Urteil des BPatG vom 15.03.2001

BPatG: verwechslungsgefahr, verkehr, aufmerksamkeit, form, gesamteindruck, eugh, patent, vergleich, kennzeichnungskraft, arzneimittel

BUNDESPATENTGERICHT
25 W (pat) 137/00
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
15. März 2001
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die angegriffene Marke 396 00 635
BPatG 154
6.70
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hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts aufgrund
der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2001 unter Mitwirkung des Vorsitzen-
den Richters Kliems sowie der Richter Knoll und Engels
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Beschlüs-
se der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Mar-
kenamts vom 16. Juni 1999 und vom 6. Juli 2000 aufgehoben, so-
weit der Widerspruch aus der Marke 283 700 zurückgewiesen
worden ist.
Wegen dieses Widerspruchs wird die Löschung der angegriffenen
Marke angeordnet.
G r ü n d e
I.
Die am 9. Januar 1996 angemeldete Bezeichnung
Desilin
ist nach Teillöschung noch für die Waren "Arzneimittel gegen Erkrankungen im Zu-
sammenhang mit dem Zentralen Nervensystem" im Markenregister eingetragen.
Die Veröffentlichung der Eintragung erfolgte am 10. September 1996.
Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der am 4. April 1922 für "Arzneimittel für
Menschen und Tiere, Desinfektionsmittel" eingetragenen Marke 283 700,
Develin
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Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat in zwei
Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, eine Ver-
wechslungsgefahr zwischen den Marken verneint und den Widerspruch zurückge-
wiesen. Ausgehend von einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchs-
marke, möglicher Warenidentität und der zu berücksichtigenden allgemeinen Ver-
kehrskreise sei die Einhaltung eines deutlichen Markenabstands zu fordern. Die-
sen Anforderungen werde die jüngere Marke in klanglicher Hinsicht gerecht, da
die übereinstimmende Endung "lin" "verbraucht" sei und der Verkehr den anderen
Wortteil deshalb auf jeden Fall beachten werde. Trotz der übereinstimmenden Sil-
benanzahl und einem ähnlichen Sprech- und Betonungsrhythmus reichten des-
halb die Unterschiede der jeweiligen Mittellaute aus, eine Verwechslungsgefahr
ausschließen zu können, zumal der sich in der jüngeren Marke auf "Desinfektion"
hinweisende Sinngehalt verwechslungsmindernd auswirke. Im Schriftbild bestehe
gleichfalls wegen der abweichenden, jeweils typischen Umrißcharakteristik der
Mittelbuchstaben keine Verwechslungsgefahr, wobei eine handschriftliche Wieder-
gabe heutzutage kaum noch eine Rolle spiele.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden mit dem Antrag,
die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben und die Löschung der
angegriffenen Marke anzuordnen.
Im Hinblick auf die mögliche Übereinstimmung der sich gegenüberstehenden Wa-
ren sei von der jüngeren Marke in jeder Hinsicht ein deutlicher Markenabstand zu
fordern. Dieser sei weder im Vergleich der äußerst ähnlichen Schriftbilder noch
klanglich eingehalten, da die jeweils dreisilbigen, denselben Silbenaufbau, Sprech-
und Betonungsrhythmus aufweisenden Markenwörter sich einzig durch jeweils
zwei abweichende Laute im jeweiligen Wortinnern unterschieden. Diese wiesen
zudem noch eine große klangliche Ähnlichkeit auf, wobei sich die Verwechslungs-
gefahr auch nicht dadurch verringere, daß andere Markenwörter dieselbe Buch-
stabenfolge "DE" und "Endsilbe "LIN" aufwiesen, da insoweit weder eine Benut-
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zung festgestellt werden könne noch Marken zu finden seien, die den vorliegen-
den Ähnlichkeitsgrad wie die angegriffenen Marke aufwiesen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Begründung der angefochtenen Beschlüsse und führt aus,
daß dem wegen seiner häufigen Verwendung schwach kennzeichnenden An-
fangs- und Endbestandteil der Widerspruchsmarke nur eine geringere Bedeutung
zukomme. Dem Verkehr sei aufgrund der vokalischen und konsonantischen Ab-
weichung im Wortinnern eine sichere Unterscheidung der Markenwörter auch in
klanglicher Hinsicht möglich, zumal im Hinblick auf die vorliegend maßgeblichen
Waren von einer besonderen Aufmerksamkeit des Verkehrs auszugehen sei.
Wegen der Einzelheiten wird auf die angefochtenen Beschlüsse sowie auf die
Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig, insbesondere statthaft sowie
form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs 1 Satz 1, Abs 2 MarkenG).
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, da nach Auffassung des Senats
zwischen den Marken Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 Mar-
kenG besteht. Der angefochtenen Beschlüsse waren deshalb insoweit aufzuheben
und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen (§ 43 Abs 2 Satz 1 Mar-
kenG).
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Bei seiner Entscheidung geht der Senat mangels entgegenstehender Anhalts-
punkte von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und einem normalen
Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus.
Nach der vorliegend maßgeblichen Registerlage können die Marken sich auch auf
identischen Waren begegnen, wobei sich zusätzlich verwechslungsfördernd aus-
wirkt, daß in den Warenverzeichnissen eine Rezeptpflicht nicht festgeschrieben ist
und deshalb die allgemeinen Verkehrskreise uneingeschränkt für die Beurteilung
der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen sind. Allerdings ist auch insoweit
grundsätzlich auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verstän-
digen Verbraucher abzustellen, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware oder
Dienstleistung unterschiedlich hoch sein kann (vgl BGH MarkenR 2000, 140, 144
ATTACHÉ / TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 li Spalte - ALKA-SELTZER;
EuGH MarkenR 1999, 236, 239 unter 24. - Lloyd / Loints) und der insbesondere
allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt eine gesteigerte Aufmerksamkeit
beizumessen pflegt (vgl BGH GRUR 1995, 50, 53 - Indorektal/Indohexal).
