Urteil des BPatG vom 18.12.2001

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BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
1 Ni 33/00 (EU)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
18. Dezember 2001
In der Patentnichtigkeitssache
BPatG 253
9.72
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betreffend das europäische Patent EP 0 143 145
(= DE 34 66 375)
hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche
Verhandlung vom 18. Dezember 2001 durch den Präsidenten Dr. Landfermann als
Vorsitzender und die Richter Dr.-Ing. Barton, Dipl.-Phys. Dr.rer.nat. Frowein, Dipl.-
Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Ihsen und Dr. Hacker
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
10.000,- DM vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 23. März 1984 unter Inanspruch-
nahme der Priorität der deutschen Gebrauchsmusteranmeldungen 83 34 015 und
83
34
016 vom 26. November 1983 angemeldeten europäischen Patents
0 143 145 (Streitpatent), das unter anderem mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der
Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist und insoweit beim Deutschen Pa-
tent- und Markenamt unter der Nummer 34 66 375 geführt wird.
Das in deutscher Sprache veröffentlichte Streitpatent betrifft ein Regal zur Auf-
nahme von Lackdosen. Es umfasst 13 Patentansprüche, von denen mit der Nich-
tigkeitsklage nur Anspruch 1 angegriffen wird, welcher folgenden Wortlaut hat:
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1. Regal zur Aufnahme von Lackdosen, bestehend aus seitlichen,
vertikalen Trägern (1, 2), zwischen den Trägern (1, 2) in unter-
schiedlichen vertikalen Abständen verlaufenden Tragplatten (5), ei-
ner Antriebseinrichtung mit einem Antriebsmotor und einer An-
triebsübertragung an jeder Tragplatte (5) zu einer Reihe von ersten
Antriebsgliedern (11) an einer Seite jeder Tragplatte (5), deren je-
des zum Eingriff mit einem zweiten Antriebsglied (44) an einer
Lackdose (41) ausgebildet ist, und Halterungen für jeweils eine
Lackdose an den Tragplatten (5),
dadurch gekennzeichnet, daß die Halterungen an der Seite der
Tragplatte (5), von der die ersten Antriebsglieder (11) vorstehen,
allgemein U-förmige Führungsgehäuse (20) für jeweils eine Lack-
dose (41) bilden, deren jedes das erste Antriebsglied (11) ein-
schließt, und daß das U-förmige Führungsgehäuse (20) ein Rast-
element (31) enthält, das sich an einer von der Basis (23) abge-
kehrten Seite zwischen den Seitenwänden (22) des U-förmigen
Führungsgehäuses (20) erstreckt.
Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Anspruchs 1 ergebe sich in na-
heliegender Weise aus den Entgegenhaltungen:
FR-OS 2 521 493 NK4 (mit Übersetzung NK4a) und
FR-OS 2 475 502 NK5 (mit Übersetzung NK5a).
Außerdem weist sie auf die in der Streitpatentschrift genannte EP 0 065 498 A2
als NK2 hin.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 0 143 145 mit Wirkung für das Hoheitsge-
biet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang des Anspruchs 1
für nichtig zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Klagevorbringen entgegen und hält den angegriffenen Gegenstand
des Streitpatents für patentfähig.
Wegen Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen einge-
reichten Schriftsätze und Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, mit der der in Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 Buchstabe
a EPÜ iVm Art 56 EPÜ geregelte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähig-
keit geltend gemacht wird, ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
I.
Der angegriffene Gegenstand des Streitpatents ist unbestritten gewerblich an-
wendbar und neu; er ergibt sich für den Fachmann auch nicht in naheliegender
Weise aus dem Stand der Technik.
1. Der Senat geht bei den folgenden Überlegungen von den Kenntnissen eines
Maschinenbauers aus, der als Techniker oder Diplom-Ingenieur (FH) auf einige
Jahre Berufserfahrung zurückblicken kann.
