Urteil des BPatG vom 01.12.2008

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BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
15 W (pat) 360/04
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 103 00 046
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hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in
der Sitzung vom 1. Dezember 2008 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr. Feuerlein sowie der Richterin Schwarz-Angele, des Richters Dr. Maksymiw
und des Richters Dr. Lange
beschlossen:
Das Patent wird widerrufen.
G r ü n d e
I
Auf die am 3. Januar 2003 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte
Patentanmeldung ist das Patent 103 00 046 mit der Bezeichnung “Verfahren zur
Befeuchtung von Pulvern oder Granulaten sowie Vorrichtung hierfür“ erteilt wor-
den. Veröffentlichungstag der Patenterteilung in Form der DE 103 00 046 B3 ist
der 6. Mai 2004.
Der geltende, erteilte Patentanspruch 1 lautet:
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Für die auf den Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 10 sowie den neben-
geordneten Anspruch 11 mit den darauf rückbezogenen Ansprüchen 12 bis 18
wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.
Gegen das Patent hat die H… AG & Co, KGaA in D…, mit Schriftsatz vom
28. Juli 2004 Einspruch eingelegt.
Die Begründung des Einspruchs ist u. a. auf die Entgegenhaltungen
E9
DE 32 46 493 A1
E5
Römpp Lexikon Chemie - Version 2.0, Stuttgart/New York; Georg Thieme
Verlag 1999, Stichwort Aerosole
E7
Römpp Lexikon Chemie - Version 2.0, Stuttgart/New York; Georg Thieme
Verlag 1999, Stichwort Wasser
E12 Römpp Lexikon Chemie - Version 2.0, Stuttgart/New York; Georg Thieme
Verlag 1999, Stichwort Dampf
gestützt worden.
Die Einsprechende hat schriftsätzlich geltend gemacht, der Gegenstand des Pa-
tentanspruchs 1 sei nicht patentfähig, da ihm die Neuheit bzw. die erfinderische
Tätigkeit fehle.
Die Einsprechende hat den Antrag gestellt,
das Patent in vollem Umfang zu widerrufen, hilfsweise eine
mündliche Verhandlung anzuberaumen.
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Die Patentinhaberin hat dem Vorbringen der Einsprechenden schriftsätzlich wider-
sprochen und beantragt, den Einspruch zurückzuweisen und das Patent aufrecht
zu erhalten, hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Sie hat die
Ansicht vertreten, dass der Patentgegenstand gegenüber den von der Einspre-
chenden zitierten Entgegenhaltungen neu sei und auf einer erfinderischen Tätig-
keit beruhe.
Ein Termin zur mündlichen Verhandlung, der auf den 24. November 2008 anbe-
raumt worden war, ist aufgehoben worden, nachdem sowohl die Einsprechende
als auch die Patentinhaberin jeweils mit Schriftsatz vom 14. November 2008 den
Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen und
angekündigt haben, an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen zu werden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
II.
1. Das Bundespatentgericht bleibt auch nach Wegfall des § 147 Abs. 3 PatG für
die Entscheidung über die Einsprüche zuständig, die in der Zeit vom 1. Ja-
nuar 2002 bis zum 30. Juni 2006 eingelegt worden sind (BGH, GRUR 2007, 859 -
Informationsübermittlungsverfahren I und BGH, GRUR 2007, 862 - Informations-
übermittlungsverfahren II, vgl. auch Schulte, PatG, 8. Auflage § 59 Rdn. 28 i. V. m
§ 61 Rdn. 11).
2. Der rechtzeitig und formgerecht eingelegte Einspruch ist zulässig, denn es sind
innerhalb der Einspruchsfrist die den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfä-
higkeit nach § 21 Abs. 1 PatG rechtfertigenden Tatsachen im Einzelnen dargelegt
worden, so dass die Patentinhaberin und der Senat daraus abschließende Fol-
gerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der geltend gemachten Widerrufs-
gründe ohne eigene Ermittlungen ziehen können (§ 59 Abs. 1 PatG).
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3.
Der Einspruch hat Erfolg, denn das Verfahren gemäß dem geltenden, erteilten
Patentanspruch 1 ist nicht patentfähig. Das Patent war deshalb zu widerrufen
(PatG § 61 Abs 1 S. 1).
a. Mit Gliederungspunkten versehen lautet der geltende Patentanspruch 1:
-
Verfahren zum Agglomerieren von Pulvern oder Granulaten
mit folgenden Schritten:
1.
Erzeugung eines Wassernebels
1.1 in einem Temperaturbereich kleiner 100°C, wobei die Nebel-
bildung ausgehend durch homogene und/oder heterogene
Keimbildung erfolgt;
2.
Mischen des Wassernebels mit dem zu agglomerierenden
Pulver oder Granulat
2.1 bei einer Temperatur zwischen 10 und 100°C
2.2 und gleichmäßiges Benetzen des zu agglomerierenden Pul-
vers oder Granulats mit dem Wassernebel;
3.
