Urteil des BPatG vom 16.06.2009

BPatG: dosierung, stand der technik, patentanspruch, arzneimittel, salz, ergänzendes schutzzertifikat, behandlung, erzeugnis, begriff, hypertonie

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 49/07
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
16. Juni 2009
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das ergänzende Schutzzertifikat Nr. 194 75 002
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2009 unter Mitwirkung der Vorsitzenden
Richterin Dr. Schermer, des Richters Engels, der Richterin
Dipl.-Chem. Dr. Proksch-Ledig, des Richters Dipl.- Chem. Dr. Gerster sowie der
Richterin Dipl.-Chem. Dr. Münzberg
für Recht erkannt:
1.
Das ergänzende Schutzzertifikat Nr. 194 75 002 wird für nich-
tig erklärt.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleitung
in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig
vollstreckbar.
- 3 -
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 29. August 1986 beim Europäi-
schen Patentamt angemeldeten, die Priorität der deutschen Patentanmeldung
35 32 036 vom 9. September 1985 in Anspruch nehmenden und mit Wirkung für
die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 215 357 B1
(Grundpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer
DE 36 85 177 geführt wird. Das Grundpatent betrifft eine „Pharmazeutische Zube-
reitung zur Behandlung des Bluthochdrucks“ und umfasst in der erteilten Fassung
5 Patentansprüche, die in folgendermaßen lauten:
1.
Pharmazeutische Zubereitung, enthaltend
a) einen Angiotensin-Converting-Enzyme-Inhibitor oder
dessen physiologisch verträgliches Salz und
b) ein Schleifendiuretikum oder dessen physiologisch ver-
,
Schleifendiuretikum der Formel (II) oder (II’) in einer subdiu-
retischen Dosis enthält,
und dass sie einen Angiotensin-Converting-Enzyme-Inhibitor der
Formel (III) oder (IV) enthält
- 4 -
in welcher
R Wasserstoff, Methyl, Ethyl oder Benzyl
bedeutet
oder
in welcher
R
4
Wasserstoff, (C
1
-C
4
)-Alkyl oder Benzyl bedeutet.
2.
,
dass der Angiotensin-Converting-Enzyme-Inhibitor die Formel (III)
oder (IV), in welcher R bzw. R
4
Ethyl bedeuten, aufweist.
3.
Verfahren zur Herstellung einer Zubereitung gemäß einem der
,
a) einen Angiotensin-Converting-Enzyme-Inhibitor oder
dessen Salz und
b) ein Schleifendiuretikum oder dessen physiologisch ver-
trägliches Salz zusammen mit physiologisch annehmbaren
Trägern und gegebenenfalls weiteren Hilfs- oder Zusatz-
stoffen in eine geeignete Darreichungsform bringt.
- 5 -
4.
Zubereitung gemäß einem der Ansprüche 1 bis 2 zur Anwen-
dung als Heilmittel bei der Behandlung des Bluthochdrucks.
5.
Erzeugnis, enthaltend
a) einen Angiotensin-Converting-Enzyme-Inhibitor oder
dessen physiologisch verträgliches Salz und
b) ein Schleifendiuretikum oder dessen physiologisch ver-
trägliches Salz
als Kombinationspräparat zur gleichzeitigen, getrennten oder
zeitlich abgestuften Anwendung bei der Behandlung des Blut-
,
nenten wie in Anspruch 1 definiert sind.
Die Schutzdauer des Grundpatents ist am 29. August 2006 abgelaufen.
Auf der Grundlage dieses Patents wurde der Beklagten vom Deutschen Patent-
und Markenamt mit Beschluss vom 2. Juni 1998 unter dem Aktenzeichen
194 75 002.7-41 ein ergänzendes Schutzzertifikat mit einer Laufzeit bis zum
12. August 2008 erteilt. Das Schutzzertifikat betrifft „4-Phenoxy-3-(1-pyrrolidinyl)-
5-sulfamoyl-Benzoesäure (Piretanid) / 2-[N-[(S)-1-Ethoxycarbonyl-3-phenylpropyl]-
L-alanyl]-(1S, 3S, 5S)-2-azabicyclo[3.3.0]octan-3-carbonsäure (Ramipril)“.
