Messsignal (u
1
(d)) verändert, indem das Primär-Messsig-
nal (u
1
(d)) als digitales Adressensignal (A1) interpretiert wird und
mit dem Adressensignal (A1) aus einem der Signal-Beeinflus-
sung (10) zugeordneten Speicher (12) Datenworte (D1) ausgele-
sen werden, welche an einem Datenausgang des Speichers (12)
als Messsignal (u
2
(d)) ausgegeben werden; und dass
die Datenworte (D1) in einer Vorbetriebs-Phase errechnet und als
Festwerte in dem Speicher (12) abgelegt werden, wobei die Da-
tenworte (D1) von einer abschnitts- der punktweise definierten
Kennlinie vorgegeben werden, die aus einer punktweise gemes-
senen Beziehung (K1) zwischen definiert vorgegebenen Di-
cken (d) des Faserbandes (20) am Messgeber (1, 2, 3) und dabei
gemessenen Primär-Messsignal (u
1
(d)) berechnet wird.“
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Der dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag nebengeordnete Patentanspruch 12
lautet:
„Messeinrichtung für eine Faserband bearbeitende Maschine, wie
Strecke oder Karde, zur Durchführung des Verfahrens nach einem
der erwähnten Ansprüche, mit einer Signal-Beeinflussung (10), die
einen Speicher (12) aufweist, und mit einem Messgeber (1, 2, 3)
zur Erzeugung eines von der Dicke (d) eines Faserbandes (20)
abhängigen Primär-Messsignals (u
1
(d)), welches der Signal-Be-
einflussung (10) zuführbar ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Signal-Beeinflussung (10) zur abschnitts- oder punktweisen
Veränderung des Primär-Messsignals (u
1
(d)) ausgebildet ist, wo-
bei das Primär-Messsignal (u
1
(d)) als digitales Adressensignal (A)
interpretiert wird und mit dem Adressensignal (A1) aus dem Spei-
cher (12) Datenworte
(
D1), welche vorab gespeicherte Festwerte
sind, ausgelesen werden, und wobei die Datenworte (D1) an ei-
nem Datenausgang des Speichers (12) als Messsignal (u
2
(d))
ausgebbar sind, wobei die Signal-Beeinflussung (10) das Primär-
Messsignal (u
1
(d)) mit den Datenworten (D1) so verändert, dass
bei linear veränderlicher Dicke (d) des Faserbandes (20) das Aus-
gangssignal (u
2
(d)) der Signal-Beeinflussung (10) linear ist, wobei
die Datenworte (D1), die in der Signal-Beeinflussung (10) gespei-
chert sind, auf mehreren vorbetrieblichen Lernstufen beruhen.“
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag unterscheidet sich vom Anspruch 1 nach
Hauptantrag durch das am Ende angefügte Merkmal
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„wobei die Zahl der Datenworte (D1) größer ist als die Zahl der
Punkte der punktweise gemessenen Beziehung.“
Mit diesen Verfahren bzw. Messeinrichtungen soll die Aufgabe gelöst werden, die
Messung nach dem Stand der Technik schneller zu gestalten und gleichwohl die
Genauigkeit der Messung beizubehalten, sogar noch zu erhöhen (S. 3 Abs. 2 der
Beschreibung).
Die Anmelderin vertritt die Ansicht, dass dem Fachmann aus der DE 25 49 222 B1
zwar die Verwendung von gespeicherten Datenworten bei der Linearisierung von
Messwerten bekannt sei, dass aber dort jegliche Angaben fehlten, wie diese Da-
tenworte ermittelt würden. Darüberhinaus sei dieses Verfahren zunächst als
nachteilig bezeichnet und dann ein vom Anmeldegegenstand abweichendes Ver-
fahren als vorteilhaft beschrieben.
Demgegenüber sei mit dem geltenden Patentanspruch 1 jeweils ein mehrschritti-
ges Verfahren beansprucht, bei dem zunächst mit einigen wenigen Messungen
schnell und wirtschaftlich Stützstellen gewonnen würden, aus denen in einem
weiteren Rechenschritt die nichtlineare Messkurve berechnet werde. Aus dieser
Messkurve seien dann auch Datenworte in größerer Zahl bestimmbar, wie es ge-
mäß Hilfsantrag zusätzlich beansprucht werde.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde konnte keinen Erfolg haben.
1.
Es kann dahingestellt bleiben, ob alle Merkmale des Anspruchs 1 gemäß
Hauptantrag ursprünglich offenbart sind. Denn der Gegenstand dieses An-
- 6 -
spruchs 1 beruht jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns
(§ 4 PatG).
Als zuständiger Fachmann ist hier nach Ansicht des Senats ein Fachhochschul-
Ingenieur der Mess- und Regelungstechnik mit Kenntnissen in der Faserbearbei-
tung und der hierfür verwendeten Maschinen anzusehen.
