Urteil des BPatG vom 28.09.2006

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BUNDESPATENTGERICHT
34 W (pat) 348/02
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
28. September 2006
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 196 52 903
BPatG 154
08.05
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hat der 34. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 28. September 2006 unter Mitwirkung …
beschlossen:
Das Patent 196 52 903 wird widerrufen.
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G r ü n d e
I.
Gegen das am 19. Dezember 1996 angemeldete und am 8. August 2002 ver-
öffentlichte deutsche Patent 196 52 903 mit der Bezeichnung „Verpackung aus
einem Unterteil und einem Oberteil“ haben die Firmen
A… KG Maschinenbau (GmbH & Co.) in B…,
(Einsprechende I) am 6. November 2002,
C… GmbH + Co. KG in D…,
(Einsprechende II) am 8. November 2002,
E… S.A. in F…,
(Einsprechende III) am 8. November 2002
und
G… N.V. in H…,
(Einsprechende IV) am 8. November 2002
Einspruch eingelegt.
Nach Auffassung der Einsprechenden ist der Gegenstand des angefochtenen
Patents nicht neu bzw. ergibt sich für den Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit
aus dem Stand der Technik.
Die Einsprechenden haben zur Stützung ihres Vorbringens mehrere Druck-
schriften genannt und offenkundige Vorbenutzungen geltend gemacht. Unter
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anderem wurden zu der von der Einsprechenden IV geltend gemachten Vorbe-
nutzung die folgenden Dokumente vorgelegt:
D1: Ablichtungen einer aus zwei Seiten bestehenden internen
Mitteilung der Fa. I… GmbH (1a) vom
19. April 1996 mit drei Abbildungen (1b), (1c) und (1d) als
Anlagen;
D2: Ablichtungen einer Bestellung (2a) der Fa. I…
GmbH vom 4. Juni 1996 bei der
Fa. J… GmbH &
Co. mit beiliegender Spezifikation (2b) und der aus vier
Seiten bestehenden zugehörigen Auftragsbestätigung (2c)
vom 13. Juni 1996;
D3: Ablichtungen einer Bestellung (3a) der Fa. I…
GmbH vom 4. Juni 1996 bei der
Fa. J…GmbH &
Co. mit beiliegender Spezifikation (3b) und der aus drei
Seiten bestehenden zugehörigen Auftragsbestätigung (3c)
vom 13. Juni 1996;
D4: Ablichtungen von Faxmitteilungen (4a) bis (4h) an den
Verkaufsleiter der Fa. I… GmbH vom
Verkaufspersonal der Fa. I… GmbH.
Die Einsprechende IV hat mit Schriftsatz vom 27. September 2006, eingegangen
am 27. September 2006, ihren Einspruch zurückgenommen.
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Die verbleibenden Einsprechenden beantragen,
das Patent zu widerrufen.
Die ordnungsgemäß geladenen und wie angekündigt zur mündlichen Verhandlung
nicht erschienenen Einsprechenden I und III tun das schriftsätzlich.
Die Patentinhaberin beantragt,
das Patent aufrechtzuerhalten.
Sie sieht die Neuheit und erfinderische Qualität des Gegenstands des Patents als
gegeben an.
Der erteilte Anspruch 1 lautet:
Verpackung aus einem Unterteil und einem Oberteil, wobei das
Unterteil und das Oberteil aus Zuschnitten gefaltet und aufeinan-
dersetzbar sind, mit einem um den Boden des Unterteils umlau-
fenden Kragen, sowie mit Ausschnitten in einem umlaufenden,
aus vier Mantelflächen bestehenden Mantel des Oberteils, wobei
die Ausschnitte zum unteren Randbereich des Mantels hin offen
sind, um den Kragen des Unterteils aufzunehmen, wobei jeweils
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kennzeichnet,
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Zu den Unteransprüchen und weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten
wird auf die Akte verwiesen.
II.
