Urteil des BPatG vom 16.08.2010
BPatG (stand der technik, patentanspruch, patent, fachmann, berufliche erfahrung, versorgung, patg, fig, luft, bar)
BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
9 W (pat) 404/05
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
16. August 2010
…
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 103 42 978
…
- 2 -
hat  der  9. Senat  (Technischer  Beschwerdesenat)  des  Bundespatentgerichts  auf
die mündliche Verhandlung vom 16. August 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzen-
den  Richters  Dipl.-Ing.  Pontzen  sowie  der  Richter  Dipl.-Ing.  Bork,  Paetzold  und
Dr.-Ing. Höchst
beschlossen:
Das Patent wird widerrufen.
G r ü n d e
I.
Das  Deutsche  Patent-  und  Markenamt  hat  nach  Prüfung  das  am  17. Septem-
ber 2003 unter Inanspruchnahme der deutschen Voranmeldung 103 23 181.1 vom
22. Mai 2003 angemeldete Patent mit der Bezeichnung
"Luftaufbereitungsanlage und Verfahren zum Versorgen einer
Nutzkraftfahrzeugbremsanlage mit Druckluft"
erteilt. Gegen das Patent richtet sich der Einspruch. Er stützt sich neben den be-
reits im Prüfungsverfahren berücksichtigten Dokumenten:
D1
DE 29 50 904 C2
D2
DE 199 13 726 A1
D3
DE 100 29 900 A1
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zusätzlich auf folgenden Stand der Technik:
D4
DE 195 15 895 A1
D5
DE 196 38 226 C1
D6
44 21 575 C2.
Die Patentinhaberin tritt dem Einspruchsvorbringen in allen Punkten entgegen. Sie
verteidigt  das  Streitpatent  mit  Haupt-  und  Hilfsanträgen.  Die  verteidigten  Vorrich-
tungen und Verfahren sind nach ihrer Meinung zulässig. Sie seien auch neu und
durch den in Betracht gezogenen Stand der Technik nicht nahegelegt. Die Patent-
inhaberin beantragt,
das Patent aufrecht zu erhalten (Hauptantrag),
hilfsweise
das Patent beschränkt aufrecht zu erhalten mit:
- Patentansprüchen  1  bis  16,  überreicht  in  der  mündlichen  Ver-
handlung am 16. August 2010,
- Beschreibung  S. 2/14  bis  4/14  mit  handschriftlichen  Änderun-
gen,  eingereicht  mit  Schriftsatz  vom  15. Juni 2007,  eingegan-
gen am 18. Juni 2007,
- Beschreibung S. 5/14 bis 8/14 gemäß Patentschrift,
- Zeichnung Figuren 1 bis 6 gemäß Patentschrift (Hilfsantrag 1),
weiter hilfsweise,
das Patent beschränkt aufrecht zu erhalten mit:
- Patentansprüchen  1  bis  12,  überreicht  in  der  mündlichen  Ver-
handlung am 16. August 2010 und
- noch anzupassenden Beschreibungsteilen (Hilfsantrag 2).
- 4 -
Die Einsprechende beantragt,
das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
Die Einsprechende bestreitet die Patentfähigkeit der jeweiligen Vorrichtungen und
Verfahren u. a. durch Hinweis auf D 1 und D 2. Insbesondere diese beiden Druck-
schriften  nähmen  die  jeweiligen  Vorrichtungen  und  Verfahren  vorweg,  legten  sie
zumindest aber nahe. Darüber hinaus bestreitet sie ein Rechtschutzbedürfnis der
Patentinhaberin  für  gleichlautende  Vorrichtungs-  und  Verfahrensansprüche.  Im
Hinblick auf die zeichnerische Darstellung sei die Offenbarung der Erfindung nicht
ausreichend  deutlich,  sodass  ein  Fachmann  sie  nicht  ausführen  könne.  Gegen-
über den in der Offenlegungsschrift des Streitpatents enthaltenen Angaben seien
Vorrichtung  und  Verfahren  gemäß  dem  Streitpatent  zudem  unzulässig  erweitert.
Außerdem stellt sie die Einheitlichkeit der nebengeordneten Patentansprüche ge-
mäß den Hilfsanträgen in Frage.
Hauptantrag
Die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 11 des Streitpatents lauten:
- 5 -
Rückbezogene Patentansprüche 2 bis 10 bzw 12 bis 14 sind diesen Patentansprü-
chen 1 und 11 nachgeordnet.
