Urteil des BPatG vom 14.09.2005

BPatG: telekommunikation, direct banking, unterscheidungskraft, verkehr, vermietung, eugh, zeitung, hardware, internet, begriff

BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
29 W (pat) 109/04
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
14. September 2005
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung 303 55 330.8
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts aufgrund
der mündlichen Verhandlung vom 14. September 2005 unter Mitwirkung der Vor-
sitzenden Richterin Grabrucker, des Richters Baumgärtner und der Richterin
Dr. Mittenberger-Huber
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beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Die Wortmarke Nr 303 55 330
directVPN
soll für Waren und Dienstleistungen der
Klasse 9: Elektrische, elektronische, optische Mess-, Signal-,
Kontroll- oder Unterrichtsapparate und -instrumente
(soweit in Klasse 9 enthalten); Apparate zur Aufzeich-
nung, Übertragung, Verarbeitung und Wiedergabe von
Ton, Bild oder Daten; maschinenlesbare Datenauf-
zeichnungsträger; Verkaufsautomaten und Mechani-
ken für geldbetätigte Apparate; Datenverarbeitungsge-
räte und Computer;
Klasse
16:
Druckereierzeugnisse, insbesondere bedruckte
und/oder geprägte Karten aus Karton oder Plastik;
Lehr- und Unterrichtsmittel (ausgenommen Apparate);
Büroartikel (ausgenommen Möbel);
Klasse 35: Werbung und Geschäftsführung;
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Klasse 36: Finanzwesen; Immobilienwesen;
Klasse 38: Telekommunikation; Betreiben und Vermietung von
Einrichtungen für die Telekommunikation, insbeson-
dere für Funk und Fernsehen;
Klasse 42: Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitung;
Dienstleistungen einer Datenbank, nämlich Vermie-
tung der Zugriffszeiten zu und den Betrieb von Daten-
banken, sowie Sammeln und Liefern von Daten,
Nachrichten und Informationen; Vermietung von Da-
tenverarbeitungseinrichtungen und Computern; Pro-
jektierung und Planung von Einrichtungen für die Te-
lekommunikation
in das Markenregister eingetragen werden.
Die Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die
Anmeldung mit Beschluss vom 6. Februar 2004 teilweise zurückgewiesen. Die
Zurückweisung erfolgte wegen fehlender Unterscheidungskraft und eines beste-
henden Freihaltebedürfnisses hinsichtlich der Waren und Dienstleistungen „elek-
trische, elektronische, optische Mess-, Signal-, Kontroll- oder Unterrichtsapparate
und -instrumente (soweit in Klasse 9 enthalten); Apparate zur Aufzeichnung,
Übertragung, Verarbeitung und Wiedergabe von Ton, Bild oder Daten; maschi-
nenlesbare Datenaufzeichnungsträger; Datenverarbeitungsgeräte und Computer;
Druckereierzeugnisse, insbesondere bedruckte und/oder geprägte Karten aus
Karton oder Plastik; Lehr- und Unterrichtsmittel (ausgenommen Apparate); Tele-
kommunikation; Betreiben und Vermietung von Einrichtungen für die Telekommu-
nikation, insbesondere für Funk und Fernsehen; Erstellen von Programmen für die
Datenverarbeitung; Dienstleistungen einer Datenbank, nämlich Vermietung der
Zugriffszeiten zu und den Betrieb von Datenbanken, sowie Sammeln und Liefern
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von Daten, Nachrichten und Informationen; Vermietung von Datenverarbeitungs-
einrichtungen und Computern; Projektierung und Planung von Einrichtungen für
die Telekommunikation“.
