Urteil des BPatG vom 28.01.2008

BPatG (patentanspruch, fachmann, abstand, lehre, patent, gestaltung, wand, abweichung, verbindung, beschwerde)

BUNDESPATENTGERICHT
9 W (pat) 44/04
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
28. Januar 2008
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 100 07 914
BPatG 154
08.05
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hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2008 unter Vorsitz des Richters
Dipl.-Ing. Bülskämper und unter Mitwirkung des Richters Dipl.-Ing. Bork, der Rich-
terin Friehe und des Richters Dipl.-Ing. Reinhardt
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Die Patentabteilung 24 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat nach Prü-
fung des Einspruchs das am 21. Februar 2000 angemeldete Patent mit der Be-
zeichnung
„Fitting oder Armatur zur Herstellung einer Pressverbindung mit
einem eingesteckten Rohrende“
mit Beschluss vom 14. Januar 2004 widerrufen. Sie ist der Auffassung, dass der
Fachmann bei Kenntnis der aus der DE 298 13 935 U1 bekannten technischen
Lehre zu dem Fitting oder der Armatur gemäß dem Patentanspruch 1 des Streit-
patentes kommen konnte, ohne selbst erfinderisch tätig werden zu müssen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Patentinhaberin mit ihrer Beschwerde.
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Zur Begründung führt die Patentinhaberin aus, dass in der DE 298 13 935 U1 kei-
ne Ausbeulung eines Wulstes offenbart sei oder dem Fachmann nahegelegt wer-
de. Denn dort erfolge ausschließlich eine geometrische Abstimmung des Dich-
tungsrings und der Aufnahmenut in der Art, dass eine Leckagestelle vorhanden
sei. Außerdem sprächen für eine Patentfähigkeit des beanspruchten Fittings die
erzielten Vorteile wie der durchschlagende wirtschaftliche Erfolg und das Überwin-
den von Vorurteilen und Hindernissen, um zur vorgeschlagenen technischen Leh-
re zu kommen.
Die Patentinhaberin legt im Beschwerdeverfahren jeweils einen Satz Patentan-
sprüche nach Hilfsantrag I und Hilfsantrag II vor und beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent auf-
rechtzuerhalten,
hilfsweise, das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten mit den Pa-
tentansprüchen 1 bis 5, als Hilfsantrag I eingegangen am 18. Ja-
nuar 2008, im Übrigen gemäß anzupassender Patentschrift,
weiter hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 3, als Hilfsan-
trag II eingegangen am 18. Januar 2008, im Übrigen gemäß anzu-
passender Patentschrift.
Der Einsprechende beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung stellt jeder der beanspruchten Gegenstände, wie in dem je-
weiligen Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen angegeben,
eine fachübliche Ausführungsform von Fittings in Kenntnis der Lehre der
DE 298 13 935 U1 dar.
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Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
Fitting oder Armatur (1), insbesondere zum Verbinden mit einem
rohrförmigen Bauteil (6), mit einem Endabschnitt (2), der zum Her-
stellen einer Verbindung verpressbar ist und einen ringförmigen
Wulst (3) aufweist, in dem ein Dichtungsring (7) angeordnet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
an dem Wulst (3) mindestens eine Ausbeulung (8, 8') vorgesehen
ist.
Dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag schließen sich die auf ihn rückbezoge-
nen Patentansprüche 2 bis 5 an.
Der nebengeordnete Patentanspruch 6 nach Hauptantrag betrifft eine
Verbindungsanordnung zwischen einem Fitting oder Armatur und
einem rohrförmigen Bauteil (1, 6), die über einen Dichtungsring (7)
abgedichtet aneinander gehalten sind,
dadurch gekennzeichnet, dass
das Fitting oder die Armatur (1, 6) nach einem der vorhergehen-
den Ansprüche ausgestaltet ist.
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I lautet (Änderungen gegenüber Hauptantrag
fett dargestellt):
Fitting oder Armatur (1), insbesondere zum Verbinden mit einem
rohrförmigen Bauteil (6), mit einem Endabschnitt (2), der zum Her-
stellen einer Verbindung verpressbar ist und einen ringförmigen
Wulst (3) aufweist, in dem ein Dichtungsring (7) angeordnet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
an dem Wulst (3) mindestens eine Ausbeulung (8, 8') vorgesehen
ist,
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dass der Dichtungsring (7) in dem Wulst (3) anliegt und
dass im Bereich der Ausbeulung (8, 8’) ein Abstand (9, 9’) zwi-
schen dem Dichtungsring (7) und der Wand des Endab-
schnitts (2) vorhanden ist.
Dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I schließen sich die auf ihn rückbezoge-
nen Patentansprüche 2 bis 4 und der Patentanspruch 6 gemäß Hauptantrag als
Patentanspruch 5 an.
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag II lautet (Änderungen gegenüber Hauptan-
trag fett dargestellt):
Fitting oder Armatur (1), insbesondere zum Verbinden mit einem
rohrförmigen Bauteil (6), mit einem Endabschnitt (2), der zum Her-
stellen einer Verbindung verpressbar ist und einen ringförmigen
Wulst (3) aufweist, in dem ein Dichtungsring (7) angeordnet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
an dem Wulst (3) mindestens eine Ausbeulung (8, 8') vorgesehen
ist,
dass der Dichtungsring (7) in dem Wulst (3) anliegt,
dass im Bereich der Ausbeulung (8) ein Abstand (9) zwischen
dem Dichtungsring (7) und der Ausbeulung (8) vorhanden ist
und
dass die Ausbeulung (8) gegenüber dem Wulst (3) radial nach
außen ausgeformt ist.
Dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II schließen sich die auf ihn rückbezoge-
nen Patentansprüche 2 und 3 an.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg.
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1.
Fitting oder Armatur zur Herstellung einer
Pressverbindung mit einem eingesteckten Rohrende.
Ein solcher Fitting bzw. eine solche Armatur umfasst einen Anschlussstutzen zur
Aufnahme eines Rohrendes, wobei zur Erstellung einer Pressverbindung der An-
schlussstutzen mit dem Rohr mittels eines Presswerkzeugs kalt verformt ist.
Beim Verlegen von Rohrleitungen besteht die Gefahr, dass beim Verpressen ein-
zelne Verbindungen vergessen werden. Um erkennen zu können, dass eine
Pressstelle noch nicht verpresst ist, sollte diese so lange eine gewollte Leckage
aufweisen, bis sie definitiv verpresst ist.
Aus der DE 197 22 935 C1 ist nach der Beschreibungseinleitung des Streitpatents
eine Pressverbindung bekannt, bei der ein Dichtelement mit einem in Umlaufrich-
tung liegenden Abschnitt versehen ist, der mit einem vom Ausgangsquerschnitt
abweichenden Querschnitt in Form eines Vorsprungs ausgestattet ist. Dadurch
wird im unverpressten Zustand eine Undichtigkeit herbeigeführt, die nach dem
Verpressen nicht mehr vorhanden sein darf. Es ist allerdings schwierig, die Dicht-
heit der Pressverbindung bereitzustellen, da das Dichtelement ungleichmäßig aus-
geformt ist.
Mit dem Streitpatent soll ein Fitting oder eine Armatur geschaffen werden, bei dem
eine dichte Pressverbindung bereit gestellt wird.
Fittings oder Armaturen, die sich hierfür eignen, sind im jeweiligen Patentan-
spruch 1 des Hauptantrags und der beiden Hilfsanträge angegeben.
Am ringförmigen Wulst 3 (siehe hier wiedergegebene Figur 1A des Streitpatents)
sind eine oder mehrere Ausbeulungen 8 vorgesehen sind. Im Bereich der Ausbeu-
lung liegt eine undichte Stelle zwischen dem Fitting 1 und dem Rohr 6 vor. Das
Verpressen einzelner Verbindungsstellen kann nicht unbemerkt vergessen wer-
den, da in der Rohrleitung befindliches Fluid durch diese Leckstelle nach außen
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strömt. Erst durch das Verpressen wird die Ausbeulung derart zurückverformt,
dass die Undichtigkeit behoben wird.
2. Zum Hauptantrag:
Der Fitting nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag weist folgende Merkmale
auf:
1. Fitting oder Armatur (1), insbesondere zum Verbinden mit einem
rohrförmigen Bauteil (6);
2. der Fitting weist einen Endabschnitt (2) auf;
3. der Endabschnitt (2) ist zum Herstellen einer Verbindung ver-
pressbar;
4. der Endabschnitt (2) weist einen ringförmigen Wulst (3) auf;
5. in dem ringförmigen Wulst (3) ist ein Dichtungsring (7) angeordnet;
6. an dem Wulst (3) ist mindestens eine Ausbeulung (8, 8') vorge-
sehen.