Hilfsantrag 1
Die  geltenden,  nebengeordneten  Patentansprüche 1  und 9  sowie 11  und 15  lau-
ten:
1. Luftaufbereitungsanlage  (10)  zum  Versorgen  einer  Nutzkraft-
fahrzeugbremsanlage mit Druckluft, mit
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- einem  ersten  Druckluftausgang  (21),  an  den  ein  erster  Druck-
luftbehälter anschließbar ist,
- einem weiteren Druckluftausgang (23) zur Versorgung einer An-
hängerbremsanlage,
- einem  Drucklufteingang  (1),  der  über  ein  Überström
v
entil  (12)
mit  dem  ersten  Druckluftausgang  (21)  und  über  ein  weiteres
Ventil  (16)  mit  dem  weiteren  Druckluftausgang  (23)  verbunden
ist,
- einem  parallel  zu  dem  Überströmventil  (12)  angeordneten
Rückschlagventil (18), das eine das Überström
v
entil (12) umge-
hende Luftströmung
v
on dem ersten Druckluftausgang (21) weg
über  das  Rückschlag
v
entil  (18)  ermöglicht  und  eine  das  Über-
strömventil  (12)  umgehende  Luftströmung  zu  dem  ersten
Druckluftausgang (21) hin unterbindet, und
- einem zwischen dem weiteren Druckluftausgang (23) und dem
Drucklufteingang  (1)  angeordneten  Ventil  (26,  28),  das  durch
eine  Steuerung  der  Luftaufbereitungsanlage  (10)  steuerbar  ist,
wobei  im  geöffneten  Zustand  des  steuerbaren  Ventils  (26,  28)
Luft  über  das  Rückschlagventil  (18)  und  das  steuerbare  Ven-
til (26, 28) unter Umgehung des Überströmventils (12) von dem
ersten  Druckluftausgang  (21)  zu  dem  weiteren  Druckluftaus-
gang (23) strömen kann,
- wobei  das  weitere  Ventil  ein  weiteres  Überströmventil  (16)  ist
und
- wobei durch Öffnen des steuerbaren Ventils (26, 28) eine Um-
gehung um das weitere Überströmventil (16) geschaffen wird.
Rückbezogene  Patentansprüche 2  bis  8  sind  diesem  Patentanspruch 1  nachge-
ordnet.
9. Luftaufbereitungsanlage  (10)  zum  Versorgen  einer  Nutzkraft-
fahrzeugbremsanlage mit Druckluft, mit
- 7 -
- einem  ersten  Druckluftausgang  (21),  an  den  ein  erster  Druck-
luftbehälter anschließbar ist,
- einem  weiteren  Druckluftausgang  (23)  zur  Versorgung  einer
Anhängerbremsanlage,
- einem  Drucklufteingang  (1),  der  über  ein  Überströmventil  (12)
mit  dem  ersten  Druckluftausgang  (21)  und  über  ein  weiteres
Ventil  (74)  mit  dem  weiteren  Druckluftausgang  (23)  verbunden
ist,
- einem  parallel  zu  dem  Überströmventil  (12)  angeordneten
Rückschlagventil (18), das eine das Überströmventil (12) umge-
hende Luftströmung von dem ersten Druckluftausgang (21) weg
über  das  Rückschlagventil  (18)  ermöglicht  und  eine  das  Über-
strömventil  (12)  umgehende  Luftströmung  zu  dem  ersten
Druckluftausgang (21) hin unterbindet, und
- einem zwischen dem weiteren Druckluftausgang (23) und dem
Drucklufteingang  (1)  angeordneten  Ventil  (74),  das  durch  eine
Steuerung  der  Luftaufbereitungsanlage  (10)  steuerbar  ist,  wo-
bei  im  geöffneten  Zustand  des  steuerbaren  Ventils  (74)  Luft
über  das  Rückschlagventil  (18)  und  das  steuerbare  Ventil  (74)
unter  Umgehung  des  Überströmventils  (12)  von  dem  ersten
Druckluftausgang  (21)  zu  dem  weiteren  Druckluftausgang  (23)
strömen kann,
- wobei  ein  Magnetventil  (30)  vorgesehen  ist,  das  direkt  elek-
trisch betätigt werden kann, und
- wobei  das  steuerbare  Ventil  ein  pneumatisch  entsperrbares
Rückschlagventil  (74)  ist,  das  über  das  Magnet
v
entil  (30)  ent-
sperrt werden kann, wobei das Rückschlagventil (74) gleichzei-
tig das weitere Ventil ist.
Der rückbezogene Patentanspruch 10 ist diesem Patentanspruch nachgeordnet.
