Urteil des BPatG vom 30.07.2007

BPatG: kennzeichnungskraft, arzneimittel, verwechslungsgefahr, zelle, glaubhaftmachung, ernährung, verkehr, gesamteindruck, veröffentlichung, beratung

BUNDESPATENTGERICHT
25 W (pat) 112/05
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
BPatG 152
08.05
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betreffend die Marke 300 28 380
hat der 25.
Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
30. Juli 2007 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Kliems sowie der Richte-
rin Bayer und des Richters Merzbach
beschlossen:
Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Die am 12. April 2000 angemeldete Marke
Veracell
ist am 16. August 2000 für die Waren und Dienstleistungen
„Nahrungsergänzungsmittel enthaltend Vitamine, Mineralstoffe
und Spurenelemente in Form von Pulver, Dragees, Tabletten; di-
ätetische Lebensmittel für medizinische Zwecke; Beratung auf er-
nährungswissenschaftlichem Gebiet“
unter der Nummer 300 28 380 in das Markenregister eingetragen worden.
Die Inhaberin der am 28. Februar 1955 u. a. für die Waren
„Arzneimittel
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eingetragenen Marke 672156
Vitazell
hat dagegen Widerspruch erhoben, wobei der Widerspruch auf diese Ware ge-
stützt wird. Die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke wurde
bestritten.
Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat in zwei
Beschlüssen vom 12. März 2004 und vom 23. März 2005, von denen letzterer im
Erinnerungsverfahren ergangen ist, den Widerspruch zurückgewiesen.
Die Erstprüferin geht von einer unterdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der
Widerspruchsmarke aus, da sie aus zwei beschreibenden Bestandteilen zusam-
mengesetzt sei und die Kombination lediglich zum Ausdruck bringe, dass die Pro-
dukte die Lebensfunktion der Zelle erhielten und unterstützten. Die Nichtbenut-
zungseinrede der Inhaberin der angegriffenen Marke greife hinsichtlich der Waren
„Vitamine“ nicht durch, da insoweit eine rechtserhaltende Benutzung glaubhaft
gemacht worden sei. Auf den Grad der Ähnlichkeit bzw. die Identität der sich ge-
genüberstehenden Waren und Dienstleistungen komme es jedoch nicht an. Die
Marken unterschieden sich in klanglicher Hinsicht in dem relativ kurzen und leicht
erfassbaren Wortanfang, wodurch sie sich auch im Gesamteindruck deutlich von-
einander abhöben. Denn das „t“ zu Beginn der zweiten Silbe der Widerspruchs-
marke stelle einen klangstarken Konsonanten dar, dessen Aussprache hart sei.
Bei dem „r“ in der angegriffenen Marke handele es sich dagegen um einen klang-
schwachen Konsonanten mit weicher Aussprache. Zudem unterschieden sich die
Zeichen durch die unterschiedlichen Vokale am Wortanfang. Die Schlusssilben
„cell“ bzw. „zell“ seien klanglich identisch. Dieser Übereinstimmung komme aber
keine entscheidende Bedeutung zu, da Wortendungen in der Regel weniger be-
achtet würden als Wortanfänge. Auch in schriftbildlicher Hinsicht unterschieden
sich die Zeichen ausreichend. Die bestehenden klanglichen und schriftbildlichen
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Unterschiede würden noch dadurch verstärkt, dass die Marken unterschiedliche
Begriffsinhalte aufwiesen.
Die Erinnerungsprüferin ließ dahingestellt, ob eine Markenähnlichkeit vorliege,
denn der Widerspruch sei mangels Glaubhaftmachung der rechtserhaltenden Be-
nutzung zurückzuweisen. Da die Benutzung undifferenziert bestritten worden sei,
erweise sich die Glaubhaftmachung im Rechtsbehelfsverfahren als unzureichend,
da für den wandernden Zeitraum fünf Jahre vor der Entscheidung über den Wider-
spruch im Rechtsbehelfsverfahren keine hinreichenden Angaben über die Benut-
zung gemacht worden seien. Die vorgelegte Eidesstattliche Versicherung umfasse
nur Umsätze von Mai 1999 bis August 2000. Die lediglich für den Anfang des
wandernden Zeitraums belegten Umsätze reichten zur Glaubhaftmachung einer
rechtserhaltenden Benutzung nicht aus.
Hiergegen hat die Widersprechende Beschwerde eingelegt. Einen ausformulierten
Antrag hat sie nicht gestellt.
Eine Einrede mangelnder Benutzung gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG hätte
nicht angenommen dürfen, da die Benutzungsschonfrist der Widerspruchsmarke
nicht nach der Veröffentlichung der Eintragung geendet habe und die Einreden
gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 MarkenG sich gegenseitig ausschlössen.
