Urteil des BPatG vom 06.06.2005

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BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
7 W (pat) 45/05
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 196 29 368.5-13
hat der 7. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
28. Januar 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Ing. Tödte sowie die Richter
Dipl.-Ing. Frühauf, Dipl.-Ing. Univ. Harrer und Schwarz
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e
I.
Die Beschwerde der Anmelderin ist gegen den Beschluss der Prüfungsstelle für
Klasse F 01 N des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. Juni 2005 ge-
richtet, mit dem die Patentanmeldung 196 29 368.5-13 vom 20. Juli 1996 mit der
Bezeichnung
"Vorrichtung zum Unterdrücken des Entstehens von harmoni-
schen Tönen in perforierten Rohren"
mit der Begründung widerrufen worden ist, dass ihr Gegenstand nicht patentfähig
sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.
Der Beschluss beruft sich im Wesentlichen auf den Stand der Technik nach
Druckschrift US 4 023 645 (kurz: E1). Neben Druckschrift E1 und weiteren Druck-
schriften sind im Prüfungsverfahren dem Anmeldungsgegenstand u. a. die Patent-
dokumente US 4 267 899 (E2) und DE 1 902 286 U (E3) entgegengehalten wor-
den.
In einer Zwischenverfügung des Senats vom 24. November 2008 wurde der An-
melderin mitgeteilt, dass dem Gegenstand der Anmeldung gemäß Anspruch 1
nach Haupt- oder Hilfsantrag, jeweils vom 8. April 2005, gegenüber dem Stand der
Technik nach dem deutschen Gebrauchsmuster 1 902 286 (E3) die Neuheit fehlen
könnte, und dass in den Unteransprüchen der seinerzeit geltenden Anträge ange-
sichts der Entgegenhaltungen E1 bis E3 in Verbindung mit dem Können des Fach-
mannes keine Merkmale von erfinderischer Bedeutung zu erkennen seien.
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Am 23. Januar 2009 reicht die Anmelderin neue Patentansprüche 1 bis 7 gemäß
einem Hauptantrag sowie neue Patentansprüche 1 bis 5 und eine angepasste Be-
schreibungseinleitung gemäß einem Hilfsantrag ein.
Sie stellt sinngemäß den Antrag,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent zu er-
teilen
mit
den
Patentansprüchen 1
bis
7
gemäß
dem
am
23. Januar 2009 eingegangenen Hauptantrag, Beschreibung Sei-
te 1 vom 8. April 2005, Beschreibung Seiten 2 bis 4 sowie Figu-
ren 1 bis 3, jeweils vom Anmeldetag,
hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 5 gemäß dem am
23. Januar 2009 eingegangen Hilfsantrag, Beschreibung Seiten 1
und 2, eingegangen am 23. Januar 2009, sowie Beschreibung
Seiten 3 und 4 und Figuren 1 bis 3, jeweils vom Anmeldetag.
Der geltende Anspruch 1 nach Hauptantrag lautet:
"Vorrichtung zum Unterdrücken des Entstehens von harmoni-
schen Tönen an der Perforation (2) von Rohren (1, 3) von Schall-
dämpfern für pulsierende Gase, insbesondere für Abgase von
Verbrennungsmotoren, dadurch gekennzeichnet, dass mit Ab-
stand (I) vor der die Töne erzeugenden Perforation (2) eine den
Durchmesser (D) des Rohrs (1, 3) reduzierende Einschnürung (4,
4', 4'') vorgesehen ist."
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Der geltende Anspruch 1 nach Hilfsantrag lautet:
"Vorrichtung zum Unterdrücken des Entstehens von harmoni-
schen Tönen an der Perforation (2) von Rohren (1, 3) von Schall-
dämpfern für pulsierende Gase, insbesondere für Abgase von Ver-
brennungsmotoren, dadurch gekennzeichnet, dass mit Abstand (I)
vor der die Töne erzeugenden Perforation (2) eine den Durchmes-
ser (D) des Rohrs (1, 3) reduzierende Einschnürung (4, 4', 4'') vor-
gesehen ist, dass die Einschnürung (4, 4', 4'') in einem Abstand (I)
vor der Perforation (2) angeordnet ist, der 1/5 bis ½ der Länge (L)
der Perforation (2) selbst entspricht, und dass der Durchmesser
(d) der Einschnürung (4, 4', 4'') etwa 1/5 bis 1/6 der Länge (L) der
Perforation beträgt."
