Urteil des BPatG vom 15.10.2007

BPatG: form der ware, dreidimensionale marke, eugh, verpackung, gestaltung, herkunft, unternehmen, unterscheidungskraft, patent, wiedergabe

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
30 W (pat) 282/04
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die angemeldete Marke 303 51 987.8
_______________________
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 15. Oktober 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Vogel von
Falckenstein und die Richterinnen Winter und Hartlieb
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beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin werden die Beschlüsse der
Markenstelle für Klasse 43 des Deutschen Patent- und Marken-
amts vom 1. April 2004 und vom 16. November 2004 aufgehoben,
soweit darin die Anmeldung zurückgewiesen worden ist.
G r ü n d e
I.
Zur Eintragung in das Markenregister als dreidimensionale Marke mit der Farbe
weiß ist die nachstehend abgebildete Darstellung - in zwei Ansichten - angemeldet
worden mit dem Zusatz: „Unterseite jeweils weiß, Oberseite jeweils transparent“:
Ansicht
1
Ansicht
2
Das Verzeichnis der Waren und Dienstleistungen lautet:
„Verpackungen und Verpackungsmaterial, soweit in Klasse 16 ent-
halten; Frische (nicht lebende), gefrorene, gebratene, geräucherte
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und konservierte Fische und Fischwaren; Fischerzeugnisse;
Fischgerichte; Krebstiere, Schalentiere, Krustentiere und Weichtie-
re (nicht lebend) sowie Erzeugnisse daraus; Fertiggerichte, fertige
Teilgerichte und Snacks, in der Hauptsache bestehend aus vorge-
nannten Waren; sämtliche vorgenannte Waren im rohen, gekühl-
ten, tiefgefrorenen aber auch verzehrfertig zubereiteten Zustand;
Verpflegung von Gästen; Catering.“
Die Markenstelle für Klasse 43 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die
Anmeldung teilweise, nämlich hinsichtlich der Waren, wegen fehlender Unter-
scheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen. Zur Begründung
ist im Wesentlichen darauf Bezug genommen, dass die Anmeldung als naturge-
treue Darstellung einer Verpackung mit Fischfilets als Inhalt ein Hinweis auf die
beanspruchten Waren und deren Verpackung sei; die Gestaltung hebe sich nicht
in schutzbegründender Form vom funktionsbedingten, branchenüblichen Formen-
schatz ab.
Die Anmelderin hat Beschwerde eingelegt. Mit umfangreichen Ausführungen hält
sie die angemeldete Marke für schutzfähig. Sie meint im Wesentlichen, dass es
sich um eine willkürliche Formgebung handele, die sich von einer funktionsbezo-
genen Gestaltung und branchenüblichen Fischverpackungen erheblich abhebe.
Die Anmeldung weise folgende Charakteristika auf:
-
Die angemeldete Verpackung besteht aus einem Schalenele-
ment, das von Folienmaterial mit rautenförmigem Netzmuster
umhüllt und umschlossen wird.
-
Das Schalenelement wiederum setzt sich aus einem Boden-
element und zwei Seitenwänden zusammen.
-
Die Seitenwände sind jeweils an der Längsseite entlang einer
gebogenen Faltlinie an dem Bodenelement angelenkt.
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-
Die Faltlinien der Seitenwände sind dabei zueinander entge-
gengesetzt gekrümmt, wobei das Bodenelement ausgehend
von der Mitte der Faltlinie eine zunehmende Breite besitzt.
Das Bodenelement enthält durch die gebogene Faltlinie eine
taillierte Form.
-
Die Seitenwände weisen einen wellenförmigen oberen Rand
auf. Dabei sind sie kongruent, also formgleich ausgebildet,
aber mit entgegengesetzter Orientierung an dem Bodenele-
ment angeordnet, so dass der Bereich größerer Wandhöhe an
einer Seitenwand dem Bereich mit geringerer Wandhöhe an
der anderen Seitenwand gegenüberliegt.
-
Aufgrund der gebogenen Faltlinie besitzt das Bodenelement
eine gebogene Form, bei der die Ränder des Bodenelementes
zwischen den Seitenwänden angehoben sind. Damit besitzt
das Schalenelement keinesfalls ein planes Bodenelement,
sondern zeichnet sich ebenfalls durch eine Wellenform aus.
Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 43
des Deutschen Patent- und Markenamts vom 1. April 2004 und
vom 16. November 2004 aufzuheben, soweit darin die Anmel-
dung zurückgewiesen worden ist.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Anmelderin ist in der Sache begründet. Ein der Ein-
tragung entgegenstehendes Freihaltebedürfnis i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG
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wie auch fehlende Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG lassen
sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen.
