Urteil des BPatG vom 23.06.2008

BPatG: verwechslungsgefahr, bestandteil, verkehr, ältere marke, kennzeichnungskraft, aufmerksamkeit, gesamteindruck, ware, serie, inhaber

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
30 W (pat) 85/06
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
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betreffend die angegriffene Marke 300 43 562
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 23. Juni 2008 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Vogel
von Falckenstein sowie des Richters Paetzold und der Richterin Hartlieb
beschlossen:
Die Beschwerde des Inhabers der angegriffenen Marke wird zu-
rückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Eingetragen am 8. Dezember 2000 unter der Nummer 300 43 562 – veröffentlicht
am 11. Januar 2001 – u. a. für folgende Waren
Diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Babykost
ist die Marke
„AC-S.“
Widerspruch wurde erhoben gegen die obengenannten Waren aus der älteren,
unter der Nummer 2 914 110 für die Waren
Pharmazeutische Produkte
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eingetragenen Marke
„AC“.
Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Wi-
derspruch zunächst mit Erstprüferbeschluss wegen fehlender Verwechslungsge-
fahr zurückgewiesen. Der Erstprüfer führt hierzu u. a. aus, auch eine mittelbare
Verwechslungsgefahr bestehe nicht, da es neben der Widersprechenden noch
zwei weitere Marken „AC“ gebe und die angesprochenen Verkehrskreise daher
keine Veranlassung hätten, die angegriffene Marke der Widersprechenden zuzu-
ordnen.
Auf die Erinnerung der Widersprechenden wurde der Erstprüferbeschluss aufge-
hoben und die angegriffene Marke für die Waren „diätetische Erzeugnisse für me-
dizinische Zwecke, Babykost“ teilweise gelöscht. Die Erinnerungsprüferin hat hier-
zu ausgeführt, bei durchschnittlicher Kennzeichnungskraft und teils hoher, teils
mittlerer Warenähnlichkeit seien selbst durchschnittliche Anforderungen an den
Markenabstand nicht mehr eingehalten. Unabhängig von der Frage der unmittel-
baren Verwechslungsgefahr bestehe assoziative Verwechslungsgefahr unter dem
Gesichtspunkt der Serienzeichenbildung. Auch wenn für eine Markenserie seitens
der Widersprechenden nicht ausreichend vorgetragen sei, könne sich schon beim
erstmaligen Auftreten einer Marke der Gedanke an eine Serienmarke ergeben.
Gerade die Verbindung einer Einzelmarke mit einem weiteren Bestandteil werde
als Hinweis auf eine Serienmarke verstanden werden, der Bestandteil „AC“ sei
kennzeichnungskräftig und trete auch in der angegriffenen Marke als eigenständi-
ger Bestandteil auf. Es gebe keinen Hinweis auf benutzte Drittzeichen, die dem
Eindruck eines Stammbestandteils entgegenstehen könnten.
Hiergegen wurde seitens des Inhabers der angegriffenen Marke Beschwerde ein-
gelegt und zur Begründung ausgeführt, bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr
seien die verschiedenen Verkehrskreise zu berücksichtigen, da die angegriffene
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Marke an Sportstudios und Kraftsportler vertrieben werde, die Widerspruchsmarke
hingegen in Apotheken verkauft werde. Eine Verwechslungsgefahr unter dem Ge-
sichtspunkt der Serienmarkenbildung bestehe nicht, da die angegriffene Marke
„AC-S.“ eine eigenständige Marke sei und nicht lediglich eine Erweiterung der Wi-
derspruchsmarke. Der Verkehr sehe die angegriffene Marke nicht als Bestandteil
einer Serie der älteren Marke an, da der Punkt nach dem Buchstaben „S“ im
Schriftbild ein Gegengewicht zu dem Bindestrich hinter der Buchstabenkombina-
tion „AC“ setze.
Der Inhaber der angegriffenen Marke beantragt,
den Erinnerungsbeschluss der Markenstelle vom 18. Novem-
ber 2005 aufzuheben und den Widerspruch zurückzuweisen.
