Urteil des BPatG vom 11.12.2003

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BUNDESPATENTGERICHT
11 W (pat) 20/04
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 196 32 893
hat der 11. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
19. Juni 2008 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. W. Maier
sowie der Richter Schell, Dr.-Ing. Fritze und Dipl.-Ing. Univ. Rothe
BPatG 152
08.05
- 2 -
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der
Patentabteilung 15 des Deutschen Patent- und Markenamts vom
11. Dezember 2003 aufgehoben und das Patent widerrufen.
G r ü n d e
I.
Das am 16. August 1996 angemeldete Patent 196 32 893, dessen Erteilung am
8. Februar 2001 veröffentlicht worden ist, betrifft ein
Gegen das Patent wurde am 7. Mai 2001 Einspruch erhoben, worauf durch Be-
schluss vom 11. Dezember 2003 die Patentabteilung 15 des Deutschen Patent-
und Markenamtes das Patent in vollem Umfang aufrechterhalten hat.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden. Sie
trägt sinngemäß vor, das Patent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und voll-
ständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne, der Gegenstand des geltenden
Patentanspruchs 1 sei unzulässig erweitert und beruhe nicht auf einer erfinderi-
schen Tätigkeit.
Hierzu verweist sie unter anderem auf folgende Druckschriften:
(2)
DE 39 27 917 A1
(3)
EP 0 541 917 A2
- 3 -
(6)
Dollhopf, V. und Krenkel, W.: "Entwicklung integraler Leichtbaustrukturen
aus Faserkeramik", in: VDI Berichte, Nr. 1080, 1994, Seiten 473 bis 482.
Die Einsprechende hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und
das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
Die Patentinhaberin hat sich zum Vorbringen der der Beschwerdeführerin sachlich
nicht geäußert.
Der erteilte Anspruch 1 lautet:
"Verfahren zur Herstellung von thermisch und mechanisch hoch-
belasteten Flugkörpern oder Flugkörperkomponenten mit folgen-
den Schritten:
a)
Fertigen von Rohlingen aus faserverstärkter grüner Keramik,
nämlich kohlenfaserverstärktem Siliciumcarbid
(C/SiC)
und/oder kohlenstofffaserverstärktem Kohlenstoff
(C/C)
und/oder siliciumcarbidfaserverstärktem Siliciumcar-
bid (SiC/SiC);
b)
Ausformen und mechanisches Bearbeiten der Keramikroh-
linge im Grünzustand entsprechend den Teilegeometrien des
Flugkörpers oder der Flugkörperkomponenten;
c) Gemeinsame Infiltration oder gemeinsames Silizieren der
Rohlinge mit Silicium und/oder Siliciumcarbid und/oder Koh-
lenstoff zum Erhalt einer monolithischen Verbundstruktur,
wobei die zusammengefügten Rohlinge die Gesamtform des
Flugkörpers oder der jeweiligen Flugkörperkomponente bil-
den."
- 4 -
Diesem Anspruch schließen sich die erteilten Ansprüche 2 und 3 an. Zu deren
Wortlaut wird auf die Patentschrift und wegen den weiteren Einzelheiten wird auf
die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und führt auch zum Erfolg.
Das Patent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von thermisch und mechanisch
hochbelasteten Flugkörpern oder Flugkörperkomponenten.
An Flugkörpern, die sich mit sehr hoher Geschwindigkeit in der bodennahen
Atmosphäre bewegen, treten an exponierten Stellen, wie Kanten, Ecken und
Spitzen wegen der aerodynamischen Aufheizung Oberflächentemperaturen von
über 1700°C auf. Sehr hohe Temperaturen von über 2500°C treten an Bauteilen
von Flugkörpermotoren auf. Wegen der hohen Temperaturen, der mechanischen
Belastungen und der hohen Drücke werden bei diesen Flugkörperkomponenten
hitzebeständige Metalle oder Metalllegierungen mit hoher mechanischer Festigkeit
und Temperaturbeständigkeit verwendet. Da diese temperaturbeständigen Metalle
und Legierungen schon ab etwa 800°C unter Festigkeitsverlust erweichen, muss
zusätzlich aktiv gekühlt werden. Ein weiterer gravierender Nachteil der Flugkör-
perkomponenten aus Metall ist ihr hohes Gewicht, welches die Beschleunigung
und Geschwindigkeit von Flugkörpern einschränkt (vgl. Sp. 1, Z. 6 bis Z. 45 der
Streitpatentschrift).
