Urteil des BPatG vom 13.10.1988

BPatG (stand der technik, fachmann, bundesrepublik deutschland, erfindung, herstellung, patent, stand, technik, zusammenhalt, patg)

BPatG 253
9.72
BUNDESPATENTGERICHT
Zu diesem Urteil ist ein Berichtigungsbeschluss
ergangen am 28. Oktober 2004
2 Ni 38/02 (EU)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
26. Februar 2004
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das europäische Patent 0 363 707
(= DE 589 05 136)
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung am 26. Februar 2004 unter Mitwirkung des Richters
Gutermuth als Vorsitzendem sowie der Richter
Ph.D./M.I.T. Cambridge Dipl.-Phys. Skribanowitz, Dipl.-Ing. P. Harrer,
Dipl.-Ing. Schmitz und Richterin Hübner
für Recht erkannt:
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Beklagte gegen Sicher-
heitsleistung in Höhe von 120% des beizutreibenden Betra-
ges vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Nichtigkeitsbeklagte ist eingetragene Inhaberin des am 22. September 1989
unter Inanspruchnahme einer inländischen Priorität vom 13. Oktober 1988
(DE 38 35 007) angemeldeten, mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutsch-
land erteilten europäischen Patents 0 363 707. Das Schutzrecht, dessen Erteilung
am 4. August 1993 in der Verfahrenssprache Deutsch veröffentlicht worden ist und
dessen deutscher Teil beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer
589 05 136 geführt wird, betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Nadelfilz aus
Steinwolle. Es umfasst neun Ansprüche, wobei Anspruch 1 folgenden Wortlaut
hat:
- 3 -
"1. Verfahren zur Herstellung von Nadelfilz aus Steinwolle,
bei dem Steinschmelze wie Basalt, Diabas etc. zerfasert
und auf einem Band unter Bildung einer Filzbahn abgelegt
wird, und
bei dem die Filzbahn auf einen Bruchteil ihrer ursprüngli-
chen Dicke verdichtet und einem Nadelvorgang unterzogen
wird, wobei die Steinfasern zur Verbesserung ihrer Ge-
schmeidigkeit mit einer Avivage versehen sind,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Steinfasern in der Filzbahn mit einem Maximum
der Häufigkeitsverteilung der Faserdicke unter 6 µm er-
zeugt werden,
dass als Avivage ein Mittel mit einer Viskosität zwischen
2000 und 10000 cP, verwendet wird, und
daß die Avivage mit einer Mindestmenge von 0,05, und ei-
ner Höchstmenge von 5 Gewichtsprozent des Mittels bezo-
gen auf das Gewicht der trockenen Filzbahn zugesetzt
wird."
Wegen des Wortlauts der Ansprüche 2 bis 9 wird auf die EP 0 363 707 Bezug ge-
nommen.
Mit ihrer Teilnichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, die vermeintliche Erfin-
dung sei mangels Ausführbarkeit, die nach der Rechtsprechung in der gesamten
Anspruchsbreite gegeben sein müsse, nach Artikel II § 6 Nr. 2 IntPatÜG in Verbin-
dung mit Artikel 138 Abs. 1 lit. b EPÜ nicht schutzfähig. Denn das geschützte Ver-
fahren werde nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass der Durchschnitts-
fachmann es an Hand der Informationen der Patentschrift sowie unter Heranzie-
hung seines allgemeinen Kenntnisstandes nacharbeiten könne. Das Patent defi-
niere weder die chemische Zusammensetzung der Avivage noch gebe es an, in
welchem Verfahrensstadium bzw. bei welcher Temperatur sie die patentgemäße
Viskosität aufweisen solle. Unklar sei auch, nach welcher der bekannten - zu deut-
- 4 -
lich differierenden Ergebnissen führenden - Meßmethoden die Viskosität zu be-
stimmen sei. Bei dieser Sachlage könne der Fachmann die nach dem Patent zu
verwendende Avivage nicht identifizieren. Auch das Erfordernis, wonach das Ma-
ximum der Häufigkeitsverteilung der Steinfaserdicke unter 6 µm erzeugt werden
solle, sei unbestimmt. Mit der Angabe "auf einen Bruchteil" sei schließlich unklar,
wie der Grad der Verdichtung der Filzbahn sei.
Weiter führt sie aus, der Gegenstand der Erfindung sei auch gemäß Artikel II § 6
Nr. 1 IntPatÜG in Verbindung mit Artikel 138 Abs. 1 lit. a, 52 - 57 EPÜ nicht pa-
tentfähig, da er durch den vorbekannten Stand der Technik nahegelegt und daher
nicht erfinderisch sei. Sie stützt diese Ansicht auf folgende Unterlagen:
-
-
e "Motorenöl" vom
4. September 2002 (BM 3)
-
Lexikon der Schmierungstechnik "Viskosität"
etc. vom 4. September 2002 (BM 4)
- Landolt-Börnstein, Zahlenwerte und Funktionen, IV. Band, Technik, Teil 1,
Berlin 1955, S. 615 - 622 "Viskosität" (BM 5)
- Gutachten Prof. Dr. S… vom 22. Oktober 2002 (BM 7)
- DIN 51562-1 Viskosimetrie, Messung der kinematischen Viskosität mit dem
Ubbelohde-Viskosimeter, Teil 1: Bauform und Durchführung der Messung,
Stand: Januar 1999 (BM 8)
- Scholz, Baustoffkenntnis, 10. Auflage Düsseldorf 1984, S. 680 (BM 10)
- GB 2 123 452 A (Ni 1a)
- Ullmanns Encyclopädie der technischen Chemie, 4., neubearbeitete und er-
weiterte Auflage, Band 11: Erdöl und Erdgas bis Formazanfarbstoffe
Weinheim/Bergstr. 1976, S. 365 – 373: "Fasern, anorganische" (Ni 1b)
- Datenblatt
Mulrex
69,
Stand: August 1979 (Ni 2)
- 5 -
- Gupta, Needle felting - a technology with bright future, 1985 (Ni 3)
- Christensen et al.: Fiber diameter distribution in typical MMVF wool isolation
products, Mai 1994 (Ni 4)
- DE 36 16 454 A 1 (Ni 5)
beantragt
das europäische Patent 0 363 707 mit Wirkung für das Hoheits-
gebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Ansprü-
che 1 und 4 bis 8, soweit diese nicht unmittelbar oder mittelbar
auf die Ansprüche 2 und 3 rückbezogen sind, für nichtig zu er-
klären.
beantragt
die Klage abzuweisen.
