Urteil des BPatG vom 04.04.2000

BPatG: stand der technik, lsi, computer, unterscheidungskraft, marke, freihaltebedürfnis, forschung, datenverarbeitung, integration, patent

BUNDESPATENTGERICHT
27 W (pat) 185/99
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
4. April 2000
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung 398 60 184.4
hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die
mündliche Verhandlung vom 4. April 2000 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dipl.-Ing. Hellebrand, des Richters Viereck und der Richterin Friehe-Wich
BPatG 154
6.70
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beschlossen:
Auf die Beschwerde wird der Beschluß der Markenstelle für Klas-
se 9 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. Mai 1999 in-
soweit aufgehoben, als die Anmeldung für folgende Waren und
Dienstleistungen zurückgewiesen wurde: "Computerprogramme,
Datenbanken; Druckereierzeugnisse; wissenschaftliche und indu-
strielle Forschung, Erstellen von Programmen für die Datenverar-
beitung."
G r ü n d e
I
Die Buchstabenfolge "LSI" soll Schutz als Marke erhalten. Das Verzeichnis der
Waren und Dienstleistungen lautete zunächst wie folgt:
"Datenverarbeitungsgeräte, Computer, Computerprogramme, Da-
tenbanken; Druckereierzeugnisse; wissenschaftliche und indu-
strielle Forschung, Durchführung von Computerrecherchen auf
dem Gebiet der Chemie, Biologie und Pharmazie, Computer-Ana-
lyse von chemischen und biochemischen Verbindungen, Erstellen
von Programmen für die Datenverarbeitung".
Die mit einem Beamten des höheren Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 9
des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung nach vorangegange-
ner Beanstandung teilweise zurückgewiesen, nämlich für folgende Waren und
Dienstleistungen:
"Datenverarbeitungsgeräte, Computer, Computerprogramme, Da-
tenbanken; Druckereierzeugnisse; wissenschaftliche und indu-
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strielle Forschung, Erstellen von Programmen für die Datenverar-
beitung".
Zur Begründung ist unter Hinweis auf Fachwörterbücher ausgeführt, die Buchsta-
benkombination "LSI" sei eine gebräuchliche Abkürzung des Begriffs "Large Scale
Integration", der eine Bezeichnung für die hohe Integrationsdichte auf einem Chip
darstelle. Dieser Sinngehalt werde sich großen Teilen des in der Regel über
technische Entwicklungen gut informierten inländischen Verkehrs ohne weiteres
erschließen. Die Bezeichnung
"LSI", deren aktueller Gebrauch belegt sei,
beschreibe die versagten Waren und Dienstleistungen unmittelbar, da insoweit
deren Inhalt/Gegenstand gekennzeichnet werde. Zudem fehle der Anmeldung
auch die erforderliche Unterscheidungskraft.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.
Sie hat zunächst schriftsätzlich vorgetragen, nur einem kleinen Teil des Verkehrs,
der über Fachkenntnisse auf dem Gebiet der integrierten Schaltkreise verfüge, sei
die Bedeutung der Abkürzung "LSI" überhaupt bekannt. Überwiegend werde aber
in der Anmeldung eine unterscheidungskräftige Buchstabenfolge gesehen, bei
deren markenmäßiger Verwendung der Gedanke an die von der Markenstelle auf-
gezeigte Bedeutung fernliege. Bei dieser Sachlage könne nicht vom Fehlen jegli-
cher Unterscheidungskraft ausgegangen werden. Ein Freihaltebedürfnis bestehe
nicht (mehr), da mittlerweile eine weit höhere Integrationsdichte von Computer-
chips dem Stand der Technik entspreche. Außerdem erstrecke sich ein etwaiges
Freihaltebedürfnis für Computerchips nicht auf lediglich damit ähnliche Waren und
Dienstleistungen (unter Hinweis auf BGH GRUR 1977, 717 "Cokies"; 1997, 634
"Turbo II"). Ein Begriff, mit dem ausschließlich die Beschaffenheit eines ganz
bestimmten Bestandteils von Computerhardware beschrieben werde, diene nicht
auch der Qualifizierung von Software (unter Hinweis auf BGH GRUR 1990, 517
"SMARTWARE").
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In der mündlichen Verhandlung hat die Anmelderin ihr Vorbringen vertieft und Er-
gebnisse von Internet-Recherchen vorgelegt. Sie hat das Waren- und Dienstlei-
stungsverzeichnis durch Streichung der Waren
"Datenverarbeitungsgeräte, Computer"
beschränkt.