(2)
Geschosse betrifft, wird beschrieben, wie die Vorderkanten der Leitflügel durch
hitzebeständige Faserwerkstoffe bzw. Faserverbundwerkstoffe gegen Abbrand
(2)
- 5 -
Verbundwerkstoffe mit den tragenden Rumpfteilen verschraubt, vernietet und/oder
(2)
Aufgabe
mit dem keramische Bugspitzen, feste Flossen oder bewegliche Ruder [Fins],
Strahlruder, Schubdüsen und Düsenhalseinsätze, Brennkammerauskleidungen,
Heckkonus, Gitterflügel, Fluidikelemente und Radome oder Teilkomponenten für
Flugkörper mit hoher Temperatur-, Druck- und Abriebfestigkeit, Erosionsbestän-
digkeit, niedriger Dichte bzw. niedrigem Gewicht, hoher Wärmeleitfähigkeit, niedri-
ger Wärmeausdehnung bei einer nahezu unbegrenzten Geometrie- und Formen-
vielfalt erzeugt werden können (vgl. Sp. 1, Z. 61 bis Sp. 2, Z. 2 der Patentschrift).
Fachmann
und Raumfahrttechnik mit langjähriger werkstoffkundlicher Erfahrung anzusehen,
der sich mit der Konstruktion von thermisch und mechanisch hochbelasteten
Bauteilen befasst.
Der Widerrufsgrund nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG liegt nicht vor.
Die Einsprechende ist der Auffassung, es werde keine Lehre vermittelt, wie die
kennzeichnenden Eigenschaften "thermisch und mechanisch hochbelastet" erfin-
dungsgemäß realisiert werden. Dies ist jedoch kein Merkmal, das das patentge-
mäße Verfahren charakterisieren soll, wie die Einsprechende offenbar meint. Aus
dem Anspruch und der Beschreibung wird nämlich klar, dass dieser Ausdruck le-
diglich die im Einsatz auf die nach dem patentgemäßen Verfahren hergestellten
Gegenstände einwirkende Beanspruchung beschreibt.
Wie der von der Einsprechenden als unbestimmt angesehene Begriff "hoch" zu
verstehen ist, erschließt sich dem Fachmann ohne Weiteres aus der Patentschrift
in Spalte 1, Zeilen 6 bis 60. Dort ist beschrieben, dass die Bauteile auch bei hohen
Temperaturen - angegeben sind Temperaturen von über 2500 °C - noch über hin-
reichende Strukturfestigkeit verfügen sollen.
- 6 -
Klarheit und Ausführbarkeit der patentgemäßen Lehre sind somit nicht zu bean-
standen.
Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte unzulässige Erweiterung des
Anspruchs
1 gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen, betrifft das
Merkmal Flugkörpern oder Flugkörperkomponenten.
In den ursprünglichen Unterlagen ist das Verfahren nur für Flugkörperkomponen-
ten offenbart, wobei im Zusammenhang mit dem Verfahren immer die einzelnen
Flugkörperkomponenten genannt (vgl. z. B. ursprünglicher Anspruch 1) oder als
Flugkörperkomponenten 1-10 bezeichnet werden (vgl. z. B. ursprünglicher An-
spruch 2). An keiner Stelle ist es offenbart, den gesamten Flugkörper nach dem
beanspruchten Verfahren herzustellen. Die Flugkörperkomponenten stellen ledig-
lich einzelne Bauteile eines Flugkörpers dar.