Die danach an den von der jüngeren Marke einzuhaltenden Markenabstand zu
stellenden strengen Anforderungen hält diese nach Auffassung des Senats jeden-
falls in klanglicher Hinsicht nicht ein, so daß Verwechslungsgefahr im Sinne von
§ 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG besteht. Diese ist dadurch begründet, daß die beiden je-
weils dreisilbigen Wörter mit Ausnahme der sich gegenüberstehenden Mittelsil-
ben "si" und "ve" einen identischen Lautbestand aufweisen und zudem auch im
Sprechrhythmus und in der Betonung der jeweils identischen Anfangs- und Endsil-
ben übereinstimmen. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die unterschiedlichen Mit-
telsilben bereits bei isolierter Betrachtung keine markanten Lautunterschiede auf-
weisen und zudem wegen ihrer Stellung in der jeweiligen Wortmitte sowie wegen
der betonten Artikulation der übereinstimmenden Anfangs- und Endsilben der
Wörter um so weniger auffallen. Die nach dem jeweiligen Gesamteindruck der
Markenwörter verbleibenden geringen klanglichen Unterschiede können deshalb
den weit überwiegenden Gemeinsamkeiten, insbesondere auch im erfahrungsge-
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mäß stärker beachteten Wortanfang (vgl hierzu Althammer/Ströbele MarkenG,
6. Aufl, § 9 Rdn 97) sowie der jeweils deutlich nachklingenden Endsilbe nicht hin-
reichend entgegenwirken, zumal die Auffassung des Verkehrs eher von einem un-
deutlichen Erinnerungsbild bestimmt wird (st Rspr vgl EuGH MarkenR 1999, 236,
239 - Lloyd / Loints) und auch ungünstigere Übermittlungsbedingungen oder eine
wenig artikulierte Aussprache in die Betrachtung einzubeziehen sind.
Sonstige Anhaltspunkte dafür, daß sich vorliegend der Verkehr trotz der insbeson-
dere für das Erinnerungsbild klanglich dominierenden Gemeinsamkeiten der Eck-
bestandteile weniger hieran orientieren wird als an dem im jeweiligen Gesamtein-
druck eher unauffälligen und zudem nicht deutlich abweichenden Klang der Mittel-
silben, bestehen nicht. Dies gilt auch, soweit sich die Inhaberin der angegriffenen
Marke darauf beruft, daß es sich bei den jeweiligen Anfangs- und Endsilben um
schwach kennzeichnende Wortbestandteile handele, da sie häufig auch in einge-
tragenen oder benutzten Arzneimittelkennzeichnungen anderer Unternehmen ver-
wendet würden (vgl auch zur Bedeutung der Registerlage Althammer/Ströbele
MarkenG, 6. Aufl, § 9 Rdn 144; BGH GRUR 1999, 241; 243 - Lions; BGH
GRUR 1967, 246, 250 und 251 - Vitapur) und der Verkehr die abweichende Mittel-
silbe deshalb auf jeden Fall beachten werde. Unabhängig davon, daß sich vorlie-
gend weder aus dem Sachvortrag der Inhaberin der angegriffenen Marke noch
aus sonstigen Umständen - wie den im Markenregister und in dem Arzneimittel-
verzeichnis "Rote Liste" verzeichneten Marken - für die von ihr getroffene Annah-
me tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, darf nämlich nicht unberücksichtigt blei-
ben, daß auch kennzeichnungsschwache Markenbestandteile zur Gestaltung des
Gesamteindrucks beitragen. Dabei ist auch von Bedeutung, daß der Verkehr Mar-
ken regelmäßig in der Form aufnimmt, in der sie ihm entgegentreten, ohne eine
analysierende, zergliedernde, möglichen Bestandteilen nachgehende Betrach-
tungsweise anzustellen (vgl Althammer/Ströbele MarkenG, § 9 Rdn 184 mit weite-
ren Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung). Dies gilt um so eher als es sich
hier um Anfangs- und Endsilben eingliedriger Wörter handelt, die nicht warenbe-
schreibend sind. Bei diesen werden insbesondere die angesprochenen allgemei-
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nen Verkehrskreise um so weniger Veranlassung haben, eine zergliedernde Be-
trachtung der Wörter anzustellen und sich im wesentlichen an einem einzelnen,
zudem noch in der Wortmitte befindlichen Bestandteil zur Unterscheidung im übri-
gen identischer Marken zu orientieren.
Auch im Vergleich der Schriftbilder weisen die Marken in der Kontur der Buchsta-
ben und ihrer Umrißcharakteristik in jeder üblichen Schreibweise sehr deutliche
Parallelen auf, so daß auch insoweit die Annahme eine Verwechslungsgefahr na-
he liegt. Dies kann jedoch letztlich im Hinblick auf die bereits festgestellte klangli-
che Verwechslungsgefahr dahingestellt bleiben (vgl BGH MarkenR 1999, 57, 59 -
Lions).
Nach alledem erweist sich die Beschwerde der Widersprechenden als begründet.
Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß,
§ 71 Abs 1 MarkenG.
Kliems Knoll Engels