Die Klägerinnen richten ihre gemeinsame Klage gegen das ergänzende Schutz-
zertifikat, weil dieses entgegen den Vorschriften des Artikels 3 der EG-VO
Nr. 1768/92 erteilt worden sei.
Zur Begründung verweisen sie u. a. auf folgende Druckschriften:
NiK1
Registerauszug des Deutschen Patent- und Markenamts betreffend
das ergänzende Schutzzertifikat DE 194 75 002.7
NiK2
Registerauszug des Deutschen Patent- und Markenamt betreffend
das Aktenzeichen 36 85 177 (= deutscher Teil des Grundpatentes),
- 6 -
NiK3
EP 0 215 357 B1,
NiK4
Kopien der Zulassungsbescheide des Bundesgesundheitsamtes für
die
Arzneimittel
„Aretensin“
und
„Prilace“
jeweils
vom
12. August 1993,
NiK5
Pozet, N. et al., Br. J. clin. Pharmac. 1980, 9, S. 577 bis 583
NiK6
Rote Liste 1984 „Arelix®“
NiK7
Urteil Landgericht Düsseldorf, AZ: 4a O 40/07 vom 15. Mai 2007
Die Klägerinnen beantragen,
das ergänzende Schutzzertifikat Nr. 194 75 002.7 für nichtig zu
erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Nichtigkeitsklage abzuweisen, hilfsweise verteidigt sie das
Streitzertifikat in einer beschränkten Fassung der Patentansprü-
che des Grundpatents gemäß Hilfsanträgen 1 bis 5, überreicht in
der mündlichen Verhandlung.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerinnen in allen Punkten entgegen. Zur Stütze ih-
res Vorbringens verweist sie auf folgende Dokumente:
NIB1:
Gillies, A. et al., Med. J. Austr. 1980, 1, S. 170 bis 172
NIB2:
McNabb, W.R. et al., Br. J. clin. Pharmac. 1988, 26, S. 143
bis 154
NIB3:
Rote Liste ® 2006 „Arelix®“
NIB4:
Ruf, G. et al., Eur. J. Clin. Pharmacol. 1994, 46, S. 545
bis 550
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Akteninhalt ver-
wiesen.
- 7 -
Entscheidungsgründe
I.
Die auf Nichtigerklärung des durch Beschluss des Deutschen Patent- und Marken-
amts vom 2. Juni 1998 erteilten ergänzenden Schutzzertifikats Nr. 194 75 002.7
(Streitzertifikat) gerichteten Klagen sind zulässig und begründet. Denn das durch
das Streitzertifikat geschützte Erzeugnis, für das eine gültige arzneimittelrechtliche
Genehmigung vorliegt - hier die Zulassungsbescheide 29749.00.00 und
29751.00.00 des Bundesgesundheitsamts vom 12. August 1993 (NIK4) für Arz-
neimittel mit den in einer Tablette enthaltenen wirksamen Bestandteilen Ramipril
5,000 mg und Piretanid 6,000 mg -, ist nicht von dem Schutzumfang der Patent-
ansprüche 1 bis 5 des Grundpatents umfasst und deshalb gemäß Art. 15 Abs. 1
Ziff. 1 c 1. Alt. EG-V Nr. 1768/92 (Arzneimittel) für nichtig zu erklären.
1.
Nach Art. 15 Abs. 1 Ziff. 1 a EG-V Nr. 1768/92 (Arzneimittel) i. V. m. Art. 15
Abs. 2 EG-V Nr. 1768/92 (Arzneimittel) ist auf Klage - welche jedermann erheben
kann - das Zertifikat nichtig zu erklären, wenn es entgegen den Vorschriften des
Art. 3 erteilt wurde, d. h. wenn a) zum Zeitpunkt dieser Anmeldung das Erzeugnis
nicht durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist und b) für das Er-
zeugnis als Arzneimittel keine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen er-
teilt wurde. Vorliegend fehlt es an der ersten Voraussetzung des Art. 3 a EG-V
Nr. 1768/92 (Arzneimittel), da der Schutzgegenstand des Streitzertifikats nach
Art. 4 EG-V Nr. 1768/92 (Arzneimittel) auf die in den Zulassungsbescheiden des
Bundesgesundheitsamts vom 12. August 1993 (NiK4) angegebene Wirkstoffzu-
sammensetzung einer Tablette von Ramipril 5,000 mg und Piretanid 6,000 mg
eingeschränkt ist, eine derartige Wirkstoffzusammensetzung jedoch nicht von dem
Schutzumfang der Patentansprüche des Grundpatents umfasst ist, welche durch
ein Schleifendiuretikum der Formel (II) oder (II’) in einer subdiuretischen Dosis ge-
kennzeichnet sind.