- 8 -
11. Verfahren  zum  Versorgen  einer  Nutzkraftfahrzeugbremsan-
lage  mit  Druckluft  mittels  einer  Luftaufbereitungsanlage  (10),  wo-
bei die Luftaufbereitungsanlage umfasst:
- einen ersten Druckluftausgang (21), an den ein erster Druckluft-
behälter anschließbar ist,
- einen weiteren Druckluftausgang (23) zur Versorgung einer An-
hängerbremsanlage,
- einen  Drucklufteingang  (1),  der  über  ein  Überströmventil  (12)
mit  dem  ersten  Druckluftausgang  (21)  und  über  ein  weiteres
Ventil  (16)  mit  dem  weiteren  Druckluftausgang  (23)  verbunden
ist,
- einem  parallel  zu  dem  Überströmventil  (12)  angeordneten
Rückschlagventil (18), das eine das Überströmventil (12) umge-
hende Luftströmung von dem ersten Druckluftausgang (21) weg
über  das  Rückschlagventil  (18)  ermöglicht  und  eine  das  Über-
strömventil  (12)  umgehende  Luftströmung  zu  dem  ersten
Druckluftausgang (21) hin unterbindet, und
- einem zwischen dem weiteren Druckluftausgang (23) und dem
Drucklufteingang  (1)  angeordneten  Ventil  (26,  28),  das  durch
eine  Steuerung  der  Luftaufbereitungsanlage  (10)  steuerbar  ist,
wobei  im  geöffneten  Zustand  des  steuerbaren  Ventils  (26,  28)
Luft  über  das  Rückschlagventil  (18)  und  das  steuerbare  Ventil
(26,  28)  unter  Umgehung  des  Überströmventils  (12)  von  dem
ersten  Druckluftausgang  (21)  zu  dem  weiteren  Druckluftaus-
gang (23) strömen kann,
- wobei  das  weitere  Ventil  ein  weiteres  Überströmventil  (16)  ist
und
- wobei durch Öffnen des steuerbaren Ventils (26, 28) eine Um-
gehung um das weitere Überströmventil (16) geschaffen wird.
Dem Patentanspruch 11 sind die Patentansprüche 12 bis 14 nachgeordnet.
- 9 -
15. Verfahren  zum  Versorgen  einer  Nutzkraftfahrzeugbremsanla-
ge  mit  Druckluft mittels  einer  Luftaufbereitungsanlage  (10),  wobei
die Luftaufbereitungsanlage umfasst:
- einen ersten Druckluftausgang (21), an den ein erster Druckluft-
behälter anschließbar ist,
- einen weiteren Druckluftausgang (23) zur Versorgung einer An-
hängerbremsanlage,
- einen  Drucklufteingang  (1),  der  über  ein  Überströmventil
(
12)
mit  dem  ersten  Druckluftausgang  (21)  und  über  ein  weiteres
Ventil  (74)  mit  dem  weiteren  Druckluftausgang  (23)  verbunden
ist,
- einem  parallel  zu  dem  Überström
v
entil  (12)  angeordneten
Rückschlagventil (18), das eine das Überströmventil (12) umge-
hende Luftströmung von dem ersten Druckluftausgang (21) weg
über  das  Rückschlagventil  (18)  ermöglicht  und  eine  das  Über-
strömventil  (12)  umgehende  Luftströmung  zu  dem  ersten
Druckluftausgang (21) hin unterbindet, und
- einem zwischen dem weiteren Druckluftausgang (23) und dem
Drucklufteingang
(
1)  angeordneten  Ventil  (74),  das  durch  eine
Steuerung  der  Luftaufbereitungsanlage  (10)  steuerbar  ist,  wo-
bei  im  geöffneten  Zustand  des  steuerbaren  Ventils  (74)  Luft
über  das  Rückschlagventil  (18)  und  das  steuerbare  Ventil  (74)
unter  Umgehung  des  Überströmventils  (12)  von  dem  ersten
Druckluftausgang  (21)  zu  dem  weiteren  Druckluftausgang  (23)
strömen kann,
- wobei  ein  Magnetventil  (30)  vorgesehen  ist,  das  direkt  elek-
trisch betätigt werden kann, und
- wobei  das  steuerbare  Ventil  ein  pneumatisch  entsperrbares
Rückschlagventil
(
74)  ist,  das  über  das  Magnet
v
entil  (30)  ent-
sperrt werden kann, wobei das Rückschlag
v
entil (74
)
gleichzei-
tig das weitere Ventil ist.
- 10 -
Der rückbezogene Patentanspruch 16 ist diesem Patentanspruch nachgeordnet.
