Urteil des BPatG vom 09.11.2005

BPatG: patent, gerichtshof der europäischen gemeinschaften, internet, amt, produktion, bindungswirkung, rundfunk, mitwirkungspflicht, ausstrahlung, behörde

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
29 W (pat) 5/06
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
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betreffend die Markenanmeldung 305 47 415.4
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 5. August 2009 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin
Grabrucker, der Richterin Kopacek sowie des Richters Dr. Kortbein
beschlossen:
1.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen, soweit die Anordnung
der Eintragung des angemeldeten Zeichens begehrt wird.
2.
Auf den Hilfsantrag wird der Beschluss des Deutschen Pa-
tent- und Markenamts vom 9. November 2005 aufgehoben,
soweit die Anmeldung zurückgewiesen wurde.
3.
Das Verfahren wird an das Deutsche Patent- und Markenamt
zurückverwiesen.
4.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
- 3 -
G r ü n d e
I .
Beim Deutschen Patent- und Markenamt ist am 10. August 2005 das farbige
Wort-/Bildzeichen
für nachfolgende Waren und Dienstleistungen angemeldet worden:
Klasse 16: Druckereierzeugnisse, Druckschriften, Zeitschriften,
Zeitungen, Bücher, Buchbindeartikel, Poster, Aufkle-
ber, Kalender; Schilder und Modelle aus Papier und
Pappe, soweit in Klasse 16 enthalten; Fotografien und
Lichtbilderzeugnisse; Papier und Pappe, soweit in
Klasse 16 enthalten; Schreibwaren und Büroartikel
(ausgenommen Möbel); Lehr- und Unterrichtsmittel
(ausgenommen Apparate);
Klasse 38: Telekommunikation; Übermittlung von Informationen
an Dritte, Verbreitung von Informationen über draht-
lose oder leitungsgebundene Netze; Ausstrahlung von
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Rundfunksendungen; Online-Dienste, nämlich Über-
mittlung von Nachrichten und Informationen aller Art;
E-Mail-Datendienste (= elektronischer Postversand);
Internet-Dienstleistungen, nämlich Bereitstellen von
Informationen im Internet, jeweils soweit in Klasse 38
enthalten; Ausstrahlung von Fernsehprogrammen;
Klasse 41: Veröffentlichung und Herausgabe von Druckereier-
zeugnissen, insbesondere von Zeitungen, Zeitschrif-
ten und Büchern, sowie von Lehr- und Informations-
material, jeweils einschließlich gespeicherter Ton- und
Bildinformationen, auch in elektronischer Form und
auch im Internet; Online-Publikationen, insbesondere
von elektronischen Büchern und Zeitschriften (nicht
herunterladbar); Dienstleistungen eines Ton- und
Fernsehstudios, nämlich Produktion von Ton- und
Bildaufzeichnungen
auf
Ton-
und
Bildträgern;
Vorführung und Vermietung von Ton- und Bild-
aufzeichnungen; Produktion von Fernseh- und Rund-
funksendungen; Zusammenstellen von Fernseh- und
Rundfunkprogrammen; Unterhaltung, insbesondere
Rundfunk- und Fernsehunterhaltung; Durchführung
von Unterhaltungsveranstaltungen, kulturellen und
sportlichen Live-Events, Schulungsveranstaltungen,
Bildungsveranstaltungen sowie kulturellen und sportli-
chen Veranstaltungen, soweit in Klasse 41 enthalten.
Auf die Beanstandung der Markenstelle für Klasse 16 hat die Anmelderin auf die
nationalen Voreintragungen 304 25 268 - Freizeit im Trend, 304 22 638 - freizeit
WOCHE, 303 41 973 - People im Trend, 303 47 043 - Leute im Trend, 303 52 823
- perfect, 303 62 637 - Promis im Trend, 304 13 981 - Alles für die Frau,
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304 23 590 - FREIZEIT POST, 304 28 048 - RÄTSEL OLYMP und 305 14 142
- the face Das aufregendste Gesicht des Jahres hingewiesen und für sich Gleich-
behandlung hinsichtlich des angemeldeten Zeichens in Anspruch genommen.
Hierbei sind die jeweils geschützten Waren bzw. Dienstleistungen und das Datum
der jeweiligen Eintragung nicht genannt worden.