- 8 -
a)
vorliegt, durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt wird, muss nach
den für das Grundpatent geltenden Vorschriften, d. h. im vorliegenden Fall nach
Art. 69 EPÜ, beurteilt werden. Danach wird der Schutzbereich des Patents durch
den Inhalt der Patentansprüche bestimmt, zu deren Auslegung die Beschreibung
und die Zeichnungen heranzuziehen sind. Ausgangspunkt und maßgebliche
Grundlage dafür, was durch das Streitpatent unter Schutz gestellt ist, ist somit der
durch Auslegung zu ermittelnde Sinngehalt der Patentansprüche (st. Rspr. vgl.
z. B. BGH GRUR 2007, 959 - Pumpeinrichtung unter Hinweis auf BGH
GRUR 2004, 1023, 1024 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung sowie BGH
GRUR 2002, 523, 524 - Custodiol I).
b)
bung zu lesen (vgl. Scharen in Benkard PatG 10. Aufl., § 14 Rdn. 22) und Begriffe
in Patentansprüchen danach so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann
nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung der in ihr objektiv
offenbarten Lösung bei unbefangener Erfassung der im Anspruch umschriebenen
Lehre zum technischen Handeln versteht (vgl. GRUR 2001, 232, 233 - Brieflocher
m. w. N). So kann andererseits alles, was bei sinnvollem Verständnis nicht so
deutlich einbezogen ist, dass es vom Fachmann als zur Erfindung gehörend er-
kannt wird, den Gegenstand des Patentanspruchs nicht kennzeichnen. Auch die
zur Erfassung des Sinngehalts eines Patentanspruchs vorgesehene Heranziehung
von Beschreibung und Zeichnungen des betreffenden Patents darf deshalb weder
zu einer sachlichen Einengung noch zu einer inhaltlichen Erweiterung des durch
den Wortlaut des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen (st. Rspr. vgl.
z. B. BGH GRUR 2007, 959 - Pumpeinrichtung und BGH GRUR 2007, 778 -
Ziehmaschinenzugeinheit - jeweils unter Hinweis auf GRUR 2004, 1023, 1024 -
Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).
c)
des Sinngehalts) der Patentansprüche ist deshalb generell nicht zulässig; dies gilt
insbesondere, wenn der Beschreibung eine Schutzbegrenzung auf bestimmte
- 9 -
Ausführungsformen nicht zu entnehmen ist (vgl. BGH GRUR 2007, 309, 311 -
Schussfädentransport - unter Hinweis auf Scharen in Benkard, EPÜ, 2002, Art. 69
EPÜ Rdn. 33; ders. in Benkard, PatG GebrMG, 10. Aufl. 2006, § 14 PatG
Rdn. 24, 25, je m. w. N.) Auch bei mehrdeutig bleibenden Formulierungen kann im
Nichtigkeitsverfahren nicht etwa deshalb eine einengende Auslegung zu Grunde
gelegt werden, weil mit dieser die Schutzfähigkeit eher bejaht werden kann (vgl.