Weitere Ausgestaltungen der Vorrichtungen nach Anspruch 1 des Hauptantrags
bzw. Hilfsantrags sind in nachgeordneten Patentansprüchen 2 bis 7 bzw. 2 bis 5
angegeben. Zu deren Wortlaut wird auf die Akte verwiesen.
Dem Anmeldungsgegenstand liegt die Aufgabe zugrunde, eine einfache Vorrich-
tung anzugeben, mit deren Hilfe das Pfeifen an Perforationen von Schalldämpfern
für pulsierende Gase beseitigt werden kann.
II.
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist jedoch nicht
begründet.
Der Gegenstand der Anmeldung stellt in keiner der nach Haupt- und Hilfsantrag
geltenden und als zulässig anzusehenden Anspruchsfassungen eine patentfähige
Erfindung i. S. d. §§ 1 bis 5 PatG dar.
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Als hier zuständiger Fachmann ist ein auf dem Gebiet der Schalldämpfung von
pulsierenden Gasen, z. B. für Abgasanlagen von Brennkraftmaschinen, tätiger Ma-
schinenbauingenieur anzusehen.
In der Beschreibung der Anmeldung ist ausgeführt, dass beim Bau von Schall-
dämpfern für pulsierende Gase, insbesondere für Abgase von Verbrennungsmo-
toren, in großem Umfang perforierte Rohre verwendet würden, und die Perforation
für das Entstehen harmonischer Töne, z. B. unerwünschter Pfeiftöne, verantwort-
lich sei, wobei die Frequenz von Größe und Abstand der Perforationslöcher ab-
hänge.
Gemäß Anspruch 1 nach Hauptantrag wird zur Lösung dieses Problems vorge-
schlagen, bei perforierten Rohren von Schalldämpfern für pulsierende Gase mit
Abstand vor der die Töne erzeugenden Perforation eine den Durchmesser des
Rohres reduzierende Einschnürung anzuordnen.
Derartige Einschnürungen vor Perforierungen in Rohren von Abgasschalldämpfern
vorzusehen, war bereits vor dem Anmeldetag der vorliegender Anmeldung be-
kannt.
In der offenbar auf die Anmelderin oder einer ihrer Rechtsvorgängerinnen zurück-
gehenden Gebrauchsmusterschrift 1 902 286 (E3) ist ein einen Schalldämpfer
vollständig durchsetzendes Abgasrohr 6 mit mehreren perforierten Zonen 10, 11,
12, die jeweils von einer geschlossenen Kammer 7, 8, 9 des Schalldämpfers
umgeben sind, gezeigt und beschrieben (Fig. 1, S. 5 le. Abs.). Zwischen benach-
barten perforierten Zonen ist jeweils eine Sicke 21 angeordnet, die eine blenden-
artige Einschnürung des Abgasrohres 6 bildet (Fig. 2 u. 4, S. 7 le. Abs.). In jeder
möglichen Strömungsrichtung des Abgases befinden sich - in Übereinstimmung
mit der Lehre des Anspruchs 1 der vorliegenden Anmeldung - vor jeweils einer
perforierten Zone Einschnürungen, die somit zwangsläufig einer möglichen Entste-
hung von Pfeiftönen innerhalb dieser Zonen entgegen wirken; andernfalls wäre die
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beanspruchte Lehre nicht vollständig bzw. nicht ausführbar. Insoweit ist auch un-
beachtlich, dass bei E2 ein auf Schallreflexion gründender schalldämpfender Ef-
fekt angenommen worden ist. Zwar verbleibt - worauf die Anmelderin zutreffend
hingewiesen hat - noch eine im Gaseintrittsbereich angeordnete perforierte Zone,
vor der keine sickenartige Einschnürung des Rohres vorgesehen ist. Dies steht
aber der neuheitsschädlichen Vorwegnahme der Vorrichtung nach Anspruch 1
durch E3 nicht entgegen, weil der Anspruch 1 nicht zwingend vorgibt, sämtliche
Perforationszonen eines Rohres mit einer in Gasströmungsrichtung davor liegen-
den Einschnürung zu versehen.
Dass die Wirkung der Pfeifton unterdrückenden Anordnung einer Einschnürung
nicht notwendig erfordert, sie auf sämtliche perforierten Zonen eines Rohres anzu-
wenden, erfährt der Fachmann im Übrigen aus der US 4 267 899 (E2), die wie E3
einen Schalldämpfer 10 mit perforierten Rohren 20, 21 beschreibt (Fig. 1 und zu-
gehörige Beschreibung). Das Schalldämpferrohr (Auslaßrohr 22) weist drei per-
forierte Zonen mit Perforierungslöchern 70 auf, wobei lediglich vor den beiden letz-
ten in Auslaßrichtung liegenden perforierten Zonen jeweils eine Sicke 72 ausge-
bildet ist, durch die das Auslaßrohr eingeschnürt wird. Ausdrücklich sind diese
Sicken als Antipfeif-Sicken (antiwhistle beads) bezeichnet (Sp. 3 Z. 61 bis 65). Die
Sicken weisen offensichtlich - anders als in der Zwischenverfügung zunächst und
vorläufig eingeräumt - keine Perforationen auf, wie aus der von Perforationen frei
gehaltenen Darstellung der beiden Sicken 72 in Figur 1 geschlossen werden kann.