2. Der Gegenstand des angegriffenen Anspruchs 1 betrifft in aufgegliederter Form
ein:
- 5 -
M1
Regal
zur
Aufnahme
von Lackdosen, bestehend aus
M2
seitlichen, vertikalen Trägern,
M3
zwischen den Trägern in unterschiedlichen Abständen verlaufenden
Tragplatten,
M4 einer
Antriebseinrichtung
mit einem Antriebsmotor und
M5
einer Antriebsübertragung an jeder Tragplatte
M5a zu einer Reihe von ersten Antriebsgliedern an einer Seite jeder Trag-
platte,
M5b deren jedes zum Eingriff mit einem zweiten Antriebsglied an einer
Lackdose ausgebildet ist, und
M6
Halterungen für jeweils eine Lackdose an den Tragplatten;
- Oberbegriff -
M7a die Halterungen sind an der Seite der Tragplatte vorgesehen, von
der die ersten Antriebsglieder vorstehen;
M7b die
Halterungen
bilden allgemein U-förmige Führungsgehäuse für je-
weils eine Lackdose, deren jedes das erste Antriebsglied einschließt;
M8
das U-förmige Führungsgehäuse enthält ein Rastelement, das sich
an einer von der Basis abgekehrten Seite zwischen den Seitenwän-
den des U-förmigen Führungsgehäuses erstreckt.
- Kennzeichen -
- 6 -
3. Das Streitpatent geht von einem Regal zur Aufnahme von Lackdosen aus, wie
es beispielsweise aus der EP 0 065 498 A2 (NK2) bekannt ist, welches die Merk-
male M1 und M4 bis M6 aufweist. Bei diesem vorbekannten Regal ist das Merk-
mal M6 in der Form verwirklicht, dass die Tragplatten jeweils an ihrer Oberseite 20
mit Halterungen in Form elastischer Klemmen 22 versehen sind, welche die Lack-
dosen im Bereich des Bodens halten. Die Patentinhaberin räumt darüber hinaus
ein, dass im Stand der Technik auch entsprechende Regale mit seitlichen, verti-
kalen Trägern bekannt sind, zwischen denen in unterschiedlichen Abständen
Tragplatten verlaufen. Somit sind Regale gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs
1, dh einschließlich der Merkmale M2 und M3, bereits bekannt.
3.1 Diese bekannten Regale weisen nach den Ausführungen in der Streitpatent-
schrift den Nachteil auf, dass die Lackdosen auf den Tragplatten durch die Feder-
klemmen nicht hinreichend gegen Kippmomente unter der Einwirkung des Rühr-
antriebs gesichert sind. Außerdem seien die Antriebsglieder, welche die Antriebs-
verbindung zwischen dem Keilriemen in den Tragplatten und den Rührwerken im
Inneren der Lackdosen bewirkten, während des Betriebs frei zugänglich, was von
erheblichem Nachteil für die Arbeitssicherheit dieser Regale sei (Streitpatentschrift
Sp 2 Z 15-24).
3.2 Hiervon ausgehend, liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, ein Regal für
Lackdosen zu schaffen, das eine hohe Arbeits- und Betriebssicherheit bietet
(Streitpatentschrift Sp 2 Z 25-29).
3.3 Dazu sieht der Anspruch 1 für das damit beanspruchte Regal die Merkmale
M7a, M7b und M8 vor.
