Urteil des BPatG vom 23.04.2008

BPatG: verwechslungsgefahr, kennzeichnungskraft, wörterbuch, verkehr, patent, anfang, auflage, absender, raps, ausnahmecharakter

BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
28 W (pat) 224/07
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
23. April 2008
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
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betreffend die Marke …
hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die
mündliche Verhandlung vom 23. April 2008 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Stoppel sowie der Richterin Werner sowie des Richters Schell
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Be-
schlüsse der Markenstelle für Klasse 14 des Deutschen Patent-
und Markenamts vom 28. Juni 2005 und vom 11. Juli 2007 auf-
gehoben. Wegen des Widerspruchs aus der Marke …
„ABS“ wird die Löschung der Marke … „sabs“ für alle Waren der
Klasse 14 angeordnet.
Kosten werden nicht auferlegt.
Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im Beschwerde-
verfahren wird auf € 20.000,- festgesetzt.
G r ü n d e
I.
Das Wort
sabs
ist in das Register eingetragen worden u. a. für die folgenden Waren der
Klasse 14:
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„Edelmetalle, Juwelierwaren, Schmuckwaren, Edensteine, Uhren
und Zeitmessinstrumente“.
Nur für die vorgenannten Waren ist gegen die Eintragung Widerspruch erhoben
worden aus der Marke …
ABS
die seit dem 16 Oktober 1995 im Markenregister u. a. für die folgenden Waren der
Klasse 14 eingetragen ist:
„Edelmetalle und deren Legierungen, sowie daraus hergestellte
Waren, soweit in Klasse 14 enthalten, insbesondere Ringe, Ohr-
ringe, Anhänger, kunstgewerbliche Gegenstände, Ziergegen-
stände, Tafelgeschirr (ausgenommen Bestecke), Tafelaufsätze,
Aschenbecher, Zigarren- und Zigarettenetuis, Zigarren- und Ziga-
rettenspitzen; Juwelierwaren, Schmuckwaren, Edelsteine; Uhren
und Zeitmeßinstrumente“.
Die Markenstelle für Klasse 14 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den
Widerspruch mit zwei Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren
ergangen ist, mit der Begründung zurückgewiesen, dass sich beide Marken auch
im Bereich der Warenidentität nicht verwechselbar nahekämen. Es handele sich in
beiden Fällen um Kurzwörter, die sich klar durch den jeweils anderen Anfangs-
buchstaben unterschieden und zudem eine unterschiedliche Länge hätten. Klang-
lich seien Verwechslungen in allen denjenigen Fällen ausgeschlossen, in denen
die Widerspruchsmarke als eine Folge einzelner Buchstaben, also wie A-B-S
ausgesprochen werde. Auch dann, wenn die Widerspruchsmarke als ein einziges
einsilbiges Wort ausgesprochen werde, reiche der Unterschied am Wortanfang
aus, um eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr sicher auszuschließen, zu-
mal die Widerspruchsmarke mit der Abkürzung für „Anti-Blockier-System“
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identisch sei und der Verkehr ihr daher regelmäßig eine eigene Begrifflichkeit
zuordnen werde, die sie klar von der angegriffenen Marke unterscheide, die nur
als Phantasiewort in Erscheinung trete.
Die Widersprechende verfolgt mit ihrer Beschwerde ihren Teil-Löschungsantrag
weiter und hat mit der Beschwerdeschrift vom 14. August 2007 sinngemäß be-
antragt:
die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 14 des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 28 Juni 2005 und vom 11. Juli 2007
aufzuheben und die Marke … „sabs“ wegen des Wider-
spruchs aus der Marke … „ABS“ für die Waren der
Klasse 14 zu löschen.
Die Markeninhaberin hat mit Schriftsatz vom 21. April 2008 beantragt,
die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen,
der Widersprechenden die Kosten des Beschwerdeverfahrens auf-
zuerlegen
und den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im Be-
schwerdeverfahren auf € 50.000,- festzusetzen.