Wegen sonstiger Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II
Die Beschwerde der Anmelderin ist zulässig (MarkenG § 66) und nach Ein-
schränkung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses in der mündlichen
Verhandlung hinsichtlich der noch streitbefangenen versagten Waren und Dienst-
leistungen begründet, weil die Anmeldung insoweit keinem Freihaltungsbedürfnis
der Mitbewerber (gem MarkenG § 8 Abs 2 Nr 2) unterliegt und über das erforder-
liche Mindestmaß an Unterscheidungskraft (MarkenG § 8 Abs 2 Nr 1) verfügt.
Allerdings kann nicht ernsthaft zweifelhaft sein, daß die Buchstabenfolge "LSI" ei-
ne zumindest in Fachkreisen bekannte Abkürzung für "Large Scale Integration",
dh die Bezeichnung für eine hohe Integrationsdichte eines Computerchips, dar-
stellt. Ob auf anderen Gebieten der Technik oder des Geschäftslebens - wie die
Anmelderin behauptet - diese Abkürzung für andere Begriffe in Gebrauch ist, kann
dahingestellt bleiben; der Verkehr wertet den Bedeutungsgehalt einer Be-
zeichnung stets im Blick auf die so gekennzeichneten Waren und Dienstleistun-
gen.
Entgegen der Auffassung der Anmelderin ist der beschreibende Charakter von
"LSI" für Computerchips auch nicht dadurch entfallen, daß diese nach dem mitt-
lerweile erreichten Stand der Technik eine wesentlich höhere Integrationsdichte
aufweisen, welche mit anderen Benennungen (bzw Abkürzungen) angezeigt wird.
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Auch veraltete beschreibende Angaben können weiterhin vom Fachverkehr benö-
tigt werden und von daher freihaltebedürftig sein, etwa wenn darauf hingewiesen
werden soll, daß ein früherer technischer Standard mittlerweile durch neue Pro-
dukte überholt ist. Wohl nur in Ausnahmefällen dürfte die Anbringung einer völlig
ungebräuchlich gewordenen früheren Fachbezeichnung auf der Ware selbst für
eine Marke des Herstellers gehalten werden.
Ob es sich vorliegend bei der Anbringung von "LSI" an der Hardware, deren Bau-
teile Computerchips darstellen, so verhalten würde - was dem Senat weiterhin
zweifelhaft erscheint -, kann aber nunmehr dahingestellt bleiben, nachdem die
Anmelderin "Datenverarbeitungsgeräte, Computer" ausdrücklich nicht mehr bean-
sprucht. Denn selbst wenn bezüglich dieser Erzeugnisse ein Freihaltebedürfnis
weiterhin anzunehmen wäre, kommt eine Versagung der Eintragung für die son-
stigen Waren und Dienstleistungen, die mit Computerhardware nicht gleich, son-
dern allenfalls ähnlich sind, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
("Turbo II" und "SMARTWARE", aaO) nicht in Betracht. Für jene ist "LSI" nämlich
keine unmittelbar beschreibende Fachbezeichnung. Der Gefahr der Aushöhlung
einer freizuhaltenden Angabe durch eine für (nur) ähnliche Waren und Dienstlei-
stungen eingetragene Marke ist nicht im Eintragungs- oder Löschungsverfahren,
sondern im Verletzungsverfahren zu begegnen (BGH aaO).
Nachdem ein Freihaltungsbedürfnis für die weiterhin versagten Waren und
Dienstleistungen nicht besteht, dürfen keine zu hohen Anforderungen an die er-
forderliche Unterscheidungskraft gestellt werden. Ebenso wie für die im ange-
fochtenen Beschluß nicht versagten Dienstleistungen weist "LSI" auch für die üb-
rigen noch streitbefangenen Waren und Dienstleistungen das erforderliche Min-
destmaß an Unterscheidungskraft auf. Dabei ist angemessen zu berücksichtigen,
daß sich diese an das allgemeine Publikum wenden, nicht aber an Personen, wel-
che sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Computerchips und diese ent-
haltenden Produkten des Hardwarebereichs befassen. Selbst wenn man von einer
geteilten Verkehrsauffassung ausgeht, kann vorliegend im Hinblick auf das
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fehlende Freihaltungsbedürfnis der Teil des Verkehrs, der das Zeichen nicht als
Herkunftshinweis auffaßt, vernachlässigt werden (BGH GRUR
1969, 345
"red white"; BlPMZ 1991, 26 "NEW MAN").
Der angefochtene Beschluß konnte somit keinen Bestand haben und war auf die
Beschwerde der Anmelderin im Umfang der Beschlußformel aufzuheben.
Hellebrand
zugleich für Frau Friehe-Wich,
die infolge Urlaubsabwesen-
heit verhindert ist, zu unter-
schreiben.
Hellebrand
Viereck
Mr/Pü