Urteil des BPatG vom 11.03.2010

BPatG: unterscheidungskraft, pflege, verkehr, beschreibende angabe, eugh, begriff, versorgung, patent, winter, rom

BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
30 W (pat) 90/09
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
11. März 2010
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung 307 61 118.3
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die
mündliche Verhandlung vom 11. März 2010 unter Mitwirkung der Richterin Winter
als Vorsitzende, des Richters Paetzold und der Richterin Hartlieb
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beschlossen:
Die Beschwerde des Markenanmelders wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I .
Zur Eintragung in das Markenregister angemeldet ist die Wort/Bildmarke
für die Dienstleistungen
„Dienstleistungen zur Verpflegung und Beherbergung von Gästen;
insbesondere Dienstleistungen von Alten- und Seniorenheimen;
medizinische Dienstleistungen; Gesundheitspflege für den Men-
schen; ambulante Pflegedienstleistungen; Betrieb von Pflegehei-
men; Dienstleistungen von Erholungs- und Genesungsheimen;
Gesundheitsberatung;
Krankenpflegedienste;
Seniorenpflege-
dienste; therapeutische Betreuung und ärztliche Versorgung; von
Dritten erbrachte persönliche und soziale Dienstleistungen betref-
fend individuelle Bedürfnisse“.
Die Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die
Anmeldung in zwei Beschlüssen - einer davon ist im Erinnerungsverfahren ergan-
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gen - wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen. Der Begriff „Pflege-
zeit“ sei im Zusammenhang mit den beanspruchten Dienstleistungen eindeutig im
Sinn von „Zeit für Pflege“ zu verstehen. Die angemeldete Bezeichnung „Pflegezeit“
erschöpfe sich daher in dem Hinweis, dass die so gekennzeichneten Dienstleis-
tungen im Rahmen der Zeit, die man sich für die Pflege von alten und kranken
Menschen nehme, zum Einsatz kommen bzw. in der für die Pflege vorgesehenen
Zeit erbracht würden. Die grafische Gestaltung halte sich im werbeüblichen Rah-
men und könne keine Schutzfähigkeit begründen.
Hiergegen hat der Anmelder Beschwerde eingelegt und ausgeführt, die angemel-
dete Marke sei in ihrer Gesamtheit unterscheidungskräftig, da die bildliche Aus-
gestaltung schutzbegründend sei. Er verweist hierzu auf Voreintragungen, in de-
nen vergleichbare grafische Elemente die Schutzfähigkeit begründet hätten. Die
Markenstelle habe sich nicht ausreichend hiermit auseinandergesetzt und ver-
kannt, dass an den für die Schutzfähigkeit erforderlichen „bildlichen Überschuss“
um so niedrigere Anforderungen zu stellen seien, je weniger der beschreibende
Charakter der fraglichen Angabe selbst hervortrete. „Pflegezeit“ sei kein geeigne-
ter beschreibender Begriff, da „Pflegezeit“ als Regelung einer gesetzlichen Ar-
beitsfreistellung (für eine bestimmte Zeit) verstanden werde. Die beanspruchten
Dienstleistungen seien dagegen auf unbegrenzte Zeit angelegt, so dass der an-
gemeldete Begriff hierfür mehrdeutig sei.
Der Anmelder beantragt (sinngemäß),
die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 44 des
Deutschen Patent- und Markenamtes vom 13. Februar 2008 und
vom 16. Juni 2009 aufzuheben,
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hilfsweise,
die Sache an die zuständige Markenstelle zurückzuverweisen.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Anmelders ist in der Sache ohne Erfolg.
Die angemeldete Marke ist gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG von der Eintragung
ausgeschlossen, weil ihr für die angemeldeten Dienstleistungen jegliche Unter-
scheidungskraft fehlt.
1.
Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist nach ständi-
ger Rechtsprechung im Hinblick auf die Hauptfunktion einer Marke, die Ur-
sprungsidentität der gekennzeichneten Waren bzw. Dienstleistungen zu gewähr-
leisten, die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Un-
terscheidungsmittel für die von der Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen
eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefasst zu
werden (vgl. EuGH GRUR 2006, 220 Nr. 27 - BioID; BGH MarkenR 2004, 39 - City
Service; GRUR 2006, 850, 854 - FUSSBALL WM 2006). Die Unterscheidungskraft
einer Marke ist dabei zum einen in Bezug auf die genannten Waren oder Dienst-
leistungen und zum anderen im Hinblick auf die Anschauung der maßgeblichen
Verkehrskreise zu beurteilen, die sich aus den durchschnittlich informierten, auf-
merksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchern dieser Waren oder
Durchschnittsempfängern dieser Dienstleistungen zusammensetzen (vgl. EuGH
MarkenR 2004, 99 - Postkantoor).
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Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind Wortmarken nach § 8 Abs. 2 Nr. 1
MarkenG wegen fehlender Unterscheidungskraft von der Eintragung ausgeschlos-
sen, wenn ihnen entweder ein für die fraglichen Waren und Dienstleistungen im
Vordergrund stehender beschreibender Begriffsgehalt zugeordnet werden kann
(BGH 2001, 1151, 1152 - marktfrisch; GRUR 2005, 417, 418 - Berlin Card) oder
wenn es sich um beschreibende Angaben handelt, die sich auf Umstände bezie-
hen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittel-
bar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen herge-
stellt wird (vgl. BGH GRUR 1998, 465, 468 - Bonus; BGH a. a. O. - FUSSBALL
WM 2006). Weiter fehlt solchen Angaben die erforderliche Unterscheidungskraft,
bei denen es sich um ein gebräuchliches Wort der deutschen Sprache oder einer
bekannten Fremdsprache handelt, das vom Verkehr - etwa auch wegen einer ent-
sprechenden Verwendung in der Werbung - stets nur als solches und nicht als
Unterscheidungsmittel verstanden wird (vgl. BGH a. a. O. - City Service).
Bei der Prüfung ist nach der Rechtsprechung des BGH von einem großzügigen
Maßstab auszugehen, d. h. jede noch so geringe Unterscheidungskraft reicht aus,
um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2001, 1151 - markt-
frisch). Allerdings darf die Prüfung dabei nicht auf ein Mindestmaß beschränkt
werden, sondern sie muss vielmehr gründlich und vollständig ausfallen (vgl. EuGH
WRP 2003, 735 - Libertel-Orange; a. a. O. - Postkantoor).
Die angemeldete Wortbildmarke erfüllt nach den obengenannten Grundsätzen
selbst diese geringen Anforderungen nicht, da sie sich in werbemäßig anpreisen-
der Form auf eine rein sachbezogene Angabe ohne erkennbaren herkunftshinwei-
senden Gehalt beschränkt (vgl. BGH a. a. O. - marktfrisch).
2.
Die angemeldete Marke setzt sich aus allgemein geläufigen Wörtern der deut-
schen Sprache zusammen, die im inländischen Verkehr von jedermann in ihrer
Bedeutung („Pflege“ ist die Bezeichnung für „sorgende Obhut, Behandlung mit den
erforderlichen Maßnahmen zur Erhaltung eines guten Zustands“; „Zeit“ ist ein
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Ausdruck für „Zeitraum, Zeitabschnitt, Zeitspanne“ - vgl. Duden - Deutsches Uni-
versalwörterbuch, 6. Aufl. Mannheim 2006 CD-ROM) verstanden werden. Ebenso
wie vergleichbare Zusammensetzungen mit dem Wort „Zeit“ - wie Urlaubszeit,
Reisezeit, Ruhezeit oder auch Elternzeit, Familienzeit - die den Inhalt oder den
Zweck des jeweiligen Zeitabschnitts näher konkretisieren - bedeutet „Pflegezeit“
nichts anderes als „Zeit für die Pflege; die Zeit, die für Pflege beansprucht wird“.