4. Aus der FR-OS 2 521 493 (NK4/NK4a vgl Fig 1 iVm der Beschreibung) ist ein
Regal zur Aufnahme von Lackdosen bekannt. Das Regal besteht aus seitlichen
Trägern (Seitenwände 1,2) und zwischen den Trägern in unterschiedlichen Ab-
ständen verlaufenden Tragplatten (Querplatten 4). Damit sind auch aus dieser
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Schrift die Merkmale M1 bis M3 bekannt. Die Tragplatten weisen darüber hinaus -
entsprechend den Merkmalen M5a und M5b - erste Antriebsglieder (Paletten 7) an
einer Seite jeder Tragplatte auf, deren jedes zum Eingriff mit einem zweiten An-
triebsglied (Antriebswelle 10 mit Gabel 9 und Fingern 8, vgl dazu Fig 3) an einer
Lackdose ausgebildet ist. Die ersten Antriebsglieder (Paletten 7) werden von
einzelnen elektrischen Motorantrieben 6 angetrieben (vgl NK4a S 2 Z 30f). Damit
unterscheidet sich diese Antriebseinrichtung von der in Patentanspruch 1 des
Streitpatents gemäß den Merkmalen M4 und M5 beanspruchten, bei der die
ersten Antriebsglieder mittels einer Antriebsübertragung an jeder Tragplatte von
einem Antriebsmotor angetrieben werden. Für den Fachmann stellt sich jedoch
der Unterschied in den Merkmalen M4 und M5 im Hinblick auf die aus der EP
0 065 498 A2 (NK2) bereits bekannte Antriebsübertragung als naheliegende Alter-
native dar.
Mit dem in der FR-OS 2 521 493 (NK4) offenbarten Regal sollen ähnliche Aufga-
ben wie beim Streitpatent gelöst werden. Angestrebt wird dort (vgl NK4a S 1 Z 24-
26 und S 3 Z 26-28) eine Verbesserung der Arbeitssicherheit bei großer Funkti-
onssicherheit und Zuverlässigkeit. Dazu schirmt eine Schutzhaube 17 (vgl Figur 1
iVm der Beschreibung) sämtliche einzelnen ersten Antriebsglieder an der Trag-
platte gemeinsam ab. Es wurde offenbar aber auch daran gedacht, jedes einzelne
erste Antriebsglied mit Schutzhauben zu umgeben, denn die in Figur 1 darge-
stellte gemeinsame Schutzhaube ist erst Gegenstand des Anspruchs 3. Wie diese
"einzelnen" Schutzhauben gegebenenfalls auszubilden sind, ist nicht beschrieben.
Der Fachmann wird sich hierzu Abschnitte der dargestellten gemeinsamen
Schutzhaube 17 vorstellen, welche, ggf mit seitlichen Wandungen versehen, ein-
zelne Gehäuse für die Antriebsglieder ausbilden.
Die horizontal verlaufenden Teile der Langlöcher 20 im unteren Teil 19 der mit den
Tragplatten 4 verbundenen Schutzhauben 17 sind entsprechend Merkmal M6 als
Halterungen für jeweils eine Lackdose an den Tragplatten anzusehen.
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Diese Halterungen sind, wie es das Merkmal M7a des Patentanspruchs 1 des
Streitpatents fordert, an der Seite der Tragplatte vorgesehen, von der die ersten
Antriebsglieder vorstehen. Die Halterungen bilden jedoch kein U-förmiges Füh-
rungsgehäuse für jeweils eine Lackdose wie es das Merkmal M7b verlangt. Viel-
mehr bilden, bei vorausgesetzten einzelnen Schutzhauben mit seitlichen Wandun-
gen, die Schutzhauben Gehäuse für die ersten und die zweiten Antriebsglieder,
die mit der Öffnung in der Vorderseite 18 der Schutzhaube 17 und dem jeweiligen
Langloch in der Unterseite 19 der Schutzhaube 17 U-förmige Führungen für die
Antriebswelle 10 (vgl NK4a S 3 Z 24) aufweisen. Anders als beim Streitpatent
führt also nicht das Gehäuse als solches die Lackdose, sondern das in dem Ge-
häuse angebrachte Langloch führt die Antriebswelle der Dose.