BGH GRUR 2004, 47, 49 - blasenfreie Gummibahn I), ebenso wie es dem Pa-
tentinhaber im Hinblick auf das Vertrauen der Fachwelt auf einen entsprechend
beschränkten Schutz auch dann verwehrt ist, nachträglich Schutz für etwas zu be-
anspruchen, was er nicht unter Schutz hat stellen lassen, wenn der Fachmann er-
kennt, dass sich das Patent bei objektiver Betrachtung auf eine engere An-
spruchsfassung beschränkt, als dies vom technischen Gehalt der Erfindung ge-
genüber dem Stand der Technik geboten wäre (vgl. BGH GRUR 2002, 519, 522 -
Schneidmesser II), zumal es dem Patentinhaber regelmäßig möglich ist, einen
Patentanspruch so zu formulieren, dass er den beanspruchten Schutzgegenstand
erkennen lässt (vgl. BGH Mitt. 2000, 105, 106 - Extrusionskopf - m. w. N.).
2.
Unter Anwendung dieser Grundsätze teilt der Senat nicht die Rechtsauffas-
sung der Beklagten, dass im vorliegenden Fall die Erzeugnisse, für die ein
Schutzzertifikat erteilt worden ist, vom Schutzumfang der grundpatentgemäßen
pharmazeutischen Zubereitungen umfasst sind, welche ein Schleifendiuretikum
der Formel (II) oder (II’) oder dessen physiologisch verträgliches Salz in einer sub-
diuretischen Dosis enthalten.
a)
Grundsätze der Schutzbereichsbestimmung nämlich gleichermaßen für Zahlen-
und Mengenangaben im Patentanspruch anzuwenden, denn sie verdeutlichen,
dass sie den Schutzgegenstand mitbestimmen und damit auch begrenzen sollen.
Daher kommt es bei ihrer Auslegung gleichermaßen darauf an, wie sie der Fach-
mann im Kontext mit der Beschreibung und den Beispielen deutet (vgl. a. a. O.
S. 524 II. 2. b), S. 525 II. 2 c) m. w. N.). Für die Frage, inwiefern ein Arzneimittel
mit den in einer Tablette enthaltenen wirksamen Bestandteilen Ramipril 5,000 mg
- 10 -
und Piretanid 6,000 mg daher noch von dem Schutzumfang der Patentansprü-
che 1 bis 5 des Grundpatents und einer subdiuretischen Dosis des Schleifendiure-
tikum gedeckt ist, ist daher zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs (GRUR 2002, 523 - Custodiol I) festzustellen ist, ob die
zur Diskussion stehende Ausführungsform vom so ermittelten Sinngehalt der Pa-
tentansprüche Gebrauch macht und deshalb die unter Schutz stehende Erfindung
benutzt wird oder ob bei vom Sinngehalt des Patentanspruches abweichender
Ausführungsform der Fachmann die hierbei eingesetzten abgewandelten Mittel mit
Hilfe seiner Fachkenntnis als zur Lösung der der Erfindung zugrunde liegenden
Aufgabe gleichwirkend auffinden konnte und als gleichwertige Lösung in Betracht
zieht (GRUR 2002, 523, 525 - Custodiol I).
b)
Zusammensetzung, die neben einem Angiotensin-Converting-Enzyme-Inhibitor
der dort genannten allgemeinen Formeln (III) oder (IV) oder dessen physiologisch
verträglichem Salz ein Schleifendiuretikum der allgemeinen Formeln (II) oder (II’)
oder dessen physiologisch verträgliches Salz enthält, wobei letzteres ferner da-
durch charakterisiert wird, dass es in einer subdiuretischen Dosis vorliegt. Die
rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 5 enthalten keine darüber hinaus gehen-
den Angaben zur Dosierung der Wirkstoffe der beanspruchten pharmazeutischen
Zusammensetzung.
