Urteil des BPatG vom 23.03.2000

BPatG: verwechslungsgefahr, arzneimittel, gesamteindruck, patent, aufmerksamkeit, kennzeichen, zusammensetzung, kennzeichnungskraft, vergleich, erfahrung

BUNDESPATENTGERICHT
25 W (pat) 132/99
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Marke 395 38 780
BPatG 152
10.99
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hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 23. März 2000 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Kliems
sowie der Richter Brandt und Engels
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke wer-
den der Beschluß der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen
Patentamts vom 23. Januar 1998 und der Beschluß der Marken-
stelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts vom
26. März 1999 in der Hauptsache aufgehoben.
Der Widerspruch aus der Marke 2 098 888 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Dormaben
"ZNS-wirksame Arzneimittel"
in das Markenregister eingetragen worden.
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Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der älteren, am 7. November 1995 für
"Humanarzneimittel, nämlich ein nicht verschreibungspflichtiges
Einschlafmittel"
Dormeen
Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patentamts bzw des Deutschen Pa-
tent- und Markenamts hat durch zwei Beschlüsse vom 23. Januar 1998 und vom
26. März 1999, von denen letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, die
Verwechslungsgefahr zwischen den Marken bejaht und die Löschung der ange-
griffenen Marke angeordnet. Da Sedativa eine dämpfende Wirkung auf Funktionen
des ZNS hätten, sei das Anwendungsgebiet der beiderseitigen Waren eng
benachbart und in der Therapie sogar als möglicherweise überschneidend anzu-
sehen. Den danach zur Vermeidung der Verwechslungsgefahr erforderlichen
deutlichen Markenabstand halte die angegriffene Marke bei anzunehmendem
durchschnittlichem Schutzumfang der Widerspruchsmarke nicht ein. Selbst unter
Berücksichtigung, daß der gemeinsame, deutlich warenbeschreibende Bestand-
teil "Dorm-" die Aufmerksamkeit des Verkehrs eher auf die Endung lenke, seien
die Marken jedenfalls im klanglichen Gesamteindruck so stark angenähert, daß
eine sichere Unterscheidung nicht mehr gewährleistet sei.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke mit
dem Antrag,
die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 5 aufzuheben, die
Verwechslungsgefahr zu verneinen und den Widerspruch aus der
Marke 2 098 888 zurückzuweisen.
Selbst wenn man von einer Warennähe und mithin strengen Anforderungen an
den Markenabstand ausgehe, sei eine Verwechslungsgefahr zu verneinen, da sich
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die Marken hinreichend deutlich unterschieden. Auffällig sei bereits die un-
terschiedliche Silbenzahl und die daraus resultierende unterschiedliche Wortlänge.
Zutreffend sei, daß der identische Wortanfang
"Dorm-" wegen des Indika-
tionshinweises "Schlaf" klar beschreibend und daher bei der Beurteilung der Ver-
wechslungsgefahr auf die Endsilben "a-ben" und "-een" abzustellen sei, die sich
aber gerade deutlich voneinander unterschieden. Der Konsonant "b", der in der
Widerspruchsmarke nicht existiere, verleihe der angegriffenen Marke zusammen
mit dem Vokal "a" eine deutlich andere klangliche und graphische Struktur.
Die Widersprechende hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
II.
Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke ist zulässig und hat auch
in der Sache Erfolg.
Nach Auffassung des Senats besteht keine Gefahr von Verwechslungen im Sinne
von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG, so daß der nach § 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG erhobene
Widerspruch gemäß § 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG zurückzuweisen ist.