Hilfsantrag 2
Die  geltenden Patentansprüche 1  bis  8  stimmen  wörtlich  überein mit  den  Patent-
ansprüchen 1 bis 8 des Hilfsantrages 1.
Die  geltenden  Patentansprüche 9  bis  12  stimmen  bis  auf  die  Umnummerierung
und  Anpassung  der  Rückbeziehungen  wörtlich  überein  mit  den  Patentansprü-
chen 11 bis 14 des Hilfsantrages 1.
II.
Die  Zuständigkeit  des  Bundespatentgerichts  ist  durch  §  147  Abs. 3  Satz 1  PatG
a. F. begründet.
Der Einspruch ist unbestritten zulässig; er hat auch in der Sache Erfolg.
1.
Zum Hauptantrag
1. a Der Patentanspruch 1 ist zulässig.
Der von der Einsprechenden dagegen erhobene Vorwurf der unzulässigen Erwei-
terung  (§ 21  (1)  Nr. 4  PatG)  beruht  zunächst  auf  einem  Vergleich  der  Streitpa-
tentschrift  DE 10342978 B4  und  deren  Offenlegungsschrift DE 10342978 A1.  Im
vorliegenden Fall hat das Deutsche Patent- und Markenamt mit dieser A1-Schrift
allerdings  nicht  die  ursprünglichen  Anmeldungsunterlagen  veröffentlicht,  sondern
fälschlicherweise  die  Prioritätsunterlagen.  Insoweit  entbehrt  dieser  Vorwurf  der
Einsprechenden  seiner  Grundlage,  denn  der  Patentanspruch 1  enthält  sämtliche
Merkmale  des  Patentanspruchs 1  in  seiner  ursprünglichen,  am  17. Septem-
- 11 -
ber 2003  beim  Deutschen  Patent-  und  Markenamt  eingereichten  Fassung,  vgl.
insb. S. 20/21 dieser Anmeldungsunterlagen.
Darüber  hinaus  enthält  der  Patentanspruch 1  das  Merkmal,  wonach  das  Ven-
til (26,  28,  74)  „durch  eine  Steuerung  der  Luftaufbereitungsanlage (10)  steuerbar
ist“, ursprungsoffenbart in den Figuren 1 bis 4 und S. 11 Z. 18 bis 30, S. 14 Z. 22
bis 28  sowie  S. 14  Z. 33  bis  S. 15  Z. 7.  Dagegen  wendet  die  Einsprechende  ein,
die Anmeldeunterlagen enthielten das Wort „Steuerung“ nicht und eine solche sei
auch den Figuren nicht entnehmbar. Das in den Schaltskizzen der Figuren 1 bis 4
der Luftaufbereitungsanlage oben dargestellte Rechteck könne ebenso gut ein Da-
tenbus sein. Nach Überzeugung des Senats kommt es allerdings nicht darauf an,
wo  die  Steuerung  angeordnet  ist,  sondern  allein  darauf,  dass  eine Steuerung  of-
fenbart ist. Dafür reichen die vorstehend genannten Textstellen der Anmeldeunter-
lagen aus, insbesondere durch den Hinweis auf eine Verbindung der steuerbaren
Ventile  mit  einer  elektrischen  Versorgung  beziehungsweise  Auswertung  der  Luft-
aufbereitungsanlage.
1. b Das  Streitpatent  enthält  eine  hinreichend  deutliche  Offenbarung,  die  einen
Durchschnittsfachmann  ohne  Weiteres  in  die  Lage  versetzt,  eine  dementspre-
chende Luftaufbereitungsanlage auszuführen.
