Urteil des BPatG vom 09.01.2002

BPatG: beschreibende angabe, unterscheidungskraft, begriff, wortmarke, freihaltebedürfnis, software, psychologie, eugh, edition, breite

BPatG 152
10.99
BUNDESPATENTGERICHT
33 W (pat) 120/02
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung 398 48 957.2
hat der 33. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 1. März 2005 durch den Vorsitzenden Richter Winkler, die Richterin
Pagenberg und den Richter Kätker
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beschlossen:
Auf die Beschwerde des Anmelders wird der Beschluss der Mar-
kenstelle für Klasse 35 vom 9. Januar 2002 aufgehoben.
G r ü n d e
I.
Beim Deutschen Patent- und Markenamt ist die Wortmarke
CAREERS PROACTIVE
für die Dienstleistungen der Klassen 35 und 41
„Personal- und Unternehmensberatung, insbesondere Karrierebe-
ratung; Beratung von Stellensuchenden, auch im Auftrag von Un-
ternehmen (Outplacement), Bewerbertraining von einzelnen Be-
werbern und Gruppen, insbesondere Schulungen, Seminare und
Workshops; Arbeitsvermittlung; Veröffentlichungen zu vorgenann-
ten Themengebieten in Büchern und sonstigen Printmedien; Zu-
sammenstellung von Rundfunk und Fernsehsendungen“
zur Eintragung in das Markenregister angemeldet worden.
Die Markenstelle für Klasse 35 hat die Anmeldung durch Beschluss vom
9. Januar 2002 zurückgewiesen, weil ihr jegliche Unterscheidungskraft fehle. Un-
ter der angemeldeten Marke verstehe der angesprochene Verkehr Dienstleistun-
gen, die sich mit der aktiven Beeinflussung der beruflichen Karriere oder des be-
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ruflichen Werdegangs beschäftigten. Der Begriff werde insgesamt unschwer ver-
standen, weil es sich bei den Begriffen „CAREERS“ und „PROACTIVE“ um Wörter
handele, die zum Grundwortschatz der englischen Sprache gehörten bzw. bereits
Eingang in die deutsche Sprache gefunden hätten. Hierzu hat die Markenstelle auf
Auszüge einer Internetrecherche Bezug genommen und diese dem angefochte-
nen Beschluss beigefügt. Der Begriff „CAREERS PROACTIVE“ werde von einem
Großteil des inländischen Verkehrs als „initiative Karrierebeeinflussung bzw.
-planung“ verstanden und lediglich als beschreibende Sachangabe für die Dienst-
leistungen der Anmeldung angesehen. Der Verkehr sei nämlich daran gewöhnt, in
der Werbung ständig mit neuen Begriffen konfrontiert zu werden, durch die ihm
sachbezogene Informationen lediglich in einprägsamer Form übermittelt werden
sollen.
Der Anmelder hat Beschwerde eingelegt.
Er beantragt sinngemäß,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben.
Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor, dass jede Art und jeder Grad von
Unterscheidungskraft - auch wenn sich diese als noch so gering erweisen - ge-
nügten, um das absolute Schutzhindernis des Fehlens jeglicher Unterscheidungs-
kraft zu überwinden. Die konkrete Unterscheidungskraft bestimme sich nach der
Verkehrsauffassung. Unter Hinweis auf Literatur, amtliche Begründung und
höchstrichterliche Rechtsprechung sei davon auszugehen, dass der Verkehr ein
als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit seinen Bestandteilen so
aufnehme, wie es ihm entgegentrete, ohne es einer zergliedernden Betrachtungs-
weise zu unterziehen. Bei einer neuen, nicht geläufigen Wortzusammenstellung,
deren beschreibender Gebrauch derzeit nicht nachweisbar sei und die vom Ver-
kehr nicht eindeutig verstanden werde, sei die Unterscheidungskraft zu bejahen.
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Es bestehe auch kein Freihaltebedürfnis, da die angemeldete Marke die von ihr
erfassten Dienstleistungen nicht unmittelbar beschreibe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Der Eintragung der Bezeichnung „CAREERS PROACTIVE“ als Wortmarke stehen
die absoluten Schutzhindernisse des § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG nicht entge-
gen.
1.
Der angemeldeten Marke fehlt nicht jegliche Unterscheidungskraft. Sie ver-
fügt über das wenn auch geringe Maß an Unterscheidungskraft, das erforderlich,
aber auch ausreichend ist, um die Funktion einer Marke zu erfüllen und vom Ver-
kehr nicht lediglich als beschreibende Sachangabe für die Waren oder Dienstleis-
tungen der Anmeldung aufgefasst zu werden (vgl. BGH GRUR 2001, 162, 163
-
RATIONAL SOFTWARE CORPORATION; GRUR
2002, 64, 65 -
INDIVI-
DUELLE; MarkenR 2001, 304 - GENESCAN; MarkenR 2005, 147 - BerlinCard;
EuGH GRUR Int 2004, 680 - BIOMILD).
Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um eine neue fremdsprachige Wort-
zusammenstellung, bei der die beiden Einzelbegriffe in einer Weise aneinander
gereiht sind, die weder den deutschen noch den englischen Sprachregeln ent-
spricht. Die Markenstelle hat zwar die englischen Wörter „careers“ und „proactive“
in ihrer deutschen Bedeutung jeweils zutreffend wiedergegeben und die weitere
von der Anmelderin hervorgehobene Bezeichnung von „career“ als Pferdegangart
Galopp zu Recht außer Acht gelassen, weil sie für die beanspruchten Dienstleis-
tungen keine Bedeutung hat und der Begriffsinhalt damit nicht im Vordergrund
steht. Fremdsprachige Wortneubildungen können den deutschen Begriffen aber
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nur gleichgesetzt werden, wenn sie von dem maßgeblichen durchschnittlich in-
formierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher in ihrem
Sinngehalt als sachbezogene Information ohne weiteres erkannt und verstanden
werden. Davon kann jedenfalls bei dem Markenbestandteil „PROACTIVE“ nicht
ausgegangen werden.
Das Wort „proactive“ gehört weder zum englischen Grundwortschatz noch hat es
in der Bedeutung von „initiativ, vorher aktiv oder tätig werden“ bereits Eingang in
den allgemeinen deutschen Sprachgebrauch gefunden. Es zählt zur gehobenen
Sprachebene. In Verbindung mit weiteren Begriffen wird es als Adjektiv sowohl
fachspezifisch wie auch im übrigen stets vorangestellt (vgl. z.B. in der Psychologie
„proactive inhibition, -interference und den entsprechenden deutschen Fachbegriff
„Proaktive Hemmung“ zu Gedächtnistheorien in Vahlens großes Marketinglexikon,
1992, S 941, sowie proactive approach, proactive organization, pro-active enfor-
cement, proactive role, proactive behaviour - The Oxford English Dictionary, Se-
cond Edition, 1989, S 533; The New Shorter Oxford English Dictionary on Histori-
cal Principles, Edited by Lesley Brown, 1993, S 2361).
Soweit im Deutschen „proaktiv“ als Einzelbegriff verwendet wird, ist er allenfalls
Fachleuten zugänglich. Für den Durchschnittsabnehmer bleibt dagegen rätselhaft,
was mit „proaktiv“ gemeint ist. Dies gilt sowohl für die von der Markenstelle bei-
gefügten Recherchebeispiele („Proaktives Service-Level-Management ...“ weist
Sie auf Service- oder Verfügbarkeitsprobleme hin; „entwicklungsorientiert proaktiv
arbeiten“; Um sich zusätzlich im Internet zu schützen, müssen Sie proaktiv sein.
Werden sie proaktiv“) als auch für die vom Senat ermittelten Zeitungsberichte, in
denen der Begriff „proaktiv“ als verwirrend oder rätselhaft dargestellt wird (vgl.
„Eine Bank ist eine Rose“, Angelika Buchholz in Süddeutsche Zeitung
Nr. 282,Seite 31, vom 6. Dezember 1999 Wirtschaftsteil; „Elektrolux beschneidet
AEG Hausgeräte die Flügel“ von Marion Nobbe, SZ vom 6. Mai 1997, S 29
- Wirtschaft). Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der maßgeb-
liche Durchschnittsabnehmer der angesprochenen Verkehrskreise dem Begriff
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„PROACTIVE“ einen eindeutigen und klaren Sinngehalt in Bezug auf die bean-
spruchten Dienstleistungen zuordnet. Die Dienstleistungen der Anmeldung richten
sich nicht nur an Personal- und Unternehmensberater, sondern auch an zu ver-
mittelnde Arbeitssuchende und damit an das breite Publikum. Für letztere besteht
keine Veranlassung, in der angemeldeten Gesamtbezeichnung lediglich die
Übermittlung sachbezogener Informationen zu sehen, wenn der Einzelbegriff
„PROACTIVE“ nicht geläufig, in seiner Bedeutung diffus und zudem sprachun-
üblich nachgestellt ist. Die angemeldete Marke bezieht den geringen Grad an Un-
terscheidungskraft aus der vom Sprachgebrauch abweichenden Art der Wortbil-
dung und dem Fehlen eines ohne weiteres verständlichen beschreibenden Be-
griffsinhalts.
2.
Die angemeldete Marke ist auch nicht nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG von
der Eintragung ausgeschlossen. Zwar kommt es für dieses absolute Schutzhin-
dernis auf das Verständnis der Mitbewerber der Anmelderin und deren Bedürfnis
an, Fachbegriffe zur Beschreibung ihrer Dienste verwenden zu können, wenn
diese im Verkehr zur Bezeichnung von Eigenschaften oder wesentlichen Merk-
malen der Dienstleistungen dienen oder dienen können. Weder die Markenstelle
noch der Senat haben aber feststellen können, dass die Gesamtbezeichnung
„CAREERS PROACTIVE“ als beschreibende Angabe verwendet wird. Für ein
künftiges Freihaltebedürfnis bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte, weil
die Verbindung der Begriffe nicht fach- und sprachgerecht gebildet ist und für eine
beschreibende Verwendung im Verkehr erst der Erläuterung bedürfte.
3.
Der Senat hat außerdem berücksichtigt, dass die identische Wortmarke mit
inhaltsgleichen Dienstleistungen für die Rechtsvorgängerin des Beschwerdefüh-
rers in Teil A.1 des Blattes für Gemeinschaftsmarken (107/01, S 49 - 000921098)
veröffentlicht worden ist.
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Der Beschwerde war insgesamt statt zu geben.
Winkler
Kätker
Pagenberg
Cl