Urteil des BPatG vom 06.10.2003

BPatG: schutzwürdiges interesse, treu und glauben, akteneinsicht, patentgesetz, verkäuferin, einfluss, nichtigkeit, ausnahme, erfindung, konzern

BUNDESPATENTGERICHT
4 ZA (pat) 15/03
zu 4 Ni 18/03 (EU)
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Akteneinsichtssache
BPatG 152
10.99
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betreffend das Nichtigkeitsverfahren 4 Ni 18/03
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 6. Oktober 2003
unter Mitwirkung des Richters Müllner als Vorsitzenden, des Richters
Dipl.-Ing. Obermayer und der Richterin Schuster
beschlossen:
Der Antragstellerin wird Einsicht in die Nichtigkeitsakten 4 Ni 18/03
(EP 0 252 850) gewährt.
G r ü n d e
1. Die Antragsgegnerin I hat der begehrten Akteneinsicht mit der Begründung wi-
dersprochen, sie gehöre zu dem weltweit operierenden S…-Konzern,
der eine Veräußerung bestimmter Aktivitäten, die nicht zum Kernbereich des Un-
ternehmens gehörten, plane. Eine entsprechende Veröffentlichung im Internet
nenne die "Smartcards" und "point-of-sale terminals", die das mit der Klage ange-
griffene Patent betreffe. Das Patent-Portfolio, zu dem das Streitpatent gehöre, sei
wesentlicher Bestandteil der Bewertung des zur Veräußerung stehenden Unter-
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nehmensbereichs. Die Akteneinsicht eröffne einem potentiellen Kaufinteressenten
Einblick in die Erfolgsaussichten der Klage und gebe ihm eine wichtige Information
zur Bewertung des Patent-Portfolios der Beklagten. Auf Seiten der Beklagten be-
stehe ein gewichtiges Interesse daran, dies zu verhindern.
Die Antragsgegnerin II hat gegen die beantragte Akteneinsicht keine Einwände
erhoben.
2. Dem Antrag auf Akteneinsicht war stattzugeben; die Antragsgegnerin I hat ein
der Akteneinsicht entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse nicht dargetan
(§ 99 Abs 3 Satz 3 PatG).
Die Regelung des Rechts der Akteneinsicht ist auf einen sachgerechten Ausgleich
zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Erfinders und dem Informationsinte-
resse Dritter über die Erfindung gerichtet. § 99 Abs 1 Satz 1 iVm § 31 Abs 1 PatG
gibt im Grundsatz dem Geheimhaltungsinteresse des Erfinders den Vorrang und
fordert deshalb für die Akteneinsicht ein berechtigtes Interesse des Antragstellers.
Diese Grundregel ist jedoch durch zahlreiche Ausnahmeregelungen praktisch ih-
rerseits zur Ausnahme geworden (vgl Busse, Patentgesetz, 5. Aufl, § 31 Rn 9, 10).
Zu diesen Ausnahmeregelungen zählt nach § 99 Abs 3 Satz 3 PatG auch die Ein-
sicht in die Akten wegen Erklärung der Nichtigkeit eines .Patents. Diese ist grund-
sätzlich frei, es sei denn, ein schutzwürdiges Interesse des Patentinhabers oder
des Nichtigkeitsklägers steht ihr entgegen. Dabei muss das der Akteneinsicht ent-
gegenstehende Interesse substantiiert dargelegt werden (BPatG Mitt 79, 137); es
muss sich aus dem Inhalt gerade derjenigen Akten ergeben, deren Einsicht wider-
sprochen wird (BGH GRUR 64, 548). Ein schutzwürdiges Gegeninteresse hat die
Rechtsprechung zB bei Angaben über betriebsinterne Umsatzangaben, die Rück-
schlüsse auf die innerbetriebliche Kalkulation zulassen (BGH GRUR 1972, 441;
BPatGE 22, 66), Angaben über den Streitwert oder Angaben über Vergleiche (vgl
hierzu Busse a.a.O. § 99 Rn 38) angenommen.
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Vor diesem Hintergrund hat die Antragsgegnerin zu I ein schutzwürdiges Interesse
nicht ausreichend dargelegt. Ihr Vortrag, mit der Akteneinsicht erhalte die Antrag-
stellerin eine wichtige Information zur Bewertung des zu veräußernden Patent-
Portfolios, begründet kein solches Interesse. Zweck der Akteneinsicht im Nichtig-
keitsverfahren ist es, gerade den Mitbewerbern die Information über den Bestand
eines Schutzrechts zu ermöglichen. Dass diese Kenntnis Einfluss auf eine Kauf-
entscheidung hat, kann im übrigen auch schon deshalb kein der Akteneinsicht
entgegenstehendes höherwertiges Interesse begründen, weil die Rechtsinhaberin
als Verkäuferin ohnehin nach Treu und Glauben verpflichtet wäre, dem zukünfti-
gen Vertragspartner den Rechtsbestand offenzulegen, ihn jedenfalls nicht zu ver-
heimlichen.
Ein besonderes Geheimhaltungsinteresse an bestimmten Aktenteilen oder Anga-
ben, die Betriebsinterna betreffen, hat die Antragsgegnerin zu I nicht dargetan.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Müllner Obermayer
Schuster
Pr