Der  dagegen  gerichtete  Einwand  (§ 21  (1)  Nr. 2  PatG)  der  Einsprechenden  be-
zieht sich auf die zeichnerische Darstellung der Magnetventile 26 mit einer Entlüf-
tung zur Atmosphäre in den Figuren 1 und 2 der Streitpatentschrift. In dieser Stel-
lung  sei  der  Ausgang 23  ständig  entlüftet  mit  der  Folge,  dass  sich  im  Brems-
kreis III kein Druck aufbauen könne. Zwar sei in der Beschreibung erwähnt, dass
der Entlüftungsanschluss zu verschließen sei, diese Einzelheit finde im Patentan-
spruch 1 jedoch keine Stütze, denn dort sei nur ein Ventil 26 genannt. Diese Be-
denken  teilt  der  erkennende  Senat  nicht,  denn  der  angebliche  Mangel  liegt  tat-
sächlich nicht vor. Das Patent richtet sich mit seinem Offenbarungsgehalt nämlich
nicht an einen Laien, sondern an einen auf dem entsprechenden technischen Ge-
- 12 -
biet tätigen Durchschnittsfachmann. Als zuständigen Durchschnittsfachmann sieht
der  Senat  einen  Ingenieur  der  Fahrzeugtechnik  an,  der  bei  einem  Fahrzeugher-
steller oder –zulieferer beschäftigt ist und über hinreichende berufliche Erfahrung
in der Konstruktion von Druckluft-Bremsanlagen für Nutzfahrzeuge verfügt. Dieser
Fachmann  kennt  ohne  Zweifel  Ventile, mit  denen  die  im  Patentanspruch 1 bean-
spruchte  Wirkung  erzielbar  ist.  Ein  solches  ist  in  der  Beschreibung  der  Streitpa-
tentschrift  zudem  genannt,  nämlich  ein  „2/2-Ventil“,  vgl.  insb.  Abs. [0034].  In  die-
sem  Absatz  ist  auch  ausdrücklich  darauf  hingewiesen,  bei  dem  in  der  Fig. 1  als
3/2-Ventil dargestellten Ventil den Entlüftungsausgang „zu verschließen, um so ei-
nen Druckverlust aus der Anhängerbremsanlage über das Magnetventil 26 zu ver-
meiden.“
1. c Die  streitgegenständliche  Luftaufbereitungsanlage  gemäß  Patentanspruch 1
des Hauptantrags ist nicht neu (§ 21 (1) Nr. 1 PatG), denn der vorstehend definier-
te Durchschnittsfachmann entnimmt sie der D 1 ohne Weiteres.
Die  D 1  offenbart  ein  in  Kraftfahrzeugen  zu  verwendendes  Mehrkreisschutzven-
til 2,  das  dem  Fachmann  bekannt  ist  als  Teil  einer  Luftaufbereitungsanlage  zum
Versorgen  einer  Nutzkrafttahrzeugbremsanlage  mit  Druckluft,  vgl.  insb.  An-
spruch 1 sowie Sp. 2 Z. 57 bis 59. Als Nutzfahrzeug mit einer Druckluftbremsanla-
ge, bei der das Mehrkreisschutzventil 2 verwendbar ist, nennt die Druckschrift bei-
spielsweise  ein  Feuerwehrfahrzeug  mit  Federspeicherbremszylinder,  vgl.  insb.
Sp. 8  Z. 52  bis 59.  Die  Einbindung  des  Mehrkreisschutzventils 2  in die  Luftaufbe-
reitungsanlage ist in nachstehender Fig. 3 durch über die gestrichelte Umrandung
hinausgehende  Leitungsverbindungen  angedeutet.  Durch  das  Mehrkreisschutz-
ventil 2 verfügt die
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Luftaufbereitungsanlage  über  einen  ersten  Druckluftausgang 8,  an  den  ein  erster
Druckluftbehälter 9 anschließbar ist, vgl. insb. Sp. 4 Z. 31 bis 35 i. V. m. Fig. 3. Ein
weiterer  Druckluftausgang 16  ist  vorgesehen  für  einen  Kreis III,  der  zur  Versor-
gung  einer  Anhängerbremsanlage  dient,  vgl.  insb.  Sp. 6  Z. 60/61.  Der  Druckluft-
eingang 1  ist  über  ein  Überströmventil 7  mit  dem  ersten  Druckluftausgang 8  und
über  ein  weiteres  (Überström-)  Ventil 15  mit  dem  weiteren  Druckluftausgang 16
verbunden.  Parallel  zu  dem  Überströmventil 7  ist  ein  Rückschlagventil 22  ange-
ordnet, das eine das Überströmventil 7 umgehende Luftströmung von dem ersten
Druckluftausgang 8  weg  über  das  Rückschlagventil 22  ermöglicht  und  eine  das
Überströmventil 7  umgehende  Luftströmung  zu  dem  ersten  Druckluftausgang 8
hin unterbindet, vgl. auch Sp. 5 Z. 36 bis 40. Zwischen dem weiteren Druckluftaus-
gang 16  und  dem  Drucklufteingang 1  ist  ein  steuerbares  (Absperr-)  Ventil 13  an-
geordnet, vgl. insb. Anspruch 2. Durch welche Steuerung das Ventil 13 steuerbar
ist, legt die D 1 nicht ausdrücklich fest. Damit liest der Fachmann jede geeignete
Steuerung selbstverständlich mit und damit insbesondere auch die Steuerung der
- 14 -
Luftaufbereitungsanlage  selbst.  Bei  geöffnetem  steuerbaren  Ventil 13  kann  Luft
über das Rückschlagventil 22 und das steuerbare Ventil 13 unter Umgehung des
Überströmventils 7 von dem ersten Druckluftausgang 8 zu dem weiteren Druckluft-
ausgang 16  strömen.  Ein  Unterschied  zur  streitgegenständlichen  Luftaufberei-
tungsanlage besteht somit nicht.
