Urteil des BPatG vom 08.01.2003

BPatG: faires verfahren, verwechslungsgefahr, kennzeichnungskraft, rückzahlung, ausgabe, produkt, vergleich, gegenüberstellung, zeitung, bestandteil

BUNDESPATENTGERICHT
28 W (pat) 97/03
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Marke 399 01 244
hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 8. Oktober 2003 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Stoppel,
des Richters Paetzold und der Richterin Schwarz-Angele
BPatG 154
6.70
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beschlossen:
Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Be-
schluss der Markenstelle für Klasse 12 des DPMA vom 8. Ja-
nuar 2003 aufgehoben.
Wegen des Widerspruchs aus der Marke 395 26 265 wird die
die Löschung der jüngeren Marke 399 01 244 bezüglich der
Waren der Klasse 12 angeordnet.
G r ü n d e
I.
In das Markenregister eingetragen wurde unter der Rollennummer 399 01 244 die
Marke
TT-R
für Dienstleistungen der Klasse 37, sowie für folgende Waren der Klasse 12:
Autozubehör, nämlich Zubehörteile für die Innenausstattung und
zwar Lenkräder, Schaltknöpfe, Sitze, Sitzbezüge, Innengarnituren
in Form von Dachhimmeln, Türverkleidungen und Teppichböden
aus Bezugsstoff und Zubehörteile für die Außenausstattung, ins-
besondere Teile zur Verbesserung der Aerodynamik, nämlich
Spoiler, Sportfelgen; modifizierte Karosserien für Kraftfahrzeuge,
Landfahrzeuge, insbesondere Personenkraftwagen.
Auf diese Waren beschränkt hat die Inhaberin der rangälteren Marke 395 26 265
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TT
Widerspruch aus den für diese Marke geschützten Waren „Kraftfahrzeuge und de-
ren konstruktionsbedingte Teile“ erhoben.
Die Markenstelle für Klasse 12 des Deutschen Patent- und Markenamts hat eine
Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen, denn we-
gen der geringen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke halte die jüngere
Marke den erforderlichen Abstand ein.
Bei der Entscheidung hat sie einen Schriftsatz der Markeninhaberin vom 14. De-
zember 2000 verwendet, von dem die Widersprechende keine Kenntnis erhalten
hatte. In diesem Schriftsatz hat die Markeninhaberin Ausführungen zur Warenähn-
lichkeit und zur Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke gemacht, denen
sich die Markenstelle anschloss.
Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt und sich gegen die behauptete
Kennzeichnungsschwäche gewandt. Auch seien die Waren erheblich ähnlich, so
dass Verwechslungsgefahr vorliege.
Die Markeninhaberin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss sowie auf
den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig (§ 66 Abs 1 und Abs 2 MarkenG) und hat Erfolg.
I.
In die Beschlussfassung ist substantiell ein Schriftsatz der Marken-
inhaberin verwendet, von dem die unterlegene Widersprechende keine
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Kenntnis hatte. Damit hat die Markenstelle gegen den verfassungs-
rechtlichen Grundsatz des rechtlichen Gehörs des § 103 Abs 1 GG (und
des § 59 Abs 2 MarkenG) verstoßen, wonach jeder an einem Verfahren
Beteiligte Anspruch darauf hat zu erfahren, welche Unterlagen des
Gegners bei der Entscheidung vorliegen. Dieser Anspruch ist nicht auf
den tatsächlichen Sachvortrag beschränkt, sondern umfasst auch die
rechtliche Ausführungen (st Rspr zB BverfG, NJW 2002, 1334). Ein fai-
res Verfahren, auf das jeder an einem gerichtlichen oder behördlichen
Verfahren Beteiligte Anspruch hat, ist nur dann gewährleistet, wenn
sämtliche Schriftsätze eines Beteiligten dem Gegner unverzüglich zur
Kenntnis gebracht werden (vgl Ströbele, Hacker, MarkenG, 7. Aufl. § 59
Rdz 26, 27). Nur in Ausnahmefällen mag eine andere Handhabung ge-
rechtfertigt sein, so zB wenn sich der betreffende Schriftsatz im wesent-
lichen auf Wiederholungen beschränkt und die Entscheidung unmittel-
bar bevorsteht. Das Behalten eines Schriftsatzes über einen Zeitraum
von über zwei Jahren ist durch nichts gerechtfertigt, insbesondere dann
nicht, wenn sich die Markenstelle den dort vorgetragenen Ausführungen
anschließt.
Von einer Zurückverweisung wurde abgesehen, denn diese würde das
Verfahren verzögern und liegt nicht im Interesse der durch den Verfah-
rensfehler betroffenen Widersprechenden.
II.