Sie ist der Auffassung, dass zwischen den Vergleichsmarken keine markenrecht-
liche Verwechslungsgefahr i. S. v. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG bestehe. Dazu hat
die Markeninhaberin u. a. vorgetragen, dass sie die angegriffene Marke immer nur
in vollständiger Kleinschreibung - „sabs“ - benutze, während die Widerspruchs-
marke offenbar in Großbuchstaben benutzt werde. Darauf ist die Widerspre-
chende nicht weiter eingegangen. Weiter nimmt die Markeninhaberin an, dass die
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Widerspruchsmarke - auch wegen deren Großschreibung - durchgehend als
Buchstabenfolge verstanden und daher „A-B-S“ gelesen und ausgesprochen
werde, nicht dagegen als ein einziges einsilbiges Wort. Die Markeninhaberin
meint, die angesprochenen Verkehrskreise würden wegen dieser Wahrnehmung
die Widerspruchsmarke regelmäßig als eine Abkürzung für den Ausdruck „Anti-
Blockier-System“ verstehen und schon wegen dieser Begrifflichkeit ohne weiteres
von der angegriffenen Marke unterscheiden, die sich mit diesem Begriff in keinen
sachlichen Zusammenhang bringen ließe. Schließlich beruft sich die Markenin-
haberin auf die Rechtsprechung zu den Voraussetzungen für eine marken-
rechtliche Verwechslungsgefahr zwischen Kurzwörtern und die Bedeutung, die in
diesen Fällen dem jeweiligen Anfangsbuchstaben zukomme.
Der Senat hatte Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt auf den
23. April 2008, zu dem die Verfahrensbevollmächtigten beider Verfahrensbeteilig-
ten ausweislich der Seiten 16 bis 19 der Gerichtsakten ordnungsgemäß geladen
worden sind. Beide Verfahrensbeteiligten waren im Termin nicht vertreten.
Zu den weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Akten.
II.
Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig und hat auch in der Sache
Erfolg, denn zwischen den Vergleichsmarken besteht Verwechslungsgefahr i. S. v.
§ Abs. 1 Nr. 2 MarkenG. Deswegen waren die angegriffenen Beschlüsse aufzu-
heben und es war die antragsgemäße Löschung der angegriffenen Marke für die
Waren der Klasse 14 anzuordnen.
Die Frage der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr ist unter Berücksichtigung
aller Umstände des Einzelfalles umfassend zu beurteilen. Zu den dabei maßge-
benden Umständen gehören insbesondere die Kennzeichnungskraft der Wider-
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spruchsmarke sowie der Grad der Ähnlichkeit der Marken und der damit gekenn-
zeichneten Waren und Dienstleistungen. Bei der umfassenden Beurteilung ist
hinsichtlich der Ähnlichkeit der Marken auf den Gesamteindruck abzustellen, den
diese jeweils hervorrufen. Hierbei kommt es entscheidend darauf an, wie die
Marke auf den Durchschnittsverbraucher der jeweils in Frage stehenden Waren
und Dienstleistungen wirkt.
Die Widerspruchsmarke „ABS“ hat von Haus aus eine durchschnittliche Kenn-
zeichnungskraft. Sie enthält keine für die beschwerdegegenständlichen Waren
beschreibende oder werbende Anklänge. Andere Umstände, die die Herkunfts-
funktion der Marke beeinträchtigen könnten, wurden nicht vorgetragen und sind
auch sonst nicht ersichtlich. Da sich keine Benutzungsfragen stellen, kommt es für
die Frage der Warenähnlichkeit allein auf die Registerlage an. Danach können
sich die Marken im Bereich identischer und sehr ähnlicher Waren begegnen.
Daher muss die jüngere Marke einen deutlichen Abstand zu der älteren einhalten.
Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Marke nicht, weil sie der Wider-
spruchsmarke sowohl klanglich als auch schriftbildlich verwechselbar nahekommt.
Die Marken kommen sich schriftbildlich verwechselbar nahe. Bei Wortmarken ist
neben der eingetragenen auch jede andere verkehrsübliche Wiedergabeform vom
Schutzgegenstand erfasst. Das gilt insbesondere für Groß- und Kleinschreibung
(vgl. z. B. BPatG GRUR 2005, 777 - NATALLA/nutella). Vorliegend kommt es für
die Frage nach einer markenrechtlichen Verwechslungsgefahr daher auch auf
einen Vergleich beider Marken in Kleinschreibung an. Dann stehen sich „sabs“
und „abs“ gegenüber.
Dem steht nicht entgegen, dass die Widerspruchsmarke womöglich nur in voll-
ständiger Großschreibung benutzt wird. Denn im vorliegenden Widerspruchs-
verfahren stellen sich keine Benutzungsfragen. Der Schutzumfang der Wider-
spruchsmarke bestimmt sich daher allein nach der Registerlage, nach der die
Widerspruchsmarke vollen Schutz auch in der Kleinschreibung genießt. Wie die
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Markeninhaberin geht der Senat davon aus, dass Teile der angesprochenen
weitesten Verkehrskreise die Widerspruchsmarke auch in dieser Schreibweise als
Abkürzung lesen und verstehen und deswegen als „a-b-s“ ansehen, lesen und
aussprechen werden. Das könnte auch einer schriftbildlichen markenrechtlichen
Verwechslungsgefahr entgegenstehen. Anders als die Markeninhaberin sieht der
Senat jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der gesamte angesprochene
Verkehr die Widerspruchsmarke regelmäßig so wahrnehmen wird. Die Buch-
stabenfolge „abs“ lässt sich im Deutschen ohne weiteres aussprechen. Sie mag
als Abkürzung für die Begriffe „Absatz“, „Absender“ oder auch „Anti-Blockier-
System“ bekannt sein. Keiner dieser Begriffe steht jedoch in irgendeinem
sachlichen Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Waren. Ihre
Assoziation mit der Widerspruchsmarke ist daher nicht naheliegend. Deswegen
muss bei einer Prüfung der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr auch davon
ausgegangen werden, dass entscheidungserhebliche Anteile der angesprochenen
Verkehrskreise die Widerspruchsmarke als zusammenhängendes einsilbiges Wort
wahrnehmen.
Dazu ist festzustellen, dass die Endung „-abs“ im Deutschen so ungewöhnlich ist,
dass sie in der dritten Auflage des rückläufigen deutschen Wörterbuchs von
Muthmann aus dem Jahr 2001 überhaupt nicht vorkommt. Klanglich am ähn-
lichsten ist die Endung „-aps“, die ihrerseits ungewöhnlich selten ist und nach den
Angaben in demselben Wörterbuch in der aktuellen Umgangssprache noch mit
den Wörtern „Klaps“, „Raps“ und „Schnaps“ vertreten ist (s. Muthmann,
Rückläufiges deutsches Wörterbuch, 3. Aufl., 2001, S. 781, 782). Die Ver-
gleichsmarken sind also gerade in einer Buchstabenfolge identisch, die im
Deutschen einen extremen Ausnahmecharakter und damit markenrechtlich eine
besondere Kennzeichnungskraft hat. Der einzige Unterschied besteht in dem
Anfangsbuchstaben „s“ der angegriffenen Marke, für den es in der Widerspruchs-
marke keine Entsprechung gibt. Dieser zusätzliche Buchstabe reicht jedoch nicht
aus, um eine schriftbildliche Verwechslung sicher auszuschließen, weil das zu-
sätzliche „s“ bildlich dem nachfolgenden Buchstaben „a“ zu ähnlich ist, in der
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angegriffenen Marke nur ein bereits vorhandenes Zeichen - nämlich das Schluss-