Wollte man sich dem nicht anschließen und der Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs entsprechend die Einreden alternativ und kumulativ zulassen, sei die
Erinnerungsentscheidung dennoch nicht richtig, denn die Widerspruchsmarke
habe sich im Zeitpunkt der Erinnerungsentscheidung am 23. März 2005 noch in-
nerhalb der Schonfrist befunden, da die Benutzung bis August 2000 glaubhaft
gemacht worden sei. Es genügten auch Benutzungshandlungen in den ersten fünf
Monaten. Letztlich könne diese Frage dahinstehen, denn die Widerspruchsmarke
sei auch seit August 2000 ununterbrochen intensiv benutzt worden. Mit der Be-
schwerdebegründung wurden zur Glaubhaftmachung der Benutzung der Wider-
spruchsmarke Verpackungsmaterial, Werbematerial Rechnungen aus den Jah-
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ren 2000 bis 2005 und eine Eidesstattliche Versicherung vom 25. Januar 2006
eingereicht.
Im Hinblick auf die Verwechslungsgefahr zwischen den Vergleichsmarken ver-
weist die Inhaberin der älteren Marke auf ihre Ausführungen vor der Markenstelle.
Danach seien die Waren und Dienstleistungen teilweise identisch und im Übrigen
ähnlich. Es sei von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Wider-
spruchsmarke auszugehen. Die Zeichen stimmten in Wortlänge und Silberzahl,
Wortanfang und Wortende überein. Die Vokalkonstruktion sei ähnlich und die
Laute „i“ und „e“ kaum voneinander zu unterscheiden. Gegenüber den Unter-
schieden zwischen „r“ und „t“ überwögen die Übereinstimmungen in den Zeichen
derart, dass Verwechslungen insbesondere aus der Erinnerung heraus zu be-
fürchten seien.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Sache hat sie sich in der Beschwerdeinstanz nicht geäußert.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache keinen Erfolg,
da keine Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat die rechtserhaltende Benutzung der
Widerspruchsmarke undifferenziert bestritten. Da die Benutzungsschonfrist der
Widerspruchsmarke vor Veröffentlichung der Eintragung der jüngeren Marke en-
dete, hat die Widersprechende die rechtserhaltende Benutzung ihrer Marke für die
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nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 MarkenG relevanten Zeiträume glaubhaft zu
machen. Die Ansicht der Widersprechenden, sie müsse lediglich eine Benutzung
im Zeitraum von 5 Jahren vor Veröffentlichung der jüngeren Marke glaubhaft ma-
chen trifft nicht zu, da die Einreden sich nicht gegenseitig ausschließen (BGH
GRUR 1998, 938 DRAGON). Die Widersprechende hat allerdings für die Waren
„Arzneimittel, nämlich Vitamine“ eine rechtserhaltende Benutzung in beiden nun-
mehr relevanten Zeiträumen (14. September 1995 bis 14. September 2000 bzw.
Juli 2002 bis Juli 2007) durch Vorlage von eidesstattlichen Versicherungen, Ver-
packungen bzw. Kopien davon, Werbematerial sowie Rechnungen aus dem Zeit-
raum August 2000 bis Juni 2005 hinreichend glaubhaft gemacht.
Bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist daher bei der Widerspruchs-
marke von den Waren „Arzneimittel, nämlich Vitamine“ auszugehen (§ 43 Abs. 1
Satz 3 MarkenG).
Danach können sich die Marken teilweise bei sehr ähnlichen Waren begegnen.
Für die „Nahrungsergänzungsmittel“ der jüngeren Marke sind Vitamine im Waren-
verzeichnis ausdrücklich als Inhaltsstoffe genannt und bei „diätetischen Lebens-
mitteln für medizinische Zwecke“ können Vitamine ebenfalls ein wesentlicher In-
haltsstoff sein. Zudem kann auch die Abgabeform identisch sein. Von den „Arz-
neimitteln, nämlich Vitamine“ der Widerspruchsmarke unterscheiden sich diese
Waren oft nur durch den Anteil der wirksamen Inhaltsstoffe, so dass eine hoch-
gradige Warenähnlichkeit anzunehmen ist. Hinsichtlich der Dienstleistungen „Be-
ratung auf ernährungswissenschaftlichem Gebiet“ der angegriffenen Marke liegt
eine Ähnlichkeit zu den Waren der Widerspruchsmarke vor, da sich diese Waren
und Dienstleistungen ergänzen und ein enger Bezug zwischen ihnen besteht. Die
Einnahme von Arzneimitteln kann einen Einfluss auf die Ernährungsgewohnheiten
haben oder eine besondere Ernährung erfordern. Auch kann die Ernährung durch
die Einnahme von Arzneimittel beeinflusst werden. Beratungen auf ernährungs-
wissenschaftlichem Gebiet können daher den Bereich der Arzneimittel tangieren
wie auch die Wirksamkeit von Arzneimitteln durch Hinweise auf eine zusätzliche
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gesunde bzw. für das jeweilige Leiden angemessene Ernährung erhöht werden
kann.