Sie tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Zur Frage der
Ausführbarkeit führt sie aus, der Fachmann könne die beanspruchte Avivage ohne
weiteres an Hand der in der Beschreibung beispielhaft erwähnten Mittel "Kompres-
sol" bzw. "Präparol" identifizieren, deren Viskosität fachüblich bei einer standardi-
sierten Labortemperatur von 20°C angegeben werde. Die Erfindung sei auch im
Stand der Technik nicht nahegelegt gewesen. Denn die klägerseits angeführten
Entgegenhaltungen hätten dem Fachmann keine Anregung dafür gegeben, bei der
Vernadelung der als Problemfaser bekannten Steinwolle die als nachteilig angese-
hene Zugabe von Bindemitteln oder anderen Fasern gerade durch die Verwen-
dung von Steinfasern einer unüblichen Feinheit einerseits und das Zusetzen einer
Avivage von unüblich hoher Viskosität andererseits zu vermeiden. Das geschützte
Verfahren beruhe demnach auch auf erfinderischer Tätigkeit.
Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
- 6 -
Entscheidungsgründe
Die erhobene Nichtigkeitsklage ist zulässig, aber nicht begründet. Rechtsgrund-
lage für die gegen ein europäisches Patent gerichtete Nichtigkeitsklage ist Arti-
kel 138 EPÜ in Verbindung mit Artikel II § 6 IntPatÜG. Danach kann ein europäi-
sches Patent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland
gem. Artikel 138 Abs. 1 lit. a EPÜ, Artikel II § 6 Nr. 1 IntPatÜG dann für nichtig er-
klärt werden, wenn sein Gegenstand nach den Artikeln 52 bis 57 EPÜ nicht pa-
tentfähig ist, oder nach Artikel 138 Abs. 1 lit. b EPÜ, Artikel II § 6 Nr. 2 IntPatÜG,
wenn es die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fach-
mann sie ausführen kann. Beide von der Klägerin geltend gemachten Nichtigkeits-
gründe liegen jedoch nicht vor.
I
Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Steinwollefilzes, wel-
cher beispielsweise als Hitzeisolierung von Öfen verwendet wird. Dazu werden
aus einer Steinschmelze in einem Fallschacht nach den bekannten Quer- oder
Düsenblasverfahren dünne Fasern erzeugt. Diese werden als Faserband abgelegt
und durch Nadeln zu einer Filzbahn verdichtet. Zur Verbesserung des problemati-
schen Zusammenhalts von Fasern aus Steinwolle, die durch Nadeln nicht zu ei-
nem Nadelfilz verfestigt werden können, sind Zusatzmittel erforderlich. Nach der
Patentschrift werden im Stand der Technik aushärtende Bindemittel (Sp 1, Z 12)
,
Drahtmatten (Sp 1, Z 15) oder Asbestfasern verwendet. Letzteres ist aus der
DE 2 232 785 bekannt (Sp 1, Z 28-50), wobei den Asbestfasern eine Avivage, wie
zB eine wässrige Lösung oder Suspension eines verflüchtigbaren organischen
Gleitmittels zugegeben wird, die die hohe Friktion zwischen den Steinfasern und
den Nadeln mindert. Nach der GB 2 123 452 A (Ni 1a) werden auch Kunststofffa-
sern zur Erleichterung des Nadelvorgangs von feuerfesten Mineralfasern zugege-
ben.
- 7 -
Nachteile dieser Zusatzmittel sind bei Bindemitteln sowie Kunststofffasern deren
fehlende Hitzebeständigkeit, bei Drahtmatten deren Korrosionsanfälligkeit und bei
Asbestfasern deren gesundheitsschädliche Wirkung.
von Nadelfilz aus Steinwolle der im Oberbegriff des Anspruchs 1 angegebenen Art
zur Verfügung zu stellen, welches zu einem ausschließlich aus Steinwolle, ohne
Zusatz anderer Fasern, bestehenden Nadelfilz führt.
Diese Aufgabe soll - ausgehend von der die Merkmale des Oberbegriffs des An-
spruchs 1 aufweisenden DE 22 32 785 A1, allerdings ohne Zugabe von Asbestfa-
sern - nur durch die Wahl eines (für derartige Textilzusatzstoffe unüblich hohen)
Viskositätsbereichs sowie eines bestimmten Mengenbereichs der Avivage für Na-
delfilze mit der Mehrheit der Faserdicken unter 6 µm entsprechend den Merkma-
len des Anspruchs 1 gelöst werden, der nach - entsprechend dem Vorschlag der
Klägerin - folgendermaßen gegliedert ist:
Verfahren zur Herstellung von Nadelfilz aus Steinwolle mit folgenden Merkmalen:
M1: eine Steinschmelze (wie Basalt, Diabas etc.) wird zerfasert und auf
einem Band unter Bildung einer Filzbahn abgelegt,
M2: es werden Steinfasern in der Filzbahn mit einem Maximum der
Häufigkeitsverteilung der Faserdicke unter 6 µm erzeugt,
M3: die Filzbahn wird auf einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Dicke ver-
dichtet,
M4: die Filzbahn wird einem Nadelvorgang unterzogen,
M5: die Steinfasern werden zur Verbesserung ihrer Geschmeidigkeit mit
einer Avivage versehen,
- 8 -
M6: als Avivage wird ein Mittel mit einer Viskosität zwischen 2000 und
10000 cP verwendet,
M7:
die Avivage wird in einer Menge zwischen 0,05 und
5 Gewichtsprozent, bezogen auf das Gewicht der trockenen Filz-
bahn, zugesetzt.