Damit ist der im Patentanspruch 1 des Grundpatents genannten subdiuretischen
Dosis, auch unter Berücksichtigung der nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 5,
kein konkreter numerischer Bereich zuordenbar. Auch der Beschreibung des
Grundpatents sind hinsichtlich der Definition dieses Merkmales keine exakten An-
gaben für einen zahlenmäßig einzugrenzenden Bereich zu entnehmen. Im Zu-
sammenhang mit der für das Schleifendiuretikum vorgeschlagenen Dosierung wird
dort nämlich lediglich ausgeführt, dass es sich dabei um eine Dosis handle, die
alleine keine diuretische Wirkung habe (vgl. NIK3 S. 3 Z. 39 bis 42) bzw. die weit
unterhalb des ED
50
-Wertes, etwa bei seiner diuretischen Schwellendosis liege
(vgl. a. a. O. S. 4 Z. 27 bis 31). Als einzige numerische Werte werden sodann in
- 11 -
den Beispielen 5 und 6 i. V. m. mit der Herstellung von Tabletten, die den ACE-In-
hibitor Ramipril in Kombination mit dem Schleifendiuretikum Piretanid enthalten,
für letzteres Mengen von 1 bzw. 5 mg angegeben. Damit erschließt sich der im
Patentanspruch 1 angegebene Begriff „subdiuretische Dosis“ für den Fachmann -
hier ein Spezialistenteam in pharmazeutischen Unternehmen, Universitätskliniken
oder anderen medizinischen Forschungseinrichtungen, dem ein wissenschaftlich
arbeitender Kardiologe mit zusätzlichen pharmakologischen Kenntnissen und ein-
schlägigen Erfahrungen bei der Entwicklung von Blutdrucksenkern und ein Mitar-
beiter mit abgeschlossenem naturwissenschaftlichem, pharmazeutischem oder
medizinischem Hochschulstudium, der Erfahrung in der Planung, Durchführung
und Auswertung klinischer Experimente und Studien hat, mit denen die Zulassung
von Arzneimitteln ermöglicht wird, angehören (vg. dazu BGH GRUR 2007, 404,
406 Abs. [26] - Carvedilol II) - unter Berücksichtigung der Beschreibung und Bei-
spiele als eine Wirkstoffmenge, die für sich alleine noch keine diuretische Wirkung
hat, jedenfalls aber nicht größer 5 mg ist.
Demgegenüber weisen die den Zulassungen zugrunde liegenden Arzneimittel
„Aretensin“ und „Prilace“ einen Gehalt von 6 mg Piretanid auf.
Der Auffassung der Beklagten, auch bei dieser Dosis handele es sich um eine
subdiuretische Dossierung, kann sich der Senat indessen nicht anschließen. Bei
einer Dosismenge von 6 mg handelt es sich - wie aus der Roten Liste 1984 (=
NIK6) zu ersehen ist - um die als ausreichend erachtete Wirkstoffmenge zur Er-
zielung einer effektiven diuretischen Wirkung, sei es zur Behandlung von Herzin-
suffizienz, von Ödemen, von leichter bis mittelschwerer Hypertonie oder von
schwerer Hypertonie in Kombination mit anderen Antihypertonika, wobei gemäß
den dortigen Angaben im Falle älterer Patienten sogar eine Gabe von 3 mg als
ausreichend wirksam erachtet wird. Der zuständige Fachmann wird daher bei die-
ser Dosierung als einer Dosis mit normaler diuretischer Wirkung ausgehen, d. h.
als einer Wirkstoffmenge, die bei Patienten ohne schwerwiegende weitere Erkran-
kungen, wie z. B. einer schweren Niereninsuffizienz, zu einer effektiven Diurese
führt. Dieses trifft umso mehr zu, als dem Fachmann zum maßgeblichen Zeitpunkt
- 12 -
auch aus der wissenschaftlichen Veröffentlichung der Autoren Pozet, N. et al. in
Br. J. clin. Pharmac. aus dem Jahr 1980 (= NiK 5) bekannt war, dass im Zusam-
menhang mit einer Verabreichung von 6 mg Piretanid bei Patienten mit normaler
bzw. leicht eingeschränkter Nierenfunktion eine im Vergleich zur Kontrolle erhebli-
che Steigerung der Diurese beobachtet wird (vgl. NiK5 S. 577, Abstract: 4, li. Sp.
