Urteil des BPatG vom 17.05.2001

BPatG: beschreibende angabe, patent, form, unterscheidungskraft, messung, rückzahlung, kennzeichnung, begriff, geschäftsverkehr, herkunft

BUNDESPATENTGERICHT
27 W (pat) 98/01
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung 300 36 446.6
hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 15. Oktober 2002 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Schermer so-
wie Richter Dr. van Raden und Richterin Friehe-Wich
BPatG 152
10.99
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beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Mar-
kenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamtes
vom 17. Mai 2001 aufgehoben.
G r ü n d e
I.
Die Bezeichnung
GlucoSens
soll als Wortmarke eingetragen werden für "elektrochemische Sensoren zur Be-
stimmung von Analyt-Konzentrationen in Flüssigkeiten für medizinische und nicht-
medizinische Zwecke".
Mit Beschluss vom 17. Mai 2001 hat die Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen
Patent- und Markenamtes die Anmeldung unter Bezugnahme auf die Gründe des
Beanstandungsbescheids, denen die Anmelderin nicht widersprochen habe, ge-
mäß § 8 Abs 2 Nr 1 und 2 MarkenG als nicht unterscheidungskräftigen und freihal-
tungsbedürftigen beschreibenden Hinweis auf einen Glucose-Sensor zur Messung
des Glucosegehalts von Flüssigkeiten zurückgewiesen.
Mit der hiergegen erhobenen Beschwerde beantragt die Anmelderin die Aufhe-
bung des angefochtenen Beschlusses und Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
Sie macht geltend, dass es sich bei der angemeldeten Bezeichnung um eine
Wortneubildung ohne eindeutigen Sinngehalt handele. Insbesondere seien weder
"Gluco" als Abkürzung für "Glucose" noch "Sens" als Abkürzung für "Sensor" üb-
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lich und für den Verkehr ohne weiteres verständlich. Die von der Markenstelle an-
geführten Belege für eine beschreibende Funktion der Bezeichnung hätten sich
auf das Wort "Glucosensor" bezogen, welches nicht Gegenstand der Anmeldung
sei.
Mangels beschreibender Eigenschaft sei ein Freihaltungsbedürfnis zu verneinen.
Die danach nur geringen Anforderungen an die Unterscheidungskraft seien mit der
Verkürzung von "Sensor" in "Sens" erfüllt. Die Beschwerdegebühr sei zurückzu-
zahlen, weil die Markenstelle unter Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen
Gehörs ihre mit Schriftsatz vom 7. März 2001 fristgerecht eingereichte Erwiderung
auf den Beanstandungsbescheid bei der Beschlussfassung nicht berücksichtigt
habe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Anmelderin wird auf die eingereichten
Schriftsätze Bezug genommen.
In der Amtsakte hat der Prüfer handschriftlich vermerkt, dass ihm der am
8. März 2001 beim Patentamt eingegangene Schriftsatz vom 7. März 2002 erst am
5. Juli 2001 zusammen mit der Beschwerdebegründung vorgelegt worden sei.
Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens der Anmelderin habe er
sich nicht in der Lage gesehen, der Beschwerde abzuhelfen.
II.
Die angemeldete Marke hat in Bezug auf die beanspruchten Waren die erforderli-
che Unterscheidungskraft (§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG); auch ein Freihaltungsbedürf-
nis (§ 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG) ist nicht gegeben.
Die Bezeichnung "GlucoSens" weist zwar eindeutige und für den überwiegenden
Teil der angesprochenen Verkehrskreise - hier alle mit medizinischer Analytik, ins-
besondere im Bereich der Glucose-Messung, befassten Personen einschließlich
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der an Diabetes erkrankten Endverbraucher - in der Regel ohne weiteres ver-
ständliche Anklänge an die Beschaffenheit der mit ihr gekennzeichneten elektro-
chemischen Sensoren zur Bestimmung von Analyt-Konzentrationen in Flüssigkei-
ten auf. Daraus folgt aber nicht zwangsläufig, dass es sich bei "GlucoSens" um ei-
ne rein beschreibende Angabe handelt, die jeglicher betriebskennzeichnender Ei-
genart entbehrt und zugunsten der Mitbewerber freigehalten werden muss.
Die Schutzfähigkeit der angemeldeten Marke kann im Gegensatz zur Ansicht der
Anmelderin allerdings nicht schon daraus hergeleitet werden, dass es sich um ei-
ne lexikalisch nicht nachweisbare neue Wortbildung handelt, denn angesichts der
unbeschränkten Kombinationsmöglichkeiten und der damit einhergehenden Viel-
falt möglicher Wortneuschöpfungen in der deutschen Sprache, einschließlich der
in ihr verwendeten Fremd-, Lehn- und Abkürzungswörter (vgl BGH MarkenR 2002,
248, 250 reSp. "Frühstücks-Drink I"), kann ein lexikalischer Wortbestand nur als
ausschnittweise, aber nicht abschließende "Momentaufnahme" des Sprachbe-
stands angesehen werden. Es ist aber auch im Rahmen der sprachüblichen Varia-
tionsmöglichkeiten darauf abzustellen, ob die Bestandteile eines neuen Wortes für
sich jeweils eine bestimmte Bedeutung und Verwendung haben, die die Zusam-
mensetzung insgesamt als eindeutig naheliegende sprachübliche Wortbildung er-
scheinen lassen. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.