II
1) Zur ausreichend deutlichen und vollständigen Offenbarung
Ohne Erfolg erhebt die Klägerin die Rüge mangelnder Ausführbarkeit der in An-
spruch 1 des Streitpatents offenbarten Erfindung insbesondere mit Blick auf die
Beschaffenheit der Avivage bzw. Art und Zeitpunkt ihres Aufbringens auf die
Steinfasern (Merkmale M5, M6, siehe unten lit. a), auf die Faserdicke (M2, unten
lit. b) sowie die Verdichtung der Faserbahn (M3, unten lit. c). Denn der Senat ver-
mochte sich nicht davon zu überzeugen, dass die Voraussetzungen dieses Nich-
tigkeitsgrunds - für den die Klägerin die Darlegungs- sowie die materielle Beweis-
last trägt (vgl Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl, § 83 Rdnr 32; IntPatÜG Artikel
II § 6 Rdnr 3; Benkard/Schäfers, EPÜ, Artikel 83 Rdnr 77, 79 mit Rechtspre-
chungsnachweisen zum Einspruchsverfahren) - vorliegen.
Gemäß Artikel 138 Abs. 1 lit. b EPÜ in Verbindung mit Artikel II § 6 Abs. 1 Nr. 2
IntPatÜG ist ein europäisches Patent für nichtig zu erklären, wenn es die Erfin-
dung nicht so vollständig und deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen
kann. Dabei müssen die Angaben, die der Fachmann zur Ausführung der ge-
schützten Erfindung benötigt, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
nicht notwendig im Patentanspruch aufgeführt sein; vielmehr genügt es, wenn sie
sich aus dem gesamten Inhalt der Patentschrift ergeben (BGH GRUR 2003,
S 223, 225 - Kupplungsvorrichtung II; BGH GRUR 1998, S 899, 900 - Alpinski).
Insbesondere ist es für die Nacharbeitbarkeit ausreichend, wenn ein gangbarer
Weg (BGH GRUR 2001, S 813, 818 - Taxol), etwa in Form eines unter den ange-
- 9 -
griffenen Anspruch fallenden Ausführungsbeispiels (BGH GRUR 2003, S 223, 255
- Kupplungsvorrichtung II; BGH GRUR 1999, S 145, 148 - Stoßwellenlithotripter),
angegeben ist, den der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens mit
zumutbarem Aufwand nacharbeiten kann. Nicht erforderlich ist es dagegen, dass
alle denkbaren unter den Anspruchswortlaut fallenden Ausgestaltungen ausge-
führt werden können (BGH GRUR 2003, S 223, 225 - Kupplungsvorrichtung II).
Als Fachmann ist hierbei ein Textiltechnik-Ingenieur mit zumindest Fachhoch-
schulausbildung, der einschlägige Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet
der Herstellung von Nadelfilz aus Mineralfasern besitzt, anzusehen.
a. Soweit die Klägerin mangelnde Ausführbarkeit unter dem Gesichtspunkt der
Aufbringung der Avivage auf die Steinfasern rügt, greift der Einwand nicht durch.
Denn die Angaben in der Patentschrift genügen den oben genannten Erfordernis-
sen. In der Beschreibung der Streitpatentschrift, Spalte 4, Zeilen 22-27, ist nämlich
erläutert, auf welche Art, wie und wo die Avivage mit einer in Anspruch 1 angege-
benen Viskosität und in der dort genannten Menge auf die Filzbahn aus Steinwolle
aufgebracht wird: Danach wird die Avivage in Wasser emulgiert, diese Emulsion
mit einem Wasseranteil von etwa 90% im Fallschacht unterhalb des Zerfaserungs-
aggregats auf die Fasern aufgedüst und auf diese Weise gleichmäßig verteilt.
Aufgrund der herrschenden Temperatur von über 100°C verdampft dabei im obe-
ren Teil des Fallschachts der Wasseranteil der Emulsion. Ihr durch das Trägermit-
tel Wasser gleichmäßig verteilter Avivageanteil lagert sich an den Steinfasern an,
wodurch diese gemäß Merkmal M5 "mit einer Avivage versehen werden". Damit
ist zumindest ein für den Fachmann nachvollziehbarer Weg zur Ausführung der
Erfindung angegeben.
Zu Unrecht beanstandet die Klägerin auch die Beschaffenheit der Avivage als
nicht hinreichend deutlich offenbart. So ist beispielsweise in Anspruch 7 des Streit-
patents als bevorzugte Avivage eine solche auf Mineralölbasis angeführt, deren
chemische Zusammensetzung in Anspruch 8 und 9 näher spezifiziert wird. In
Spalte 4, Zeilen 16-17 der Beschreibung ist überdies (neben "Kompressol") das
- 10 -
unter dem Markennamen "Präparol" gehandelte Staubbindemittel beispielhaft als
geeignete Avivage genannt (Viskosität zwischen 5.000 cP und 7.000 cP, Sp 4
Z 18, 19). Dass die Eigenschaften dieses Produkts nicht lediglich, wie die Klägerin
behauptet, bei der Herstellerin als firmeninternes Wissen verfügbar waren, son-
dern bereits vor dem Prioritätstag des Streitpatents der Fachwelt allgemein zu-
gänglich waren, belegt das beklagtenseits vorgelegte DIN-Sicherheitsdatenblatt
mit der Nr. 60 S 50 1.871 D (Anlage KW 8), das vom 12. Januar 1987 datiert und
damit vorveröffentlicht war. Ob dieses Datenblatt heute noch Gültigkeit hat, ist da-
gegen unerheblich. Wenn das Dokument die Viskosität von "Präparol" mit ca.
