Urteil des BPatG vom 17.05.2001

BPatG (marke, verwechslungsgefahr, beschwerde, liste, gefahr, abweichung, veterinär, medizin, reform, wirkung)

BUNDESPATENTGERICHT
25 W (pat) 142/00
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Marke 396 44 634
BPatG 152
10.99
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hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 17. Mai 2001 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Kliems so-
wie der Richter Brandt und Engels
beschlossen:
1. Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluß
der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Mar-
kenamts vom 15. Mai 2000 aufgehoben, soweit der Wider-
spruch aus der Marke 1 109 079 auch hinsichtlich der Waren
"Veterinärmedizinische Erzeugnisse, nämlich Spezialpräparate,
ausgenommen verschreibungspflichtige und freiverkäufliche
Präparate, die zum Ruhigstellen von Tieren bestimmt sind
(Tranquillizer) zurückgewiesen worden ist. Insoweit wird die Lö-
schung der angegriffenen Marke 396 44 634 im Markenregister
angeordnet.
2. Im übrigen wird die Beschwerde der Widersprechenden zurück-
gewiesen.
G r ü n d e
I.
MEDIVET
gen worden und nach einer Beschränkung des Warenverzeichnisses im Be-
schwerdeverfahren noch für
"Veterinärmedizinische Erzeugnisse, nämlich Spezialpräparate,
ausgenommen verschreibungspflichtige und freiverkäufliche Prä-
parate, die zum Ruhigstellen von Tieren bestimmt sind (Tranquilli-
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zer); diätetische Erzeugnisse für veterinärmedizinische Zwecke;
Desinfektionsmittel für veterinärmedizinische Zwecke; Mittel zur
Vertilgung von schädlichen Tieren; Reform- und Ergänzungsle-
bensmittel für veterinärmedizinische Zwecke; Fungizide, Herbizi-
de"
geschützt.
Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der älteren, am 23. Juli 1987 für
"Veterinärmedizinische Präparate, nämlich Tranquillizer"
SEDIVET
Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Be-
schluß vom 15. Mai 2000 durch eine Beamtin des höheren Dienstes die Ver-
wechslungsgefahr zwischen den Marken verneint und den Widerspruch zurückge-
wiesen. Der erforderliche deutliche Abstand werde von der angegriffenen Marke
- noch ausgehend von dem im Warenverzeichnis enthaltenen Oberbegriff "Veteri-
närmedizinische Erzeugnisse" - selbst bei teilweise identischen Waren und breiten
Verkehrskreisen sowie einer zugrundezulegenden normalen Kennzeichnungskraft
der Widerspruchsmarke noch eingehalten. Die Marken unterschieden sich zwar
nur in einem Buchstaben, jedoch falle dieser Unterschied gerade der Anlaute der
hier betonten und zudem ohnehin stärker beachteten ersten Wortteile besonders
auf. Hinzu komme, daß die gemeinsame Endung "-vet" als Hinweis auf "veterinär-
medizinische Erzeugnisse" eher kennzeichnungsschwach sei und deshalb der Un-
terschied am Wortanfang auf jeden Fall beachtet werde. Schließlich würden auch
die Sinnanklänge in "Medi-" (Medizin, medizinisch) und "Sedi-" (Sedativa), soweit
sie erkannt würden, dazu beitragen, die Marken besser auseinanderhalten zu kön-
nen. Eine schriftbildliche Verwechslungsgefahr sei wegen der unterschiedlichen
Umrißcharakteristik der Anfangsbuchstaben "M" und "S" ebenfalls zu verneinen.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden mit dem Antrag,
den Beschluß der Markenstelle vom 15. Mai 2000 aufzuheben, die
Verwechslungsgefahr zu bejahen und die Löschung der angegrif-
fenen Marke anzuordnen.
Auch nach dem Ausschluß der von der Widerspruchsmarke erfaßten Waren sei
von einer möglichen hochgradigen Warenähnlichkeit auszugehen, da die im Wa-
renverzeichnis der angegriffenen Marke enthaltenen Waren noch immer Arznei-
mittel umfassen könnten, die eine ähnliche Indikation oder einen gleichen Wirk-
stoff wie die Waren der Widerspruchsmarke aufweisen oder in einem funktionellen
Anwendungszusammenhang stehen könnten. Eine Begegnung im Verkehr und ei-
ne Verwechslungsgefahr seien damit zwangsläufig gegeben. Die Marken unter-
schieden sich einzig durch den Anfangsbuchstaben, was nicht geeignet sei, einen
ausreichenden Abstand der Gesamtklangbilder und auch der Schriftbilder herzu-
stellen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat im Beschwerdeverfahren keinen Antrag
gestellt. Sie hat das Warenverzeichnis der Marke auf die oben genannte Fassung
beschränkt, sich zur Verwechslungsgefahr jedoch nicht weiter geäußert.
Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluß der Markenstelle
für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts sowie auf den Inhalt der Ver-
fahrensakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig.
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1.
nach Beschränkung im Warenverzeichnis der angegriffenen Marke enthaltenen
Waren "Veterinärmedizinische Erzeugnisse, nämlich Spezialpräparate, ausgenom-
men verschreibungspflichtige und freiverkäufliche Präparate, die zum Ruhigstellen
von Tieren bestimmt sind (Tranquillizer)".
Nach Auffassung des Senats besteht insoweit wegen der Ähnlichkeit der sich ge-
genüberstehenden Marken und der Ähnlichkeit der jeweiligen Waren die Gefahr
von Verwechslungen im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG, so daß auf den nach
§ 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG erhobenen Widerspruch in dem genannten Umfang die
Löschung der angegriffenen Marke gemäß § 43 Abs 2 Satz 1 MarkenG anzuord-
nen war.
Nach der hier maßgeblichen Registerlage kann auch nach der Ausnahme von
"verschreibungspflichtigen und freiverkäuflichen Präparaten, die zum Ruhigstellen
von Tieren bestimmt sind (Tranquillizer)" im Warenverzeichnis der jüngeren Marke
hinsichtlich der Widerspruchswaren "Veterinärmedizinische Präparate, nämlich
Tranquillizer" nach wie vor nahezu Warenidentität, jedenfalls aber eine hochgradi-
ge Warenähnlichkeit bestehen. So umfaßt der weiterhin im Warenverzeichnis der
angegriffenen Marke enthaltene Oberbegriff "Veterinärmedizinische Erzeugnisse"
ua die Gruppe der Psychopharmaka, zu der außer den "Tranquillantien" zB auch
"Neuroleptika" (Psychopharmaka mit ua sedierender und psychomotorisch dämp-
fender Wirkung), sowie - worauf die Widersprechende zutreffend hingewiesen
hat - weitere Arzneimittel bzw Arzneimittelgruppen, die wie "Tranquillantien" auf
das Nervensystem wirken bzw dieses beeinflussen und daher eine ähnliche Indi-
kation oder einen gleichen Wirkstoff wie die Waren der Widerspruchsmarke auf-
weisen oder mit diesen in einem funktionellen Anwendungszusammenhang ste-
hen können, wie zB Schlafmittel, Analgetika, Muskelrelaxantia, Narkosemittel oder
Spasmolytika. Dabei ist der im Zusammenhang mit der Einschränkung des Wa-
renverzeichnisses aufgenommene Begriff "Spezialpräparate" zu unbestimmt, als
dies zu einer über die ausdrücklich ausgenommenen Waren "verschreibungs-
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pflichtige und freiverkäufliche Präparate, die zum Ruhigstellen von Tieren be-
stimmt sind (Tranquillizer)" hinaus beachtlichen Beschränkung des Oberbegriffs
"Veterinärmedizinische Erzeugnisse" führen würde. Dabei wirkt sich noch ver-
wechslungsfördernd aus, daß es sich auch um Präparate handeln kann, die re-
zeptfrei erworben werden können, so daß Endverbraucher als Verkehrskreise un-
eingeschränkt zu berücksichtigen sind.
Der Senat geht von einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmar-
ke "SEDIVET" aus. Auch wenn insbesondere Fachleute mit entsprechenden Fach-
und Sprachkenntnissen aufgrund der Sinnanklänge in "SEDI" an "Sedativa" (allge-
mein "Beruhigungsmittel" mit dämpfender Wirkung auf das zentrale Nervensy-
stem) und in "-VET" an "veterinär(medizinisch)" einen Hinweis darauf erhalten,
daß es sich bei dem derart gekennzeichneten Produkt um ein solches Beruhi-
gungsmittel für Tiere handelt, ergibt sich hieraus keine ursprüngliche Kennzeich-
nungsschwäche der Gesamtbezeichnung. Denn im Hinblick auf die im Bereich
pharmazeutischer Erzeugnisse bestehende Übung, Marken in der Weise zu bil-
den, daß einzelne Bestandteile Indikation, Art der Zusammensetzung, Wirkung
und dergleichen zumindest für Fachleute eindeutig erkennen lassen (vgl BGH
GRUR 1998, 815, 817 - Nitrangin), erscheinen die entsprechenden Wortelemente
in der Widerspruchsmarke noch hinreichend phantasievoll zusammengefügt.