1. Gemäß § 147 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 1 PatG entscheidet über den Einspruch
nach § 59 PatG der Beschwerdesenat des Patentgerichts, wenn – wie hier – die
Einspruchsfrist nach dem 1. Januar 2002 beginnt und der Einspruch vor dem
30. Juni 2006 eingelegt worden ist.
2. Die frist- und formgerecht erhobenen Einsprüche sind zulässig.
3. Bezüglich der Offenbarung des Gegenstandes des erteilten Patentan-
spruchs 1 bestehen keine Bedenken.
4. Nach Prüfung der Einsprüche ist das Patent zu widerrufen, denn die Ver-
packung mit den im Anspruch 1 des angefochtenen Patents angegebenen Merk-
malen ist nicht neu.
Der Senat sieht es auf Grund der von der Einsprechenden IV eingereichten
Schriftstücke als erwiesen an, dass eine patentgemäß ausgestaltete Verpackung
bereits vor dem Anmeldetag des angefochtenen Patents durch Benutzung der
Öffentlichkeit zugänglich war.
Die Patentinhaberin hat die Authentizität sowie das Zutreffen des Inhalts der
vorgelegten Dokumente nicht in Zweifel gezogen und in der mündlichen Ver-
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handlung auch eingeräumt, dass eine Vorbenutzung der patentgemäßen Ver-
packung stattgefunden haben könnte. Sie hat lediglich die Vermutung geäußert,
die Auslieferung der Verpackungszuschnitte in der in den Bestellungen und Auf-
tragsbestätigungen angegebenen Menge habe nicht stattgefunden, da eine Rech-
nung darüber nicht vorliege. Bei den Tests könne es sich auch um interne Unter-
suchungen, durchgeführt von einem Kreis weniger Mitarbeiter mit einer geringen
Anzahl von Testobjekten, gehandelt haben, so dass die Handlung nicht öffentlich
zugänglich geworden sei.
Tatsachen, die geeignet gewesen wären, ihre Vermutung zu untermauern, hat die
Patentinhaberin jedoch nicht vorgetragen.
Aus den Dokumenten D1 bis D4 geht hervor, dass der Gegenstand der geltend
gemachten Vorbenutzung mit der Verpackung gemäß dem Anspruch 1 des
angefochtenen Patents in allen Merkmalen übereinstimmt.
Das Dokument D1 zeigt einen „2teiligen Versandkarton für Beutelprodukte“ der
Fa. K…, siehe Teildokument (1a), S. 1 und die Abbildungen in den Teildokumen-
ten (1b) mit der Überschrift „Gestaltungsentwurf - Öffnungshinweis“ und (1d) mit
der Überschrift „Zu verabschiedende Testausführung“. Er besteht aus einem Un-
terteil und einem Oberteil, siehe die Darstellungen rechts bzw. links und in der
Mitte im Teildokument (1d), dort mit der Bezeichnung „Muster Nr. FD 50762.01“
bzw. „Muster FD 50762.02“ versehen. Die Übereinstimmung des im Teildokument
(1b) offenbarten Ober- und Unterteils mit den in den Fig. 4 bzw. den Fig. 1 und 2
der Patentschrift dargestellten Gegenständen ist augenfällig. Insbesondere kann
eine vom Mantel des Oberteils abtrennbare Erstbenutzungsanzeige der linken
Abbildung des Teildokuments (1d) entnommen werden. Offensichtlich zur Verkle-
bung mit der Innenseite des Unterteils ist das Oberteil an der Außenseite der Erst-
benutzungsanzeige mit einer „Klebestelle“ versehen. Die Darstellung in der Mitte
zeigt ein Oberteil ohne Erstbenutzungsanzeige, bei der das Verbindungsteil her-
ausgetrennt ist.