3.500 mPa angibt, liegt dies angesichts des Umrechnungsfaktors 1 der Maßeinheit
mPa in cP (centiPoise) im erfindungsgemäß beanspruchten Bereich zwischen
2.000 cP und 10.000 cP gemäß Merkmal M6. Der genannte Viskositätswert von
"Präparol" wurde nach den Daten in dem DIN-Blatt bei einer Temperatur von 20°C
gemessen. Dies stellt bei fehlender spezifischer Temperaturangabe die bei physi-
kalischen Größenangaben übliche Normaltemperatur dar. Ohne nähere Tempera-
turangabe bei der Angabe einer bestimmten Viskosität einer Avivage geht dem-
nach der Fachmann von der üblichen Messtemperatur 20°C aus. Er bestellt also
zur Nacharbeitung des erfindungsgemäßen Verfahrens beim Hersteller von Aviva-
gen für die Mineralfaserindustrie ein Mittel mit einer Viskosität aus dem in An-
spruch 1 angegebenen Bereich - oder gleich eines der namentlich genannten Avi-
vagemittel, also ein sehr zähflüssiges, und wendet es gemäß dem Ausführungs-
beispiel in Spalte 4, Zeilen 18-31 an.
Dass sich die Viskosität der Avivage nach ihrer Einbringung in den Fallschacht
während des Herstellungsprozesses temperaturabhängig ändert, also mit steigen-
der Temperatur abnimmt, ist fachmännisches Wissen. Die Abnahme der Viskosität
bei steigender Temperatur ist jedoch kein Grund, die erfindungsgemäße Lehre
nicht nachvollziehen zu können, denn für den Fachmann kann es dahingestellt
bleiben, wie sich die Viskosität während des Herstellungsprozesses im Einzelnen
ändert. Entscheidend ist die Zugabe der Avivage mit der beanspruchten Viskosität
in den Fallschacht, wodurch auch nach dem Abkühlen nach Beendigung des Her-
stellungsprozesses der Zusammenhalt des Nadelfizes durch Vermeidung des Zu-
- 11 -
rückspringens der Steinfasern erfindungsgemäß gewährleistet wird. Damit erübrigt
sich die von der Klägerin aufgeworfene Frage, an welcher Stelle des unterschiedli-
che Temperaturen aufweisenden Herstellungsprozesses die Avivage den bean-
spruchten Viskositätsbereich aufweisen muss.
Dies wird gestützt durch den klägerseitigen Vortrag entsprechend dem Gutachten
Prof. Dr. S… vom 22. Oktober 2002 (BM7), wonach die (temperaturab-
hängige) Viskosität der Avivage für den Nadelvorgang an sich unerheblich ist. Für
den Zusammenhalt der dünnen Steinfasern nach dem Herstellungsprozess ist je-
doch die Zugabe hochviskoser Avivage im beanspruchten Mengenverhältnis ent-
scheidend, womit - unwidersprochen seitens der Klägerin - die Herstellung des ge-
wünschten Nadelfilzes aus Steinwolle erfolgreich ist.
Nach welcher Messmethode die vom Avivagen-Hersteller genannte Viskosität im
Einzelnen ermittelt wurde, kann aus diesen Gründen dahingestellt bleiben, solan-
ge der die Erfindung nacharbeitende Fachmann bei Zugabe der mit einer Viskosi-
tät aus dem beanspruchten Bereich georderten Avivage das gewünschte Ergebnis
unter Einhaltung der übrigen erfindungsgemäßen Bedingungen erreicht, also die
Avivage im beanspruchten Mengenverhältnis dünnen Steinfasern zuführt. Der
Grundgedanke der Erfindung, Beigabe von hochviskoser Avivage, jedoch nicht
von Zusatzfasern, wird von der Frage nach der Messmethode für die Viskositäts-
bestimmung nicht berührt, da die daraus resultierenden etwaigen Abweichungen
der Viskosität im Lieferzustand gegenüber der ungefähr um eine Zehnerpotenz
niedriger liegenden Viskosität von vor dem Prioritätstag verwendeter Avivagen
vernachlässigbar erscheinen. Im Zweifel greift der Fachmann auf die namentlich
genannten, handelsüblichen Avivagen zurück.
Schließlich kann auch der von der Klägerin unter Verweis auf die Kommentierung
bei Benkard/Schäfers, EPÜ, Art. 83 Rdnr. 65, 69 angeführte Aspekt, wonach eine
lediglich punktuelle Ausführbarkeit - etwa bei Verwendung der Mittel "Kompressol"
bzw. "Präparol" als Avivage - nicht genüge, die Erfindung vielmehr in der gesam-
ten beanspruchten Breite (dh hier für jegliche Avivage mit einer Viskosität zwi-
- 12 -
schen 2.000 cP und 10.000 cP) nacharbeitbar zu sein habe, keine abweichende
Beurteilung begründen:
aa. Mit der Erwägung, das mit Patentschutz verbundene Ausschließlichkeitsrecht
solle nur für den mit der Erfindung geleisteten Beitrag zum Stand der Technik ge-
währt werden, nicht jedoch für Gegenstände, die dem Fachmann (auch) an Hand
der offenbarten Lehre nicht vermittelt würden, hat zwar die Technische Beschwer-
dekammer 3.3.1. des Europäischen Patentamts für den Fall eines Stoffgemisches,
dessen eine Komponente nicht durch Strukturmerkmale, sondern "funktional"
durch ihre Wirkung definiert war, befunden (GRUR Int 1995, S 591, 592 - Reini-
gungsmittel/UNILEVER), dass eine ausreichende Offenbarung i.S.d. Artikels 83
EPÜ dann nicht vorliege, wenn der Fachmann lediglich den Hinweis zur Gewin-
nung einer Untergruppe dieser Komponente erhält, während die Patentschrift oder
das sonstige Fachwissen keine Auskunft darüber geben, wie andere vom Wort-
sinn erfasste Untergruppen dieser funktional bestimmten Stoffkomponente, die
(obwohl wirkungsgleich) möglicherweise eine ganz andere chemische Zusammen-
setzung aufweisen, zu gewinnen sind (ähnlich die Technische Beschwerdekam-
mer 3.2.1 des EPA in der Entscheidung vom 11. Januar 1993, Az. T 789/89,
GRUR Int. 1994, S 957, 958 f - Dieselkraftstoff/EXXON).