„Introduction“, S. 578/579 re. Sp./li. Sp. „Patients (Table 1)“, S. 579 re. Sp. Abs. 1
i. V. m. S. 580 Table 2, S. 582 li. Sp. Abs. 3 und 4). In Relation dazu wird er den
Begriff „subdiuretische Dosis“ daher - auch dem reinen Wortsinn entsprechend -
als mit einer geringeren als der üblicherweise zu beobachtenden diuretischen Wir-
kung verbunden lesen und von vornherein zur Erzielung einer solchen Wirkung
auch eine niedrigere Wirkstoffmenge, als sie normalerweise eingesetzt wird, d. h.
weniger als 6 mg, für erforderlich erachten. Anhand der Beschreibung, nach der -
wie vorstehend dargelegt - eine subdiuretische Dosierung jene ist, die für sich al-
leine noch keine diuretische Wirkung hat, i. V. m. den Angaben in der Roten
Liste 1984 (= NiK6) ergibt sich aus diesen Gründen, dass der Begriff „subdiureti-
sche Dosis“ jedenfalls eine Dosismenge von 6 mg für Piretanid nicht mehr ein-
schließt (vgl. dazu auch BGH GRUR 2002, 527 Ls., 529 II. 2. c), 530 II.2. e) -
Custodiol II). Somit aber ist das zugelassene Erzeugnis, das Piretanid in einer Do-
sierung von 6 mg enthält, nicht identisch mit dem Gegenstand gemäß Patentan-
spruch 1 des Grundpatentes.
Der Fachmann wird die in Rede stehende Dosis auch nicht als eine der Ausfüh-
rungsform des Grundpatents gleichwertige in Betracht ziehen, weil der Fachmann
diese Ausführungsform, u. a. im Hinblick auf eine damit zu erwartende Verringe-
rung der Nebenwirkungen, nicht als objektiv gleichwirkend erachten wird (vgl.
BGH GRUR 2002, 523, 525 II. 2. e), 526 II. 3. - Custodiol I). Das Grundpatent
vermittelt nämlich die Lehre, das Diuretikum in so niedriger Dosierung zuzugeben,
dass eventuelle Nebenwirkungen weiter verringert werden, wobei zur Lösung der
zugrunde liegenden Aufgabe bereits eine Dosierung des Schleifendiuretikums
ausreicht, die alleine noch keine diuretische Wirkung hat bzw. weit unterhalb des
ED
50
-Werts, etwa bei seiner diuretischen Schwellendosis liegt (vgl. NiK3 S. 2
Z. 16/17, S. 3 Z. 36 bis 48 und S. 4 Z. 29 bis 31).
- 13 -
Ein darüber hinaus gehendes Verständnis des Patentanspruchs 1 lässt sich auch
nicht aus der Beschreibung des Grundpatents NiK 3 Seite 4 Zeilen 27 bis 29 ab-
leiten, welche vorzugsweise „erfindungsgemäße Zubereitungen bzw. Erzeugnisse“
nennen, die Dosen des ACE-Inhibitors und/oder des Schleifendiuretikums umfas-
sen, die für sich allein „noch keine oder keine volle Wirkung zeigen würde(n)“.
Unmittelbar anschließend wird nämlich unter Bezugnahme auf das Schleifendiure-
tikum ausgeführt, dass für dieses bereits eine Dosis genüge, die weit unterhalb
des ED
50
-Werts, etwa bei seiner diuretischen Schwellendosis liege. Im Zusam-
menhang mit den ACE-Inhibitoren hingegen heißt es, dass diese in der minimalen,
für eine Plasma-ACE-Hemmung ausreichenden Dosis, eingesetzt werden könn-
ten, die damit unterhalb solcher Dosen liege, die für eine akut blutdrucksenkende
Wirkung eines ACE-Hemmers alleine erforderlich sei (vgl. S. 4 Z. 27 bis 34). Da-
nach aber wird ausschließlich im Zusammenhang mit den ACE-Inhibitoren von ei-
ner Dosierung gesprochen, die nicht ihre „volle Wirkung“ zeigt, während für das
Schleifendiuretikum auch an dieser Stelle der Beschreibung eine Dosierung als
genügend beschrieben wird, die bei der diuretischen Schwellendosis und damit
weit unterhalb der „vollen Wirkung“ liegt - ein Begriff im Übrigen, für den sich aus
dem Grundpatent keine Definition herleiten lässt. Diese Lesart trifft nach Überzeu-
gung des Senates auch deshalb zu, weil sich der in Rede stehende Passus auf
vorzugsweise bereitzustellende pharmazeutische Zubereitungen bezieht, somit
auf Formulierungen, die der gesetzten Zielsetzung einer geringen Dosierung der
Wirkstoffe zur Verringerung eventueller toxischer Probleme insbesondere genü-
gen sollten (vgl. NiK3 S. 2 Z. 16/17 i. V. m. S. 3 Z. 46 bis 48). Aus den vorstehen-
den Gründen kann der Argumentation der Beklagten daher nicht gefolgt werden,
der Fachmann subsumiere unter den Begriff „subdiuretische Dosis“ auf Grund der
Ausführungen in den Zeilen 27 bis 29 auf Seite 4 der Beschreibung des Grund-
patentes NiK3 auch solche Dosierungen, die lediglich nicht zu einer vollen Wir-
kung führten.