Bei dem angemeldeten Zeichen handle es sich um die - den Gepflogenheiten der
internetspezifischen Fachterminologie folgende - Kombination aus „direct“ und
dem Kürzel „VPN“, das für „Virtual Private Network“ stehe. Dieses „virtuelle private
Netzwerk“ sei eine im Fachjargon gängige Umschreibung für die Verbindung von
externen Partnern an mehreren Standorten über das kostengünstige Trägerme-
dium Internet. Mit dieser Bedeutung werde das Zeichen auch beschreibend ver-
wendet. Die Schutzunfähigkeit werde im Hinblick auf die zurückgewiesenen Wa-
ren und Dienstleistungen auch nicht durch den vorangestellten Bestandteil „direct“
ausgeräumt. Dieses Wortelement zähle ebenfalls zum Wortschatz der Bezugs-
sprache, bedeute lediglich „direkt, unmittelbar, ohne Störung“ und sei ohne weite-
res in diesem Zusammenhang verständlich und aus einschlägigen Zusammenset-
zungen im IT-Bereich bekannt.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde vom 17.3.2004 (Bl 8 ff d. A.) trägt die
Anmelderin vor, dass dem angemeldeten Zeichen die erforderliche Unterschei-
dungskraft zukomme, da es vom Verkehr nicht als beschreibende Sachangabe
aufgefasst werde. Nur Fachkräfte könnten von der Abkürzung „VPN“ auf „Virtual
Private Network“ schließen und zugleich der Angabe die richtige Bedeutung bei-
messen. Der Begriff „direct“ könne nicht dem Grundwortschatz zugeordnet wer-
den, da er vielfache Übersetzungsmöglichkeiten aufzeige und deshalb mehrdeutig
sei, so dass sich die Bedeutung dieser fremdsprachlichen Bezeichnung für die
angesprochenen Verkehrskreise nicht unmittelbar erschließe.
Gegen ein Freihaltebedürfnis führt die Anmelderin an, dass zwischen dem Zei-
chenwort und den zurückgewiesenen Waren und Dienstleistungen lediglich ein
mittelbarer Sachzusammenhang bestehe, der für die Bejahung des Freihaltebe-
dürfnisses nicht genüge.
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Die Anmelderin beantragt daher (Bl 5 d. A.),
den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom
6. Februar 2004 aufzuheben.
II.
Die Beschwerde ist gemß §§ 165 Abs. 4, 66 Abs 1 und 2 MarkenG zulässig, aber
nicht begründet. Der Eintragung des angemeldeten Zeichens steht das Eintra-
gungshindernis der fehlenden Unterscheidungskraft gemäß §
8 Abs
2 Nr
1
MarkenG entgegen, außerdem besteht ein Freihaltebedürfnis gemäß § 8 Abs 2
Nr 2 MarkenG.
1. Unterscheidungskraft
im
Sinne dieser Vorschrift ist die einer Marke innewoh-
nende konkrete Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel für die von der
Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber
solchen anderer Unternehmen aufgefasst zu werden. Die Hauptfunktion der Marke
besteht nämlich darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und
Dienstleistungen zu gewährleisten (stRspr; EuGH GRUR 2004, 1027 - Rn 42 ff
- DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT; BGH GRUR 2005, 257 – Bürogebäude;
GRUR 2003, 1050 – Cityservice; BGH GRUR 2001, 1153 – antiKALK). Kann ei-
nem Zeichen für die in Frage stehenden Waren und Dienstleistungen ein im Vor-
dergrund stehender beschreibender Begriffsinhalt zugeordnet werden, oder han-
delt es sich auch sonst um eine verständliche Wortfolge der deutschen oder einer
geläufigen Fremdsprache, die vom Verkehr - etwa auch wegen einer entspre-
chenden Verwendung in der Werbung - stets nur als solche und nicht als Unter-
scheidungsmittel verstanden wird, so fehlt ihm die Unterscheidungskraft (BGH
GRUR 2001, 1153, 1154 – antiKALK; BGH WRP 2001, 1082, 1083 – marktfrisch;
BGH GRUR 2001, 1043 – Gute Zeiten - Schlechte Zeiten; BGH GRUR 2001, 1042
– REICH UND SCHOEN; BGH BlfPMZ 2001, 398 – LOOK, BGH WRP 2002,
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1073, 1074, 1075 – BONUS II). Die Unterscheidungskraft ist dabei zum einen im
Hinblick auf die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen und zum anderen im
Hinblick auf die beteiligten Verkehrskreise zu beurteilen, wobei auf die mutmaßli-
che Wahrnehmung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und ver-
ständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen
abzustellen ist (EuGH MarkenR 2003, 187, 190 Rn. 41 – Linde ua; MarkenR 2004,
116, 120 Rn 50 – Waschmittelflasche).
Nach diesen Grundsätzen verfügt die Wortfolge hinsichtlich der zurückgewiesenen
Waren und Dienstleistungen nicht über die erforderliche Unterscheidungskraft.