Agglomeration des Pulvers oder Granulats
3.1 und nachfolgende Trocknung zur Ausbildung von Feststoff-
brücken zwischen den Pulver- oder Granulatpartikeln;
4.
Abziehen des agglomerierten Pulvers oder Granulats.
b. Der Patentanspruch 1 und die darauf rückbezogenen Ansprüche 3 bis 10 so-
wie die auf den nebengeordneten Anspruch 11 rückbezogenen Ansprüche 12 bis
18 sind formal zulässig, denn diese – erteilten – Patentansprüche stimmen mit den
am Anmeldetag eingereichten Ansprüchen überein, und der Nebenanspruch 11
lässt sich aus den ursprünglichen Ansprüchen 10 und 1 herleiten.
In Unteranspruch 2 fehlt zwar die Angabe der Konzentrationseinheit “cm
-3
“ des ur-
sprünglichen Unteranspruchs 2. Auch wurde die im Erteilungsverfahren verfügte
Änderung dieser Angabe im Unteranspruch 2 in “Tropfen/cm
3
“ nicht in die Patent-
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schrift übernommen, sondern nur in die Beschreibung des Streitpatents - vgl dort
Kapitel [0017], das sich auf den Unteranspruch 2 bezieht. Mit den Angaben in Ka-
pitel [0017] ist aber ohne Weiteres ersichtlich, dass die Tropfenkonzentrationsan-
gaben in Anspruch 2 als Tropfen x cm
-3
oder Tropfen/cm
3
zu verstehen sind. Dies
entspricht der Offenbarung des ursprünglichen Unteranspruchs 2.
c. Als zuständiger Fachmann ist hier ein Fachhochschulingenieur der Verfahrens-
technik anzusehen, der mit der Entwicklung von Vorrichtungen und Verfahren zur
Granulation betraut ist.
d. Dem Patent liegt sinngemäß die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zum Agglo-
merieren von Pulvern oder Granulaten bereitzustellen, bei dem eine gleichmäßige
Benetzung des zu agglomerierenden Gutes mit geringem Wassereinsatz gegeben
ist und wobei eine schonende Behandlung des zu agglomerierenden Gutes erfolgt
- vgl. Streitpatentschrift [0011].
e. Das im Patentanspruch 1 angegebene Verfahren ist nicht patentfähig, denn es
ist nicht neu gegenüber dem Stand der Technik, der in der DE 32 46 493 A1 (E9)
angegebenen ist.
Aus dieser Entgegenhaltung ist ein Verfahren zur schonenden Herstellung von
wasserdispergierbaren Granulaten beschrieben - vgl. dort S. 3 Abs. 1. Dabei wird
das zu granulierende pulverförmige Material einer rotierenden oder rollenden Be-
wegung unterworfen und mit Wasserdampf, der eine Temperatur zwischen 25°C
und 100°C aufweist, besprüht und das so erhaltene Produkt getrocknet - vgl. An-
spruch 1.
Mit dem Verfahren wird ein besonders schonender Ablauf der Granulierung er-
reicht. Das zu granulierende Gut wird gleichmäßig benetzt, so dass eine lokale
Wasseransammlung und damit eine Verklumpung nicht eintreten kann, die benö-
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tigte Dampfmenge ist gering, die Granulate besitzen eine hohe mechanische Fes-
tigkeit und weisen eine weitgehend einheitliche Korngröße in einem Bereich klei-
ner Korngrößen auf - vgl. S. 5 Abs. 3 bis S. 6 Abs. 1.
In E9 werden die Begriffe Granulieren und Agglomerieren gleichbedeutend ver-
wendet - vgl. S. 12 Zn. 19 bis 22. Das Verfahren ist demnach ein Verfahren zum
Agglomerieren von Pulvern und, da dabei auch die entstehenden Granulate be-
handelt werden, auch von Granulaten.
Der Wasserdampf, der gemäß E9 eingesetzt wird ist sowohl normaler Wasser-
dampf als auch Feuchtdampf. Der Hinweis, dass der Wasserdampf Dampftröpf-
chen enthält - vgl. S. 11 Abs. 2 -, zeigt dem Fachmann, dass dieser Wasserdampf
kein Gas ist, sondern ein Nebel mit feinsten Nebeltröpfchen, wie er im gewöhnli-
chen Sprachgebrauch verstanden wird - vgl. E12 le. Abs. -, d. h. ein Wassernebel.
Das wird insbesondere auch durch den Hinweis aus S. 5 Zn. 21 bis 23 in E9 deut-
lich , wo ausgeführt ist, “dass bei dem erfindungsgemäßen Verfahren nur feinste
Nebeltröpfchen das zu granulierende Material berühren“. Die Durchmesser dieser
Nebeltröpfchen liegen unter 100 µm - vgl. S. 11 Zn. 21 bis 22 -, also im Bereich
der Aerosole - siehe E5, wo beschrieben ist, dass sich die Durchmesser der Aero-
sole von etwa 10
-7
bis 10
-3
cm erstrecken (10
-3
cm entspricht 10 µm).