„s“ - wiederholt, der Marke also kein anderes Zeichen hinzufügt, und den Verlauf
der Höhenlinien beider Marken nicht berührt. Diese Beurteilung steht im Einklang
mit der Rechtsprechung zu den Kriterien für die Prüfung der markenrechtlichen
Verwechslungsgefahr bei Kurzwörtern. Diese Rechtsprechung hat keinen unver-
rückbaren Grundsatz des Inhalts entwickelt, dass Abweichungen im Anfangsbuch-
staben regelmäßig jede markenrechtliche Verwechslungsgefahr ausschließen. Sie
hat lediglich klarstellt, dass Kurzwörter durch einzelne Abweichungen im Ver-
hältnis stärker beeinflusst werden als längere Markenwörter und dass deswegen
mitunter Abweichungen in nur einem Buchstaben Verwechslungen ausschließen
. Im Übrigen bleibt es dabei, dass die Frage der markenrechtlichen
Verwechslungsgefahr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles
umfassend zu beurteilen ist und auch bei Kurzwörtern Abweichungen in jeder
Hinsicht deutlich in Erscheinung treten müssen (vgl. bereits BGH GRUR 1957,
499, 502 - Wipp und Mitt. 1976, 121, 122 - ANGO/ANG).
Die Vergleichsmarken kommen sich außerdem klanglich verwechselbar nahe. Aus
denselben Gründen, die bereits im Zusammenhang mit den Feststellungen zur
schriftbildlichen Verwechslungsgefahr getroffen wurden, ist auch bei der Prüfung
einer klanglichen Verwechslungsgefahr davon auszugehen, dass jedenfalls ent-
scheidungserhebliche Anteile der angesprochenen Verkehrskreise die Wider-
spruchsmarke nicht als Folge von drei Buchstaben „A-B-S“ aussprechen werden,
sondern als das einsilbige Wort „Abs“. Bei einer Aussprache der Vergleichs-
marken als einheitliche Wörter „sabs“ und „ABS“ überwiegen die klanglichen
Übereinstimmungen deutlich wegen des völligen Ausnahmecharakters der iden-
tischen Buchstabenfolge „-abs“. Daneben kann der „s“-Laut am Anfang der
angegriffenen Marke als einziger klanglicher Unterschied keine eigenständige
phonetische Bedeutung entwickeln, zumal er stimmhaft ausgesprochen wird und
daher phonetisch „schwächer“ ist als das scharfe Schluss-S beider Vergleichs-
marken.
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Auf diesen Gründen beruht die tenorierte Entscheidung dieses Beschlusses.
Umstände, die eine Kostenauferlegung nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG zu
Lasten der Beschwerdeführerin billig erscheinen lassen könnten, sind nicht ersich-
tlich und wurden auch von der Beschwerdegegnerin nicht dargetan. Auszugehen
ist von dem in § 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG ausdrücklich klargestellten Grundsatz,
wonach jeder Verfahrensbeteiligte seine Kosten selbst trägt. Für eine Abweichung
von diesem Grundsatz bedarf es stets besonderer Umstände, an denen es hier
fehlt. Die Widersprechende hat mit ihrer Beschwerde berechtigte Interessen
verfolgt und in der Sache obsiegt.
Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im Beschwerdeverfahren war auf
€ 20.000,- festzusetzen. Das entspricht dem regelmäßigen Wert eines Beschwer-
deverfahrens in markenrechtlichen Widerspruchssachen (vgl. BPatG GRUR 2007,
176 - Festsetzung des Gegenstandswerts in markenrechtlichen Widerspruchs-
sachen). Die Markeninhaberin hat keine Umstände vorgetragen, die die Fest-
setzung eines höheren Wertes begründen könnten, und solche Umstände sind
auch sonst nicht ersichtlich.
Stoppel
Schell
Werner
Me