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Ein Fitting mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 wird dem Fachmann durch
die Lehre der DE 298 13 935 U1 (D1) nahegelegt. Zuständiger Fachmann ist ein
Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau an, der Erfahrung in der Ent-
wicklung und Konstruktion von Rohrleitungsverbindungen, insbesondere von ver-
pressbaren Fittings und Armaturen, verfügt.
Aus der DE 298 13 935 U1 (D1) ist ein Fitting bekannt, der unstreitig die Merkma-
le 1. bis 5. des Patentanspruchs 1 des Streitpatents aufweist. Mit dem bekannten
Fitting wird eine unlösbare Pressverbindung zwischen dem Fitting und einer Rohr-
leitung 1 hergestellt (Titel der D1). Der Fitting 3 weist einen Endabschnitt (Muffe 2)
auf, der in Übereinstimmung mit den Merkmalen 2. und 3. des Streitpatents zum
Herstellen der Pressverbindung mit der Rohrleitung 1 verpressbar ist (Seite 2, Zei-
le 29, bis Seite 3, Zeile 4, der D1). Der Endabschnitt 2 weist einen ringförmigen
Wulst 4 auf, der eine Aufnahmenut für einen Dichtungsring 5 bildet (a. a. O.).
In der DE 298 13 935 U1 (D1) wird die Pressverbindung so weitergebildet, dass
eventuell vergessene Pressstellen eine definierte Leckage aufweisen, so dass
beim Abdrücken des Rohrleitungssystems die fehlende Pressverbindung unmittel-
bar an ihrer Leckage erkennbar ist (Seite 2, Zeilen 3 bis 5, der D1). Nach Patent-
anspruch 1 der D1 ist zu diesem Zweck nach dem Einstecken der Rohrendes 1 in
den Endabschnitt 2 des Fittings 3 mindestens eine Leckstelle vorgesehen. Die
Leckstelle kann zwischen dem Dichtungsring und der vom Wulst 4 ausgebildeten
Aufnahmenut oder dem Dichtungsring und dem Rohrende oder im Dichtungsring
selbst vorgesehen sein. Als Beispiel ist dort gezeigt, in der Außenkontur des in die
Aufnahmenut der Muffe eingelegten Dichtungsrings mindestens eine Stelle vorzu-
sehen, an der eine Abweichung des Dichtungsrings von der Kreisform vorgesehen
ist (Anspruch 3 der D1). Wird dieser so abgewandelte Dichtungsring in eine übli-
che kreisringförmige Aufnahmenut eingelegt, so ergibt sich im Bereich dieser Ab-
weichung die nach Anspruch 1 der D1 angestrebte Leckstelle. Für den Fachmann
stellt es eine fachübliche Überlegung dar, an Stelle der Abweichung im Dichtungs-
ring eine entsprechende Abweichung in der Aufnahmenut vorzusehen, um in ent-
sprechender Weise eine Leckstelle zwischen dem unveränderten Dichtungsring
und dem Wulst herzustellen. Auf diese fachübliche Maßnahme wird der Fachmann
auch bereits durch die Beschreibung der D1 gestoßen. Denn dort ist angegeben,
dass nicht nur durch eine entsprechende Gestaltung des Dichtungsrings, sondern
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auch durch eine entsprechende Gestaltung der Aufnahmenut eine Leckstelle zwi-
schen Dichtungsring und Aufnahmenut erzeugt werden kann (Seite 2, Zeilen 12
bis 16, der D1). Da der Dichtungsring bei dieser Ausführungsform in seinem Quer-
schnitt unverändert bleibt, besteht die nächstliegende Maßnahme zur Erzeugung
der angestrebten Leckstelle darin, die Aufnahmenut und damit den Wulst nach au-
ßen auszubeulen. Denn bei einer Ausbeulung wird kein Material der Wand des Fit-
tings entfernt, so dass ihm das gesamte für die Pressverbindung erforderliche Ma-
terial weiter zur Verfügung steht. Somit ergibt sich Merkmal 6. des Patentan-
spruchs 1 nach Hauptantrag bereits bei einer einfachen, im Rahmen fachüblicher
Tätigkeit liegenden Umsetzung der in der D1 gegebenen technischen Lehre.