Es ist schon nicht erkennbar, dass die Umgestaltung des mit einer U-förmigen
Führung ausgestatteten Gehäuses gemäß der NK4 zu einem durch die Halterun-
gen gebildeten U-förmigen Führungsgehäuse für jeweils eine Lackdose – entspre-
chend dem Merkmal M7b – für den Fachmann naheliegend war. Doch kommt es
darauf letztlich nicht an, weil jedenfalls die Ausbildung eines Rastelementes in
dem U-förmigen Führungsgehäuse nach dem streitpatentgemäßen Merkmal M8
durch den Stand der Technik nicht nahegelegt wird.
Bei dem in der EP 0 065 498 A2 beschriebenen Regal sind Rastelemente (elasti-
sche Klammern 22) lediglich an der Oberseite 20 der Tragplatten vorgesehen,
wobei die Klammern die Lackdosen in deren Bodenbereich halten (vgl NK2 Fig 1
iVm S 3 Z 11). In der FR-OS 2 521 493 (NK4) werden Rastelemente weder für
den Bodenbereich noch für den Bereich der Antriebsglieder der Lackdosen er-
wähnt. Damit konnten diese bekannten Vorrichtungen keine Hinweise zur Ausbil-
dung eines Rastelementes in einem U-förmigen Führungsgehäuse liefern, das
sich an einer von der Basis (des U-förmigen Führungsgehäuses) abgekehrten
Seite (dh an der offenen Seite des U-förmigen Gehäuses) zwischen den Seiten-
wänden des U-förmigen Führungsgehäuses erstreckt.
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Ein derartiges Rastelement wird auch nicht durch die Regalvorrichtung nach der
FR-OS 2 475 502 (NK5/NK5a) nahegelegt. Dort werden (vgl insb Fig 4 und 5 iVm
der zugehörigen Beschreibung) Lackdosen, die an ihrem Deckel 12 mit trapezför-
migen Flügeln 14 ausgestattet sind, in entsprechend beabstandete Gleitschienen
3 eingeschoben und an zumindest einer dieser Gleitschienen verrastet (vgl NK5,
Figur 5). Dies geschieht durch Zapfen 35, die mit einer flexiblen Zunge 34 durch
Öffnungen in dem Innenabschnitt 4 der betreffenden Gleitschiene federnd nach
unten gedrückt werden und im Eingriff mit Kerben 37, 38 in den trapezförmigen
Flügeln 14 des Dosendeckels 12 den Dosendeckel 12 verrasten.
Eine Übertragung dieser bekannten Rastelemente auf das aus der FR-OS
2 521 493 (NK4) bekannte Regal würde möglicherweise zur Ausbildung von Rast-
zapfen insbesondere auf einer Seite der Langlöcher 20 führen, nicht aber zu
Rastelementen, die sich zwischen den Schenkeln des Langloches 20 erstrecken,
dh die in dem Bereich von einer Seite der U-förmigen Führung zur anderen Seite
hin angeordnet sind. Insbesondere wird der Fachmann nicht darauf hingeführt,
das Rastelement an einer von der Basis eines U-förmigen Führungsgehäuses
abgekehrten Seite zwischen dessen Seitenwänden anzuordnen. Denn eine
derartige Anordnung würde ersichtlich das Einführen der Dose mit deren
Antriebsglied in die U-förmige Öffnung sowohl bei der Vorrichtung nach der FR-
OS 2 521 493 (NK4) wie auch nach der FR-OS 2 475 502 (NK5) unmöglich
machen. Erst die Ausbildung eines U-förmigen Führungsgehäuses mit
Seitenwänden 22 ermöglicht diese Ausgestaltung.
Somit ist keine der von der Klägerin angeführten Druckschriften in der Lage, al-
leine oder in ihrer Zusammenschau, den Gegenstand des angegriffenen An-
spruchs 1 nahezulegen.
Der Patentanspruch 1 hat daher Bestand.
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II.
Die Klage konnte somit keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs 1 PatG iVm
§ 709 ZPO.
Landfermann Barton Frowein Ihsen
Hacker
Pr