Zwischen den Marken besteht eine Verwechslungsgefahr im Sinne von
§ 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG, denn die jüngere Marke greift in den ange-
sichts der Warenidentität und der durchschnittlichen Kennzeichnungs-
kraft bestehenden großen Schutzbereich der älteren Marke ein.
Sämtlichen Waren der jüngeren Marke können unter den mit der Widerspruchs-
marke geschützten Warenbereich „Kraftfahrzeuge und deren konstruktionsbe-
dingte Teile“ eingeordnet werden. Zu den „konstruktionsbedingten Teilen“ eines
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Kraftfahrzeuges ist alles zu zählen, was zur bestimmungsgemäßen Funktion eines
Kraftfahrzeuges notwendig und auch üblich ist, also neben den Baueilen wie Mo-
tor, Chassis, Räder, Lenkrad, Sitz, Scheinwerfer usw auch die Ausstattungsele-
mente, mit denen eine Kraftfahrzeug herkömmlicher Weise versehen ist, so zB
Sitzbezüge, Türverkleidungen und Dachhimmel. Nicht „konstruktionsbedingt“ ist
mithin lediglich das Zubehör, dessen Verwendung vorwiegend der optischen Ver-
änderung oder Verbesserung der Ausstattung dient, so zB Zierleisten oder
Schonbezüge. Dazu zählen zwar auch die von der angegriffenen Marke ge-
schützten „Sportfelgen“; wegen der im Warenverzeichnis vermerkten beispielhaf-
ten Aufzählung als „Teile zur Verbesserung der Aerodynamik“ muss insoweit je-
doch von dem Oberbegriff „Zubehörteile für die Außenausstattung“ ausgegangen
werden, wozu aber wieder solche das Wesen eines Kraftfahrzeug bestimmenden,
also „konstruktionsbedingte Teile“ wie Außenspiegel, Stoßstange, Kotflügel und
Außenspiegel zählen.
Der nunmehr notwendige erhebliche Markenabstand der jüngeren Marke wird
auch nicht durch eine etwa nur geringe Kennzeichnungskraft der Widerspruchs-
marke geschmälert. Selbst wenn Buchstaben auf dem Kraftfahrzeugsektor wegen
deren häufiger Verwendung als Typ oder Serienzeichen eine nur geringe Aussa-
gekraft hätten – wovon in der von der Markenstelle ausgeführten Allgemeinheit
nicht ausgegangen werden kann, denn es fehlt jeder Nachweis, dass TT be-
schreibende Anklänge hätte - , so wäre eine solche mögliche ursprüngliche Kenn-
zeichnungsschwäche doch durch die bereits im Anmeldezeitpunkt der jüngeren
Marke (12.1.1999) bestehende weite Verbreitung und Bekanntheit der Kennzeich-
nung ausgeglichen gewesen. Dies bestätigt auch eine Nachschau zB in der Süd-
deutschen Zeitung (elektronische Ausgabe des Jahrgang 1999), in der wiederholt
TT in Alleinstellung als Hinweis auf die Automarke der Widersprechenden ver-
wendet wird, womit unterstellt wird, der Leser weiß von welchem Produkt und wel-
chen Hersteller die Rede ist.
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Vor diesem Hintergrund reicht der Abstand der Marken TT-R und TT nicht aus um
eine Verwechslungsgefahr zu verneinen. Bei identischen Waren genügt für den
erforderlichen deutlichen Abstand der Unterschied allein in dem Buchstaben R
auch unter Berücksichtigung der Rechtssprechung zu Kurzwort – Zeichen (wo-
nach schon geringfügige Abweichungen eine Verwechslungsgefahr verhindern
können) nicht aus, denn das R ist durch den Bindestrich von TT getrennt, womit
dessen Eigenständigkeit betont wird. Beim klanglichen Vergleich wird dies zu ei-
ner Zäsur und dem klanglichen Hervortreten des identischen Bestandteils TT füh-
ren, bei der schriftbildlichen Gegenüberstellung wird die Übereinstimmung in die-
sem Bestandteil noch deutlicher. In jedem Fall ist es die Konsonantenverdoppe-
lung – die bei der Kennzeichnung von Kraftfahrzeugen und deren Teilen eher un-
typisch ist – die hervortritt und die in Erinnerung bleibt, womit zumindest bei identi-
schen Waren mit Verwechslungen zu rechnen ist.
Die Beschwerde ist damit erfolgreich.
Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst, § 71 Abs 1 Satz 2 Markengesetz.
Von einer Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach § 66 Abs 5 Satz 2 MarkenG
wurde abgesehen. Zwar rechtfertigt die Verletzung des rechtlichen Gehörs regel-
mäßig eine derartige Entscheidung, die Beschwerdeführerin hat sich aber nicht
darauf berufen und der Rechtsverstoß dürfte für die Entscheidung nicht kausal
gewesen sein.
Stoppel Paetzold
Schwarz-Angele
Na