Urteil des BPatG vom 01.10.2002

BPatG: begleitende marke, kennzeichnungskraft, verkehr, wortmarke, verbraucher, eugh, stoff, gesamteindruck, verwechslungsgefahr, bekleidung

BUNDESPATENTGERICHT
27 W (pat) 121/01
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
1. Oktober 2002
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
BPatG 154
6.70
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betreffend die Marke 398 19 732
hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die
mündliche Verhandlung vom 1. Oktober 2002 unter Mitwirkung der Vorsitzenden
Richterin Dr.
Schermer sowie der Richterin Friehe-Wich und des Richters
Dr. van Raden
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Gegen die Eintragung der Wortmarke
POLTECH
für "Bekleidungsstücke, nämlich Sportbekleidung, insbesondere Skibekleidung,
Freizeitkleidung für Damen, Herren und Kinder aus gewebter, gestrickter, gewirk-
ter oder Vlies-Struktur, Kopfbedeckungen, Sportschuhe" ist Widerspruch eingelegt
aus der prioritätsälteren Wortmarke 1 173 665
POLARTEK
sowie aus der prioritätsälteren Marke 2 053 528
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jeweils eingetragen für "Stoffe für die Herstellung von Bekleidung".
Die Markenstelle für Klasse 25 hat durch Beschluß eines Beamten des höheren
Dienstes die Widersprüche zurückgewiesen. Unabhängig von der Frage der Ähn-
lichkeit der jeweils erfassten Waren und auch bei Berücksichtigung einer von der
Widersprechenden geltend gemachten erhöhten Kennzeichnungskraft der Wider-
spruchsmarken halte die jüngere Marke im Gesamteindruck einen ausreichenden
Abstand zu diesen ein. Die jeweiligen Unterschiede in der Vokalfolge und auf-
grund der zusätzlichen Silbe in den Widerspruchsmarken träten so klar hervor,
dass sie auch bei flüchtiger Wahrnehmung eine hinreichend sichere Abgrenzung
ermöglichten, zumal die jeweils letzte Silbe der Markenwörter als Hinweis auf
"Technik" ein besonders häufig verwendeter Markenbestandteil sei.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Zutreffend sei,
dass die weitgehend übereinstimmenden Endsilben der einander gegenüberste-
henden Markenwörter aufgrund ihrer vielfachen Verwendung als Hinweis auf
Technik nicht ausreichend seien, Verwechslungsgefahr zu begründen. Die Mar-
kenelemente "POLAR" bzw "POL" stellten jedoch identische Begriffe dar, da "PO-
LAR" nur das Adjektiv zu "POL" sei. In ihrer Gesamtheit seien die einander gegen-
überstehenden Marken daher nahezu identisch, zumal die mittlere Silbe in den Wi-
derspruchsmarke bei flüchtiger Sprechweise verschluckt oder unbetont gespro-
chen werde, so dass die jüngere Marke für eine Abwandlung der Widerspruchs-
marken, bei denen es sich um bekannte Marken handele, gehalten werde.
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Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat sich im Beschwerdeverfahren nicht ge-
äußert.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Denn die jüngere Marke hält
zu den Widerspruchsmarke einen die Gefahr von Verwechslungen mit ausreichen-
der Sicherheit ausschließenden Abstand ein, so dass die Voraussetzungen des
§ 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG nicht vorliegen.
Die Gefahr von Verwechslungen ist von mehreren Komponenten abhängig, die
miteinander in Wechselbeziehung stehen, und zwar insbesondere von der Ähn-
lichkeit oder Identität der Marken, der Ähnlichkeit oder Identität der von ihnen er-
faßten Waren und der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke (EuGH
GRUR 1998, 922, 923 – Canon; MarkenR 1999, 236, 239 – Lloyd/Loints), wobei
bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Marken auf einen durchschnittlich infor-
mierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen
ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der betreffenden Waren unterschiedlich
hoch sein kann (EuGH MarkenR 1999 aaO, RdNr 26).
Zwischen den einander gegenüberstehenden Bekleidungsstücken einerseits und
Stoffen für die Herstellung von Bekleidungsstücken andererseits besteht eine sog
mittelbare Warenähnlichkeit im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG. Denn bei Be-
kleidungsstücken, insbesondere bei der hier beanspruchten Sportbekleidung, bei
der besonders häufig mit dem Vorliegen besonderer Materialeigenschaften gewor-
ben wird, ist für die angesprochenen Verkehrskreise auch von wesentlicher Be-
deutung, aus welchem Stoff diese gefertigt sind. Deshalb sind fertige Kleidungs-
stücke häufig nicht nur mit der Marke des Bekleidungsherstellers, sondern auch
mit der Marke des zur Herstellung verwendeten Stoffes als sog begleitende Marke
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versehen, wie dies auch die von der Widersprechenden im Verfahren vor der Mar-
kenstelle vorgelegten Benutzungsbeispiele aus Katalogen zeigen.
Allerdings ist bei der Bestimmung des Grads der Ähnlichkeit zwischen den einan-
der gegenüberstehenden Waren zu berücksichtigen, dass der Verkehr in Fällen
der mittelbaren Warenähnlichkeit weiß, dass die Marke ein Vorprodukt kennzeich-
net und daher nicht auf den Geschäftsbetrieb der Fertigware hinweist (vgl Altham-
mer/Ströbele, Markengesetz, 6. Auflage, § 9 RdNr 71); es ist ihm also bekannt,
dass regelmäßig der Stoff aus einem anderen Unternehmen kommt als das fertige
Sportbekleidungsstück. Auch werden Stoffe und Sportbekleidung regelmäßig nicht
gemeinsam angeboten. Nach besteht zwischen Stoffen für Bekleidungsstücke und
(fertigen) Sportbekleidungsstücken allenfalls eine mittlere Warenähnlichkeit.