Auch der Verweis der Beklagten auf das Beispiel 1 des Grundpatents kann zu kei-
nem anderen Verständnis des Begriffes „subdiuretische Dosis“ führen. Dieses
Beispiel vermag nämlich weder Anhaltspunkte für eine geeignete Dosierung bei
- 14 -
Menschen anzugeben, noch lässt es Rückschlüsse dahingehend zu, wie die Be-
griffe „subdiuretisch“, „diuretisch“ oder „Schwellenwert“ zu definieren sind. Die
i. V. m. den Vergleichsversuchen bei Ratten in der Tabelle 1 angegebenen Wirk-
stoffmengen beziehen sich nämlich zum einen nur auf Angaben in mg/kg, weshalb
die dort genannten Mengen weder absolute Dosierungen darstellen noch Hin-
weise auf eine geeignete Dosierung beim Menschen geben können. Zum anderen
enthält diese Tabelle keine Werte, anhand derer - z. B. dargestellt in einer die Do-
sis-/Wirkungsbeziehung wiederspiegelnden S-Kurve - zu ersehen sein könnte,
welche Dosis nicht mehr zu einer Wirkung führt, bzw. ab welchen Dosen keine
weitere Erhöhung der Wirkung mehr zu beobachten ist. Das im Zusammenhang
mit diesem Beispiel gleichfalls vorgetragene Argument der Beklagten, anhand die-
ser Tabelle i. V. m. der Abbildung, in der die den einzelnen Wirkstoffen bzw. deren
Kombinationen jeweils zuordenbaren zeitlichen Verläufe des mittleren Blutdrucks
in % des Ausgangsblutdrucks dargestellt sind, sei jedenfalls ersichtlich, dass das
Mengenverhältnis beider Wirkstoffe zueinander, d. h. vorliegend von Ramipril und
Piretanid, wesentlich für die zu erzielende Wirkung sei, kann abgesehen davon,
dass dieses nicht Gegenstand des Patentanspruches 1 des Grundpatentes ist, zu
keiner anderen Beurteilung der Sachlage führen, weil die Zulassung ein hinsicht-
lich seiner Wirkstoffe und deren eingesetzter Mengen definiertes Erzeugnis betrifft
und es nur der Gehalt eines der beiden Wirkstoffe ist, der vorliegend zur Diskus-
sion steht.
Auch ist unzutreffend, dass - wie anhand der Anlagen NIB1 bis NIB3 zu ersehen
sein soll - die volle diuretische Wirkung von Piretanid erst bei erheblich höheren
Dosierungen als 6 mg erreicht wird. Vielmehr wird in den wissenschaftlichen Ver-
öffentlichungen NIB1 und NIB2 ausgeführt, dass die Höhe der Dosierung abhän-
gig ist vom jeweiligen klinischen Fall und sowohl mit einer täglichen Gabe von
6 mg als auch von 9, 12 bzw. 18 mg des Wirkstoffes Piretanid im Rahmen der dort
beschriebenen Untersuchungen jeweils eine deutliche Erhöhung der Diurese beo-
bachtet werden konnte (vgl. NIB1 S. 170 re. Sp. Abs. 8 und 9 sowie NIB2 S. 143
Punkte 3 und 4, S. 147 Tabelle 2). Die Autoren des Dokumentes NIB1 kommen
schließlich sogar zu der Schlussfolgerung, dass zwar mit einer täglichen Dosis
- 15 -
von 9 und 12 mg Piretanid die in Folge von Herzschwäche zu beobachtende Spei-
cherung von Flüssigkeit kontrolliert und reduziert werden kann, eine bessere Kon-
trolle aber über eine länger dauernde Therapie mit geringeren Dosen erreicht wer-
den könnte. Zudem stellten sie fest, dass über einen Zeitraum von drei Tagen
3 mg Piretanid die gleiche Wirkung zeigten, wie 500 mg des üblicherweise ver-
wendeten Chlorothiazids (vgl. S. 171 re. Sp. le. Abs. i. V. m. S. 170 li. Sp. le. Abs.