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Dokument D2 umfasst eine Bestellung mit der Nr. 50139465, siehe Teildokument
(2a), eine Zeichnung, siehe Teildokument (2b) und eine Auftragsbestätigung der
Fa. J… vom 14. Juni 1996, siehe Teildokument (2c). Sowohl in
der Zeichnung mit dem Titel „Tray zum maschinellen Aufrichten“ als auch der Auf-
tragsbestätigung ist die Zeichnungs- Nr. „FD50762.01“ vermerkt, siehe Teildoku-
ment (2b) bzw. Teildokument (2c), S. 1 und 2. Sie stimmt mit der Muster-Nr. in
Dokument D1 überein, siehe Teildokument (1d). Als Datum der letzten Änderung
der Zeichnung ist in (2b) der 30. Mai 1996 rechts neben und in dem Änderungsfeld
der Zeichnung oben links oberhalb der Figur vermerkt. Dargestellt ist offensichtlich
der Zuschnitt des Unterteils einer Verpackung, das genau die Merkmale aufweist,
wie sie im Patentanspruch 1 definiert sind, siehe Teildokument (2b). Die Auslie-
ferung von 11.000 Stück der Verpackungszuschnitte an das Werk L…
der Fa. I… GmbH wurde für den 28. Juni 1996 im Auftrag gegeben,
siehe Teildokument (2a), und von der beauftragten Firma bestätigt, siehe S. 3 des
Teildokuments (2c).
Dokument D3 umfasst eine Bestellung mit der Nr. 50139447, siehe Teildokument
(3a), eine Zeichnung, siehe Teildokument (3b) und eine Auftragsbestätigung der
Fa. J… GmbH & Co. vom 13. Juni 1996,
siehe Teildokument (3c). Sowohl in der Zeichnung mit dem Titel „Cover zum ma-
schinellen Aufrichten“ als auch der Auftragsbestätigung ist die Zeichnungsnummer
„FD50762.02“ angegeben, siehe Teildokument 3b bzw. 3c, S. 1. Sie stimmt mit
der gemäß Dokument D1 vergebenen Muster-Nr. überein, siehe Teildokument
(1d). Als Datum der letzten Änderung der Zeichnung ist der 3. Mai 1996 links
unterhalb der Figur angegeben. Dargestellt ist offensichtlich der Zuschnitt des zu
dem im Dokument D2 spezifizierten Unterteil gehörigen Oberteils der zweiteiligen
Verpackung wie sie im Patentanspruch 1 definiert ist, siehe Teildokument (3b). Die
Auslieferung von 11.000 Stück der Verpackungszuschnitte an das Werk L…
der Fa. I… GmbH wurde für den 28. Juni 1996 im Auftrag gegeben,
siehe Teildokument (3a) und von der beauftragten Firma bestätigt, siehe S. 2 des
Teildokuments (3c).
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Das Dokument D4 umfasst u. a. zum Teil handschriftlich abgefasste Mitteilungen
von Mitarbeitern der Fa. I… GmbH über die Handhabungseigen-
schaften der in den vorstehenden Unterlagen beschriebenen Verpackung.
Empfänger der Faxmitteilungen war ausweislich eines Stempelaufdrucks
Herr M… in N…weg in O…, siehe Teildokumente (4b)
bis (4h). Der Text der Mitteilungen betrifft jeweils eine kurze Stellungnahme zu
einem „Test mit den Artikel 1457, 1901, 1902, 1905 in dem neuen (siehe Abbil-
dung) zweiteiligen Karton“. Die Artikelnummern stimmen mit den im Dokument D1
angegebenen überein, siehe Teildokument (1d), Tabelle, linke Spalte. Im Doku-
ment D4 ist u. a. ein mit der Unterschrift „Test“ versehenes Oberteil eines Kartons
abgebildet, jeweils rechts in den Teildokumenten (4a) bis (4h) zu erkennen, das
ersichtlich dem im Dokument D1 gezeigten Oberteil entspricht, siehe Teildoku-
ment (1d), linke Abbildung. Damit ist schlüssig nachgewiesen, dass es sich bei
dem im Dokument D4 angesprochenen „zweiteiligen Karton“ um die den Doku-
menten D1 bis D3 bereits zu entnehmende und mit sämtlichen Merkmalen des
Patentgegenstandes ausgestaltete Verpackung handelt.
An Hand des Dokuments D4 sind die Absender der Mitteilungen identifizierbar,
nämlich die Herren P… in Q…weg in R,
S… in T…straße in U…, und V… in
W…, siehe Teildokument (4c), (4d) bzw. (4e), ferner namentlich
genannte Servicekräfte, Fr. X… und Fr. Y…, siehe Teildokument (4a).