Eine Marke hat Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG,
wenn sie es ermöglicht, die Waren (oder Dienstleistungen), für die ihre Eintragung
beantragt worden ist, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu
kennzeichnen und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen ande-
rer Unternehmen nach ihrer Herkunft zu unterscheiden. Durch die Rechtspre-
chung des Europäischen Gerichtshofs ist geklärt, dass bei der Beurteilung dreidi-
mensionaler Marken, auch soweit sie aus der Form der Ware selbst oder deren
Verpackung bestehen, keine strengeren Kriterien anzuwenden sind als gegenüber
herkömmlichen Markenkategorien wie Wort- oder Bildmarken (vgl EuGH GRUR
2003, 514, 517 Nr. 49 - Linde, Winward u. Rado; EuGH GRUR Int. 2006, 842, 844
Nr. 24 - Form eines Bonbons II).
Der Europäische Gerichtshof hat mehrfach aber auch darauf hingewiesen, dass
eine dreidimensionale Marke, die in der Form der Ware selbst oder deren Verpa-
ckung besteht, von den maßgeblichen Verkehrskreisen nicht notwendig in gleicher
Weise wahrgenommen wird wie eine Wort- oder Bildmarke, die aus einem Zei-
chen besteht, das vom Erscheinungsbild der mit der Marke bezeichneten Waren
unabhängig ist (vgl EuGH MarkenR 2004, 461, 465 Nr. 30 – Maglite; auch EuGH
a. a. O. Nr. 48 i. V. m. Nr. 32-35 - Linde, Winward u. Rado; EuGH GRUR 2004,
428, 431 Nr. 52 - Henkel; EuGH MarkenR 2004, 224, 229 Nr. 38 - Waschmittel-
tabs; EuGH MarkenR 2004, 231, 236 Nr. 36 - Quadratische Waschmitteltabs).
Nach Auffassung des EuGH vermag eine dreidimensionale Warenformmarke (ein-
schließlich Verpackungsformmarke) die erforderliche Herkunftsfunktion nur dann
zu erfüllen, wenn diese eine erhebliche Abweichung von der Norm oder
Branchenüblichkeit aufweist (EuGH a. a. O. Nr. 49 - Henkel; EuGH a. a. O. S. 465
Nr. 31 - Maglite; EuGH GRUR Int. 2006, 226, 227 Nr. 31 - Standbeutel). Denn nur
dann ist es dem Durchschnittsverbraucher, auf dessen Verständnis gerade bei
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Massenprodukten des täglichen Bedarfs abzustellen ist, möglich, die betreffende
Ware allein anhand ihrer Form oder der Form ihrer Verpackung zwanglos von ent-
sprechenden Erzeugnissen anderer Unternehmen zu unterscheiden (EuGH
a. a. O. S. 431 Nr. 53 - Henkel).
Auch der Bundesgerichtshof betont, dass der Verkehr in der Form oder Abbildung
einer Ware regelmäßig nur einen Hinweis auf die ästhetische oder funktionelle Ge-
staltung der Ware, nicht aber auf ihre betriebliche Herkunft sieht (BGH GRUR
2003, 332, 334 - Abschlussstück; BGH GRUR 2003, 712, 714 – Goldbarren; BGH
WRP 2004, 749, 751 – Transformatorengehäuse; BGH MarkenR 2004, 492, 494
- Käse in Blütenform; BGH GRUR 2006, 679, 681 Nr. 17 - Porsche Boxter).
Die der Anmeldung beigefügten zweidimensionalen grafischen Wiedergaben der
Marke zeigen in Teilansicht skizzenhaft weitgehend naturgetreu zwei Fischfilets in
einem Behältnis mit transparenter Abdeckung, so dass beanspruchte Waren dar-
gestellt erscheinen. Verpackungen, Verpackungsmaterial sowie Verpackungen für
Produkte der Klasse 29 werden zudem in den verschiedensten Formen angebo-
ten, so dass eine ohne individuelle Merkmale gestaltete Verpackung nur als eine
weitere Variante im vorhandenen Formenschatz erscheinen würde.
Indessen weist die beanspruchte Form, wie eingereicht mit der Darstellung in zwei
Ansichten, Gestaltungsmerkmale auf, die im Sinn der genannten Rechtsprechung
des EuGH erheblich von der Norm oder Branchenüblichkeit abweichen.
Verpackungsgrundformen, insbesondere auch bei Produkten der Klasse 29 sind,
wie auch die von der Anmelderin eingereichten Abbildungen zeigen, je nach Art
und Größe des zu verpackenden Produkts, zum Beispiel gestaltet als rechtwinkeli-
ge Schachtel - mit vier Seitenelementen, Boden und Deckel, zum Beispiel bei Piz-
za und Fertiggerichten - , als Schale mit transparenter Abdeckung, zum Beispiel
bei Fleisch und Krabben, als Kunststofftüte, zum Beispiel bei Pommes frites, tief-
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gekühlten Beeren, oder auch als mit transparenter Folie umspanntes, festes Bo-
denelement, zum Beispiel bei Räucherlachs.