Ungeachtet dessen, dass deshalb bereits erhebliche Bedenken an der Zulässig-
keit des erteilten Anspruchs 1 gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG bestehen, seien
diese hintangestellt, da das Verfahren nach Anspruchs 1 jedenfalls nicht auf einer
erfinderischen Tätigkeit beruht.
(3)
lung von thermisch und mechanisch hochbelasteten Flugkörperkomponenten be-
kannt (vgl. Sp. 1, Z. 1 - 46).
Sie offenbart das Fertigen von Rohlingen aus kohlenstofffaserverstärktem Kohlen-
(3)
Keramik nicht erwähnt, jedoch entnimmt der Fachmann dies aus dem dargelegten
Sachzusammenhang. Dort ist nämlich, wie im Streitpatent (Sp. 2, Z. 37 bis Sp. 3,
Z. 12), beschrieben, einen CFC-Körper, also einen kohlenstofffaserverstärktem
Kohlenstoff-Körper (C/C), als Rohling (vgl. Sp. 7, Z. 49) maschinell zu bearbeiten
und erst dann durch Infiltration von pyrolytischem Kohlenstoff zum fertigen Kera-
mikkörper zu verarbeiten (vgl. Sp. 7, Z. 52 - 58). Dieser CFC-Körper ist somit ein
Rohling aus faserverstärkter grüner Keramik.
- 7 -
Hierdurch ist das Merkmal a) des streitpatentgemäßen Anspruchs 1 in einer der
möglichen Ausführungsformen vorbekannt.
Auch das Ausformen und mechanische Bearbeiten der Keramikrohlinge im Grün-
zustand entsprechend den Teilegeometrien der Flugkörperkomponenten (Merk-
(3)
(3)
Schleifbearbeitung ein Rohling für die Brennkammer eines Triebwerks hergestellt
(vgl. Sp. 7, Z. 47 - 51). Darauf folgt zuletzt die Infiltration des mechanisch bear-
beiteten Rohlings und dessen oberflächliche Nachbearbeitung (vgl. Sp. 7, Z. 52 -
Sp. 8, Z. 18).
Der dagegen das patentgemäße Verfahren abschließende Verfahrensschritt c)
gemäß dem Anspruch 1 des angefochtenen Patents, wonach eine gemeinsame
Infiltration oder ein gemeinsames Silizieren der Rohlinge mit Silicium und/oder
Siliciumcarbid und/oder Kohlenstoff zum Erhalt einer monolithischen Verbund-
struktur stattfindet, wobei die zusammengefügten Rohlinge die Gesamtform des
Flugkörpers oder der jeweiligen Flugkörperkomponente bilden, ist der Druck-
(3)
(6)
lauframpe die Entwicklung integraler Leichtbaustrukturen aus C/C - SiC aufgezeigt
wird (vgl. S. 473, erster und zweiter Abs. sowie S. 479, Bild 7). Die Fertigung der
Rampe aus mehreren Keramikrohren und einem C/C-Klappenbauteil erfolgt durch
Vormontage, komplette Silicierung und gleichzeitiges Fügen der Einzelteile (vgl.
S. 480, Bilder 10 und 11 sowie den letzten Abs. dieser Seite), womit zweifelsohne
eine monolithische Verbundstruktur erhalten wird.
Ein Fachmann erkennt sofort, dass auf diese Weise Flugkörperkomponenten mit
nahezu unbegrenzter Geometrie- und Formenvielfalt aus mehreren Einzelteilen
gefügt werden können.
Die gemäß dem angefochtenen Patent vorgesehene Lösung ist somit das Ergeb-
nis einer einfachen Zusammenschau von aus dem Stand der Technik bekannten
Verfahrensmerkmalen.
- 8 -
Im Rahmen der Antragsgesamtheit haben auch die auf den Anspruch 1 rückbezo-
genen Ansprüche 2 und 3 keinen Bestand, die überdies ebenfalls keine selbstän-
dig patentbegründenden Merkmale aufweisen.
Dr. W. Maier
Schell
Dr. Fritze
Rothe
Bb