1.1. Das angemeldete Zeichen setzt sich aus den Bestandteilen „direct“ und
„VPN“ zusammen.
1.1.1. Der Begriff „direct“ gehört zum englischen Grundwortschatz und heißt „di-
rekt, unmittelbar“ (Collins, Globalwörterbuch Englisch, 2001, Band 1, S 326). Er
wird vom Verkehr bereits aufgrund der Ähnlichkeit zum deutschen Wort richtig er-
kannt. Hinzu kommt, dass die angesprochenen Verkehrskreise aufgrund der Üb-
lichkeit der englischen Sprache in Medien, Telekommunikation und Internet auch
andere ebenfalls mit „direct“ gebildete Begriffe kennen, wie zB „direct access“,
„direct marketing“, „Direct Mailing“ (Form der Direktwerbung, bei der Werbemate-
rial - Briefumschlag und Prospekt mit Rückantwortkarte - an eine bestimmte Ziel-
gruppe geschickt wird; Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 4. Aufl 2001,
CD-ROM), „DirectPrint” (Verfahren, bei dem durch digitalen und direkten Druck auf
bestimmte Materialien Zeit- und Kostenaufwand für Siebdruck gespart werden;
Süddeutsche Zeitung Nr 177, 2.8.2002, S 40); „DirectLine“ (Gebührentarif für
günstige Telefongespräche; Süddeutsche Zeitung Nr 36, 13.2.1998, S 32), „Di-
rect-Broker“ (Süddeutsche Zeitung Nr 269, 22.11.2001, S 30) und „Direct-Banking“
(Süddeutsche Zeitung Nr 126, 3.6.1995, S 24).
Auf weitere Begriffsinhalte des englischen Wortes „direct“ im Sinne von „offen,
glatt“ (Collins, aaO) kommt es bei dieser Recherchelage nicht an. Die möglichen
weiteren Bedeutungen des Wortes stehen der Annahme einer beschreibenden
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Verwendung in einem ihrer Bedeutungsgehalte nicht entgegen (EuGH MarkenR
2004, 111, 115 - Rn 38; MarkenR 2004, 99, 109 - Rn 97 – Postkantoor).
1.1.2. „VPN“ ist das Akronym für „Virtual Private Network“. Ein VPN ist ein priva-
tes Netzwerk, bei dem die zu vernetzenden Standorte über die Ortsvermitt-
lungsstellen eines öffentlichen Netzes zu einer Art Extranetz verbunden werden.
Der Datenaustausch in einem VPN erfolgt in verschlüsselter Form. Als Trägerme-
dium für das Versenden von Daten dient dabei ua das Internet, da dadurch kos-
tengünstig von unterschiedlichen Standorten über öffentliche Leitungen Daten
zwischen externen Partnern versandt werden können, für die andernfalls ein eige-
nes Netz errichtet werden müsste. Das vorangestellte Wortelement „direct“ ak-
zentuiert insoweit nur die Sachaussage, die sich bereits aus dem Begriff „Virtual
Private Network“ ergibt. Darüber hinaus kennt der Verkehr auch hier Zusammen-
setzungen wie zB VPN-Gateway, VPN-Geräte und VPN-Client.
1.2. Einer
aus
englischen Begriffen gebildeten Kombinationsmarke kann auch
im deutschen Sprachraum, die Unterscheidungskraft fehlen (EuGH, GRUR 2003,
58, 60 Rn 23, 40 - Companyline), denn im Bereich der Telekommunikation und
der Informationstechnologie ist Englisch die vorherrschende Sprache. Die Summe
der Wortbestandteile ist dabei als Gesamtzeichen nicht so verschieden von der
Bedeutung der einzelnen Wortbestandteile, dass man dem Zeichen insgesamt
eine neue, nicht beschreibende Bedeutung entnehmen könnte. Die bloße
Aneinanderreihung beschreibender Bestandteile ohne ungewöhnliche Verände-
rung, insbesondere syntaktischer oder semantischer Natur, führt daher nur zu
einem Gesamtzeichen, das seinerseits ausschließlich aus einer unmittelbar
verständlichen, im Vordergrund stehenden Sachaussage besteht oder
beschreibend ist (EuGH MarkenR 2004, 111, 115 - Rn 39 – BIOMILD). Es spielt
dabei im übrigen auch keine Rolle, dass eine konkret angemeldete Wortzu-
sammensetzung lexikalisch nicht nachweisbar ist, da das Verständnis einer Wort-
verbindung nicht davon abhängt, dass sie in einem Wörterbuch verzeichnet ist
(vgl EuGH GRUR Int 2004, 410 – BIOMILD; BGH WRP 2002, 982, 984 – FRÜH-
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STÜCKS-DRINK I). Maßgeblich ist allein, ob sie das Publikum - wie vorliegend –
als sachbeschreibenden Hinweis sieht.