Damit lassen sich weitere Personen von Vorbenutzern und auch die in deren
Zuständigkeiten liegenden Vertriebs- oder Verkaufsstätten nachweislich als Orte
der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung bestimmen.
Nach Dokument D4 lief der Praktikabilitätstest seit ca. Juli/August 1996. Auf einer
der Ablichtungen ist als Sendedatum einer der Rückmeldungen über das Ergebnis
der 17. Oktober 1996 zu erkennen, siehe Teildokument (4c) oben links, und auf
zweien das Sendedatum 18. Oktober 1996, siehe Teildokumente (4d) bzw. (4e)
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jeweils oben links. Einer weiteren Ablichtung ist das Eingangsdatum
30. Oktober 1996 entnehmbar, siehe Teildokument (4a) oben rechts.
Damit ist der Nachweis erbracht, dass die in Rede stehenden Verpackungen tat-
sächlich produziert, mit Waren bestückt an den Handel ausgeliefert und dort vor
dem Anmeldetag des angefochtenen Patents anlässlich eines über mehrere
Monate laufenden Praktikabilitätstest verwendet wurden.
Für das Testprogramm waren laut Planung etwa 87,7 to Lebensmittelfertig-
produkte für nahezu 80.000 Stück Versandeinheiten zu produzieren, siehe Tabelle
im Teildokument (1d), was einen erheblichen Herstellungsaufwand bedeutet.
Ferner sollte der Test „national gestreut“ werden, siehe S. 2 im Teildokument (1a),
was umfangreichen Personal- und Logistikaufwand nach sich zieht, und er betraf
ausdrücklich „verkaufsfähige Fertigware“, siehe Teildokument (1d). Dass die Fer-
tigung von Verpackungszuschnitten und Versandeinheiten in derart großen Stück-
zahlen und ein geographisch weit gestreuter Test mit verkaufsfähiger Fertigware
unter Geheimhaltung in einem kleinen Personenkreis erfolgen sollten, ist nach
Überzeugung des Senats mit dem nach der Lebenserfahrung üblichen Ablauf
einer wie hier offenbar unter realen Bedingungen durchgeführten Untersuchung
nicht zu vereinbaren. Für einen lediglich firmeninternen Test hätte ein weit gerin-
gerer Aufwand ausgereicht.
Selbst unter der Annahme, dass nur ein Teil der Produktionseinheiten wie geplant
ausgeliefert wurde, ergibt sich schon aus der Art der geschilderten Benutzung,
dass die uneingeschränkte Möglichkeit der Inaugenscheinnahme durch Dritte
bestanden hat. Es ist nicht üblich, verkaufsfähige Fertigware unter Verschluss zu
halten. Vielmehr wird diese unverzüglich in den Verkaufsraum verbracht, geöffnet
und in den Regalen sichtbar aufgestellt. Servicekräfte, die die Waren in Empfang
nehmen, die Verpackung öffnen und die Produkte in den Regalen verteilen, sind
erfahrungsgemäß nicht ausschließlich Angestellte des Herstellers, sondern auch
Mitarbeiter der Verkaufsstelle. Außer dem Personal können bei der im Handel
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üblichen Selbstbedienung zahlreiche Kunden zumindest das Unterteil der Ver-
packung, das ja ausgestaltet ist, um zusammen mit dem Artikel ausgestellt zu
werden, im Regal zur Kenntnis nehmen. Zudem befinden sich im Verkaufsraum
erfahrungsgemäß auch oft ungeöffnete Verpackungen, was manche Kunden ver-
anlasst, die Verpackung eigenhändig zu öffnen, um an das gewünschte Produkt
zu gelangen.
Der Senat geht daher davon aus, dass ein unbegrenzter Personenkreis vor dem
Anmeldetag des angegriffenen Patents die Möglichkeit der Kenntnisnahme der
Erfindung hatte.
Der Anspruch 1 des angefochtenen Patents ist folglich nicht rechtsbeständig.
5. Die auf den Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 4 können nach des-
sen Fortfall ebenfalls nicht bestehen bleiben, zumal einen selbständig patentfähi-
gen Gegenstand begründende Merkmale nicht darin enthalten sind.
gez.
Unterschriften