Urteil des BPatG vom 29.11.2007

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BUNDESPATENTGERICHT
21 W (pat) 327/06
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
29. November 2007
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
gegen das Patent 195 13 441
BPatG 154
08.05
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hat der 21. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf-
grund der mündlichen Verhandlung vom 29. November 2007 unter Mitwirkung des
Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Winterfeldt sowie der Richter Baumgärtner,
Dipl.-Phys. Dr. Häußler und Dipl.-Phys. Dr. Morawek
beschlossen:
Nach Prüfung des Einspruchs wird das Patent DE 195 13 441 mit
folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:
Bezeichnung: Schaltungsanordnung zur Erzeugung einer Prüf-
spannung für die Prüfung elektrischer Betriebsmittel
Patentansprüche 1 bis 4, überreicht in der mündlichen Verhand-
lung vom 29. November 2007
Beschreibung, Seiten 2/11 bis 7/11, überreicht in der mündlichen
Verhandlung vom 29. November 2007
3 Blatt Zeichnungen Figur(en) 1 bis 3, gemäß Patentschrift.
G r ü n d e
I
Die Erteilung des am 13. April 1995 beim Deutschen Patent- und Markenamt an-
gemeldeten Patents 195 13 441 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Erzeugung
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einer Prüfspannung für die Prüfung elektrischer Betriebsmittel sowie Schaltungs-
anordnung zur Ausführung des Verfahrens" ist am 2. März 2006 erfolgt.
Der erteilte Anspruch 1 lautet:
Verfahren zur Erzeugung einer Prüfspannung für die Prüfung elek-
trischer Betriebsmittel,
mit Hilfe einer niederfrequenten Wechselspannung hoher Amplitu-
de,
die durch niederfrequente Amplituden-Modulation generiert wird,
wobei mit Hilfe einer Gleichrichterschaltung (1) und wenigstens ei-
nem Schaltnetzteil (2,3) ein oder mehrere Hochspannungstrans-
formatoren (4,5) mit der niederfrequent modulierten Wechselspan-
nung gespeist werden,
und die an den Hochspannungstransformatoren (4,5) sekundärsei-
tig anliegende Hochspannung mit Hilfe einer oder mehrerer
Gleichrichterschaltungen (6,7) gleichgerichtet wird,
und ein Prüfling (11) mit der Hochspannung definiert aufgeladen
wird, dadurch gekennzeichnet,
daß auf der Sekundärseite der Hochspannungstransformato-
ren (4,5) eine Regelung (12) angeordnet ist,
welche die Spannung am Prüfling (11) mittels eines Spannungstei-
lers (14) mißt,
und abhängig von der gemessenen Spannung auf die Schaltnetz-
teile (2,3), einen für die Unterbrechung der Hochspannung vorge-
sehenen elektronischen Hochleistungsschalter (8; 15)
und/oder einen elektronischen Umschalter (10) für einen Wechsel
in der Spannungsversorgung des Prüflings (11) durch eine der
Gleichrichterschaltungen (6,7) einwirkt,
um dafür zu sorgen, dass eine stets gleichbleibende Kurvenform
der auf den Prüfling wirkenden Umschaltspannung erreicht wird.
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Wegen der weiteren Ansprüche 2 bis 9 wird auf die Patentschrift verwiesen.
Gegen das Patent ist am 31. Mai 2006 Einspruch erhoben worden mit der Begrün-
dung, die Erfindung sei nicht ausführbar. Außerdem gehe der Gegenstand des Pa-
tents über das ursprünglich Offenbarte hinaus und sei im Übrigen nicht patentfä-
hig. Hierzu verweist die Einsprechende auf folgende Druckschriften:
E2
M. Krüger et al.: "New very low frequency methods for tes-
ting extruded cables", Conference Record of the 1990 IEEE
International Symposium on Electrical Insulation, Toronto,
Canada, 3. bis 6. Juni 1990
E3
S.J. Kearley, R.R. MacKinlay: "Discharge measurements in
cables using a solid state 30kV bipolar low frequency gene-
rator", Fifth International Conference on Dielectric Materials,
Measurements and Applications, 1988, Seite 171-174
E4
DE 37 00 647 A1
E5
DE 37 37 373 A1
E6
DE 38 05 733 A1
E7
DE 40 12 445 C2
E8
US 3 510 763
E9
Kaoru Haga et al.: "Development of 22 kV very low-frequen-
cy, high-voltage generator and the characteristics of partial
discharge in XLPE cables", Proceedings of the twenty-first
Symposium on Electrical Insulating Materials 1988, Seite
175 bis 177
E10 I. Bonanni, E. Mandelli: "High performance high voltage ge-
nerator regulated by L.V.I.", IEEE, 1990, Seite 323 bis 329
E11 Dissertation
"Isolationsprüfung verlegter Hochspannungs-
polyethylenkabel für Nennspannungen von 10 bis 30 kV mit
0,1 Hz", von Michael Krüger, TU Wien 1990
E15 EP 0 231 459 B1.