Nach der hier maßgeblichen Registerlage stehen dem "Humanarzneimittel, näm-
lich ein nicht verschreibungspflichtiges Einschlafmittel" der Widerspruchsmarke
auf seiten der angegriffenen Marke "ZNS-wirksame Arzneimittel" gegenüber, also
Arzneimittel, die den Bereich des Zentralnervensystems, unter welchem Gehirn
und Rückenmark verstanden wird (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Aufl,
"Zentralnervensystem"), betreffen. Da die Inhaberin der angegriffenen Marke im
Warenverzeichnis den Anwendungsbereich der das Zentralnervensystem
betreffenden Mittel nicht näher definiert hat, können eine Vielzahl von Indi-
kationsbereichen erfaßt sein. So fallen hierunter etwa auch in der Hauptgruppe 49
"Hypnotika/Sedativa" der Roten Liste 2000 aufgeführte Präparate zur Behandlung
von Schlafstörungen bei organischen Erkrankungen des ZNS (vgl Nr 49 106
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"Flunimerck", Nr
49
107 "Fluninoc", Nr 49 108 "Flunitrazepam-neuraxpharm",
Nr 49 130 "Rohypnol"). Selbst wenn diese Waren und das "Einschlafmittel" der
Widerspruchsmarke keine identischen Indikationen oder Wirkstoffe aufweisen
sollten, so bleiben jedenfalls funktionelle Überschneidungen bei gleichzeitiger
Verordnung oder Anwendung der beiderseitigen Arzneimittel im Rahmen
einheitlicher Symptome der wechselseitigen Anwendungsbereiche insbesondere
hinsichtlich der Wirkung möglich, zumal die Formulierung "ZNS-wirksame Arznei-
mittel" nicht sicherstellt, daß auch mittelbar wirkende und nur im Zusammenhang
mit ZNS-Erkrankungen stehende Arzneimittel umfaßt sind. Somit ist jedenfalls von
einem engeren Ähnlichkeitsgrad der sich gegenüberstehenden Waren im Sinne
des § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG auszugehen. Da die Waren auch rezeptfrei erhältli-
che Arzneimittel umfassen können, sind Endverbraucher als Verkehrskreise un-
eingeschränkt zu berücksichtigen.
Bei seiner Entscheidung geht der Senat trotz des in "Dorm-" (lat.: dormire = schla-
fen) enthaltenen Sachhinweises auf das Indikationsgebiet von einer durchschnitt-
lichen Kennzeichnungskraft und damit einem normalen Schutzumfang der Wider-
spruchsmarke aus. Denn durch die Verbindung mit dem weiteren Wortteil "-een "
ist sie als Gesamtwort noch hinreichend phantasievoll gebildet, so daß im Hinblick
auf die im Bereich pharmazeutischer Erzeugnisse bestehende Übung, Marken in
der Weise zu bilden, daß einzelne Bestandteile Indikation, Art der Zusam-
mensetzung, Wirkung und dergleichen zumindest für Fachleute eindeutig erken-
nen lassen, hier keine ursprüngliche Kennzeichnungsschwäche der Gesamtbe-
zeichnung anzunehmen ist.
Unter Berücksichtigung der genannten Umstände sind an den Markenabstand
eher strenge Anforderungen zu stellen. Die Unterschiede der Marken reichen nach
Auffassung des Senats aber aus, um die Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9
Abs 1 Nr 2 MarkenG in jeder Richtung hinreichend sicher auszuschließen.
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In klanglicher Hinsicht stimmen die Bezeichnungen "Dormaben" und "Dormeen"
zwar in dem Lautbestand "Dorm-" am Wortanfang und "-en" am Wortende überein.
Von Bedeutung ist jedoch, daß die Übereinstimmung in dem Anfangsbe-
standteil "Dorm-" bei der Beurteilung des jeweiligen Gesamteindrucks und der
Markenähnlichkeit nicht so stark ins Gewicht fällt, wie dies bei einem reinen Phan-
tasiebestandteil der Fall wäre. Der Wortbestandteil "Dorm" weist - was auch in den
angefochtenen Beschlüssen der Markenstelle zutreffend ausgeführt ist - deutlich
auf den lateinischen Begriff "dormire" und somit auf das Indikationsgebiet der
"Schlafmittel" im hin und bleibt in dieser warenbeschreibenden Bedeutung in den
Marken auch ohne weiteres erkennbar. Er ist als Wortelement in einer großen
Anzahl von Drittmarken bzw Markenanmeldungen der Klasse 5 enthalten. So sind
allein mit "Dorm" als Anfangsbestandteil in der Roten Liste 2000 zehn weitere
Kennzeichen und im Marken-Lexikon 1999 über siebzig weitere eingetragene bzw
angemeldete - davon sogar sechs lediglich aus "Dorm" bestehende - Kennzeichen
aufgeführt. Auch wenn die angegriffene Marke nach ihrem Warenverzeichnis nicht
auf "Schlafmittel" festgelegt ist und auch von den entsprechend gebildeten Marken
tatsächlich nicht alle benutzt werden, kann die Drittzeichenlage schon für sich
genommen nicht gänzlich unbeachtet bleiben (vgl dazu BGH GRUR 1967, 246,
250 reSp aE "Vitapur" sowie MarkenR 1999, 57, 59 "Lions"). Zwar muß das
gemeinsame Wortelement "Dorm-" bei der Beurteilung des jeweiligen klanglichen
Gesamteindrucks und der Verwechslungsgefahr angemessen mitberücksichtigt
werden, weil insoweit auch für sich kennzeichnungsschwache oder gar
schutzunfähige Elemente einer einheitlichen Marke nicht völlig außer Acht bleiben
dürfen (vgl BGH GRUR 1996, 200 "Innovadiclophlont"), jedoch kommt ihm dabei
nur eine eingeschränkte Bedeutung zu. Jedenfalls wird die Aufmerksamkeit des
Verkehrs infolge der häufigen Verwendung dieses Wortelements verstärkt auf die
nachfolgenden Markenbestandteile "-aben" bzw "-een" gerichtet, weshalb die hier
vorhandenen Abweichungen um so eher wahrgenommen werden.