Durch Beschluss vom 9. November 2005 hat die Markenstelle für Klasse 16 die
Anmeldung gemäß §§ 37 Abs. 1 und 5, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG wegen Fehlens
der Unterscheidungskraft teilweise für folgende Waren und Dienstleistungen zu-
rückgewiesen:
Klasse 16: Druckereierzeugnisse, Druckschriften, Zeitschriften,
Zeitungen, Bücher, Poster, Aufkleber, Kalender; Foto-
grafien und Lichtbilderzeugnisse;
Klasse 38: Telekommunikation; Übermittlung von Informationen
an Dritte, Verbreitung von Informationen über draht-
lose oder leitungsgebundene Netze; Ausstrahlung von
Rundfunksendungen; Online-Dienste, nämlich Über-
mittlung von Nachrichten und Informationen aller Art;
E-Mail-Datendienste (= elektronischer Postversand);
Internet-Dienstleistungen, nämlich Bereitstellen von
Informationen im Internet, jeweils soweit in Klasse 38
enthalten; Ausstrahlung von Fernsehprogrammen;
Klasse 41: Veröffentlichung und Herausgabe von Druckereier-
zeugnissen, insbesondere von Zeitungen, Zeitschrif-
ten und Büchern, sowie von Lehr- und Informations-
material, jeweils einschließlich gespeicherter Ton- und
Bildinformationen, auch in elektronischer Form und
auch im Internet; Online-Publikationen, insbesondere
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von elektronischen Büchern und Zeitschriften (nicht
herunterladbar); Dienstleistungen eines Ton- und
Fernsehstudios, nämlich Produktion von Ton- und
Bildaufzeichnungen auf Ton- und Bildträgern; Vor-
führung und Vermietung von Ton- und Bildauf-
zeichnungen; Produktion von Fernseh- und Rund-
funksendungen; Zusammenstellen von Fernseh- und
Rundfunkprogrammen; Unterhaltung, insbesondere
Rundfunk- und Fernsehunterhaltung; Durchführung
von Unterhaltungsveranstaltungen, kulturellen und
sportlichen Live-Events, Schulungsveranstaltungen,
Bildungsveranstaltungen sowie kulturellen und sportli-
chen Veranstaltungen, soweit in Klasse 41 enthalten.
Die Markenstelle hat ihre Entscheidung damit begründet, dass das Kombinations-
zeichen für das Publikum ohne weiteres verständlich sei, auch wenn es als sol-
ches nicht nachgewiesen werden könne. Es weise einfache und häufig einge-
setzte graphische Gestaltungsmittel und Verzierungen des Schriftbildes auf. Der
Bestandteil „Schwaben“ werde lediglich als Hinweis auf das Gebiet, in dem der
schwäbische Dialekt gesprochen werde, und damit auf die Herkunft oder den Ort
der Herstellung bzw. Erbringung der gegenständlichen Waren und Dienstleistun-
gen aufgefasst. Das Element „TV“ sei die Abkürzung für Television und damit für
Fernseher oder Fernsehen. Folglich werde die Wortfolge „TV SCHWABEN“ ledig-
lich dahingehend verstanden, dass sich das Fernsehen auf die Region Schwaben
beziehe. Auch sei es ausweislich von Wortverbindungen, wie beispielsweise Digi-
tal-TV, TV-Nachrichten oder TV Südbaden, nicht ungewöhnlich, dem Kürzel „TV“
weitere Angaben voran- oder nachzustellen. Damit weise das angemeldete Zei-
chen auf die Art, Bestimmung, den Inhalt oder die Angebotsregion der von der
Zurückweisung umfassten Waren und Dienstleistungen hin. Die von der Anmelde-
rin geltend gemachten Voreintragungen führten zu keiner anderen Beurteilung, da
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jede Markenanmeldung gesondert zu prüfen sei und somit keine Bindungswirkung
bestehe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der
sie mit Schriftsatz vom 30. Juni 2009 beantragt,
„unter Bezugnahme auf die bisherigen Begründungen hilfsweise,
sollte
eine
Eintragung
der
Marke
„TV SCHWABEN“,
Az. 305 47 415.4/16, für alle angemeldeten Waren und Dienst-
leistungen vom Senat noch nicht als möglich angesehen werden,
unter Aufhebung des Beschlusses vom 09.11.2005, soweit dieser
die Marke „TV SCHWABEN“ teilweise zurückweist, die Sache an
das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.“