bb. Unabhängig davon, dass der Bundesgerichtshof diese Auslegung von Art. 83
EPÜ nicht ohne weiteres teilt (vgl Busse/Keukenschrijver, aaO, § 34 Rdnr 281;
Schulte, PatG, 6. Aufl, § 34 Rdnr 348), wenn es in seiner (ebenfalls ein europäi-
sches Patent betreffenden) Entscheidung "Kupplungsvorrichtung II" (GRUR 2003,
S 223, 225, unter Verweis auf BGH GRUR 2001, S 813, 818 - Taxol) heißt, für die
Ausführbarkeit des Gegenstands eines Patentanspruchs sei es nach der Recht-
sprechung des Senats "nicht erforderlich, dass alle denkbaren unter den Wortlaut
des Patentanspruchs … fallenden Ausgestaltungen ausgeführt werden können",
liegt jedenfalls mit der streitgegenständlichen Erfindung eine der Entscheidung
"Reinigungsmittel/UNILEVER" vergleichbare Konstellation nicht vor: Denn als Avi-
vage einer Viskosität zwischen 2.000 cP und 10.000 cP wird nicht ein lediglich
durch seine Wirkung definiertes Mittel beansprucht, dessen Zusammensetzung
- 13 -
oder sonstige qualitative Beschaffenheit im Übrigen derart unbestimmt bliebe,
dass es unter eine Mehrzahl diskret voneinander geschiedener Untergruppen sub-
sumierbar wäre, wobei lediglich der Weg zur Nacharbeitung einer solchen Unter-
gruppe aufgezeigt wäre. Vielmehr erfolgt die nähere Bestimmung der patentgemä-
ßen Avivage wesentlich über die Eigenschaft der Viskosität, die sich ihrerseits in
einem Kontinuum zwischen 2.000 cP und 10.000 cP zu bewegen hat. Berücksich-
tigt man nun, dass die Klägerin - über die, wie oben ausgeführt, nicht durchgrei-
fenden Gesichtspunkte einer angeblich fehlenden Bezugstemperatur für die nach
der Erfindung geforderte Viskosität der Avivage bzw. einer angeblichen Unklarheit
hinsichtlich Art und Zeitpunkt der Avivagezuführung hinaus - nicht in Abrede stellt,
dass das geschützte Verfahren jedenfalls bei Verwendung der in der Beschrei-
bung (Sp 4, Z 14-19) erwähnten Mittel "Kompressol" oder "Präparol" nacharbeitbar
ist, ist ein technischer Grund dafür, dass der Fachmann die Erfindung in anderen
Bereichen des kontinuierlichen Gesamtspektrums (dh bei Verwendung einer Avi-
vage mit höherer oder niedrigerer Viskosität als die angeführten Produkte sie auf-
weisen) nicht oder jedenfalls nicht ohne unzumutbaren Aufwand wie z.B. umfang-
reiche Versuchsreihen oder gar erfinderisches Zutun ausführen könnte, nicht er-
sichtlich. So hat denn auch die Klägerin - entgegen ihrer Obliegenheit (vgl Recht-
sprechungsnachweise bei Benkard/Schäfers, aaO, Artikel 83 Rdnr 77, 79) - weder
Protokolle fehlgeschlagener Versuche vorgelegt noch sonstige tatsächliche An-
haltspunkte dafür dargetan, dass das geschützte Verfahren außerhalb des für
"Präparol" bzw. "Kompressol" geltenden Viskositätsbereichs nicht ausführbar sei.
Bloße Zweifel, seien sie auch in die Form von Behauptungen gekleidet, sind aber
für den Nachweis einer mangelnden Offenbarung hinsichtlich der Ausführbarkeit
im gesamten beanspruchten Bereich unzureichend (vgl Schulte, aaO, § 21
Rdnr 39).
Allenfalls könnte - dem entsprechenden klägerseitigen Einwand folgend - eine Avi-
vage mit einer an den beanspruchten Bereichsgrenzen liegenden Viskosität we-
gen ihrer nicht im Einzelnen bekannten Temperaturabhängigkeit kritisch sein. Da
mit zunehmender Temperatur die Viskosität sinkt, ergibt sich mit einer an der obe-
ren Bereichsgrenze bei 10.000 cP liegenden Viskosität während des Herstellungs-
- 14 -
prozesses eine unproblematische Viskositätsabnahme in den beanspruchten Be-
reich hinein. Verwendet der Fachmann dagegen eine Avivage mit bei 20°C an der
unteren Bereichsgrenze bei 2.000 cP liegender Viskosität, könnte - rein hypothe-
tisch - die Viskosität soweit absinken, dass kein ausreichender Zusammenhalt der
Steinfasern ohne Zusatzmittel gewährleistet wäre. Mangels entsprechender Be-
weise der Klägerin für das Zutreffen derartiger Überlegungen zieht jedoch auch
ein solcher Einwand der Klägerin zur mangelnden Ausführbarkeit nicht.