Unter Berücksichtigung der genannten Umstände sind strenge Anforderungen an
den zur Verneinung der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 Mar-
kenG erforderlichen Markenabstand zu stellen, der nach Auffassung des Senats
jedenfalls in klanglicher Hinsicht nicht eingehalten ist, soweit die Waren im enge-
ren Ähnlichkeitsbereich liegen.
Die Markenworte "MEDIVET" und "SEDIVET" unterscheiden sich im maßgebli-
chen klanglichen Gesamteindruck lediglich in ihren Anfangskonsonanten "M" und
"S", während die Wortbildung im übrigen identisch ist. Dabei kommt der Abwei-
chung der konsonantischen Anlaute für das Klangbild insbesondere deshalb nur
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untergeordnete Bedeutung zu, weil die Konsonanten schnell verklingen und das
"S" der Widerspruchsmarke zudem stimmlos gesprochen wird. Die übereinstim-
mende Lautfolge "-edivet" beeinflußt das Klangbild der Marken derart, daß die Un-
terschiede der Anfangskonsonanten deutlich überlagert werden und Verwechslun-
gen in erheblichem Ausmaß zu befürchten sind. Zwar könnte auf den gemeinsa-
men und wegen seiner beschreibenden Verwendung ohne Zweifel auf dem vorlie-
genden Warengebiet kennzeichnungsschwachen Endbestandteil "-VET" allein ei-
ne Verwechslungsgefahr nicht gestützt werden, weil diesem Wortelement als deut-
licher Hinweis auf "Veterinär(medizin)", bzw "veterinär(medizinisch)" eine selbstän-
dig kollisionsbegründende Bedeutung aus Rechtsgründen nicht zukommen kann.
Jedoch dürfen auch für sich kennzeichnungsschwache Elemente einer einheitli-
chen Marke bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr nach dem Gesamtein-
druck nicht unberücksichtigt bleiben (vgl Althammer/Ströbele, MarkenG, 6. Aufl,
§ 9 Rdn 152, 160, 185 mwN), zumal wenn - wie hier - die Vergleichsbezeichnun-
gen auch im übrigen hochgradige Ähnlichkeiten aufweisen. Denn auch die voran-
gehenden Bestandteile weichen allein in den unterschiedlichen Anfangskonsonan-
ten voneinander ab. Daß Abweichungen am Wortanfang vom Verkehr erfahrungs-
gemäß stärker beachtet werden und deshalb für die Unterscheidungsfähigkeit grö-
ßere Bedeutung besitzen können als sonstige Wortbestandteile, steht hier schon
deshalb einer anderen Bewertung nicht entgegen, weil die Anfangskonsonanten
klanglich nicht besonders markant sind und die Betonung nicht auf den Anfangs-
konsonanten, sondern auf dem jeweils nachfolgenden Vokal "e" liegt. Im übrigen
vermag eine alleinige Abweichung am Wortanfang bei sonstiger Übereinstimmung
der Wörter ohnehin die Verwechslungsgefahr nicht auszuschließen (vgl Altham-
mer/Ströbele, MarkenG, 6. Aufl, § 9 Rn 97 mwN), zumal, wenn - wie hier - die Wa-
ren praktisch identisch sein können oder im engeren Ähnlichkeitsbereich liegen.
In den jeweiligen Markenbestandteilen "MEDI-" (Medizin) und "SEDI-" (Sedativa)
vorhandene Bedeutungsanklänge sind jedenfalls nicht derart ausgeprägt, daß sie
angesichts der dargelegten Ähnlichkeit der Gesamtklangbilder ohne eine begriffli-
che Analyse rasch und unmittelbar erkannt würden und damit eine Unterschei-
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dung der Marken in erheblichem Umfang erleichtern könnte (iSv BGH
GRUR 1992, 130 ff "BALL/Bally" und BGH MarkenR 2000, 130, 132 "comp-
tes/ComTel"). Im Hinblick auf die weitreichende Übereinstimmung im klanglichen
Gesamteindruck besteht jedenfalls ganz überwiegend die Gefahr, daß auch den
Verkehrskreisen, denen die Bedeutungsinhalte an sich bekannt sind, diese beim
Verhören überhaupt nicht oder aber der falsche Begriff zum Bewußtsein kommt.
