Urteil des BPatG vom 18.10.2002

BPatG (stand der technik, patent, raum, fig, luft, werkstoff, eintritt, publikation, lehre, neuheit)

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
34 W (pat) 302/02
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 100 23 833
hat der 34. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
16. Januar 2006 unter Mitwirkung …
- 2 -
beschlossen:
Das Patent wird aufrechterhalten.
G r ü n d e
I
Gegen das am 3. Januar 2002 veröffentlichte deutsche Patent 100 23 833 hat die
Einsprechende am 1. Februar 2002 Einspruch eingelegt.
Das Patent umfasst zehn Patentansprüche.
Anspruch 1 lautet:
Solarflachkollektor zur Erhitzung von gasförmigen Fluiden mit we-
2
1
Einstrahlseite gerichteten Kanalwände eines turbulent (Re > 2300)
durchströmten Kanalsystems bildet, wobei alle Kanalwände aus
metallischem Werkstoff hoher Wärmeleitfähigkeit (Aluminium,
Kupfer) gebildet werden, die Absorberfläche mit einer selektiven
Ausrüstung (im Wellenlängenbereich der Solarstrahlung: α
St
> 0,9,
im infraroten Bereich, d. h. hier für גּ > 2,5 µm : ε < 0,1) versehen
sein kann und die Reynoldszahl der Kanalströmung an der Luft-
austrittsseite größer als 5000 ist (Re
A
> 5000) und einer oder meh-
3
5
der in den Kollektor eintretende Luftstrom in der Weise aufgeteilt
12
3
- 3 -
1
2
11
3
11
13
Ansprüche 2 bis 10 sind auf Anspruch 1 rückbezogen.
Die Einsprechende ist der Auffassung, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht
patentfähig. Sie hat vorgetragen, dem beanspruchten Solarflachkollektor fehle die
Neuheit bzw. die „erfinderische Neuheit“. Den Gegenständen der Unteransprüche
fehle Neuheit und/oder „erfinderischer Schritt“ und/oder „erfinderische Neuheit“.
Die Einsprechende hat zur Stützung ihres Vorbringens folgende Entgegenhaltun-
gen genannt:
D1
US 4 323 054
D2
US 4 314 549
D3 WO
80/00488
D4 DE-Publikation:
Dotzler,
W.,
Thermische Nutzung von Photovoltaik-
modulen?, Elftes Symposium photovoltaische Solarenergie, OTTI,
Regensburg 1996
D5
DE-Publikation: Löffler, M., Grenzschichtabsaugung in der Kollek-
tortechnik, Zehntes Symposium Thermische Solarenergie, OTTI,
10. bis 12. Mai 2000, Regensburg 2000
D6
DE 195 00 807 A1
- 4 -
D7
GB-Buch: Hastings, R., Editor, „Solar Air systems - Built examples”,
Kapitel IV.2: Secondary Modern School, Koblach, Austria”, James &
James, London 1999
D8
DE-Publikation: Morhenne, J. et al., „Entwicklung und Erprobung
einer Baureihe von optimierten, modularen Solarlufterhitzern für
Heizung und Trocknung“, TU Bochum, 1990
D9
DE 198 00 560 C1
D10 DE-Zeitschrift:
Pottler,
K.: „Energetische Optimierung von Solar-
Luft-Kollektoren“, Fortschritt-Berichte des VDl, Reihe 6, Nr. 442,
VDI-Verlag, Düsseldorf 2000
D11 DE 299 11 741 U1
D12 DE-Publikation: Barthel, H.: „Vom Solarluftkollektor zur luftkollektor-
integrierten Solarfassade“, in: Schriftenreihe der FH Lippe, Heft 11,
Lemgo 1994
D13 DE-Firmenschrift:
Grammer
KG, „Solar-Luft-Technik“ Planungsun-
terlagen, Seite 3, Amberg 1997
D14 DE-GM 76 20 549
Im Prüfungsverfahren waren neben den Druckschriften D2 und D9 die Entgegen-
haltungen
D15 DE 198 24 027 A1
D16 DE-Bericht: Fischer et al., „Thermochemische Speicherung und
Wärmetransformation von Fernwärme zum Lastausgleich in einem
- 5 -
Fernwärmenetz (TGSll)“, BMFT-Forschungsvorhaben 0329662A,
1999
D17 DE-Dissertation:
Digel,
„Optimierung eines hocheffizienten Sonnen-
flachkollektors mit luftdurchströmter transparenter Kappillarstruktur“,
Inst. f. Thermodynamik und Wärmetechnik der TU Stuttgart, 1994
berücksichtigt worden.