Dem weiteren Argument der Klägerin, eine Avivage mit einer Viskosität von
10.000 cP sei für die in der Beschreibung, Spalte 4, Zeilen 22-27, geschilderte An-
wendung zu zähflüssig, steht entgegen, dass der Erfinder nicht die beste Ausfüh-
rungsform zu offenbaren hat. Eine Offenbarung ist auch dann ausreichend, wenn
der aufgezeigte Weg, hier also die Handhabung hochviskoser Avivage, aufwendig
sein sollte (Schulte, PatG, 6. Aufl § 34, Rdn 303).
b. Zu den weiteren kennzeichnenden Merkmalen des Anspruchs 1 zählt - neben
der unstrittig klaren Mengenangabe für die Avivagen-Beimengung nach Merk-
mal M7 - die nach Auffassung der Klägerin ebenfalls unklare Angabe über die Fa-
serdicke im Merkmal M2. Demnach werden Steinfasern in der Filzbahn "mit einem
Maximum der Häufigkeitsverteilung der Faserdicke unter 6 µm" erzeugt, was als
Voraussetzung für das erfindungsgemäße Verfahren anzusehen ist. Der Fach-
mann versteht darunter, dass die Mehrheit der zu erzeugenden Fasern eine Dicke
unter, aber nicht über 6 µm aufweisen soll. Damit ist dem Fachmann mitgeteilt,
dass das erfindungsgemäße Herstellungsverfahren umso mehr zum gewünschten
Erfolg führt, je dünner die erzeugten Steinfasern sind. Sollten deutlich über einer
Dicke von 6 µm liegende Steinfasern aus mathematischen Betrachtungen unter
die Formulierung des Merkmals M2 fallen, wie die Klägerin mit der Vorlage ent-
sprechender Balkendiagramme "Faserverteilung I - IV" in der mündlichen Ver-
handlung darlegte, mit denen unter Einhaltung der übrigen erfindungsgemäßen
Bedingungen sich nicht die gewünschte Nadelfilzbahn ergibt, so würde auch dies
die Nachvollziehbarkeit der Lehre des Anspruchs 1 jedoch nicht in Frage stellen.
Der Fachmann wird nämlich auch in diesem hypothetischen Fall mit zumutbarem
- 15 -
Aufwand die Erfindung ausführen können. Er wird ohne weiteres die Fasererzeu-
gung nach dem Querblas- oder Düsenblasverfahren derart ändern, dass die Mehr-
heit der Fasern genügend dünn wird. Der Auffassung, die gewählte Formulierung
des Merkmals M2 nicht als konkret genug für die Ausführbarkeit anzusehen, steht
entgegen, dass die Offenbarung des Streitpatents - wie dargelegt - hinlängliche
Kriterien nennt, bei deren Beachtung der Fachmann unter Anwendung seines
Fachwissens die jeweils in Betracht kommenden Werte, hier also die Mehrheit der
Fasern unter 6 µm Dicke, ermitteln kann (Schulte, PatG, 6. Aufl, § 34, Rdn 349).
c. Aus dem gleichen Grund liegt auch in der als unklar bemängelten Dicke der
Filzbahn nach ihrer Verdichtung kein Grund für mangelnde Ausführbarkeit vor, da
allein die Maßnahme der Verdichtung der Filzwolle eine Verringerung ihrer Dicke
ergibt. Auch ohne konkrete Zahlenangabe für den "Bruchteil" im Merkmal M3 ist
daher dem Fachmann klar, dass damit irgendeine Größe unter 1 verstanden wird,
die Filzbahn also nach der Verdichtung dünner ist als vorher. Auch in diesem
Punkt legt die Klägerin keine Versuchsergebnisse vor, wonach bei einem be-
stimmten Verdichtungsgrad der Erfolg des erfindungsgemäßen Verfahrens nicht
eintreten würde. Somit kann die Klägerin die behauptete mangelnde Ausführbar-
keit aufgrund einer fehlenden konkreten Angabe der Faserbahndicke ebenfalls
nicht nachweisen.
Nach alldem ist der Aufwand zur Ausführung der Erfindung zumutbar, da das Pa-
tent dem Fachmann insbesondere mit den kennzeichnenden Merkmalen, dünne
Steinfasern mit hochviskoser Avivage bestimmter Menge zu behandeln, die ent-
scheidende Richtung angibt, in der er mit Erfolg weiterarbeiten und die jeweils
günstigste Lösung auffinden kann (Schulte, PatG, 6. Aufl., § 34, Rdn 336).
Anspruch 1 kann zwar wegen der vorstehend behandelten Parameterangaben als
breit gefasst angesehen werden, aus den dargelegten Gründen ist die Lehre des
Streitpatents für den Fachmann aber dennoch ausreichend deutlich und vollstän-
dig offenbart. Denn breit gefasste Angaben im Anspruch sind keine Frage seiner
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Klarheit und somit Ausführbarkeit, sondern eine Frage der erfinderischen Tätigkeit
(BPatG, Beschluss vom 30. Juli 2003 - 20 W (pat) 305/02).
2) Zur Patentfähigkeit
Die Klägerin konnte den Senat auch nicht davon überzeugen, dass das unstrittig
neue und gewerblich anwendbare Verfahren nach Anspruch 1 nicht auf erfinderi-
scher Tätigkeit beruhe, so dass der Klage auch unter dem Gesichtspunkt des Arti-
kels 138 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Artikeln 52 bis 57 EPÜ, Artikel II § 6 Abs. 1
lit. a IntPatÜG nicht stattgegeben werden konnte.