2.
Aus der DE 43 06 343 C1 ist in Übereinstimmung mit dem Patentanspruch 1
nach Hauptantrag ein
dort
(Sp. 2 Z. 51) - bekannt (Sp. 1 Z. 3 bis 17).
Da die Masse eines durchlaufenden Faserbandes mit einer als Walze 4 ausgebil-
deten Messvorrichtung nicht direkt erfassbar ist, sondern nur indirekt - nämlich
durch Auslenkung der Walze 4 in Abhängigkeit der Faserbanddicke bei gleichblei-
bender Breite des Bandes - ermittelbar ist, entnimmt der Fachmann dort auch,
dass
(dort mitzulesen) das
(dort die Um-
wandlung in den gemessenen, digitalisierten Ist-Wert) (Sp. 2 Z. 51
bis 64)
Das Problem der Messgeschwindigkeit und -genauigkeit ist dort nicht angespro-
chen.
Es sind auch keine Maßnahmen offenbart, mit denen diese Größen beeinflusst
werden, denn der Ist-Wert IE/EM der Eingangsbandmasse wird lediglich mit dem
Wert der absoluten Lage SW/R des Reaktionspunktes R gekoppelt und abgespei-
chert, welcher sich aus dem zurückzulegenden Weg IR ergibt (Sp. 2 Z. 60, Z. 64),
und der zugehörige Sollwert SW/D der Banddicke zur richtigen Zeit ausgegeben
(Sp. 2 Z. 67 bis Sp. 3 Z. 10).
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Das Verfahren gemäß dem Patentanspruch 1 unterscheidet sich demnach von
dem bekannten durch die in seinem kennzeichnenden Teil angegebenen Merk-
male.
Dieser Unterschied kann aber nicht patentbegründend sein.
Die der Anmeldung zugrunde liegende Aufgabe, die Messung nach dem Stand der
Technik schneller zu gestalten und gleichwohl die Genauigkeit der Messung bei-
zubehalten, sogar noch zu erhöhen, stellt sich angesichts des Bedarfs nach immer
leistungsfähigeren Maschinen und immer besserer Produktqualität dem Fachmann
in der Praxis regelmäßig von selbst.
Stellt sich nun in der Praxis heraus, dass in dem bekannten Verfahren die zeit-
und banddicken-veränderlichen Ist-Werte IW/EW nicht mit der erforderlichen Ge-
nauigkeit bereitgestellt werden, wird sich der Fachmann auf dem Gebiet der Mess-
und Regelungstechnik umsehen nach Verfahren, mit denen eine genauere Mes-
sung und möglichst schnelle Messung ermöglicht wird.
Hierzu ist ihm aus der DE 25 49 222 B1 im Zusammenhang mit einer digitalen
Schaltungsordnung zur Linearisierung nichtlinearer Geberkennlinien (Titel) be-
kannt, digital weiterzuverarbeitende Messwerte nichtlinearer Messgeber auf einfa-
che Weise zu korrigieren (Sp. 2 Z. 54 bis 57).
Mit der Verwendung eines digital verschlüsselten Ausgangssignals des Messwert-
gebers als Speicheradresse (Sp. 2 Z. 63 bis 64) ist dort - in Übereinstimmung mit
dem ersten kennzeichnenden Merkmal des Patentanspruchs 1 - bekannt,
(nämlich die der zu messenden physikalischen Größe
entsprechende elektrische Größe, vgl. Sp. 2 Z. 34 bis 36 und Z. 40 bis 44)
(Festwertspeicher, Sp. 2 Z. 59
und 60) (die Werte der ursprünglichen physikalischen Messgröße)
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(Sp. 2 Z. 59 bis 68).
Für den ordnungsgemäßen Betrieb einer Maschine der in Rede stehenden Art
müssen auch hier selbstverständlich
(wie es für
Messgeber der dort erwähnten und auch für die aus der DE 43 06 343 C1 be-
kannten Maschine vorgesehenen Art nicht anders möglich)
(nämlich der Geberkennlinie)
Die Anmelderin hat zwar in der mündlichen Verhandlung zutreffend darauf hinge-
wiesen, dass in der DE 25 49 222 B1 nicht angegeben sei, wie die Kennlinie er-
mittelt werde, die im Betrieb mittels der ausgegebenen Datenworte linearisiert
wird.
Dies ist aber nach Ansicht des Senats auch nicht erforderlich. Denn schon in den
ersten Semestern eines Ingenieur- oder Physikstudiums lernt der Student in La-
borübungen, dass man die Kennlinie eines Messgebers ermittelt, indem zunächst
in geeigneten Abständen und damit „punktweise“ die Beziehung zwischen definiert
vorgegebenen physikalischen Messgrößen am Messgeber (hier der Dicke des Fa-
serbandes) und dem zugehörigen Ausgangssignal des Messgebers (=Primär-
Messsignal) misst.