Der Verkehr wird der angemeldeten Bezeichnung „Pflegezeit“ in Bezug auf die
angemeldeten Dienstleistungen den sachbezogenen Aussagehalt entnehmen,
dass diese im Zusammenhang mit einem Zeitabschnitt oder einer Zeitmenge, die
für Pflege benötigt oder regelmäßig aufgewendet werden oder für Pflege vorgese-
hen sind, erbracht werden. Der Begriff „Pflegezeit, Zeit für die Pflege“ spielt in die-
sem Dienstleistungsbereich auch eine wichtige Rolle, da sowohl bei der ärztlichen
Versorgung und therapeutischen Betreuung wie auch bei den allgemeinen Pflege-
dienstleistungen aus Kostenersparnisgründen und wegen des dadurch bedingten
Personalmangels oftmals zuwenig Zeit für die Erbringung dieser Dienstleistungen
aufgewendet werden kann. Ein ausreichender Umfang an Pflegezeit und damit
bedarfsgerechter Betreuung wird im Zusammenhang mit den genannten Dienst-
leistungen als Qualitätsmerkmal aufgefasst werden.
Bei „Pflegezeit“ handelt es sich um einen werbemäßig anpreisenden Sachhinweis
auf Art, Bestimmung und Verwendung der beanspruchten Dienstleistungen, da
diese für die Zeit der Pflege geeignet und bestimmt sein bzw. dergestalt damit in
Zusammenhang stehen können, dass sie mit Pflegezeit verbunden erbracht wer-
den. Im Zusammenhang mit den vom Anmelder beanspruchten Dienstleistungen,
entnimmt der Verkehr einer entsprechenden Kennzeichnung dieser Dienstleistun-
gen mit der angemeldeten Marke keinerlei betrieblichen Hinweis, sondern bezieht
sie ausschließlich auf deren Art, Verwendung oder Gegenstand. Dieser inhaltsbe-
zogene Sachaussagegehalt der angemeldeten Bezeichnung erschließt sich dem
Verkehr auch sofort und ohne analysierende Zwischenschritte. Dass der Begriff
inzwischen als Rechtsanspruch für bestimmte Personen auf Freistellung zur
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Pflege naher Angehöriger eine gesetzliche Regelung erfahren hat, ändert an der
allgemeinen Bedeutung von „Pflegezeit“ im obengenannten Sinne nichts.
Die angemeldete Marke vermittelt dabei für sämtliche angemeldeten Dienstleis-
tungen eine im Vordergrund stehende Sachaussage. Denn alle Dienstleistungen
betreffen Dienstleistungen, die in Pflegeeinrichtungen erbracht werden bzw. zu-
sammen mit Pflegedienstleistungen erbracht werden. Nach der Rechtsprechung
des EuGH steht weder die Eigenschaft als Wortneubildung noch das Fehlen eines
für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen eindeutigen und unmittelbar
konkret beschreibenden Charakters bzw. eine vorhandene begriffliche Unschärfe
der als Marke angemeldeten Bezeichnung der Feststellung eines Eintragungshin-
dernisses entgegen (vgl. GRUR 2004, 192 - DOUBLEMINT; GRUR 2004, 222
- BIOMILD; a. a. O. - Postkantoor).
Soweit sich der Anmelder auf eine mögliche weitere Bedeutung des angemeldeten
Begriffs beruft, vermag dies keine Unterscheidungskraft zu begründen, da der be-
schreibende oder werblich anpreisende Charakter eines Begriffs nicht dadurch
aufgehoben wird, dass diesem in verschiedenen Bedeutungen jeweils eine be-
schreibende oder allgemein anpreisende Aussage innewohnt (vgl. BGH GRUR
2004, 778, 779 „URLAUB DIREKT“). Für die Verneinung der Unterscheidungskraft
ist es ausreichend, dass die angesprochenen Verkehrskreise der Marke von meh-
reren in Betracht kommenden Bedeutungen eine Aussage mit (eindeutig) be-
schreibendem Charakter entnehmen können (vgl. BGH GRUR 2005, 257, 258
- Bürogebäude).
Im vorliegenden Fall fehlt es somit an der erforderlichen Unterscheidungskraft, da
der unmittelbare Bezug für die in Rede stehenden Dienstleistungen für den Ver-
kehr ohne weiteres ersichtlich ist und sich die Bezeichnung „Pflegezeit“ in Bezug
auf die beanspruchten Dienstleistungen in einer im Vordergrund stehenden Sach-
angabe erschöpft.