Die Widersprechende beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Widersprechende weist darauf hin, dass das Bestehen einer Serie von Marken
mit dem Bestandteil „ac“ amtsbekannt sei und bezieht sich im Wesentlichen auf
die Ausführungen im Erinnerungsbeschluss der Markenstelle.
Ergänzend wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Markenstelle hat nach Auffassung des Senats im Erinnerungsbeschluss die
Gefahr von Verwechslungen zwischen den Marken zutreffend beurteilt und die teil-
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weise Löschung der angegriffenen Marke zu Recht angeordnet, § 9 Absatz 1 Nr. 2
MarkenG.
1. Die Frage der Verwechslungsgefahr ist unter Berücksichtigung aller Umstän-
de, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der
Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren sowie
der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbe-
sondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren
Grad der Ähnlichkeit der Waren ausgeglichen werden kann und umgekehrt (BGH
in st. Rspr., vgl. WRP 2004, 1281 - Mustang; WRP 2004, 907 - Kleiner Feigling;
WRP 2004, 1043 - NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).
Der Senat geht bei seiner Entscheidung mangels anderweitiger Anhaltspunkte von
einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit von einem normalen
Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus. Anhaltspunkte für beschreibende An-
klänge der Buchstabenkombination oder eine Verminderung des Schutzumfangs
sind nicht ersichtlich (vgl. 25 W (pat) 42/95 – AC).
2. Da Benutzungsfragen nicht aufgeworfen sind, ist hinsichtlich der beanspruch-
ten Waren von der Registerlage auszugehen.
Die Vergleichsmarken können wegen des weitreichenden Warenoberbegriffs
„Pharmazeutische Produkte“ im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke zur
Kennzeichnung zum Teil sehr ähnlicher Waren verwendet werden. So können die
Waren der Widerspruchsmarke die von der angegriffenen Marke beanspruchte
Ware „Diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke“ umfassen, so dass sich
hinsichtlich stofflicher Zusammensetzung und Bestimmung enge Berührungspunk-
te ergeben (vgl. Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen,
14. Aufl., S. 238, li. Sp.); hinsichtlich „Babykost“ ist von mittlerer Ähnlichkeit auszu-
gehen (vgl. Richter/Stoppel a. a. O. S. 22, li. Sp.).
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Hinsichtlich der vorliegenden Waren sind allgemeine Verkehrskreise uneinge-
schränkt zu berücksichtigen. Entgegen der Ansicht des Inhabers der angegriffe-
nen Marke ist dabei nicht auf die tatsächliche Verwendung der Marke, sondern auf
die Registerlage abzustellen, nach der keine Einschränkung des Warenverzeich-
nisses vorgenommen wurde. Dabei ist aber grundsätzlich nicht auf einen sich nur
flüchtig mit der Ware befassenden, sondern auf einen durchschnittlich informier-
ten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen, des-
sen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware unterschiedlich hoch sein kann (vgl.
BGH GRUR 2000, 506 - ATTACHÉ/TISSERAND) und der insbesondere allem,
was mit der Gesundheit zusammenhängt, eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizu-
messen pflegt (vgl. BGH GRUR 1995, 50 – Indorektal/Indohexal).
3. Unter Anwendung des hiernach anzulegenden strengen Maßstabs ist ein zur
Vermeidung von Verwechslungen ausreichender Markenabstand nicht mehr ein-
gehalten; dies gilt auch, soweit geringere Anforderungen zu stellen sind.