Sie ist der Auffassung, dass das Zeichen aufgrund der graphischen Ausgestaltung
vom Verkehr als unterscheidungskräftiger Herkunftshinweis, nicht aber als be-
schreibende Sachangabe aufgefasst werde. Es hinterlasse einen typisch mar-
kenmäßigen Eindruck nach Art eines Labels. Das unter Umständen an dem Wort-
bestandteil „TV SCHWABEN“ bestehende Freihaltungsbedürfnis werde durch die
graphische Gestaltung beseitigt. Ergänzend hat sie zu den Kennzeichnungsge-
wohnheiten der Fernsehbranche Stellung genommen. So habe es ausweislich der
TV-Senderdatenbank zum 30. April 2007 in der Bundesrepublik Deutschland vier-
undsechzig Fernsehsender gegeben, deren Namen den Bestandteil „TV“ bzw. ein
verwandtes Wort und die Bezeichnung eines Ortes oder einer Region enthalten
hätten. Als Beispiele wurden u. a. „Anklam TV“, „Saar TV“ oder „TV Halle“ ge-
nannt. Dies entspreche einem Anteil von ca. 14 % aller Sendernamen. Darüber
hinaus existierten öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, die, wie beispielsweise
Bayerischer Rundfunk oder Radio Bremen, in ihren Namen ebenfalls einen Re-
gionalzusatz aufweisen würden. Demzufolge sei das angemeldete Zeichen bran-
chenüblich und werde vom Verkehr als Herkunftshinweis aufgefasst. Nach Ansicht
der Beschwerdeführerin seien zudem vom Deutschen Patent- und Markenamt be-
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hördeninterne Regelungen zu treffen, die im Wesentlichen die gleiche Behandlung
gleicher Sachverhalte und die Vorhersehbarkeit des Verwaltungshandelns garan-
tieren sollten. Es bestehe Grund zu der Annahme, dass mangels einer kontrollie-
renden Organisationsstruktur innerhalb des Deutschen Patent- und Markenamts
seine Spruchpraxis willkürlich und damit rechtswidrig sei. Dies werde auch daran
deutlich, dass ausweislich der Veröffentlichungen im Markenblatt vom
18. Januar 2008 vergleichbare Wort-/Bildmarken, wie u. a. 307 64 923 - DORT-
MUND TV, 307 64 924 - MÜNSTER TV und 307 64 928 - MÜNSTERLAND TV,
als schutzfähig angesehen worden seien. Auch seien die Kennzeichnungsge-
wohnheiten in dieser Branche - wie sich aus der vorgelegten TV-Senderdatenbank
(Anlage 1) ergebe - nicht ausreichend in der Amtsermittlung und entsprechend in
der Begründung gewürdigt worden.
Mit Beschluss vom 13. Dezember 2006 ist dem Präsidenten des Deutschen Pa-
tent- und Markenamts anheimgegeben worden, dem Beschwerdeverfahren beizu-
treten. Der Senat hat die Entscheidung damit begründet, dass geprüft werden
müsse, nach welchen allgemeinen Vorgaben die Eintragung vergleichbarer Mar-
ken erfolge und aus welchen sachlichen Gründen die Markenstelle bei der be-
schwerdegegenständlichen Anmeldung von der durch zahlreiche Voreintragungen
begründeten Eintragungspraxis abgewichen sei. Sie erscheine somit nicht als ein-
heitlich. Die Gründe für ein Abweichen müssten sich zudem aus dem Zurückwei-
sungbeschluss ergeben.
Der Präsident hat den Beitritt zum Verfahren erklärt und sowohl schriftlich als auch
mündlich in der Verhandlung vom 20. Juni 2007 dargelegt, dass Voreintragungen
identischer oder ähnlicher Marken nach ständiger nationaler und europäischer
Rechtsprechung auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Grundrechtsver-
letzung und des Vertrauensschutzes keine Bindungswirkung entfalten könnten.
Die Entscheidung über die Eintragungsfähigkeit einer Marke sei keine Ermes-
sens-, sondern eine im Einzelfall zu treffende gebundene Entscheidung. Anträge
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wurden seitens des Präsidenten des Deutschen Patent- und Markenamts nicht ge-
stellt.
Der Senat hat die Verfahren 29 W (pat) 36/04, 29 W (pat) 125/05, 29 W (pat) 5/06,
29 W (pat) 13/06 und 29 W (pat) 65/06 gemäß § 82 Abs. 1 MarkenG i. V. m. § 147
ZPO miteinander verbunden, da sie in rechtlichem Zusammenhang stehen.
II.
1.
Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 16 vom 9. November 2005 war
unter Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt auf-
zuheben, soweit die Anmeldung zurückgewiesen worden ist. Er entspricht nicht
den Vorgaben des Beschlusses des Gerichtshofs der Europäischen Gemein-
schaften vom 12. Februar 2009 betreffend die verbundenen Rechtssachen
C-39/08 (Wort-/Bildmarken Volks-Handy, Volks-Camcorder und Volks-Kredit) und
C-43/08 (Wortmarke SCHWABENPOST). Darin hat er in Rdnr. 17 festgestellt,
dass zwar keine Bindungswirkung von Vorentscheidungen besteht. Jedoch muss
eine nationale Behörde bei der Prüfung einer Anmeldung die zu ähnlichen
Anmeldungen ergangenen früheren Entscheidungen berücksichtigen und dabei
besonderes Augenmerk auf die Frage richten, ob im gleichen Sinne zu
entscheiden ist oder nicht. Daraus folgt, dass unter Berücksichtigung des
allgemeinen rechtsstaatlichen, in jeder Verfahrensordnung - gleich ob Gerichts-
oder Verwaltungsverfahren - geltenden Gebots, dem jeweiligen Adressaten einer
ihn belastenden Entscheidung auch die wesentlichen Gründe, die die
Entscheidung tragen und für sie kausal sind, mitzuteilen sind. Dieser Grundsatz
gilt gemäß § 61 Abs. 1 S. 1 MarkenG auch für das Markeneintragungsverfahren
vor dem Deutschen Patent- und Markenamt. Es besteht also nicht nur die
Verpflichtung zur Einbeziehung von Vorentscheidungen in die Entscheidungs-
findung als solche, sondern diese Überlegungen müssen für den Adressaten auch
erkennbar sein. Dazu bedarf es entsprechender Ausführungen zu den geltend
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gemachten Voreintragungen in der die Anmeldung zurückweisenden Entschei-
dung.
Dies bedingt eine Pflicht zum Vergleich des angemeldeten mit den eingetragenen
vergleichbaren Zeichen. Diesen vom Gerichtshof geforderten Vergleich muss das
Deutsche Patent- und Markenamt als zuständige nationale Behörde anstellen und
gegebenenfalls die Gründe für eine differenzierende Beurteilung angeben oder
aber, wenn es die Voreintragungen für rechtswidrig hält, dies zum Ausdruck brin-
gen. Denn nur unter dieser Voraussetzung ist der Forderung des Gerichtshofs in
Rdnr. 18 der oben genannten Entscheidung, dass „der Gleichbehandlungsgrund-
satz in Einklang gebracht werden [muss] mit dem Gebot rechtmäßigen Handelns“,
Genüge getan. Dies entspricht im Übrigen auch der von der Europäischen Kom-
mission in ihrer Stellungnahme von 13. Juni 2008 in Rdnr. 21 vertretenen Ansicht,
dass das Gericht „unter dem Gesichtspunkt der Begründungspflicht und nicht un-
ter demjenigen des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes dazu verpflichtet ist, kon-
kreten Hinweisen auf eine wettbewerbsverzerrende Ungleichbehandlung nachzu-
gehen und dabei Vorentscheidungen der Behörde in gleich gelagerten Fällen in
die Prüfung einzubeziehen oder gegebenenfalls das Verbot einer festgestellten
wettbewerbsverzerrenden Diskriminierung zu berücksichtigen“ hat.
a)
Der hier angefochtene Beschluss vom 9. November 2005 enthält keine
derartige Begründung. Er geht auf die von der Beschwerdeführerin schon vor dem
Deutschen Patent- und Markenamt geltend gemachten Voreintragungen nicht
konkret ein, sondern beschränkt sich auf allgemeine Ausführungen zur fehlenden
Bindungswirkung von Voreintragungen. Diese treffen im Prinzip zwar zu, sind je-
doch nicht losgelöst davon zu sehen, dass die Exekutive - insbesondere unter
dem Aspekt gleicher Wettbewerbschancen für Konkurrenten - bei der Abwägung
grundsätzlich auch das Gebot der Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG zu
beachten hat. Insoweit liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor. Zudem hat die
Anmelderin im Beschwerdeverfahren weitere Voreintragungen geltend gemacht,
die das Deutsche Patent- und Markenamt in seiner Entscheidung noch nicht be-
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rücksichtigen konnte, jedoch für die Ermittlung der aktuellen Wahrnehmungsge-
wohnheiten in der beanspruchten Branche von Bedeutung sein können.