Dagegen wendet die Patentinhaberin ein, dass eine Ansteuerung des Absperrven-
tils 13 durch die Steuerung der Luftaufbereitungsanlage in D 1 nicht offenbart sei
und  nur  in  Kenntnis  des  Streitpatents  dort  mitgelesen  werden  könne.  Dem  folgt
der  Senat  nicht,  denn  der  Fachmann  muss  eine  Steuerung  in  Gedanken  gleich
mitlesen, wenn ein Absperrventil als „steuerbar oder von Hand betätigt“ (siehe An-
spruch 2  der  D 1)  offenbart  ist.  Die  Benennung  eines  nicht  handbetätigten,  son-
steuerbaren
Steuerung  hin  und  schließt  grundsätzlich  keine  Steuerung  aus.  Dass  der  Fach-
mann  dabei  die  Steuerung  der  Luftaufbereitungsanlage  als  nahezu  unerlässlich
ergänzt, steht für den Senat außer Zweifel. Denn die Luftaufbereitungsanlage ver-
fügt regelmäßig über eine Steuerung für die Überwachung verschiedener Drücke,
die  Kompressorschaltung  oder  die  Schaltung  von  Sicherheitsventilen.  Diese
Steuerung ist daher für den Fachmann selbstverständlich auch diejenige, mit der
das  steuerbare  Absperrventil 13  innerhalb  des  Mehrkreisschutzventils 2,  das  Be-
standteil  der  Luftaufbereitungsanlage  ist,  angesteuert  wird.  Jedwedes  andere
Steuergerät hätte einer Erwähnung in der D 1 bedurft. Das ist jedoch nicht der Fall
und auch von der Patentinhaberin nicht nachgewiesen worden.
Mithin ist der Patentanspruch 1 nicht bestandsfähig.
Sein Schicksal teilen die darauf rückbezogenen Patentansprüche 1 bis 10 ebenso
wie die nebengeordneten Verfahrensansprüche 11 bis 14, denn über einen Antrag
kann nur in seiner Gesamtheit entschieden werden.
- 15 -
2.
Zum Hilfsantrag 1
2.a. Der  geltende  Patentanspruch 1  fasst  die  Merkmale  der  erteilten  Patentan-
sprüche 1  und 8  zusammen  und  stellt  insoweit  eine  zulässige  Beschränkung  auf
eine  Luftaufbereitungsanlage  gemäß  den  Ausführungsbeispielen  der  Figuren 1
bis 3 dar.
2. b Die  Luftaufbereitungsanlage  gemäß  geltendem  Patentanspruch 1  ist  unbe-
stritten gewerblich anwendbar und neu. Durch eine Zusammenschau der D 1 mit
der D 2 i. V. m. dem Wissen und Können des Durchschnittsfachmannes ist sie je-
doch nahegelegt.
Die  Luftaufbereitungsanlage  gemäß  geltendem  Patentanspruch 1  enthält  sämtli-
che  Merkmale  derjenigen  Luftaufbereitungsanlage  des  Patentanspruchs 1  nach
dem Hauptantrag. Hinsichtlich der insoweit inhaltsgleichen Merkmale gelten die im
vorstehenden Abschnitt 1.c gemachten Ausführungen unverändert auch hier, d. h.
diese  Merkmale  sind  aus  der  D 1  bekannt.  In  der  D 1  ist  auch  das  nunmehr  zu-
sätzlich beanspruchte Merkmal offenbart, wonach das weitere Ventil ein weiteres
Überströmventil 15 ist, vgl. insb. vorstehende Fig. 3 sowie Sp. 4 Z. 56 bis 59.
Das weiter zusätzlich beanspruchte Merkmal, wonach durch Öffnen des steuerba-
ren Ventils eine Umgehung um das weitere Überströmventil geschaffen wird, geht
aus der D 1 allerdings nicht hervor. Vielmehr ist das Überströmventil 15 dort in Se-
rie  mit  dem  steuerbaren  Absperrventil 13  geschaltet,  vgl.  insb.  Fig. 3.  Somit  wird
das Überströmventil 15 beim Öffnen des steuerbaren Absperrventils 13 nicht um-
gangen, sondern durchströmt. Infolgedessen wirkt sich der am Überströmventil 15
eingestellte Schließdruck in jedem Fall aus.