Die Ähnlichkeit von Wortzeichen ist anhand ihres klanglichen und schriftbildlichen
Eindrucks sowie ihres Sinngehalts zu ermitteln. Dabei kommt es auf den jeweili-
gen Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Zeichen an, der bei mehrglied-
rigen Marken auch durch einzelne Bestandteile geprägt werden kann. Dies ent-
spricht dem Erfahrungssatz, dass der Verkehr Marken regelmäßig in der Form
aufnimmt, in der sie ihm entgegentreten und sie nicht einer analysierenden, zer-
gliedernden, möglichen Bestandteilen und deren Bedeutung nachgehenden Be-
trachtung unterzieht (vgl. BGH a. a. O. - NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).
a) In ihrer Gesamtheit unterscheiden sich die Vergleichsmarken klar und unver-
wechselbar in allen für die Beurteilung des Gesamteindrucks wesentlichen Krite-
rien. Auch wenn die ältere einteilige Marke „AC“ identisch in der jüngeren mehrtei-
ligen Marke enthalten ist, bestehen auf Grund des weiteren Elements „-S.“ sowohl
klangliche wie schriftbildliche Unterschiede, die ausreichen, um auch für Durch-
schnittsverbraucher eine unmittelbare Verwechslungsgefahr zu verneinen.
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Eine Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt, dass der in den Vergleichs-
marken identische Bestandteil „AC“ in der angegriffenen Marke allein kollisionsbe-
gründend prägen würde, kommt nicht in Betracht. Es handelt sich um eine mehr-
teilige Marke, die nur in ihrer Gesamtheit zu würdigen ist, da nicht ersichtlich ist,
dass der weitere mit Bindestrich verbundene Bestandteil „S.“ in einer Weise zu-
rücktritt, dass er für den Gesamteindruck vernachlässigt werden kann (vgl. BGH
GRUR 2004, 856, 866 - Mustang). Auch beschreibende oder kennzeichnungs-
schwache Bestandteile sind jedenfalls für den Gesamteindruck mitzuberücksichti-
gen (vgl. BGH a. a. O. - NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).
b) Allerdings ist die Gefahr gegeben, dass die Marken gedanklich miteinander in
Verbindung gebracht werden. Mittelbare Verwechslungsgefahr besteht, wenn die
beteiligten Verkehrskreise zwar die Unterschiede zwischen den Vergleichsmarken
erkennen und insoweit keinen unmittelbaren Verwechslungen unterliegen, gleich-
wohl aber einen in beiden Marken übereinstimmend enthaltenen Bestandteil als
Stammzeichen des Inhabers der älteren Marke werten, diesem Stammbestandteil
also für sich schon die maßgebliche Herkunftsfunktion beimessen und deshalb die
übrigen abweichenden Markenteile nur noch als Kennzeichen für bestimmte Wa-
ren aus dem Geschäftsbetrieb des Inhabers der älteren Marke ansehen (vgl. BGH
GRUR 2002, 544, 547 - BANK 24; Ströbele/Hacker MarkenG, 8. Aufl., § 9
Rdn. 318 ff. m. w. N.). Dem übereinstimmenden Stammbestandteil kommt insbe-
sondere dann ein Hinweischarakter auf den Inhaber der älteren Marke zu, wenn
der Markeninhaber im Verkehr bereits mit dem entsprechenden Wortstamm als
Bestandteil mehrerer eigener, entsprechend gebildeter Serienmarken aufgetreten
ist.
Dabei ist es allerdings auch nicht ausgeschlossen, dass aufgrund besonderer po-
sitiver Umstände für den Verkehr schon beim erstmaligen Auftritt einer Marke der
Gedanke nahe liegen kann, einer Serienmarke zu begegnen. So wird die Annah-
me eines Stammbestandteils von Serienmarken insbesondere nahegelegt durch
den Umstand, dass er u. a. als Firmenkennzeichnung verwendet wird (vgl. BGH,
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GRUR 1989, 350 - Abbo/Abo; Ströbele/Hacker a. a. O. § 9 Rdn. 323 m. w. N.).
Auch die Art der abweichenden Markenbestandteile kann die Aufmerksamkeit des
Verkehrs besonders auf den gemeinsamen Stammbestandteil lenken und damit
für den Verkehr eine gedankliche Verbindung der Zeichen nahelegen, wie bei-
spielsweise im Pharmabereich das Hinzufügen beschreibender Bestandteile, die
einen Hinweis auf Indikation, Anwendung oder Wirkweise geben (vgl.
25 W (pat) 212/03 - Colonipent/Nipent). In Wortverbindungen wird in der Regel
das vorangestellte Element den Eindruck eines Stammbestandteils hervorrufen
(vgl. Ströbele/Hacker a. a. O. § 9 Rdn. 332 m. w. N.).