Die in Strömungsrichtung des Abgases (in Figur 1 von rechts nach links) liegende
erste perforierte Zone ist dagegen ohne eine derartige Einschnürung versehen.
Insoweit liegen bei den Schalldämpfern nach E3 und E2 ähnliche Anordnungen
zur Minderung des Entstehens von Pfeifgeräuschen vor Perforationen vor, wobei
lediglich in E2 auch der Zweck der Einschnürung der Rohre vor einer perforierten
Zone wörtlich angesprochen ist (Sp. 3 Z. 62 bis 64).
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Aber selbst wenn man unterstellt, der Anspruch 1 lehre eine Einschnürung vor je-
der Perforationszone eines Rohres, beruht die Vorrichtung nach Anspruch 1 je-
denfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Fachmann, der aus E2 die Lehre entnimmt, Pfeifgeräusche perforierter Rohr-
bereiche durch Rohreinschnürungen vor einer Perforation zu mindern, wird diese
Lehre im allgemeinen auf jede vorhandene perforierte Zone eines Abgasrohres
anwenden, wenn dadurch störender Schall vermindert werden kann. Soweit er
aus anderen Überlegungen einzelne perforierte Zonen von dieser Maßnahme
ausnimmt, z. B. weil durch die Gaszuströmbedingungen im Bereich am Rohreinlaß
(z. B. durch Querschnitterweiterung bei E3, düsenartige Erweiterung bei E2) vor
dieser einschnürungsfreien Perforationszone möglicherweise keine störenden
Pfeifgeräusche auftreten oder anderer konstruktiver Vorzüge wegen bestimmte
Pfeifgeräusche hingenommen werden können, betrifft das die fachnotorische Ab-
wägung der Vor- und Nachteile mehrerer im Griffbereich des Fachmannes liegen-
der Maßnahmen. Eine bekannte Lehre auf alle vorhandenen perforierten Bereiche
eines Rohres auszudehnen, sie also wiederholt anzuwenden, kann daher eine
erfinderische Tätigkeit nicht begründen.
Der Anspruch 1 nach Hauptantrag ist somit nicht gewährbar. Der Hauptantrag
konnte daher mangels eines gewährbaren Hauptanspruchs insgesamt keinen
Erfolg haben.
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag vereint die Merkmale der Ansprüche 1, 6 und 7
nach Hauptantrag. Die den Anspruch 1 nach Hauptantrag weiter beschränkenden
Merkmale betreffen Vorgaben für den Abstand der Einschnürung vor der Perfora-
tion sowie für den Durchmesser der Einschnürung in Bezug auf die Länge der per-
forierten Zone.
Der Fachmann, dem aus E2, wie oben ausgeführt, bekannt ist, Antipfeif-Sicken
stromauf von perforierten Rohrzonen anzuordnen, weiß um die Abhängigkeit ge-
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räuschbildender Phänomene von geometrischen Bedingungen, hier die Größe und
der gegeseitige Abstand der Perforationslöcher, die Länge der perforierten Zonen,
der Durchmesser des gasdurchströmten Rohres, Ort und Durchmesser der Ein-
schnürungen vor einer perforierten Zone, sowie um deren Abhängigkeit von
physikalischen Größen, u. a. die Gasgeschwindigkeit. Er wird daher bestrebt sein,
im Rahmen von einfachen Versuchen die geometrischen Verhältnisse unter Be-
rücksichtigung physikalischer Einflußgrößen im Hinblick auf eine optimale Redu-
zierung störender Schall- bzw. Pfeifgeräusche zu optimieren. Ein derartiges Vor-
gehen liegt stets im Bereich seines fachmännischen Könnens und erfordert mithin
kein erfinderisches Zutun.
Auch dem Hilfsantrag konnte daher mangels eines gewährbaren Hauptanspruchs
nicht statt gegeben werden, da über einen Antrag nur ganzheitlich entschieden
werden kann.
Tödte
Frühauf
Harrer
Schwarz
Hu