Der eingangs definierte Durchschnittsfachmann muss dies als Nachteil erkennen.
Denn eine Nachversorgung der Anhängerbremse mit zum Teil erheblich geringe-
ren Drücken ist nur eingeschränkt oder gar nicht möglich, weil das Überströmven-
- 16 -
til 15  nur  oberhalb  seines  eingestellten  Schließdrucks  durchströmt  werden  kann.
Deshalb  wird  er  im  einschlägigen  Stand  der  Technik  nach  einer  technischen  Lö-
sung  suchen,  die  eine  ungehinderte  Nachversorgung  der  Anhängerbremse  mög-
lich  macht.  Dabei  kann  er  die  Luftaufbereitungsanlage  gemäß  D 2  nicht  überse-
hen, denn diese Anlage verfügt über ein integriertes elektrisch/elektronisch oder
pneumatisch  ansteuer-  und  schaltbares  Mehrkreisschutzventil 13  mit  drei  schalt-
baren  Überströmventilen 38,  vgl.  insb.  vorstehende  Fig. 2  i. V. m.  Sp. 2  Z. 14
bis 23  sowie  Sp. 3  Z. 26  bis 34.  Zur  Nach-  oder  Notversorgung  der  Anhänger-
bremse  auch  unterhalb  des  Schließdrucks  der  Ventile 38  ist  beispielsweise  eine
direkt  schaltbare  Leitungsverbindung  zwischen  den  Druckluftausgängen 35
(Kreis 17´´) oder 36 (Kreis 18´´) und dem weiteren Druckluftausgang 37 (Kr3) aus-
drücklich vorgesehen, vgl. insb. Anspruch 3. Dazu wird das Ventil 38 vor dem Aus-
gang 37  zum  Anhängersteuer-  und  Versorgungskreis  Kr3  geöffnet,  sodass  die
Druckluft  aus  den  Druckluftbehältern  der  Betriebsbremse  des  Zugwagens  unge-
hindert  in  den  Anhängerbremskreis  strömen  kann,  vgl.  insb.  Sp. 2  Z. 14  bis  23.
- 17 -
Dabei beeinträchtigt kein Schließdruck die Strömung, denn das geöffnete Ventil 38
ist wirkungsmäßig aus der Serienschaltung mit dem steuerbaren Absperrventil 13
entfernt.
Diese Anregung aus D 2 wird der Durchschnittsfachmann versuchen, auf die Luft-
aufbereitungsanlage der D 1 umzusetzen, um den vorstehend erläuterten Nachteil
zu beheben. Folglich wird er das Überströmventil 15 beim Nachversorgen des An-
hängerbremskreises unwirksam machen. Dazu kann er entweder das Überström-
ventil 15 der D 1 schaltbar ausgestalten oder als fachgerecht gleichwertige Varian-
te  eine  Umgehung  des  Überströmventils 15  durch  ein  steuerbares  Absperrven-
til 13  parallel  zum  Überströmventil 15  vorsehen.  Beide  Varianten  machen  das
Überströmventil 15  unwirksam  im  Sinne  der  Anregung  aus  der  D 2.  Welche  der
beiden technischen Varianten letztendlich gewählt wird, bleibt dem Durchschnitts-
fachmann  überlassen.  Ist  es  die  letztgenannte,  bei  der  ein  steuerbares  Absperr-
ventil 13  parallel  zum  Überströmventil 15  angeordnet  ist,  wird  dadurch  das  nun-
mehr beanspruchte erreicht. Wie vorstehend nachgewiesen worden ist, reicht da-
zu allein die Auswertung des einschlägigen Standes der Technik und eine fachge-
rechte Umsetzung der darin vorgefundenen Anregung. Eine derartige Vorgehens-
weise wird von einem Fachmann regelmäßig erwartet und erfordert keine erfinde-
rische Tätigkeit.