bis re. Sp. Abs. 2). Angaben dahingehend, dass es sich bei einer Dosis von 6 mg
Piretanid um eine Wirkstoffmenge handelt, mit der nicht die für den jeweiligen Fall
volle Wirkung, sondern ausschließlich eine subdiuretische Wirkung, d. h. keine di-
uretische Wirkung bzw. eine Wirkung im untersten Bereich der von der Beklagten
zitierten, die Dosis-/Wirkungsbeziehung wiederspiegelnden S-Kurve erzielt wird,
sind diesen Dokumenten jedoch an keiner Stelle zu entnehmen. Der Hinweis der
Beklagten auf diese Druckschriften kann deren Argumentation daher ebenso we-
nig stützen, wie der Verweis auf die Rote Liste 2006 ® (NIB3). Die dort i. V. m. der
Injektionslösung angegebenen höheren Dosierungen von 60 mg Piretanid betref-
fen ausschließlich akute Krankheitsfälle sowie Patienten mit stark verminderter
Nierenfunktion (vgl. NIB3 Nr. 30 061). Zur Behandlung von Herzinsuffizienz, Öde-
men, leichter bis mittelschwerer Hypertonie sowie von schwerer Hypertonie in
Kombination mit anderen Antihypertonika, wird auch dort - wie schon in der Roten
Liste 1984 - die Gabe von 3 bzw. 6 mg Piretanid sowohl als Initialdosis als auch
als Erhaltungsdosis zur Behandlung als ausreichend angesehen (vgl. NiK6 Nr.
35 019 und NIB3 Nr. 36 062).
c)
des Grundpatents gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 5 führen, so dass das Streitzer-
tifikat auch bei deren Zugrundelegung keinen Bestand haben kann.
Eine Beschränkung erfolgt mit diesen Hilfanträgen insofern, als gemäß Patentan-
spruch 1 nach Hilfsantrag 1 als Wirkstoffe nur noch eine Verbindung der For-
mel (II) und eine Verbindung der Formel (III) mit R = Ethyl genannt werden, gemäß
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 darüber hinaus das Gewichtsverhältnis von
Angiotensin-Converting-Enzyme-Inhibitor zu Schleifendiuretikum zwischen 2:1
- 16 -
und 1:3 liegt, dieses Gewichtsverhältnis gemäß Patentanspruch 1 nach
Hilfsantrag 3 zwischen 1:1 und 1:2 liegt und die in Patentanspruch 1 nach
Hilfsantrag 4 und in dem einzigen auf die Verwendung einer pharmazeutischen
Zusammensetzung gerichteten Patentanspruch gemäß Hilfsantrag 5 angegebene
pharmazeutische Zusammensetzung ferner dadurch charakterisiert wird, dass sie
„als Kombinationspräparat zur gleichzeitigen Anwendung bei der Behandlung von
essentiellen Hypertonikern, die auf eine Behandlung mit ACE-Inhibitoren nicht
ansprechen“ vorliegt.
Die vorstehend unter II. 2. b) genannten Gründe gelten hier jedoch gleicherma-
ßen, weil sich der Sinngehalt des Merkmales „subdiuretische Dosis“ in den jeweili-
gen Patentansprüchen 1 nach den Hilfsanträge 1 bis 4 bzw. dem einzigen Patent-
anspruch nach Hilfsantrag 5 durch die mit diesen Anträgen vorgenommenen Be-
schränkungen nicht verändert.
III
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m.
§ 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
Dr. Schermer
Engels
Dr. Proksch-Ledig
Dr. Gerster
Dr. Münzberg
Pr