Eine solche - in einer Laborübung schon aus Zeitgründen nur in größeren Abstän-
den - punktweise gemessene Beziehung wird dann dadurch zu einer abschnitts-
oder punktweise definierten (Geber-)Kennlinie vervollständigt, dass die Mess-
punkte bei geringeren erforderlichen Genauigkeiten des jeweiligen Laborversuchs
durch Geradenabschnitte verbunden werden, oder bei höheren Anforderungen
eine geeignete Interpolationskurve aus den Messpunkten berechnet wird, wie es
auch im letzten Teilmerkmal des Patentanspruchs 1 angegeben ist.
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Für solches Grundlagenwissen bedurfte es - entgegen der Ansicht der Anmelde-
rin - keiner Erwähnung im Stand der Technik.
Auch der Hinweis der Anmelderin, dass die hinsichtlich der Beurteilung der erfin-
derischen Tätigkeit aus der DE 25 49 222 B1 in Betracht gezogenen Abschnitte
dort lediglich in der Beschreibungseinleitung stünden, und davon ausgehend ein
vom beanspruchten Verfahren abweichender Weg beschritten werde, konnte zu
keiner anderen Beurteilung führen.
Denn im Gegensatz zum Anmeldetag der DE 25 49 222 B1 war am Anmeldetag
des Streitpatents die Speicherplatzfrage nicht mehr kritisch, und der Fachmann
war insoweit nicht abgehalten, das in der dortigen Beschreibungseinleitung be-
schriebene, länger bekannte, einfachere Verfahren zur Lösung der Anmeldungs-
aufgabe zu verwenden.
3.
Auch die im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag angefügten Merkmale ergeben
sich für den Fachmann in naheliegender Weise auf dem Stand der Technik.
Hinsichtlich der nach Angaben der Anmelderin in der Praxis verwendeten lediglich
vier bis fünf Prüfmaße sei auf die vorstehenden Ausführungen zum Vorgehen ei-
nes Studenten in Laborübungen mit Messgebern verwiesen. Schon dort und noch
mehr in der betrieblichen Praxis muss ein zeitlich-wirtschaftlicher Kompromiss
gefunden werden zwischen Kalibrieraufwand und erzielter Genauigkeit, aufgrund
dessen die Zahl der Stützwerte festgelegt wird.
Die nachfolgende rechnerische Interpolation, die auch anspruchsgemäß zu der
führt, hat schon im Labor allein
den Sinn, für die weitere Verwendung der Geberkennlinie auf Kennlinienwerte
zugreifen zu können, die an beliebiger Stelle liegen und deshalb auch zahlreicher
sein können, als die Zahl der Stützpunkte.
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Hinsichtlich der Zahl der Datenworte weist die DE 25 49 222 B1 auf den am An-
meldetag zum allgemeinen Fachwissen zu rechnenden Zusammenhang zwischen
der gewünschten Auflösung bei der Kennlinien-Linearisierung und der vorzuse-
henden Zahl der Speicherplätze (=Zahl der Datenworte) hin (Sp. 2 Z. 68 bis Sp. 3
Z. 1).
Ist eine höhere Auflösung gewünscht, muss der Fachmann die Zahl der Daten-
worte entsprechend groß wählen, sodass deren Zahl ggf. größer wird als die Zahl
der Punkte der punktweise gemessenen Beziehung, wie es am Ende des An-
spruchs 1 angefügt ist.
Aufgrund der bereits vorgenommenen rechnerischen Interpolation besteht für den
Fachmann keinerlei Veranlassung, bei der Zahl der Datenworte die früher be-
nutzte Stützstellenzahl zu beachten, sodass keine Gesichtspunkte ersichtlich sind,
die ihn von dem vorgezeichneten Vorgehen abhalten könnten; anderes wurde
seitens der Anmelderin auch nicht vorgetragen.
4.
Der Patentanspruch 12 teilt jeweils das Schicksal der Patentansprüche 1 nach
Haupt- bzw. Hilfsantrag, da die Anmelderin eine Patenterteilung jeweils nur im
Umfang eines Anspruchssatzes begehrt, der einen nicht gewährbaren Patentan-
spruch 1 enthält (BGH GRUR 2007, 862-865 - Informationsübermittlungsverfah-
ren II).
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Zum Patentanspruch 12, dessen Merkmale mit entsprechenden Sachmerkmalen
des jeweiligen Patentanspruchs 1 im wesentlichen übereinstimmen, ist aber auch
weder ersichtlich noch von der Anmelderin vorgetragen worden, dass dieser pa-
tentbegründende Merkmale enthält.
Bertl
Dr. Kaminski
Kirschneck
Groß
Pr