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Die Einsprechende beantragt,
das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt,
das Patent DE 195 13 441 beschränkt aufrecht zu erhalten mit
den Patentansprüchen 1 bis 4, überreicht in der mündlichen Ver-
handlung, der angepassten Beschreibung, überreicht in der münd-
lichen Verhandlung, sowie der Zeichnung Fig. 1 bis 3 gemäß der
Patentschrift.
Der mit Gliederungspunkten versehene, in der mündlichen Verhandlung vorgeleg-
te Patentanspruch 1 lautet:
M1 Schaltungsanordnung
zur
Erzeugung einer Prüfspannung für
die Prüfung elektrischer Betriebsmittel,
M2 wobei
eine
Gleichrichterschaltung (1) vorgesehen ist, die aus
der Netzspannung eine Gleichspannung erzeugt,
M3 welche zwei Schaltnetzteile (2, 3) in jeweils eine niederfre-
quente, amplituden-modulierte Wechselspannung mit Netz-
frequenz oder einem Vielfachen der Netzfrequenz umwan-
deln,
M4 wobei zwei Hochspannungstransformatoren (4, 5) die nieder-
frequenten, amplituden-modulierten Wechselspannungen in
niederfrequente, amplituden-modulierte Hochspannungen
transformieren,
M5 zwei Gleichrichterschaltungen (6, 7) die Hochspannungen in
jeweils eine Gleichspannung veränderbarer Amplitude um-
wandeln
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M6 und wobei eine der Gleichspannungen veränderbarer Ampli-
tude einen Prüfling (11) definiert auflädt und
M7 eine
Regelung
(12)
vorgesehen ist, welche die Spannung am
Prüfling mittels eines Spannungsteilers (14) misst und
M8 abhängig von der gemessenen Spannung auf die Schaltnetz-
teile (2,3) und einen zwischen den beiden Hochspannungs-
ausgängen der zwei Gleichrichterschaltungen (6,7) angeord-
neten elektronischen Hochspannungsschalter (8) einwirkt,
womit sie den Prüfling (11) definiert entlädt.
Die Patentinhaberin hält den Gegenstand des neuen Anspruchs 1 für neu und er-
finderisch und in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbart.
Die Einsprechende ist insbesondere der Auffassung, das der neue Patentan-
spruch 1 durch eine Zusammenschau der aus den Druckschriften E2 oder E11 be-
kannten Schaltungsanordnung mit dem aus den Druckschriften E3 oder E6 be-
kannten Ausgestaltungen eine Hochspannungsschalters nahe gelegt sei.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II
1. Der form- und fristgerecht erhobene Einspruch ist zulässig, denn die für die Be-
urteilung der behaupteten Widerrufsgründe maßgeblichen tatsächlichen Umstände
sind von der Einsprechenden innerhalb der gesetzlichen Frist im Einzelnen so dar-
gelegt worden, dass die Patentinhaberin und der Senat daraus abschließende Fol-
gerungen für das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ohne ei-
gene Ermittlungen ziehen können.
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Die Zulässigkeit des Einspruchs ist im Übrigen von der Patentinhaberin nicht be-
stritten worden.
2. Der Einspruch ist auch insoweit begründet, als er nach dem Ergebnis der münd-
lichen Verhandlung zur beschränkten Aufrechterhaltung des Streitpatents auf der
Grundlage des in der mündlichen Verhandlung überreichten, neuen Patentan-
spruchs 1 führt.
2.1. Die Erfindung betrifft eine Schaltungsanordnung, wie sie insbesondere zum
Prüfen der Isolation von Hochspannungskabeln verwendet wird (siehe in der
mündlichen Verhandlung überreichte Seite 2/11, Absatz [0001]).
Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, eine entsprechende Vorrichtung so wei-
terzubilden, dass mit gegenüber den Stand der Technik (vgl. die in der mündlichen
Verhandlung überreichte Seite 2/11, Absätze 0002/0003) wesentlich verbessertem
Wirkungsgrad und geringem Geräteaufwand eine niederfrequente Prüfspannung
erzeugt werden kann, deren Energiegehalt abhängig vom Spannungsverlauf am
Prüfling ist (siehe in der mündlichen Verhandlung überreichte Seite 2/11, Ab-
satz [0004]).
2.2. Der Gegenstand des Patents geht über den Inhalt der ursprünglichen Anmel-
dung nicht hinaus. Der neue Anspruch 1 ergibt sich aus den ursprünglichen An-
sprüchen 6 und 10 und der ursprünglichen Beschreibung Spalte 3, Zeilen 33 bis
44 und Spalte 4, Zeilen 21 bis 29 (siehe Offenlegungsschrift). Die neuen Ansprü-
che 2 bis 4 entsprechen inhaltlich den ursprünglichen Ansprüchen 7 bis 9. Die An-
sprüche sind somit zulässig.
2.3. Die Erfindung ist in der Anmeldung so deutlich und vollständig offenbart, dass
der zuständige Fachmann, ein Dipl.-Ing. der Fachrichtung Elektrotechnik mit Er-
fahrungen auf dem Gebiet der Hochspannung-Prüfgeräte, sie ausführen kann. Die
Einsprechende hat insbesondere bemängelt, dass in den ursprünglich eingereich-
- 8 -
ten Unterlagen nicht offenbart sei, was unter einem "definierten" Auf- und Entladen
zu verstehen sei (siehe Merkmalsgruppen M6 und M8). Dem Fachmann sind aber
die aus den Schaltungsanordnungen oder Ersatzschaltungen mit vorgegebenem
Spannungsverlauf sich ergebenden Strom- und Spannungsverläufe und somit
auch Auf- und Entladungsvorgänge an Kondensatoren aufgrund der ihm vertrau-
ten zugrunde liegenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten allgemein bekannt. Er
versteht daher unter dem Begriff des "definierten" Auf- und Entladens das "norma-
le" Auf- und Entladen eines Kondensators. Aufgrund der Beschreibung, der offen-
barten Schaltung gemäß den Fig. 1 und 2 und den dargestellten Spannungsver-
läufen gemäß Fig. 3 ist die beanspruchte Schaltungsanordnung deshalb für den
Fachmann vollständig und deutlich offenbart und somit ausführbar.
2.4. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist patentfähig. Der - zweifelsohne
gewerblich anwendbare - Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 ist, wie
sich aus den nachfolgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit ergibt, ge-
genüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu, da keine der ent-
gegengehaltenen Druckschriften eine Schaltungsanordnung mit sämtlichen, im
Patentanspruch 1 aufgeführten Merkmalen offenbart. Die beanspruchte Schal-
tungsanordnung wird dem Fachmann durch den genannten Stand der Technik
auch nicht nahe gelegt.
Die Druckschrift E6 stellt - zusammen mit den Dokumenten E2 und E11 - aus
Sicht des Senats den nächstliegenden Stand der Technik dar. Keiner dieser Ent-
gegenhaltungen ist jedoch eine Prüfschaltung zu entnehmen, bei welcher derart
auf einen zwischen den beiden Hochspannungsausgängen der zwei Gleichrichter-
schaltungen angeordneten Hochspannungsschalter so eingewirkt wird, dass da-
durch der Prüfling definiert entladen werden kann, wie dies insoweit gemäß Merk-
mal M8 des geltenden Patentanspruchs 1 beansprucht wird.
- 9 -
So offenbart die Druckschrift E6 eine Prüfschaltung, bei der wie beim Streitpatent-
gegenstand über zwei Hochspannungstransformatoren T1, T2 und zwei Gleich-
richterschaltungen D1, D2 zwei veränderbare Hochspannungen U1, U2 zur Beauf-
schlagung der Prüflingskapazität C erzeugt werden, die durch eine Einwirkung auf
den Primärkreis der Hochspannungstransformatoren geregelt werden (siehe E6,
Fig. 1, 2 und 5 bis 7 und Spalte 5, Zeilen 33 bis 40). Die Schaltung gemäß diesen
Druckschriften weist Varistoren VDR1 und VDR2 auf, die als spannungsabhängige
Schalter für zwei Prüfstromkreise 5 und 6 dienen (siehe Spalte 2, Zeilen 9 bis 12).