Bei diesem Ergebnis kann die Frage einer Gefahr von schriftbildlichen Verwechs-
lungen dahingestellt bleiben.
Nach alledem war der angefochtene Beschluß der Markenstelle, soweit der Wider-
spruch aus der Marke 1 109 079 hinsichtlich der im Tenor zu 1. genannten Waren
zurückgewiesen worden ist, auf die Beschwerde der Widersprechenden aufzuhe-
ben und insoweit die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.
2.
sich gegen die Zurückweisung des Widerspruchs bezüglich der Waren "diätetische
Erzeugnisse für veterinärmedizinische Zwecke; Desinfektionsmittel für veterinär-
medizinische Zwecke; Mittel zur Vertilgung von schädlichen Tieren; Reform- und
Ergänzungslebensmittel für veterinärmedizinische Zwecke; Fungizide, Herbizide"
der angegriffenen Marke richtet. In diesem Umfang ist der nach § 42 Abs 2 Nr 1
MarkenG erhobene Widerspruch von der Markenstelle zu Recht gemäß § 43
Abs 2 Satz 2 MarkenG zurückgewiesen worden. Es besteht auch nach Auffassung
des Senats insoweit keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 Mar-
kenG.
In Bezug auf die Waren "Mittel zur Vertilgung von schädlichen Tieren; Fungizide,
Herbizide" ist zweifelhaft, ob überhaupt von einer Ähnlichkeit im Sinne von § 9
Abs 1 Nr 2 MarkenG mit den Widerspruchswaren "Veterinärmedizinische Präpara-
te, nämlich Tranquillizer" ausgegangen werden kann. Diese Produkte weisen hin-
sichtlich ihrer stofflichen Beschaffenheit, ihrer Art sowie der jeweiligen Verwen-
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dungs- und Einsatzzwecke für die Annahme einer Warenähnlichkeit kaum relevan-
te Berührungspunkte auf. Selbst wenn man zugunsten der Widersprechenden
noch von einer - dann aber von einer allenfalls geringen - Warenähnlichkeit aus-
geht, reicht dann die Abweichung der Marken in den Anfangsbuchstaben aus, um
eine Verwechslungsgefahr zu verneinen.
Zwar können die jeweils "veterinärmedizinischen Zwecken" dienenden "diäteti-
schen Erzeugnisse", "Reform- und Ergänzungslebensmittel" sowie "Desinfektions-
mittel" der angegriffenen Marke mit Erzeugnissen, die unter den Warenoberbegriff
"Veterinärmedizinische Präparate" fallen, von den Oberbegriffen her auch im en-
geren Ähnlichkeitsbereich liegen, wie dies zB auch hinsichtlich diätetischen Er-
zeugnissen oder Nahrungsergänzungsmitteln bzw Desinfektionsmitteln einerseits
und pharmazeutischen Erzeugnissen andererseits, soweit von diesen etwa Mine-
ralstoffpräparate (Rote Liste 2001 HG 62), Vitamine (Rote Liste 2001 HG 84), Diä-
tetika/Ernährungstherapeutika (Rote Liste 2001 HG 34), Magen-Darm-Mittel, (Rote
Liste 2001 HG 60) bzw Wundbehandlungsmittel (Rote Liste 2001 HG 85) und
Wunddesinfektionsmittel umfaßt sind. Jedoch weisen die veterinärmedizinischen
Zwecken dienenden Waren der angegriffenen Marke zu den speziellen veterinär-
medizinischen Präparaten der Widerspruchsmarke, nämlich "Tranquillizern", hin-
sichtlich der stofflichen Zusammensetzung, Beschaffenheit und des Einsatz- und
Verwendungszwecks so deutliche Unterschiede auf, daß auch insoweit die Abwei-
chung der Marken in den Anfangsbuchstaben ausreicht, um die Gefahr von Ver-
wechslungen bereits hinreichend sicher auszuschließen.
Danach war die Beschwerde Widersprechenden hinsichtlich der genannten weite-
ren Waren der angegriffenen Marke zurückzuweisen.
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3.
laß, § 71 Abs 1 MarkenG.
Kliems Engels Brandt