Die Erfindung geht im Oberbegriff des Anspruchs 1 von der DE-OS 22 32 785 aus,
die ein Verfahren zur Herstellung von Nadelfilz aus Steinwolle betrifft, wobei zur
Verringerung der Reibung beim Nadelvorgang ein organisches, verflüchtigbares
Gleitmittel beigefügt ist, das nach dem Nadeln durch Wärmeeinwirkung wieder
ausgetrieben wird. Zusätzlich zu dem Reibungsproblem weisen genadelte Stein-
wollfilze das unerwünschte Verhalten auf, nach Beendigung des Nadelvorgangs
ihre Verfilzung wieder aufzulösen. Ohne Gegenmaßnahmen versuchen die Stein-
fasern, in ihre Lage vor dem Nadeln zurückzuspringen. Gegen diesen Effekt wer-
den nach dem bekannten Verfahren - zur Förderung des anschließenden Zusam-
menhalts der genadelten Matte bzw. Bahn - den Steinfasern zusätzlich Asbestfa-
sern zugemischt.
Gerade die Vermeidung von Zusatzfasern sieht jedoch die Erfindung vor. Deshalb
gibt die DE-OS 22 32 785 dem Fachmann ebenso wenig Anregung, Steinwollefilz
ohne Zusatz von anderen Fasern herzustellen, wie die GB 2 123 452 A (Ni 1a),
nach der ebenfalls Zusatzfasern zur Nadelfilzherstellung erforderlich sind. Nach
Ni 1a werden zum Vernadeln von mit einem Gleitmittel versehenen Mineralfasern,
welche nach den in Seite 2, ab Zeile 75, beschriebenen Beispielen keramische
Fasern sind, Zwischenschichten aus Kunststofffasern (plastics fibres) und/oder
Glasfasern übereinander gelegt. Diese Schichtenbildung aus weiteren Fasermat-
ten nach der Lehre der Ni 1a führt den Fachmann von der erfindungsgemäßen Lö-
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sung weg, nach welcher dünnen und somit geschmeidigen Steinfasern lediglich
eine hochviskose Avivage in einem bestimmten Mengenverhältnis ohne andere
Zusatzfasern beigegeben wird. Damit ist der dauerhafte Zusammenhalt des aus-
schließlich aus Steinwolle bestehenden Nadelfilzes, weil die Avivage - neben der
Verbesserung der für den Nadelvorgang vorteilhaften Geschmeidigkeit der Fasern
- aufgrund der hohen Viskosität von 2000 bis 10000 cP in überraschender Weise
nicht nur die Fasern nach Beendigung des Nadelns in ihrer Verankerungsposition
hält, sondern auch den Zusammenhalt benachbarter Fasern verbessert. Dadurch
ist das Einwirken einer eindringenden Nadel nicht auf eine oder wenige Fasern be-
schränkt, sondern von den erfassten Nadeln werden weitere mitgenommen, was
die bleibende Festigkeit und Verdichtung des Nadelfilzes weiter erhöht.
Die Klägerin verweist darauf, dass aus Ni 1a bei der Beschreibung des nicht
druckschriftlich genannten Standes der Technik, Seite 1, Zeilen 8-42, und aus der
US-PS 3081207, Seite 1, Zeilen 54-63, die Herstellung von Nadelfilzen aus Mine-
ralfasern ohne Zusatzfasern, also nur unter Zugabe von Gleitmittel oder Schmälze
(lubricant or grease), Seite 1, Zeile 11, bzw. Bindemittel (bonding agent), Seite 1,
Zeile 56, bereits bekannt sei. Derartige Gleit- oder Bindemittel weisen jedoch kei-
ne ausreichende Hitzebeständigkeit auf oder werden nach dem Nadelvorgang
wieder ausgetrieben, wie in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents, Spal-
te 1, Zeilen 6-47, bereits abgehandelt. Abgesehen davon handelt es sich bei die-
sen in Ni 1a genannten Fasern um mineralische, nicht um Steinfasern. Dazu ist
aus der außerdem in der Beschreibungseinleitung der Ni 1a, Spalte 1, Zeile 18,
angegebenen Literaturstelle "Ullmanns Encyclopädie der technischen Chemie",
4., neubearbeitete und erweiterte Auflage, Band 11: Erdöl und Erdgas bis Forma-
zanfarbstoffe Weinheim/Bergstr. 1976, Seite 365 - 373: "Fasern, anorganische"
(Ni 1b) zu entnehmen, dass Steinfasern, Glasfasern, keramische Fasern, Quarzfa-
sern und Schlackefasern unter dem Überbegriff Mineralfasern zusammengefasst
sind. Selbstverständlich weisen diese unterschiedlichen Fasern individuelle Eigen-
schaften und somit unterschiedlich günstige Bedingungen für einen erfolgreichen
Nadelvorgang auf. Daher kann der Fachmann nicht ohne weiteres in Ni 1a, Sei-
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te 1, Zeilen 20-42, als bekannt dargestellte Verfahrensmerkmale für Glasfasern
auf die Steinfasern nach Anspruch 1 übertragen.
Abgesehen davon braucht die Abhandlung eines bestimmten Standes der Technik
in der Beschreibungseinleitung einer Patentschrift nur die für dieses Patent rele-
vanten, aber nicht alle Merkmale - im vorliegenden Fall die Zusatzfasern - anzuge-
ben, womit die Verwendung andersartiger Fasern als Nadelhilfsmittel beim in
Ni 1a genannten Stand der Technik nicht ausgeschlossen ist. Trotz der Hinweise
in der Beschreibungseinleitung der Ni 1a auf Nadelfilze ohne Zusatzfasern ist
demnach dieser Druckschrift kein Lösungsweg zu entnehmen, zur Merkmalskom-
bination gemäß Anspruch 1, insbesondere bei Steinfasern, zu gelangen.