Soweit die Widersprechende eine erhöhte Kennzeichnungskraft der Wider-
spruchsmarken und damit einen weiten Schutzumfang geltend macht und hierzu
im Verfahren vor der Markenstelle Kopien aus Katalogen vorgelegt hat, ist der
diesbezügliche Vortrag von der Inhaberin der angegriffenen Marke im Verfahren
vor der Markenstelle bestritten worden. Da den von der Widersprechenden einge-
reichten Unterlagen nichts Liquides (Umsatzzahlen, Verkehrsbefragung oä) über
den tatsächlichen Benutzungsumfang und die Bekanntheit der Widerspruchsmar-
ken in Deutschland zu entnehmen ist, kann ihnen kein weiterer Schutzumfang zu-
gebilligt werden (vgl BPatG GRUR 1997, 840 - Lindora/Linola).
Im übrigen darf bei der Beurteilung der Kennzeichnungskraft nicht unberücksich-
tigt bleiben, daß sowohl die Wortmarke 1 173 665 "POLARTEK" als auch der die
Wort-Bildmarke 2 053 528 prägende Wortbestandteil "POLARTEC" einen erkenn-
bar beschreibenden Sinngehalt aufweisen. Es wird für den Verbraucher ohne wei-
teres verständlich zum Ausdruck gebracht, daß die betreffenden Stoffe aufgrund
ihrer besonderen technischen Merkmale, zB Ausrüstung mit Microfasern oder -po-
ren, wärmend, winddicht und feuchtigkeitsdurchlässig sind und sich daher für die
Herstellung von Bekleidung für polare Verhältnisse eignen. Da im Textilbereich
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technisch-funktionelle Eigenschaften von Geweben eine vorrangige Rolle spielen,
ist die der Wortbildung "POLARTEC(K)" zukommende Originalität als nicht beson-
ders hoch einzustufen. Selbst wenn also zugunsten der Widersprechenden eine
infolge umfangreicher Benutzung erhöhte Bekanntheit der Widerspruchsmarken
unterstellt wird, deren Grad mangels konkreter Angaben allerdings nicht feststell-
bar ist, könnte dies im Ergebnis nur zu einem Ausgleich der Originalitätsschwäche
und damit zu der Annahme einer etwa normalen Kennzeichnungskraft führen.
Bei (unterstellter) normaler Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken und un-
ter Berücksichtigung der mittleren Warenähnlichkeit hält die jüngere Marke aber
einen ausreichenden Abstand ein, um Verwechslungen in relevantem Umfang
auszuschließen. Aufgrund der fehlenden Mittelsilbe "AR", die in der Wortbil-
dung "POLARTEK" bzw "POLARTEC" klanglich und schriftbildlich deutlich hervor-
tritt, vermittelt die angegriffene Marke "POLTECH" einen deutlich unterschiedli-
chen Gesamteindruck und zwar selbst dann, wenn man davon ausgeht, daß der
Verkehr die geringfügigen Unterschiede der Endungen TECH/TEC(K) vielfach
nicht wahrnimmt. Die außerordentliche Kennzeichnungsschwäche dieses Be-
standteils trägt allerdings dazu bei, daß der Verkehr auf den Wortanfang stärker
achtet und dabei die Kürze der Silbe "POL" im Verhältnis zu "POLAR" um so mehr
bemerkt.
Der Senat vermag auch der Ansicht der Widersprechenden, "POL" und "POLAR"
würden vom Verkehr als identische Begriffe aufgefaßt, nicht zu folgen. Dagegen
spricht, daß Wörter, die sich auf die Pole und ihre Umgebung beziehen, in der Re-
gel mit "Polar-" und nicht mit "Pol-" beginnen, zB Polareis, Polarexpedition, Polar-
fauna, Polarforscher, Polarfront, Polarfuchs, Polargebiet, Polargegend, Polarhund,
Polarkreis, Polarland, Polarlicht, Polarluft, Polarmeer, Polarnacht, Polarstern, Po-
larzone). Das einzige im DUDEN enthaltene Wort, das sich auf den Pol bezieht
und daher mit "Pol-" beginnt, ist der Begriff "Polhöhe", der mit der kalten Umge-
bung der Pole nichts zu tun hat, sondern den Winkel des Himmelspols über dem
Horizont (= geografische Breite) bezeichnet. Für den unbefangenen Verbraucher,
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der in der Regel eine Kennzeichnung nicht näher analysiert, stellt sich "POL-
TECH" daher als Phantasiewort dar, bei dem er in keiner Weise an eine für polare
Kälte geeignete Kleidung denkt.
Selbst wenn ein Teil des Verkehrs "POL" und "POLAR" begrifflich gleichsetzen
sollte, könnte dieser gemeinsame beschreibende Inhalt in Anbetracht der ausrei-
chend deutlichen klanglichen und schriftbildlichen Unterschiede der Marken im
übrigen eine Verwechslungsgefahr nicht begründen (vgl Althammer/Ströbele, aaO,
§ 9 Rdn 112).
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Hinsichtlich der Kosten verbleibt es bei der Regel des § 71 Abs 1 S 2 MarkenG.
Gründe, hiervon abzuweichen, sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.
Dr. Schermer
Richter am Bundespatent-
gericht Dr. van Raden
ist wegen Urlaubs gehin-
dert, zu unterzeichnen.
Dr. Schermer
Friehe-Wich