"Gluco" ist zwar als Kurzform des Wortes "Glucose" in zahlreichen Fachausdrük-
ken, vor allem des medizinisch-technischen Bereichs, als Bestimmungswort ent-
halten und daher so bekannt, dass ihm für Waren und Dienstleistungen dieses Be-
reichs keine schutzbegründende Wirkung zuerkannt werden kann. Dagegen han-
delt es sich bei dem aus dem lateinischen "sensus" abgeleiteten Wort-
stamm "Sens", der in allen Welthandelssprachen Bestandteil zahlreicher Wörter
bildet (zB deutsch Sensibilität, Sensitivität, Sensualität, sensorisch, sensitiv, Sensi-
tometrie usw), nicht um eine Abkürzung, die in der Bedeutung von "Sensor" als
Suffix beliebig mit weiteren Wortelementen zu einer sprachüblichen Bezeichnung
kombiniert werden könnte.
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Auch wenn "Sens" in einigen Abkürzungsverzeichnissen als Abkürzung ua von
"Sensor" aufgeführt ist (vgl www.acronymfinder.com) und im Geschäftsverkehr
zum Teil aus Gründen der Vereinfachung oder Platzeinsparung verwendet wird,
zB in Bestell-Listen oder in Typenbezeichnungen eines Herstellers, bedeutet das
nicht, dass "Sens" sich - vergleichbar "Gluco" - als Kurzform verselbständigt hat
und in Wortverbindungen - hier als Endung - den Begriff "Sensor" sprachüblich er-
setzen kann. Es besteht daher kein Grund für die Annahme, dass die angemelde-
te Bezeichnung "GlucoSens" von den Mitbewerbern als abgekürzte Form des Gat-
tungsbegriffs "Glucose-Sensor" benötigt wird.
Ein Freihaltungsbedürfnis kann auch nicht unter dem - im Rahmen des § 8 Abs 2
Nr 2 MarkenG ohnehin allenfalls in ganz engen Grenzen zu berücksichtigenden -
Gesichtspunkt der Abwandlung einer beschreibenden Angabe angenommen wer-
den (vgl Althammer/Ströbele, MarkenG, 6. Aufl, § 8 Rdn 150; BPatGE 44, 39
"Lichtenstein"), denn die wie ein Kunstwort wirkende verkürzte Bezeichnung "Glu-
coSens" weicht von dem Fachbegriff "Glucose-Sensor" oder anderen, zur Be-
schreibung der Waren möglicherweise in Betracht kommenden Bezeichnungen,
etwa der Verbindung von "gluco" mit dem englischen Verbum "sense" (= abtasten,
erfühlen), erkennbar ab. Etwaigen Behinderungen im freien Gebrauch der be-
schreibenden Angaben kann unter Berücksichtigung der allein schutzbegründen-
den Eigenprägung der Wortbildung "GlucoSens" bei der Beurteilung der Ver-
wechslungsgefahr und durch eine sachgerechte Handhabung des Begriffs des
markenmäßigen Gebrauchs begegnet werden (vgl st. Rspr. BGH GRUR 1984,
815 – Indorektal; 1985, 1053 – ROAL; 1989, 264 – REYNOLDS R1/EREINTZ).
Die angemeldete Marke ist ungeachtet ihrer stark "sprechenden" Bedeutung auch
geeignet, die angemeldeten Waren ihrer betrieblichen Herkunft nach zu unter-
scheiden (§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG), weil sie von der korrekten bzw üblichen
sprachlichen Form "Glucose-Sensor" erkennbar abweicht (vgl auch EuGH GRUR
Int 2002, 47 – Baby-dry) und vom Verkehr daher als eigenständige phantasievolle
Kennzeichnung angesehen wird.
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Für die beantragte Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß § 71 Abs 3 PatG
bestand kein Anlass, weil die Markenstelle die Anmeldung auch dann zurückge-
wiesen hätte, wenn ihr die Erwiderung auf den Beanstandungsbescheid rechtzeitig
vor Beschlussfassung vorgelegen hätte. Dies ergibt sich aus dem Aktenvermerk
des Prüfers, wonach er sich auch in Kenntnis der Beschwerdebegründung nicht zu
einer Abhilfe in der Lage gesehen hat. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs der
Anmelderin ist für die Beschwerdeeinlegung also nicht ursächlich gewesen.
Dr. Schermer
Friehe-Wich
Dr. van Raden