Die Einsprechende beantragt,
das Patent zu widerrufen.
Der Patentinhaber beantragt,
das Patent aufrechtzuerhalten,
sinngemäß hilfsweise, das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten
mit geänderten Patentansprüchen 1 bis 3 und Beschreibungsein-
schüben für die Absätze [0024], [0025] und [0026] und Änderun-
gen in den Absätzen [0006] und [0009] der Patentschrift des an-
gegriffenen Patents, eingegangen am 9. September 2002, im Üb-
rigen wie erteilt.
Er sieht ausreichenden Abstand des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 des
Patents zum Stand der Technik.
Wegen Einzelheiten des Vortrags der Parteien und wegen des Wortlauts der Un-
teransprüche sowie der Ansprüche nach dem Hilfsantrag wird auf die Akte verwie-
sen.
- 6 -
II
Die Einspruchsgebühr ist rechtzeitig gezahlt. Auf den Zwischenbescheid des juris-
tischen Beisitzers vom 18. Oktober 2002 wird Bezug genommen.
Der zulässige Einspruch hat keinen Erfolg.
1.
Anspruch 1 lässt sich folgendermaßen in Merkmale gliedern:
1
Solarflachkollektor zur Erhitzung von gasförmigen Fluiden
2
mit wenigstens einer transparenten Abdeckscheibe (2),
3 mit einem Absorber
(1) zur Absorption der einfallenden
Solarstrahlung
4
der die zur Einstrahlseite gerichteten Kanalwände eines turbulent
(Re > 2300) durchströmten Kanalsystems bildet,
5.1
wobei alle Kanalwände aus metallischem Werkstoff gebildet werden
5.2
von hoher Wärmeleitfähigkeit (Aluminium, Kupfer),
6
wobei die Absorberfläche mit einer selektiven Ausrüstung (im
Wellenlängenbereich
der
Solarstrahlung:
α
St
> 0,9, im infraroten
Bereich, d. h. hier für
λ > 2,5 μm: ε < 0,1) versehen sein kann und
7
wobei die Reynoldszahl der Kanalströmung an der Luftaustrittsseite
größer als 5000 ist (Re
a
> 5000),
8
und mit einer oder mehreren an der Rückseite des Kanalsystems (3)
angeordneten Wärmeisolationsschichten (5i, 5a),
9
dadurch gekennzeichnet, dass der in den Kollektor eintretende
Luftstrom aufgeteilt wird,
10
in der Weise, dass ein Teilluftstrom (12) am Kanalanfang in den
Kanal (die Kanäle) des Kanalsystems (3) eintritt
11.1 und die übrige Teilmenge des Gesamtluftstroms aus dem
Raum zwischen Absorber
(1) und transparenter Abdeck-
scheibe (2) in das Kanalsystem (3) einströmt
- 7 -
11.2 und zwar über eine Vielzahl von über die gesamte Absorberflä-
che verteilten kleinen Lochungen (11)
12
und dass der insgesamt über die Absorberlochungen (11) ein-
strömende Teilluftstrom (7) wenigstens ein Drittel des Gesamt-
luftstroms (13) beträgt.
2.
Der Solarflachkollektor nach Patentanspruch 1 erfüllt die Patentierungsvor-
aussetzungen.
2.1
Er ist neu.
In keiner der von der Einsprechenden genannten oder im Prüfungsverfahren be-
rücksichtigten weiteren Entgegenhaltungen ist ein Solarflachkollektor mit einem
Absorber und mit einem Kanalsystem offenbart, vgl. Merkmale 3 und 4, bei dem
ein in den Kollektor eintretender Luftstrom in der Weise aufgeteilt wird, dass ein
Teilluftstrom am Kanalanfang in den Kanal bzw. die Kanäle des Kanalsystems
eintritt, vgl. Merkmale 9 und 10, und bei dem außerdem die übrige Teilmenge des
Gesamtluftstroms aus dem Raum zwischen Absorber und einer transparenten Ab-
deckscheibe in das Kanalsystem über eine Vielzahl von über die gesamte Absor-
berfläche verteilten kleinen Lochungen einströmt, vgl. Merkmal 11.