Die der Anmeldung beigefügte zweidimensionale grafische Wiedergabe der Marke
in zwei Darstellungen (§ 9 Abs. 1 S. 2 MarkenV) zeigt - teilweise nicht übereinstim-
mend mit den schriftsätzlichen Ausführungen der Anmelderin - ein leicht wellenför-
mig gebogenes, durchgehendes, rechteckiges Bodenelement, an dem an der un-
teren Längsseite links und an der oberen Längsseite rechts in etwa rechtwinkelig
Seitenwände angebracht sind; die Seitenwand unten links ist in Wellenform aus-
gebildet und erstreckt sich etwa über zwei Drittel der Längsseite des Bodens; die
Seitenwand oben rechts füllt - erkennbar insbesondere aus der Ansicht 2 - die Flä-
che des durch das gebogene Bodenelement gebildeten Wellentals aus; über der
Form ist eine transparente Abdeckung angebracht, erkennbar gestaltet durch die -
auch - die Fischfilets überlagernde - rautenförmige Schraffierung, die eine transpa-
rente Abdeckung mit rautenförmigem Netzmuster skizzenhaft darstellt; nach der
Ansicht 1 schließt die transparente Abdeckung die Seitenwand vorne links mit ein
während sie an die Seitenwand oben rechts nur heranreicht, sie also nicht mit um-
schließt; nach Ansicht 2 ist die vordere Seitenwand allerdings nicht mit umschlos-
sen, sondern die Abdeckung reicht auch hier nur an die Seitenwand heran.
Diese Gestaltungsmerkmale, die zu einer ungewöhnlichen und besonderen Un-
gleichmäßigkeit der Form führen, lassen sich nach den Ermittlungen des Senats
im vorhandenen Formenschatz im Bereich der beanspruchten Waren so nicht fest-
stellen; sie erscheinen auch nicht nur als eine weitere Variante; der Gesamtein-
druck wird geprägt durch das leicht wellenförmig gebogene Bodenelement in Kom-
bination mit einer wellenförmigen Seitenwand, die nicht die ganze Länge des Bo-
denelements erfasst, einer dieser Seitenwand diagonal gegenüberliegenden Sei-
tenwand, die in der Länge das Wellental des gebogenen Bodenelements ausfüllt,
und einer transparenten Abdeckung mit Rautenmuster, die jedenfalls die Seiten-
wand oben rechts nicht mit umschließt; diese Merkmale heben die Anmeldung aus
dem Formenschatz als etwas Individuelles heraus und kennzeichnen sie. Dass
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diese Gestaltungsmerkmale einer technischen oder einer bloß ästhetischen Funk-
tion zugeschrieben werden könnten, ist nicht feststellbar.
Die angesprochenen Verkehrskreise werden daher geneigt sein, diese konkrete
Gestaltung in ihrer Gesamtheit mit einer bestimmten betrieblichen Herkunft zu ver-
binden, weil es sich um eine erkennbar willkürliche Formgebung handelt, die sich
von sonst üblichen Gestaltungen durch charakteristische, insbesondere identitäts-
stiftende Merkmale unterscheidet.
Da nach den obigen Ausführungen nicht festgestellt werden kann, dass sich die
beanspruchte Formgebung innerhalb der auf den Warengebieten üblichen For-
menvielfalt hält, sondern erheblich über gängige Formen hinausgeht, kann von ei-
nem erheblichen Interesse der Allgemeinheit, die beanspruchte Form frei benut-
zen zu können, nicht ausgegangen werden (vgl. BGH GRUR 2007, 973, 974
Nr. 11, 15 - Rado-Uhr III); auch das Eintragungshindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2
MarkenG ist damit nicht feststellbar.
Ob die von der Anmelderin in ihren Schriftsätzen beschriebene Gestaltung oder
die von ihr tatsächlich genutzte Verpackung, wie sie im Beschwerdeverfahren in
natura zur Akte gereicht worden ist, erheblich von der Branchenüblichkeit ab-
weicht und dem Markenschutz zugänglich ist, bedarf keiner Entscheidung. Maß-
geblich ist insoweit allein die eingereichte Wiedergabe der Marke.
Der Schutzbereich der Marke bezieht sich nur auf die eingetragene Form. Die An-
melderin wird durch die Eintragung der vorliegenden 3-D-Marke nicht in die Lage
versetzt, Mitbewerber in der freien Verwendung einer naturgetreuen Wiedergabe
einer Verpackung in irgendwie gestalteter Wellenform zu behindern. Das dem Zei-
chen zukommende Verbietungsrecht wird sich somit im Wesentlichen nur auf die
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konkrete Form und diesem nach dem Gesamteindruck in den gestalterischen Be-
sonderheiten deutlich nahekommende Formen beziehen.
Vogel von Falckenstein
Winter Hartlieb
Ko