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3.
Hinsichtlich des Bildbestandteils einer Wort-/Bildmarke gilt, dass der Marke
- unbeschadet der fehlenden Unterscheidungskraft der Wortelemente - als Ge-
samtheit Unterscheidungskraft zugesprochen werden kann, wenn die grafischen
Elemente ihrerseits charakteristische Merkmale aufweisen, in denen der Verkehr
einen Herkunftshinweis sieht (vgl. BGH GRUR 1991, 136, 137 - NEW MAN;
GRUR 2001, 1153 - antiKALK), wobei an die Ausgestaltung aber um so größere
Anforderungen zu stellen sind, je kennzeichnungsschwächer die fragliche Angabe
ist (vgl. auch BPatG GRUR 1996, 410, 411 - Color COLLECTION). Erforderlich ist
eine den schutzunfähigen Charakter der übrigen Markenteile aufhebende, kenn-
zeichnungskräftige Verfremdung im Gesamteindruck der Marke. Dabei vermögen
einfache geometrische Formen, bloße Verzierungen oder beschreibende Bildzei-
chen, an die sich der Verkehr etwa durch häufige werbemäßige Verwendung ge-
wöhnt hat, keine Unterscheidungskraft zu begründen (BGH a. a. O - antiKALK;
Ströbele/Hacker MarkenG, 9. Aufl. § 8 Rdn. 338 m. w. N.).
Vorliegend handelt es sich bei dem grafischen Element in Form einer wellenförmi-
gen Linie gerade nicht um einen eigenständigen Bildbestandteil, der eine ausrei-
chend bildhafte Verfremdung des nicht unterscheidungskräftigen Wortbestandteils
darstellt und von der Sachangabe wegführt, sondern lediglich um eine werbegra-
phische Gestaltung des Sachhinweises ohne eigenen Aussagegehalt. Dafür
spricht auch, dass die wellenförmige Linie wie eine Rahmung des Wortbestand-
teils nach oben wirkt und sich mit dem i-Punkt des Wortes „Zeit“ verbindet. Diese
werbemäßige Hervorhebung kann keine Schutzfähigkeit des beschreibenden
Wortbestandteils begründen.
4.
Der Anmelder kann sich zur Ausräumung der Schutzhindernisse auch nicht
auf eine seiner Meinung nach abweichende Eintragungspraxis berufen. Denn
selbst aus Voreintragungen ähnlicher oder übereinstimmender Marken erwächst
unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgebots (Art. 3 GG) grundsätzlich
kein Eintragungsanspruch für spätere Markenanmeldungen, da es sich bei der
Entscheidung über die Eintragbarkeit einer Marke nicht um eine Ermessens-, son-
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dern um eine gebundene Entscheidung handelt, die jeweils einer auf den Einzelfall
bezogenen Prüfung unterliegt, einer vorgängigen Amtspraxis kommt damit keine
entscheidende Bedeutung zu (vgl. BGH GRUR 1997, 527, 528 - Autofelge; BGH
BlPMZ 1998, 248, 249 - Today; GRUR 2005, 578 - LOKMAUS; GRUR 2008,
1093, 1095 - Marlene-Dietrich-Bildnis; EuGH a. a. O. - BioID; EuGH MarkenR
2009, 478, 484 [Nr. 57] - American Clothing/HABM; BPatG PMZ 2007, 160
- Papaya; 25 W (pat) 65/08 - Linuxwerkstatt; 24 W (pat) 142/05 - Volksflat auf
PAVIS PROMA CD-ROM).
5.
Aufgrund der vorgenannten Feststellungen bestehen auch erhebliche Anhalts-
punkte dafür, dass das angemeldete Zeichen im Hinblick auf die beanspruchten
Dienstleistungen eine beschreibende Angabe im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 Mar-
kenG darstellt, an der die Mitbewerber ein berechtigtes Freihaltebedürfnis haben.
Angesichts der übrigen behandelten Gesichtspunkte kann diese Frage jedoch of-
fen bleiben.
Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen.
Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung lagen nicht vor (§ 70 Abs. 3 Mar-
kenG).
Winter
Paetzold
Hartlieb
Cl