2.2 Der offensichtlich gewerblich anwendbare Solarflachkollektor beruht auch
auf erfinderischer Tätigkeit.
Nächstkommend ist der Solarflachkollektor zur Erhitzung von gasförmigen Fluiden
nach der schon im Prüfungsverfahren berücksichtigten Entgegenhaltung
DE 198 00 560 C1 (D9). Dieser weist die gegenständlichen Merkmale 1, 2, 3 und
8 auf, s. dort Anspruch 1. Er ist so gestaltet, dass im vorgesehenen Betrieb auch
die Merkmale 4 und 7 vorliegen, s. Ansprüche 1 und 9 der D9. Der bekannte So-
larflachkollektor besitzt einen Absorber aus Aluminium oder Aluminiumlegierung,
vgl. Merkmal 5.2. Aus der Gestalt des Absorbers 1 als profiliertes Blech, s. Zu-
sammenfassung und S. 6 Z. 8, mit zur Einstrahlseite hin offenen U-förmigen Ver-
- 8 -
tiefungen, ergeben sich in Verbindung mit einer aufgelegten Abdeckscheibe (in-
nerste transparente Scheibe 2i), die Kanäle, s. Fig. 1 mit zugehöriger Beschrei-
bung. Bei diesen Kanälen ist das Oberbegriffsmerkmal 5.1 des Anspruchs 1 nicht
gegeben, wonach alle Kanalwände aus metallischem Werkstoff gebildet werden.
Bei dem Solarflachkollektor nach der D9 ist außerdem keines der kennzeichnen-
den Merkmale des Anspruchs 1 des angegriffenen Patents verwirklicht.
Die Druckschrift D9 gab aus sich heraus keine Anregung, den in ihr beschriebe-
nen Kollektor in Richtung auf den beanspruchten Solarflachkollektor weiterzuent-
wickeln.
Auch aus einer Zusammenschau der Entgegenhaltung D9 mit dem übrigen Stand
der Technik ließ sich die beanspruchte Lehre nicht ohne erfinderischen Tätigkeit
gewinnen.
Der Artikel von Morhenne et al. (D8) und die (von der Einsprechenden nur zu
Merkmalen von Unteransprüchen genannten) Druckschriften D12, Artikel von
Barthel, und D13, Firmenschrift Grammer KG, zeigen jeweils einen Solarflachkol-
lektor zur Erhitzung von gasförmigen Fluiden mit einem durchströmten Kanalsys-
tem, bei dem alle Kanalwände aus metallischem Werkstoff gebildet werden. Die-
sen Entgegenhaltungen hätte der Fachmann allenfalls ein Vorbild für das Merk-
mal 5.1 entnehmen können, dass alle Kanalwände aus metallischem Werkstoff
gebildet werden. Den o. a. Druckschriften fehlt jedoch jeglicher Hinweis auf nur
eines der kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 des angegriffenen Pa-
tents.
Solarkollektoren mit einem durchströmten Kanalsystem, bei dem der in den Kol-
lektor eintretende Luftstrom entsprechend Merkmal 9 aufgeteilt wird, sind der
US 4 323 054 (D1), der US 4 314 549 (D2) und dem Artikel von W. Dotzler (D4) zu
entnehmen, wobei allein die Solarkollektoren nach der D1 und der D2 zusätzlich
auch die Merkmale 10 und 11.1 aufweisen, dass ein Teilluftstrom am Kanalanfang
- 9 -
in den Kanal bzw. die Kanäle des Kanalsystems eintritt und die übrige Teilmenge
des Gesamtluftstroms aus dem Raum zwischen Absorber und transparenter Ab-
deckscheibe in das Kanalsystem einströmt.