Aus Ni 1b sind ferner bei der Beschreibung des Düsenblasverfahrens (S 367,
spaltenübergreifender Abs) zwar allgemeine Hinweise zur Erzeugung von Faser-
vlies, Filz oder Matten auch aus Steinfasern - neben Glasfasern - bekannt. Dabei
handelt es sich aber um mittels Lochtrommel oder perforiertem Endlosband er-
zeugte Vliese oder Filze. Für die schwierigere Herstellung von durch Nadeln her-
gestellten Filze gibt Ni 1b dem Fachmann keine Hinweise, sodass auch die Zu-
sammenschau der Ni 1a mit Ni 1b nicht in nahe liegender Weise zu der Merkmals-
kombination nach Anspruch 1 führt.
Die Klägerin sieht schließlich in der Kombination Ni 1a iVm Ni 1b und dem Daten-
blatt Mulrex 69, Stand: August 1979 (Ni 2) das erfindungsgemäße Verfahren für
den Fachmann nahe gelegt, da aus Ni 2, Spalte 3 unter "Technische Daten" be-
reits ein Staubbindemittel für die Mineralwolle-Industrie mit einer Viskosität zwi-
schen 700 und 2500 cP bei 20°C bekannt sei. Auch wenn sich dieser bekannte
Viskositätsbereich mit dem erfindungsgemäßen im unteren Bereich überschneidet,
bedarf es erfinderischen Zutuns, ausgehend von diesen drei Druckschriften zur er-
findungsgemäßen Merkmalskombination zu gelangen. Der Fachmann hat nämlich
ohne Kenntnis der Erfindung keine Veranlassung, erfindungsgemäß gerade eine
solche Avivage mit einer Viskosität auszuwählen, deren Viskositätsbereich bis
2500 cP reicht und diese im beanspruchten Mengenverhältnis dünnen Steinfasern
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beim Herstellungsprozess zuzusetzen. Vielmehr wird er zur Vermeidung des Zu-
rückspringens der Steinfasern nach dem Vernadeln auf die bekannten Lösungen
wie Bindemittel, Draht- oder Fasermatten oder Zusatzfasern anderer Art zurück-
greifen.
Die außerdem in der mündlichen Verhandlung aufgegriffenen Entgegenhaltungen
liegen weiter ab und legen schon deshalb das erfindungsgemäße Verfahren nicht
nahe.
Aus dem Kongressbericht von Gupta "Needle felting - a technology with bright fu-
ture", 1985 (Ni 3) ist Steinfaser als problematisch für die Vernadelung erwähnt,
Seite 207, rechte Spalte, 2. Absatz. Als Problemlösung ist das Mischen (blending)
mehrerer Faserarten angegeben, Seite 207, rechte Spalte, 4. Absatz, wozu die er-
findungsgemäß zu vermeidenden Zusatzfasern notwendig sind.
Der Aufsatz von Christensen et al.: Fiber diameter distribution in typical MMVF
wool isolation products, Mai 1994 (Ni 4) behandelt längengewichtete Faserdurch-
messer, Seite 237, linke Spalte, 2. Absatz, was für die Bestimmung der Lungen-
gängigkeit, Seite 232, spaltenübergreifender Absatz, bedeutend ist. Der Hinweis
auf einen Dickenbereich für Steinwolle von 2-5 µm, Seite 232, letzte Zeile des Ab-
stracts, ist unerheblich, da die im Anspruch angegebene Faserdicke nicht als sol-
che beansprucht wird, sondern Voraussetzung für den Erfolg des erfindungsgemä-
ßen Verfahrens ist. Weitergehende Hinweise sind Ni 4 nicht zu entnehmen.
Schließlich sind aus der in der mündlichen Verhandlung überreichten
DE 36 16 454 A 1 (Ni 5) Herstellungsverfahren für Mineralfasermatten bekannt,
bei denen Glasfasern hochviskose Avivagen zugeführt werden. Für einen dauer-
haften Zusammenhalt der Fasern werden sie jedoch versteppt, Spalte 6, Zeile 67,
und Spalte 7, Zeile 40. Hinweise auf die Herstellung von durch Nadeln erzeugten
Filz aus Steinfasern gibt N5 nicht.
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Die übrigen im Verfahren genannten Unterlagen (s S 4) wurden in der mündlichen
Verhandlung nicht wieder aufgegriffen oder betreffen keinen entgegenstehenden
Stand der Technik, weshalb auf sie nicht weiter eingegangen zu werden braucht.
Mit dem erfindungsgemäßen Verfahren ist somit ein neuer Weg aufgezeigt, die
Schwierigkeiten bei der Herstellung von Steinwollefilzen zu mindern. Durch das
Zusammenwirken der kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1, Beimengung
einer hochviskosen Avivage vor dem Nadeln von dünnen Steinfasern, werden in
überraschender Weise die beiden gewünschten Effekte wie Nadelbarkeit der
Steinwolle und zugleich deren dauerhafter Zusammenhalt ohne Zusatz anderer
Fasern erreicht. Da dieser Weg für den Fachmann nicht nahegelegen hat, beruht
das Verfahren nach Anspruch 1 auch auf erfinderischer Tätigkeit.
Da aus diesen Gründen die von der Klägerin geltend gemachten Nichtigkeitsgrün-
de der mangelnden Ausführbarkeit und Patentfähigkeit nicht ziehen, hat der An-
spruch 1 Bestand.
Die angegriffenen Unteransprüche 4 bis 8, die Ausgestaltungen der Erfindung
nach Patentanspruch 1 enthalten, werden vom beständigen Anspruch 1 getragen,
ohne dass es hierzu weiterer Feststellungen bedurfte (BPatGE 34, 215). Daher
kann dahinstehen, ob die Ansprüche 4 bis 8 die von der Beklagten vorgetragene
eigenständige erfinderische Qualität aufweisen.
III
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG iVm § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO,
der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG iVm
Gutermuth Skribanowitz
Harrer
Schmitz
Hübner
Be