Beim Aufladen der Prüflingskapazität C durch die Spannungsquelle U1 ist der
"Schalter" VDR1 ab einer bestimmten Ansprechspannung geschlossen und nach
der Aufladung durch Abschalten der Spannungsquelle wieder geöffnet (siehe
Spalte 4, Zeile 28 bis 40). Zur Entladung wird der "Schalter" VDR2 beim Hochre-
geln der Spannungsquelle U2 geschlossen und die Prüflingskapazität durch die
Gegenspannung U2 entladen (siehe Spalte 4, Zeile 35 bis 56). Durch die Varisto-
ren VDR1 und VDR2 ist somit ein Umschalter realisiert, der die Prüflingskapazität
abwechselnd an die zwei geregelten Spannungsquellen anlegt.
Gemäß der Druckschrift E6 ist es auch bekannt, die Varistoren z. B. durch Thyris-
toren zu ersetzen (siehe Spalte 1, Zeile 66 bis Spalte 2, Zeile 1). Vor dem Hinter-
grund der Gesamtoffenbarung der E6 wird der Fachmann beim Ersetzen der Va-
ristoren durch Thyristoren aber nur eine der Funktion der Varistoren entsprechen-
de Umschaltung zwischen der Prüflingskapazität und den beiden Hochspannun-
gen realisieren. Eine Anregung dahingehend, einen Hochspannungsschalter im
Sinne des Merkmals M8 des geltenden Patentanspruchs 1 vorzusehen, der im Se-
kundärkreis von Hochspannungstransformatoren zwischen den beiden Hochspan-
nungsausgängen von zwei Gleichrichterschaltungen angeordnet ist und der durch
eine am Prüfling abgegriffene Spannung geregelt wird, so dass der Fachmann
auch keine Anregung für die patentgemäße Lösung erhält, vermag diese Entge-
genhaltung - ebenso wenig wie die beiden Dokumente E2 und E11 - dem Fach-
mann jedoch nicht zu geben.
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Entsprechendes gilt auch für die Entgegenhaltung E3, die eine Schaltungsanord-
nung zur Erzeugung einer Prüfspannung für die Prüfung von Hochspannungska-
beln gemäß Merkmalsgruppe M1 offenbart (siehe abstract). Dabei sind zwei
Gleichspannungsquellen von +30kV und -30kV über zwei gesteuerte Stromquel-
len CC1 und CC2 mit einer Prüflingskapazität (cable) verbunden, zur Erzeugung
einer 0,1 Hz Wechselspannung aus den beiden Gleichspannungen (siehe Fig. 1).
Die Stromquellen werden z. B. durch 50 in Reihe geschaltete Feldeffekttransisto-
ren realisiert (siehe Seite 172, linke Spalte, Absatz 4 und E11, Seite 76 und 77).
Die Erzeugung der Hochspannungen gemäß den Merkmalsgruppen M2 bis M5
über Schaltnetzteile, Hochspannungstransformatoren und Gleichrichterschaltun-
gen ist daher aus der Druckschrift E3 nicht bekannt. Über die Widerstände R1 und
R2 ist zwar ein Spannungsteiler realisiert, der die Spannung an der Prüflingskapa-
zität misst. Damit wird aber lediglich die Ausgangsspannung zwischen ± 30 kV ge-
mäß einer vorgegebenen Eingangsspannung zwischen ± 10 V durch die Ansteue-
rung der Stromquellen geregelt (siehe Seite 171, rechte Spalte, Absatz 1). Somit
ist aus der Druckschrift E3 kein Hochspannungsschalter gemäß Merkmalsgrup-
pe M8 bekannt.
Die weiteren Druckschriften liegen weiter ab und beinhalten auch keine Hinweise
zur Entladung eines Prüflings durch einen geregelten Hochspannungsschalter ge-
mäß Merkmalsgruppe M8. Dies gilt insbesondere auch für die Druckschrift E15,
die von der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung lediglich zum Beleg
eines Umschalters bei einem Prüfgerät eingeführt wurde (siehe Fig. 1, Bezugszei-
chen 3).
Da die Druckschriften keinen Hinweis auf die Anordnung und Regelung eines
Hochspannungsschalters bei einem Prüfgerät gemäß Merkmalsgruppe M8 bein-
halten, kann auch die Zusammenschau der Druckschriften dies nicht nahe legen.
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Der Gegenstand des neuen Patentanspruchs 1 ist nach alledem patentfähig. Die
Unteransprüche und die weiteren Unterlagen haben Bestand, da gegen sie eben-
falls keine Widerrufsgründe ersichtlich sind.
Dr. Winterfeldt
Baumgärtner
Dr. Häußler
Dr. Morawek