Urteil des BPatG vom 15.03.2007

BPatG: genehmigung, inverkehrbringen, rat der europäischen union, schutz der gesundheit, eugh, ex tunc, nichtigerklärung, arzneimittel, mitgliedstaat, begriff

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
(Aktenzeichen)
3 Ni 23/06
URTEIL
Verkündet am
15. März 2007
In der Patentnichtigkeitssache
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betreffend das ergänzende Schutzzertifikat DE 195 75 007
zum europäischen Patent 0 155 096
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 15. März 2007 unter Mitwirkung …
für Recht erkannt:
I. Das ergänzende Schutzzertifikat DE 195 75 007 wird teilweise
für nichtig erklärt, soweit es für die Zeit ab dem 29. April 2007
erteilt wurde.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klage richtet sich gegen das am 13. März 1995 beim Deutschen Patent- und
Markenamt (DPMA) angemeldete ergänzende Schutzzertifikat DE 195 75 007 für
das Erzeugnis „Finasterid“ (Proscar), welches mit Beschluss vom 3. Februar 2005
mit einer Laufzeit bis zum 27. Mai 2007 erteilt worden ist. Die Beklagte ist Inhabe-
rin dieses Schutzzertifikats und des diesem Schutzzertifikat zugrundeliegenden,
am 20. Februar 1985 beim Europäischen Patentamt angemeldeten und am 4. Ok-
tober 1989 u. a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Paten-
tes EP 0 155 096.
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Dem Schutzzertifikat liegt die deutsche Arzneimittelzulassung Nr. 27024.00.00
vom 29. September 1994 zugrunde. Für die Berechnung der Laufzeit gemäß
Art. 13 VO (EWG) Nr. 1768/92 vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergän-
zenden Schutzzertifikats für Arzneimittel (AMVO) hat das Deutsche Patent- und
Markenamt (DPMA) die britische Arzneimittelzulassung für Finasterid vom
27. Mai 1992 herangezogen.
In Österreich ist Proscar mit dem Wirkstoff „Finasterid“ am 28. April 1992 für die
österreichische A… GmbH zugelassen worden. Am 1. Ja-
nuar 1995 ist Österreich der Europäischen Gemeinschaft beigetreten.
Die Klägerin macht geltend, dass das DPMA zur Bestimmung des Zeitpunkts der
„ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft“ gemäß
Art. 13 AMVO auf die Arzneimittelzulassung in Österreich hätte abstellen müssen.
Als eine solche „erste Genehmigung“ sei jede Genehmigung zu berücksichtigen,
die zum Zeitpunkt der Anmeldung des Schutzzertifikats in einem Mitgliedstaat der
Europäischen Gemeinschaft gemäß der Richtlinie 65/65/EWG erteilt war. Deshalb
hätte das Schutzzertifikat nur mit einer Laufzeit bis einschließlich 28. April 2007 er-
teilt werden dürfen.
Das Schutzzertifikat DE 195 75 007 sei auch deshalb (teilweise nichtig), weil für
dasselbe Erzeugnis bereits zuvor das Schutzzertifikat DE 195 75 002 (vgl. Paral-
lelverfahren 3 Ni 2/06) erteilt worden sei (Art. 15. Abs. 1 a), Art. 3 c) AMVO). Zwar
sei im maßgeblichen Anmeldungszeitpunkt des hier streitgegenständlichen
Schutzzertifikats für das Erzeugnis „Finasterid“ das Schutzzertifikat DE 195 75 002
angemeldet, aber noch nicht erteilt gewesen. Da der Erwägungsgrund 17 der
PSMVO bestimme, dass Art. 3 AMVO im Lichte von Art. 3 PSMVO auszulegen
sei, seien jedoch auch im Rahmen der AMVO Schutzzertifikate nichtig, die auf ei-
ner Parallelanmeldung beruhten. Auch insoweit werde aber nur eine Nichtigkeit
des Schutzzertifikats für die Zeit ab dem 29. April 2007 beantragt.
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Zur Begründung verweist sie auf folgende Dokumente:
NiK1
Kopie der Erteilungsakte zu DE 195 75 002
NiK2
Auszug aus der Roten Liste 2005
NiK3
EP 0 155 096 B1
NiK4
Registerauszug des Deutschen Patent- und Markenamtes zu
DE 195 75 002
NiK5 Arzneimittel-Zulassung
„Proscar“ mit dem Wirkstoff „Finasterid“
in Österreich
NiK7
Auszug aus dem österreichischen Patentregister (Schutzzertifikat der
B… & Co. Inc. zum EP 0 155 096).
Die Klägerin beantragt,
das ergänzende Schutzzertifikat DE 195 75 007 für nichtig zu er-
klären, soweit dieses für die Zeit ab dem 29. April 2007 (ein-
schließlich) erteilt wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise regt sie an, dem EuGH nachfolgende Fragen vorzule-
gen und das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGHs auszu-
setzen:
„1. Ist eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arznei-
mittels, die zu einem Zeitpunkt in einem Staat erteilt wurde, zu
dem dieser Staat kein Mitgliedstaat der Europäischen Union war,
eine erste Genehmigung im Sinne des Art. 13 der Verordnung
(EWG) Nr. 1768/92, wenn dieser Staat innerhalb der Sechsmo-
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natsfrist des Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 der Euro-
päischen Union beitritt?