Die Erzeugung des Wassernebels erfolgt durch Kondensation von Wasserdampf
und damit notwendigerweise durch homogene und/oder heterogene Keimbildung,
da jede Kondensation von Wasserdampf so erfolgt. Der Temperaturbereich kleiner
100°C zur Erzeugung des Wassernebels ergibt sich für die Kondensation von
Wasserdampf bei Normaldruck (1013 hPa) zwingend aus dem Zustandsdiagramm
des Wassers - vgl. E7 S. 1 Abb. 1. Da das Verfahren gemäß E9 allgemein bei
Normaldruck durchgeführt wird - vgl. S. 12 Abs. 2 - , ist für den Fachmann auch
hier nur der Temperaturbereich von kleiner 100°C möglich, da bei Normaldruck
Wasserdampf unterhalb 100°C kondensiert.
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Das zu agglomerierende Material wird einer rotierenden oder rollenden Bewegung
unterworfen und mit Wasserdampf besprüht - vgl. Anspruch 1. Mit diesem Verfah-
rensschritt wird das zu agglomerierende Material zwangsläufig gemischt. Die
Temperatur des Wasserdampfes liegt dabei zwischen 25°C und 100°C. Der
Fachmann entnimmt E9 auch, dass das zu agglomerierende Pulver gleichmäßig
mit dem Wassernebel benetzt wird. So ist dort wörtlich ausgeführt, dass “bei dem
erfindungsgemäßen Verfahren nur feinste Nebeltröpfchen das zu granulierende
Material berühren, so dass eine lokale Wasseransammlung und damit eine Ver-
klumpung nicht eintreten kann“ - vgl. S. 5 Zn. 21 bis 25.
In dem Verfahren gemäß E9 wird auch agglomeriert, denn dort ist auf S. 12 Zn. 19
bis 22 ausgeführt, dass “die Dampfzufuhr mit einer solchen Geschwindigkeit er-
folgt, dass der Granulierprozess nicht zu schnell abläuft und der Endpunkt der Ag-
glomeration visuell ermittelt werden kann“. Man führt dabei solange Dampf zu, bis
des Granulat die gewünschte Korngröße erreicht hat - vgl. S. 12 Zn. 22 bis 23.
Das auf diese Weise hergestellte Granulat wird danach getrocknet - vgl. S. 12
Zn. 25 bis 26 - und damit werden Feststoffbrücken zwischen den Pulver oder Gra-
nulatpartikeln ausgebildet.
Der letzte Verfahrensschritt des Verfahrens des Streitpatents ist das “Abziehen
des agglomerierten Pulvers oder Granulats“. Der Fachmann versteht unter Abzie-
hen das Entfernen eines Produkts aus einem Reaktor und, im Falle des Streitpa-
tents, das Entfernen des Agglomerates aus dem Mischer oder Trockner.
Da zum Zwecke der Lagerung oder des Transports das Agglomerat zwangsläufig
aus dem Mischer oder Trockner entfernt werden muss, ist das Abziehen des ag-
glomerierten Pulvers oder Granulats auch in der Lehre gemäß E9 zwingend gege-
ben.
Damit sind für den Fachmann alle Merkmale des streitigen Verfahrens in E9 be-
schrieben oder erschließen sich ihm aufgrund seines Sachwissen ohne weiteres
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Nachdenken, so dass das Verfahren gemäß dem Anspruch 1 der Streitpatent-
schrift insgesamt als neuheitsschädlich vorweggenommen anzusehen ist.
f.
Die Patentinhaberin hat sich sachlich ausführlich zum Einspruch geäußert und
Ihren Antrag auf Aufrechterhaltung des Patents auch in der letzten Eingabe vom
14. November 2008 wiederholt. Da sie den Antrag auf mündliche Verhandlung zu-
rückgezogen hat, konnten sich auch keine zusätzlichen Anhaltspunkte für ein still-
schweigendes Begehren einer beschränkten Fassung ergeben. Somit hat die Pa-
tentinhaberin die Aufrechterhaltung des Patents erkennbar nur im Umfang eines
Anspruchssatzes beantragt, der zumindest einen nicht rechtsbeständigen An-
spruch enthält. Deshalb war das Patent insgesamt zu widerrufen. Auf die übrigen
Patentansprüche brauchte bei dieser Sachlage nicht gesondert eingegangen zu
werden (BGH, GRUR, 2007, 862 - Informationsübermittlungsverfahren II; Fortfüh-
rung von BGH, GRUR 1997, 120 - Elektrisches Speicherheizgerät).
Feuerlein
Schwarz-Angele
Maksymiw
Lange
Na