Die Marken können sich bei Laien begegnen, so dass die allgemeinen Verkehrs-
kreise zu berücksichtigen sind, die allerdings auf gesundheitlichem Gebiet eine
größerer Sorgfalt walten lassen als bei vielen anderen Produkten des täglichen
Lebens. Hinzu kommt, dass nicht nur auf die flüchtige Wahrnehmung abzustellen
ist, sondern auf den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständi-
gen Durchschnittsverbraucher der jeweiligen Waren (Ströbele/Hacker, Markenge-
setz, 8. Aufl., § 9 Rdn. 113).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Widerspruchsmarke wegen der beschrei-
benden Einzelelemente nur eine geringe Kennzeichnungskraft aufweist. Die Kom-
bination zweier beschreibender Angaben führt noch nicht zwangsläufig zu einer
wesentlichen Kennzeichnungsschwäche. Die Kennzeichnungskraft der Wider-
spruchsmarke mag trotz der beschreibenden bzw. kennzeichnungsschwachen
Einzelbestandteile „Vita“= Leben und „zell“ = Zelle noch durchschnittlich sein,
wenn auch der Hinweis auf vitale Zellen recht nahe liegt. Selbst wenn die Wider-
spruchsmarke in der Gesamtheit weder unmittelbar beschreibend noch verbraucht
sein und allenfalls andeuten sollte, dass die Lebenskraft der Zellen gestärkt bzw.
unterstützt wird, ohne dies unmittelbar zu beschreiben, läge die Kennzeichnungs-
kraft der Widerspruchsmarke eher im unteren Bereich durchschnittlicher Kenn-
zeichnungskraft.
Die Marken sind jedoch nicht so ähnlich, dass selbst bei erheblicher Warenähn-
lichkeit und durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke noch
mit erheblichen Verwechslungen zu rechnen wäre.
Bei der Prüfung der Ähnlichkeit der sich gegenüber stehenden Marken kommt es
maßgeblich auf den Gesamteindruck der Zeichen an (Ströbele/Hacker, Markenge-
setz, 8. Aufl., § 9 Rdn. 111). Klanglich sind die Zeichen hinreichend verschieden,
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da die in klanglicher Hinsicht identische Endung „zell/cell“ als beschreibender
Hinweis auf „Zelle“ so schwach ist, dass der Verkehr auf die Unterschiede in den
Silben „Vita“ und „Vera“ der sich gegenüberstehenden Zeichen besonders achtet
und diese im Gesamtklangbild nicht untergehen. Hinzu kommt, dass der Verkehr
den Wortanfängen gegenüber den Wortenden erfahrungsgemäß ohnehin mehr
Beachtung schenkt. Die Marken weisen Unterschiede im Vokal der ersten Silbe
auf, wenn auch „e“ und „i“ beides hellklingende Vokale sind. In den Anlauten der
Mittelsilbe bewirken die unterschiedlichen Konsonanten ein deutlich unterschiedli-
ches Klangbild. Während bei der angegriffenen Marke das „r“ besonders weich
klingt, ist der Konsonant „t“ hart. Die Unterschiede in den sich gegenüberstehen-
den Marken sind insgesamt nicht zu überhören und wegen des deutlich unter-
schiedlichen Klangcharakters der Anfangsbestandteile leicht erinnerbar. Hinzu
kommt, dass insbesondere „Vita“ (Leben) einen Sinngehalt aufweist, der Ver-
wechslungen zusätzlich entgegenwirkt, da die vorhandenen Unterschiede der
Marken dadurch noch leichter erkannt und behalten werden. Ob der Anfangsbe-
standteil „Vera“ der angegriffenen Marke innerhalb der gesamten Widerspruchs-
marke als Vorname angesehen wird, wie die Inhaberin der angegriffenen Marke
vor der Markenstelle meinte, kann insoweit dahingestellt bleiben.
Schriftbildlich sind drei von sieben Buchstaben verschieden, wobei insbesondere
die Oberlänge des Buchstabens „t“ der Widerspruchsmarke sehr markant ist, so
dass auch in dieser Hinsicht nicht mit Verwechslungen zu rechnen ist. Berücksich-
tigt man zusätzlich, dass das Schriftbild von Marken erfahrungsgemäß eine ge-
nauere und in der Regel sogar wiederholte Wahrnehmung der Bezeichnung ges-
tattet als das schnell verklingende gesprochene Wort (Ströbele/Hacker, MarkenG,
8. Aufl., § 9 Rdn. 143), so scheidet eine schriftbildliche Verwechslungsgefahr in
jeder Hinsicht aus.
Eine begriffliche Ähnlichkeit ist ebenfalls nicht ersichtlich.
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Im Ergebnis sind die Vergleichsmarken daher ihrem Gesamteindruck nach hinrei-
chend verschieden, so dass eine Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2
MarkenG zu verneinen ist.
Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die sich gegenüber stehenden Mar-
ken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden. Der Verkehr wird die
angegriffene Marke nicht als Serienzeichen der Widersprechenden ansehen, da
die zudem nur klanglich identischen Bestandteile „cell“/“Zell“ als beschreibende
Hinweise auf „Zelle“ nicht geeignet sind, als Stammbestandteil einer Zeichenserie
der Widersprechenden zu wirken.
Die Beschwerde der Widersprechenden hat daher keinen Erfolg.
Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlass,
§ 71 Abs. 1 MarkenG.
Kliems Merzbach
Bayer
Pr