Die in der angegriffenen Marke vorhandenen Buchstaben "-ab-", die in der Wider-
spruchsmarke keine Entsprechung finden, führen nicht nur für sich zu einer deut-
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lichen Abweichung in den zentralen Wortbereichen, sondern auch zu einer ver-
schiedenen, für den Gesamteindruck besonders bedeutsamen Vokalfolge (vgl
hierzu Althammer/Ströbele, MarkenG, 5. Aufl, § 9 Rdn 82 mwN). Der Gesamtein-
druck der Marken wird - bei hier allein als entscheidungserheblich zugrundezule-
gender Aussprache der Widerspruchsmarke mit zwei Sprechsilben (Dor-meen) -
weiterhin durch die gegenüber der dreisilbigen angegriffenen Marke (Dor-ma-ben)
abweichende Sprechsilbenzahl und die dadurch bedingte unterschiedliche Sil-
bengliederung mit nur einer gemeinsamen Sprechsilbe ("Dor-") sowie den anderen
Sprechrhythmus hinreichend verschieden gestaltet. Diese Abweichungen führen
nach Auffassung des Senats auch unter angemessener Berücksichtigung der
durchaus beachtlichen Gemeinsamkeiten nach dem klanglichen Gesamteindruck
zu einem zur Verneinung der Verwechslungsgefahr noch ausreichenden Abstand
der Marken, wobei es sich jedoch um eine nur knapp zu Gunsten der Inhaberin
der angegriffenen Marke ausfallende Entscheidung handelt.
Im schriftbildlichen Vergleich ist ein Auseinanderhalten der Marken unter den ge-
nannten Umständen in allen üblichen Wiedergabeformen aufgrund der figürlichen
Abweichungen zwischen den Buchstaben in den jeweiligen zentralen Wortberei-
chen und verschiedenen Wortlängen auch unter Berücksichtigung der vorhande-
nen Übereinstimmungen ebenfalls gewährleistet. Bei einer Schreibweise der Mar-
kenwörter mit großem Anfangsbuchstaben und nachfolgender Kleinschreibung
kommt durch die in der angegriffenen Marke enthaltene Oberlänge des "b", die in
der Widerspruchsmarke keine Entsprechung findet, ein weiteres Unterschei-
dungsmerkmal hinzu. Hierbei ist noch zu berücksichtigen, daß die Marken im
Schriftbild erfahrungsgemäß mit etwas größerer Sorgfalt wahrgenommen werden
als im eher flüchtigen Klangbild, das häufig bei mündlicher Benennung entsteht.
Zudem steht beim schriftlichen Markenvergleich der Fachverkehr, der aufgrund
seiner beruflichen Praxis und Erfahrung im Umgang mit Arzneimitteln regelmäßig
sehr sorgfältig ist und daher Markenverwechslungen weniger unterliegt als End-
verbraucher, mehr im Vordergrund.
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Nach alledem waren die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle, soweit die
Löschung der angegriffenen Marke wegen des Widerspruchs aus der Marke
2 098 888 angeordnet worden ist, aufzuheben und der Widerspruch aus dieser
Marke zurückzuweisen.
Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß,
§ 71 Abs 1 MarkenG.
Kliems Engels Brandt