Die  Patentinhaberin  wendet  dagegen  ein,  das  Steuerelement 13  gemäß  D 1  sei
ausschließlich als Druckbegrenzungsventil oder gleichwirkender Druckuntersetzer
offenbart. Da sich diese Interpretation ausschließlich auf Ausführungsbeispiele der
D 1 bezieht, konnte sie den Senat nicht überzeugen. Denn eine vollständige und
objektive  Auswertung  der  D 1  kann  nicht  übersehen,  dass  ein  steuerbares  Ab-
sperrventil  als  eine  mögliche  Ausgestaltung  des  Steuerelementes 13  sowohl  im
Anspruch 2 wie auch in der Beschreibung ausdrücklich genannt ist, vgl. insb. Sp. 1
Z. 33, Sp. 3 Z. 47, Sp. 4 Z. 53. Außerdem weist die D 1 darauf hin, dass die Figu-
renbeschreibung  nur  einige  Beispiele  einer  sehr  großen  Anzahl  von  Schaltungs-
möglichkeiten enthält, vgl. insb. Sp. 3 Z. 50 bis 55. Dies unterstreicht, dass die Fi-
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gurenbeschreibung keineswegs als abschließende oder einschränkende Offenba-
rung zu verstehen ist, wie die Patentinhaberin meint. Der Fall der Nachversorgung
des  Anhängerbremskreises  ist  in  der  D 1  unverkennbar  erwähnt,  indem  ein  nicht
möglicher  Druckausgleich  zwischen  allen  Gruppen  (Druckluftkreisen)  als  grund-
sätzlicher  Nachteil  hervorgehoben  ist,  vgl.  insb.  Sp. 5  Z. 47  bis 51.  Vor  diesem
Hintergrund  besteht  für  den  Fachmann  kein  Grund,  die  Offenbarung  der  D 1  auf
die  Ausführungsbeispiele  beschränkt  zu  verstehen.  Schließlich  zeigt  die  vorste-
hend  erläuterte  Zusammenschau  der  D 1  mit  der  D 2,  dass  sich  die  vollständig
verstandene Offenbarung der D 1 mit einem steuerbaren Absperrventil zur Ausge-
staltung  eines  unbehinderten  Druckausgleichs  zwischen  allen  Druckluftkreisen
technisch  sinnvoll  anwenden  lässt  und  in  naheliegender  Weise  zu  einer  Lösung
des anstehenden Problems führt.
Mithin  ist  der  Gegenstand  des  geltenden  Patentanspruchs 1  des  Hilfsantrags 1
nicht patentfähig.
Mit ihm fallen die Unteransprüche 2 bis 8 und auch die weiteren Nebenansprüche
mit ihren jeweiligen Unteransprüchen, denn über einen Antrag kann nur in seiner
Gesamtheit entschieden werden.
3.
Zum Hilfsantrag 2
Da die geltenden Patentansprüche 1 des Hilfsantrags 2 und des vorstehend abge-
handelten  Hilfsantrags 1  wörtlich  identisch  sind,  gelten  die  vorstehenden  Ausfüh-
rungen unter Ziff. 2 auch zum Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2.
Somit  ist  auch  der  Gegenstand  des  geltenden  Patentanspruchs 1  des  Hilfsan-
trags 2 nicht patentfähig.
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Mit ihm fallen die Unteransprüche 2 bis 8 und auch die weiteren Nebenansprüche
mit ihren jeweiligen Unteransprüchen, denn über einen Antrag kann nur in seiner
Gesamtheit entschieden werden.
4.
Bei  dieser  Sachlage  erübrigt  sich  die  von  der  Einsprechenden  angeregte
Überprüfung des Rechtschutzbedürfnisses der Patentinhaberin.
Zu den in §§ 21 und 22 PatG abschließend genannten Widerrufsgründen zählt die
von der Einsprechenden noch aufgeworfene Frage der Einheitlichkeit alternativer
Lösungen  in  den  nebengeordneten  Patentansprüchen  der  Hilfsanträge 1  oder 2
übrigens  nicht.  Diesbezüglich  vertritt  der  Senat  die  Auffassung,  dass  die  in
§ 34 (5) PatG gesetzlich geforderte Einheitlichkeit der Patentanmeldung ein Form-
erfordernis  ist,  welches  von  der  Patentanmeldung  gefordert  und  im  Patentertei-
lungsverfahren zu prüfen ist. Nach der Erteilung eines Patents besteht im Rechts-
mittelverfahren des Einspruchs oder der Einspruchs-Beschwerde für eine Prüfung
dieses
Formerfordernisses
keine
Rechtsgrundlage,
denn
mangelnde
Einheitlichkeit  stellt  weder  einen  Widerrufs-  noch  einen  Nichtigkeitsgrund  dar.
Diese Auffassung stützt sich auf einschlägige BGH-Rechtsprechung, wonach das
Einspruchsverfahren  keine  Wiederholung  des  Erteilungsverfahrens  ist,  BGH
GRUR 1995, 337 - Aluminium-Trihydroxid, BGH GRUR 2005, 145-148 – Elektroni-
sches Modul.
Pontzen
Bork
Paetzold
Dr. Höchst
Ko