Die Sache ist folglich noch nicht entscheidungsreif, so dass der Senat die von der
Beschwerdeführerin mit dem Hauptantrag im Rahmen ihrer Verpflichtungsbe-
schwerde (vgl. hierzu Fezer/Grabrucker, Handbuch der Markenpraxis, Band 1
Markenverfahrensrecht, Rdnr. 115) begehrte Anordnung der Eintragung des an-
gemeldeten Zeichens nicht treffen kann. Er übt daher sein ihm nach § 70 Abs. 3
Nr. 2 und 3 MarkenG eingeräumtes Ermessen dahingehend aus, dass er das
Verfahren zur vergleichenden Würdigung der Vorentscheidungen in materiell-
rechtlicher Hinsicht entsprechend Rdnr. 17 der Entscheidung des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften vom 12. Februar 2009 und zur Nachholung der
Begründung gemäß § 61 Abs. 1 S. 1 MarkenG entsprechend dem Hilfsantrag der
Beschwerdeführerin zurückverweist. Dies gilt vor allem unter dem Aspekt, dass
das Amt als zuständige Behörde die Frage der Vergleichbarkeit der Voreintragun-
gen bislang noch nicht geprüft hat, ihm aber als gesetzesvollziehende Gewalt hier
das erste Prüfungsrecht zukommt. Dabei spielt der Gedanke des Instanzgewinns
bzw. -verlusts keine Rolle, da es sich im Verhältnis zwischen Deutschem Patent-
und Markenamt und Bundespatentgericht nicht um Instanzen, sondern um Exeku-
tive und Judikative als grundsätzlich verschiedene Gewalten im Sinne der Gewal-
tenteilung handelt.
Dem Deutschen Patent- und Markenamt ist die Vergleichsüberprüfung im Hinblick
auf die von ihm selbst eingetragenen Marken auch möglich, da es „in dieser Hin-
sicht über Informationen verfügt“ (vgl. EuGH, a. a. O., Rdnr. 17). Denn das neue,
im Mai 2006 in Betrieb genommene Datenverarbeitungssystem des Amtes dient
u. a. der „Harmonisierung der Prüfungs- und Entscheidungspraxis“ (vgl. Jahresbe-
richt DPMA 2006, S. 20).
b)
Es darf hierbei jedoch nicht die Mitwirkungspflicht der Beschwerdeführerin
übersehen werden, handelt es sich doch bei der Entscheidung über die Re-
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gistrierbarkeit eines Zeichens um einen mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt.
Die für das Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt geltende Amts-
ermittlungspflicht hat ihre Grenze im Maß des Zumutbaren. Das Amt muss nicht
jeder noch so geringfügigen Ähnlichkeit nachgehen. Die immanente Einschrän-
kung der Amtsermittlung liegt nämlich in der materiellen Mitwirkungslast der Be-
schwerdeführerin in Bezug auf Tatsachen, die für ihren Anspruch auf Eintragung
sprechen (vgl. Fezer/Grabrucker, Handbuch der Markenpraxis, Band 1 Marken-
verfahrensrecht, Rdnr. 232; Kopp/Ramsauer, VerwVerfG, 9. Auflage, § 24,
Rdnr. 42). Auch sie muss in ihrem Vortrag auf entsprechende Vorentscheidungen
hinweisen und diese unter Nennung der entsprechenden Waren und Dienstleis-
tungen belegen. Die Beschwerdeführerin hat dabei zu berücksichtigen, dass nicht
jede irgendwie geartete Vorentscheidung heranzuziehen ist, sondern der Ver-
gleich mit Vorentscheidungen nur dann vernünftigerweise vom Amt angestellt
werden kann, wenn sich nicht ohne weiteres und sofort die Unterschiedlichkeit der
Zeichen ergibt, und zwar - dies sei hervorgehoben - auf Grund der jeweils einge-
tragenen Waren und Dienstleistungen sowie des Zeitpunkts der Eintragung. Die
Beschwerdeführerin hat daher bei der Aufklärung des Sachverhalts, insbesondere
hinsichtlich der Existenz vergleichbarer Voreintragungen und Zurückweisungen
einschließlich gerichtlicher Vorentscheidungen, mitzuwirken und ihren diesbezüg-
lichen Sachvortrag entsprechend zu substantiieren (vgl. BPatG 29 W (pat) 49/07
- Traunsteiner Anzeigen-Kurier).