Die US 4 323 054 (D1) zeigt einen Absorber mit Schlitzen für den Übergang der
Luft von dem Raum zwischen Absorber 212, 218, 224 oder 356 und transparenter
Abdeckscheibe zu dem Kanalsystem auf der Rückseite des Absorbers, s. Fig. 5
bis 7 und 10 mit zugehöriger Beschreibung.
Die Einsprechende hat im Einspruchsschriftsatz insbesondere auf die Fig. 10 der
Entgegenhaltung D1 hingewiesen, in der nach ihrer Ansicht kleine Lochungen in
der Absorberfläche gezeigt sein sollen.
In Sp. 15 le. Abs. der Druckschrift wird jedoch unter Bezug auf Fig. 10 ausgeführt,
dass die Schlitze durch 45
-Abwinklung von der Größe eines Zolls eines jeden
Absorberabschnitts gebildet werden. Unter Berücksichtigung dessen ergeben sich
für den fachmännischen Leser der Schrift aus der Fig. 10 Spaltbreiten von der
Größenordnung eines Zolls, also entgegen der beanspruchten Lehre durchaus
große Öffnungen.
Bei dem Kollektor nach der US 4 314 549 (D2) mit Lufträumen 6 und 7 ober- und
unterhalb des zweiten Absorbers (secondary collector, cell layer 5) soll nach Sp. 4
le. Abs. erreicht sein, dass im unteren Luftraum 7 niedrigerer Druck als im oberen
Raum 6 herrscht und die Luft von 6 nach 7 gesaugt wird. Dies könnte für sich ge-
nommen auf eine hohe Impedanz des Absorbers 5 und demzufolge „kleine Lo-
chungen“ hindeuten. Die genannten Druckverhältnisse ergeben sich aber offenbar
im Wesentlichen aus der Bemessung der beiden Lufteintrittsöffnungen 8a in die
Lufträume 6 und 7 in Verbindung mit den Querschnitten der Lufträume 6 und 7,
denn der Absorber 5 soll nach Sp. 4 Z. 38f primär – und damit von der Lehre des
angegriffenen Patents wegführend - große Öffnungen haben, um einen hohen
Anteil der Strahlung durch ihn hindurch zu dem darunter liegenden weiteren Ab-
- 10 -
sorber (primary collector 4) gelangen zu lassen, s. auch die Darstellungen des
Absorbers 5 in den Fig. 1 und 2.
Weder D1 noch D2 konnten demnach zu Merkmal 11.2 hin führen. Da in keiner
der beiden Druckschriften ein Wert für das Verhältnis der durch die Absorberöff-
nungen strömenden Luft zum Gesamtluftstrom genannt ist, konnten die D1 und
die D2 auch keine Anregung für eine Ausgestaltung des Solarflachkollektors nach
der D9 entsprechend dem Merkmal 12 des Anspruchs 1 geben.
Bei dem Solarflachkollektor nach dem Artikel von W. Dotzler (D4) wird ebenfalls,
wie schon ausgeführt, der in den Kollektor eintretende Luftstrom entsprechend
Merkmal 9 aufgeteilt. Nach der Aufteilung des in den Kollektor eintretenden Luft-
stroms bleiben die Teilströme zu beiden Seiten des Absorbers jedoch getrennt.
Ein Übergang von Luft aus dem Luftstrom zwischen Absorber und transparenter
Abdeckscheibe in das Kanalsystem findet nicht statt. Mithin können die Merk-
male 11.2 und 12 bei diesem Kollektor gar nicht verwirklicht sein. Diese Schrift
führt insoweit von der beanspruchten Lehre weg.
Die übrigen von der Einsprechenden genannten Druckschriften sowie die weiteren
im Prüfungsverfahren berücksichtigten Entgegenhaltungen liegen weiter ab. Sie
zeigen weder Merkmal 5.1 noch eines der kennzeichnenden Merkmale und ver-
mochten daher gleichfalls nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu führen.
3.
Die Unteransprüche 2 bis 10 betreffen zweckmäßige Ausgestaltungen des
Solarflachkollektors nach Anspruch 1 und haben mit diesem Bestand.
- 11 -
4.
Bei dieser Sachlage erübrigt sich ein Eingehen auf den Hilfsantrag.
gez.
Unterschriften