Nach Auffassung der Patentinhaberin sprechen für eine Patentfähigkeit des bean-
spruchten Fittings die erzielten Vorteile wie der durchschlagende wirtschaftliche
Erfolg und das Überwinden von Vorurteilen und Hindernissen, um zur vorgeschla-
genen technischen Lehre zu kommen. Diese Vorteile können im vorliegenden Fall
eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen. Denn mit einem Gegenstand erreich-
te Vorteile können lediglich als Anzeichen dafür gewertet werden, dass die Erfin-
dung nicht nahegelegen hat. Im vorliegenden Fall wird dem Fachmann jedoch
durch die D1 die Anordnung einer Leckstelle zwischen Dichtungsring und Aufnah-
menut durch entsprechende Gestaltung der Aufnahmenut eindeutig gelehrt, so
dass es für ihn auf der Hand lag, diese Leckstelle als Ausbeulung im Wulst auszu-
gestalten.
3. Zum Hilfsantrag I:
Hilfsantrag I
durch die Merkmale,
dass der Dichtungsring in dem Wulst anliegt und
dass im Bereich der Ausbeulung ein Abstand zwischen dem Dich-
tungsring und der Wand des Endabschnitts vorhanden ist.
Es kann dahinstehen, ob der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I eine Erweite-
rung des Schutzbereichs aufweist, wie die Einsprechende meint. Denn der mit ihm
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beanspruchte Gegenstand ist ebenfalls nicht das Ergebnis einer erfinderischen
Tätigkeit.
Wie bereits zum Hauptantrag ausgeführt wurde, lehrt die D1 den Fachmann,
durch eine entsprechende Gestaltung der im Wulst ausgebildeten Aufnahmenut
für den Dichtungsring eine Leckstelle zwischen Dichtungsring und Aufnahmenut
herzustellen. Es ist fachüblich und auch den Figuren 1 und 2 der D1 unmittelbar
zu entnehmen, dass der Dichtungsring im unverformten Teil des Wulstes an der
Aufnahmenut und damit am Wulst anliegt. Die Ausbeulung ordnet der Fachmann
in naheliegender Weise in der Aufnahmenut und damit im Wulst an, da sich hier-
durch im Bereich der Ausbeulung die erforderliche Leckagestelle offensichtlich auf
einfache Weise durch einen Abstand zwischen dem Dichtungsring und dem Wulst
und damit der Wand des Endabschnitts herstellen lässt. Damit beruht auch der Fit-
ting nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht auf einer erfinderischen Tä-
tigkeit.
4. Zum Hilfsantrag II:
Hilfsantrag II
male,
dass der Dichtungsring in dem Wulst anliegt,
dass im Bereich der Ausbeulung ein Abstand zwischen dem Dich-
tungsring und der Ausbeulung vorhanden ist und
dass die Ausbeulung gegenüber dem Wulst radial nach außen
ausgeformt ist.
Es kann auch hier dahinstehen, ob der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag II
eine Erweiterung des Schutzbereichs aufweist. Denn der mit ihm beanspruchte
Gegenstand ist ebenfalls nicht das Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit.
Wie bereits vorher ausgeführt wurde, lehrt die D1 den Fachmann, durch eine ent-
sprechende Gestaltung der im Wulst ausgebildeten Aufnahmenut für den Dich-
tungsring eine Leckstelle zwischen Dichtungsring und Aufnahmenut herzustellen
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und zu diesem Zweck im Wulst eine Ausbeulung nach außen vorzusehen. Denn
hierdurch ist offensichtlich auf einfache Weise der für die angestrebte Leckstelle
erforderliche Abstand zwischen Dichtung und Wulst erreichbar, und zusätzlich
steht das für die spätere Pressverbindung erforderliche Wandmaterial weiter zur
Verfügung.
5.
trägen fallen auch alle weiteren Patentansprüche, da sie Teil jeweils desselben
Antrags auf (beschränkte) Aufrechterhaltung des Patents sind.
Bülskämper Bork
Friehe
Reinhardt
Ko