1.3. Im Hinblick auf die Dienstleistungen der Klasse 38 und 42, mithin in dem
spezifischen Segment, das sich mit Informationstechnologie und Telekommunika-
tion beschäftigt, ist das angemeldete Zeichen beschreibend, da der angespro-
chene Verkehrskreis darin nichts anderes sieht, als die direkte und kostengünstige
Vernetzung unterschiedlicher Standorte über ein öffentliches Netz.
Dies bedingt auch die häufige Beschäftigung der fachspezifischen Literatur mit
dem Phänomen „VPN“. Bereits die Markenstelle hatte in ihrem Beschluss vom
6.2.2004 auf 26 Fachliteraturbeiträge in der Zeitschrift c’t hingewiesen. Die Ausei-
nandersetzung mit den Problemen und Vorzügen des VPN hat insoweit nicht
nachgelassen (Zeitschrift c’t 16/2005, S 173: Johannes Endres, Outlook Express
trennt VPN; c’t 09/2005, S 194: Stephan Scholz, Öffentliche Verschluss-Sache
OpenVPN für Linux-Server und Windows-Clients; c’t 05/2005, S 208: Jürgen
Schmidt, Der Schlüsselmeister Virtual Private Network mit IPCop).
Für die in Klasse 16 zurückgewiesenen Waren „Druckereierzeugnisse, Lehr- und
Unterrichtsmittel“ eignet sich das Zeichen daher als Titel oder ist Inhaltsangabe
einer entsprechenden Veröffentlichung. Der Verkehr wird darin nicht den Hinweis
auf ein bestimmtes Unternehmen sehen.
Für die zurückgewiesenen Waren der Klasse 9 ist das Zeichen zwar keine Sach-
angabe im Sinn von § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG, da „directVPN“ die Software und
nicht die Hardware beschreibt. Zwischen Software und Hardware besteht aller-
dings ein enger funktioneller Zusammenhang, da eine gewisse Kompatibilität zwi-
schen Gerät und virtuellem Netzwerk bestehen muss. Dies ergibt sich zB aus dem
Aufsatz „VPN-sicher getunnelt“ (IVVinternet CeBiT.2004, S 74), der die technische
Komplexität der Einrichtung eines derartigen VPN mit den Worten „Zudem muss
auch die Hardware mitspielen oder zumindest entsprechend konfiguriert sein.
…“
aufzeigt. Dies führt dazu, dass das Publikum auch insoweit nur den
beschreibenden Hinweis und nicht den Unternehmenshinweis erkennt.
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Da der Verkehr daran gewöhnt ist, ständig mit neuen Begriffen konfrontiert zu
werden und derartige Zusammensetzungen mit „direct“ sprachüblich und leicht
verständlich sind, ist die angemeldete Marke wegen ihres sofort erfassbaren, im
Vordergrund stehenden sachbezogenen Begriffsinhalts im Hinblick auf die bean-
spruchten Waren und Dienstleistungen nicht als individualisierender Hinweis auf
einen bestimmten Geschäftsbetrieb geeignet und nach § 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
von der Eintragung ausgeschlossen.
2. Aufgrund der enormen Geschwindigkeit der multimedialen Kommunikation
und des beschreibenden Begriffsinhalts des Zeichenwortes kann dieses zumin-
dest zukünftig im Sinn von § 8 Abs 2 S 2 MarkenG zur Bezeichnung von Art oder
Beschaffenheit der beantragten Waren und Dienstleistungen dienen. Deshalb ist
die Monopolisierung des Begriffs zugunsten der Mitbewerber zu verhindern. Das
angemeldete Zeichen ist damit auch freihaltebedürftig.
Grabrucker Baumgärtner
Dr. Mittenberger-Huber
Cl