Dieser Mitwirkungspflicht muss in einem möglichst frühen Stadium des Verfahrens
vor der Markenstelle nachgekommen werden. In der Regel ist folglich bereits in
der Erwiderung auf das Schreiben, mit dem erstmals die mangelnde Schutzfähig-
keit des Zeichens beanstandet wird, auf Voreintragungen und Zurückweisungen
hinzuweisen. Wird von dem Anmelder nichts vorgetragen und sind für das Amt
auch keine einschlägigen Vorentscheidungen ersichtlich, so ist der vom Gerichts-
hof der Europäischen Gemeinschaften geforderten Begründungspflicht Genüge
getan, wenn es diesen Umstand darlegt.
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Dieser Mitwirkungspflicht ist die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren
zwar durch die Vorlage von Kopien aus dem Markenblatt nachgekommen. Sie
enthalten den Eintragungszeitpunkt, das Verzeichnis der Waren und Dienstleis-
tungen sowie die Darstellung der Marke. Zu den vor dem Deutschen Patent- und
Markenamt geltend gemachten Voreintragungen hat sie jedoch die jeweils ge-
schützten Waren bzw. Dienstleistungen und die einzelnen Eintragungszeitpunkte
nicht genannt, so dass eine umfassende Vergleichsüberprüfung nicht möglich ist.
Die Mitwirkungspflicht setzt eine eingehende Prüfung der Beschwerdeführerin
voraus, ob die angeführten Voreintragungen dem begehrten Zeichen,
insbesondere im Hinblick darauf, ob die Markendarstellung überhaupt konkret
identisch oder vergleichbar ist, entsprechen. Vorliegend hat sie allerdings nicht in
ausreichendem Umfang die Zeichen und die Waren bzw. Dienstleistungen
miteinander verglichen. Nur wenn es sich nämlich um identische oder sehr
ähnliche Zeichen handelt und dementsprechend genügend Gemeinsamkeiten
festzustellen sind, können die Voreintragungen zur Begründung des Anspruchs
auf Eintragung gemäß § 33 Abs. 2 MarkenG herangezogen werden. Es ist nicht
allein Aufgabe der Markenstelle oder des Gerichts, aus einer Vielzahl geltend
gemachter Voreintragungen die passenden auszusuchen. Vielmehr hat die
Beschwerdeführerin selbst eine strenge Vorauswahl zu treffen und lediglich die
ernsthaft in Betracht kommenden nationalen Voreintragungen in ihren Vortrag ein-
zubeziehen.
c)
Hingegen liegt die Begründungspflicht des Deutschen Patent- und Mar-
kenamts darin, die Differenzierung darzulegen und ggf. rechtswidrige Eintragun-
gen als solche erkennbar zu machen. Dabei sind allerdings Veränderungen der
Wahrnehmungsgewohnheiten des Publikums über einen länger zusammenhän-
genden Zeitraum mit einzubeziehen, die zu einer anderen Beurteilung der Unter-
scheidungskraft eines Zeichens führen können (vgl. BGH I ZB 48/08, Beschluss
vom 4. Dezember 2008 - Willkommen im Leben). Insbesondere erscheint es nicht
ausgeschlossen, dass die Privatisierung von Rundfunk- und Fernsehsendern und
die sich beispielsweise aus der TV-Senderdatenbank ergebenden Kennzeich-
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nungsgewohnheiten die Sichtweise der Verbraucher beeinflusst haben. Eine neue
Beurteilung kann demzufolge zu einer Änderung der Rechtsprechung und der ge-
nerellen Eintragungspraxis des Deutschen Patent- und Markenamts, die etwa in
Richtlinien oder allgemeinen Mitteilungen niedergelegt und damit für die Prüfer
des Amtes verbindlich ist, führen.
Ob die Beschwerdeführerin ein Löschungsverfahren nach §§ 50, 54 MarkenG im
Hinblick auf rechtswidrig eingetragene Marken einleitet, bleibt ihr überlassen. Dem
Amt ist es gesetzlich verwehrt, entgegen § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 MarkenG vorge-
nommene Eintragungen von Amts wegen der Löschung zuzuführen.
2.
Die Rechtsbeschwerde wird zwecks Fortbildung des Rechts gemäß § 83
Abs. 2 Ziff. 2 MarkenG zugelassen.
Grabrucker
Kopacek
Dr. Kortbein
Cl