Auch wenn an eine infolge dieser Umstände anzunehmende Verwechslungsge-
fahr strengere Anforderungen zu stellen sind, hält der Senat einen solchen Aus-
nahmefall hier für gegeben.
Wie aus der dem Beschluss des Erstprüfers beigefügten Anlage 3 ersichtlich, sind
die Widersprechende und ihr Vertriebsunternehmen Inhaber einer Reihe von Mar-
ken, die mit dem vorangestellten Bestandteil „ac“ und einem nachfolgenden Be-
standteil mit teils deutlich beschreibendem Gehalt hinsichtlich Wirkstoff oder An-
wendungsgebiet gebildet sind, beispielweise die Marken Nr. 1 134 450 „ac-anti-
bac“, Nr. 2 102 223 „ac-vent“, Nr. 2 105 276 „ac-dermin“, Nr. 2 106 034 „ac-card“,
Nr. 2 106 130 „ac-med“, Nr. 2 106 385 „AC-FÜNF“, Nr. 397 070 810 „ac-2000“. Es
lässt sich daraus zumindest erkennen, dass die Widerspruchsmarke die Grundla-
ge ist für eine Serie eingetragener Marken der Widersprechenden, die sämtlich
nach der gleichen Struktur gebildet sind.
Zudem liegen weitere besondere Umstände vor, die hinreichende Anhaltspunkte
dafür geben, dass der Verkehr die Zeichen gedanklich miteinander in Verbindung
bringen wird.
So handelt es sich bei der Bezeichnung „AC“ um einen wesentlichen, namensge-
benden Firmenbestandteil der Widersprechenden, der „a… AG“.
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Die jüngere Marke ist in der Art einer Serienmarke gebildet. Dem Firmenbestand-
teil „AC“ der Widersprechenden ist in der jüngeren Marke als weiteres Element der
mit einem Punkt versehene Buchstabe „S“ angefügt, der zwar für die von der jün-
geren Marke beanspruchten Waren keine offensichtlich beschreibende Bedeutung
hat, aber als Bezeichnung im Sinn einer zusätzlichen, neuen Version bzw. Varian-
te eines eingeführten Produkts verstanden werden kann. Begegnet dem Durch-
schnittsverbraucher, der die Hersteller und ihre Bezeichnungsgewohnheiten im
Arzneimittel- und Gesundheitsbereich insbesondere von Generika kennt, die ältere
Marke in einer Wortverbindung mit einem solchen beschreibenden Zusatz, ist für
ihn daher die Vermutung nahegelegt, es handele sich auch bei der erweiterten Be-
zeichnung um eine Marke der Widersprechenden, die ein weiteres Mittel der Wi-
dersprechenden kennzeichnet, das beispielsweise als Sonderpackung, in einer
Spezialausführung oder mit einer Superwirksamkeit angeboten wird. Die Verwen-
dung des Punktes hinter dem Buchstaben „S“ hindert dieses Verständnis nicht, da
der Verkehr diese Darstellung entweder als werbeübliche Ausgestaltung oder als
Abkürzungszeichen auffassen wird.
Im Hinblick auf die enge bzw. mittlere Warenähnlichkeit und unter Berücksichti-
gung der Wechselwirkung der Waren- und Markenähnlichkeit sowie der Kenn-
zeichnungskraft der älteren Marke, die bei der Prüfung der assoziativen Ver-
wechslungsgefahr ebenfalls zu berücksichtigen ist (vgl. BGH MarkenR 1999, 154
- Cefallone), besteht daher die Gefahr, dass der angesprochene Verkehr die ange-
griffene Marke als weiteres Kennzeichen aus dem Geschäftsbetrieb der Wider-
sprechenden ansehen und assoziativ verwechseln wird.
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Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bietet der Streitfall keinen An-
lass (§ 71 Abs. 1 MarkenG).
Dr. Vogel von Falckenstein
Paetzold
Hartlieb
Ko