2. Wenn diese Frage nicht vollständig bejaht wird, kommt es dar-
auf an, ob die Zertifikatsanmeldung vor oder nach dem Tag des
Beitritts dieses Staates zur Europäischen Union erfolgt ist?“
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Sie ist der Auffassung,
dass die österreichische Finasterid-Zulassung keine „erste Genehmigung für das
Inverkehrbringen in der Gemeinschaft“ nach der Richtlinie 65/65/EWG und daher
nicht für die Laufzeitberechnung des Schutzzertifikats heranzuziehen sei. Hierbei
beruft sie sich insbesondere auf die Entscheidung „Omeprazol“ des EuGH
(GRUR 2004, 225) und die Entscheidung des BPatG (14. Senat) „Aceclofenac“
(Mitt. 2006, 550), wonach der Begriff der „ersten Genehmigung für das Inverkehr-
bringen in der Gemeinschaft“ einheitlich auszulegen sei, nämlich dahingehend,
dass es sich um eine erste nach Arzneimittelrecht erforderliche Genehmigung im
Sinne der Richtlinie 65/65/EWG, d. h., nach „harmonisiertem Recht“, handeln
müsse. Die in Art. 3 b) AMVO enthaltene Fiktion, wonach ausnahmsweise eine
nicht den Anforderungen der RL 65/65/EWG entsprechende Genehmigung als An-
knüpfungspunkt gewählt werde, könne sich nur auf die Übergangslösung des
Art. 19 AMVO beziehen, weil es ansonsten nicht möglich sei, für Arzneimittel, die
in Beitrittsländern wie Österreich vor dem Beitritt patentgeschützt und zugelassen
seien, ergänzende Schutzzertifikate zu erteilen. Daraus folge, dass es nicht wider-
sprüchlich sei, wenn für nationale österreichische Zertifikate der Zeitpunkt einer
früheren nationalen Genehmigung für die Laufzeitbestimmung nach Art. 13 AMVO
zugrunde gelegt werde. Insofern sei die Rechtslage in Art. 19 AMVO für Beitritts-
länder abweichend geregelt, habe aber keine Auswirkungen auf die Alt-EU-Staa-
ten, wie z. B. Deutschland. Für die Alt-Mitgliedstaaten sehe Art. 13 AMVO für die
Laufzeitberechnung gerade keine von den Anforderungen der RL 65/65/EWG ab-
weichende Genehmigung als Anknüpfungspunkt vor.
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Zur Stützung ihres Vorbringens verweist sie u. a. auf folgende Dokumente:
B1
Darstellung des zeitlichen Ablaufs der relevanten Vorgänge betreffend das
Schutzzertifikat DE 195 75 007
B3
Anlagenkonvolut Auszüge zu Schutzzertifikaten in Belgien, Dänemark,
Irland, Luxemburg, in den Niederlanden und Großbritannien
B4
Darstellungen zum Verlauf von Absatzzahlen vor und nach Schutzrechts-
ablauf am Beispiel von Simvastatin, Ramipril, Omeprazol und Amlodipin.
B5
Anlagenblatt zum Antrag vom 13. März 1995 in DE 195 75 007.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den Inhalt der Verfah-
rensakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
1. Die auf teilweise Nichtigerklärung durch eine Verkürzung der Laufzeit des er-
gänzenden Schutzzertifikats gerichtete Klage ist gemäß §§ 16a Abs. 2, 81 PatG
i. V. m. Art. 17 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifi-
kats für Pflanzenschutzmittel (PSMVO) zulässig. Nach Art. 17 Abs. 2 PSMVO, der
über den 17. Erwägungsgrund zur PSMVO auch im Rahmen der VO (EWG)
Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden
Schutzzertifikats für Arzneimittel (AMVO) anzuwenden ist, können Dritte Klage auf
teilweise Nichtigerklärung eines Schutzzertifikats durch Reduzierung der zu lange
berechneten Laufzeit erheben (vgl. Busse/Hacker, PatG, 6. Aufl., Anh. § 16a
Rn. 137, 112, 107).
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2. Die zulässige Klage erweist sich als begründet. Der geltend gemachte Nichtig-
keitsgrund, der darauf gestützt wird, dass bei der Bestimmung des Zeitpunkts der
„ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft“ im Rahmen
der Berechnung der Laufzeit des Schutzzertifikats gemäß Art. 13 Abs. 1 AMVO
die Arzneimittelzulassung in Großbritannien vom 27. Mai 1992 und nicht die frühe-
re Arzneimittelzulassung in Österreich vom 28. April 1992 zugrunde gelegt worden
ist, führt zur teilweisen Nichtigkeit des ergänzenden Schutzzertifikats
DE 195 75 007, soweit dieses für die Zeit ab dem 29. April 2007 (einschließlich)
erteilt wurde (Art. 13 AMVO, Art. 17 AMVO, Art. 17. PSMVO, 17. Erwägungsgrund
zur PSMVO).
2.1. Gemäß Art. 13 Abs. 1 AMVO ist für die Berechnung der Laufzeit des Schutz-
zertifikats der Zeitpunkt der „ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der
Gemeinschaft“ heranzuziehen. Wie der EuGH in der „Omeprazol“-Entscheidung
ausgeführt hat, nimmt der Begriff der „ersten Genehmigung für das Inverkehrbrin-
gen in der Gemeinschaft“ auf die erste in irgendeinem Mitgliedstaat der Gemein-
schaft gemäß der Richtlinie 65/65/EWG erteilte Genehmigung Bezug (vgl. GRUR
2004, 225 Rdn. 73, 76, 77, 86 - Omeprazol). Der für das Kriterium „in der Gemein-
schaft“ maßgebliche Anknüpfungspunkt ist nach Ansicht des Senats der Zeitpunkt
der Anmeldung des Schutzzertifikats, in dem auch alle anderen Voraussetzungen
für die Erteilung des Schutzzertifikats vorliegen müssen (vgl. auch Schennen, die
Verlängerung der Patentlaufzeit für Arzneimittel im Gemeinsamen Markt, 1993,
Art. 13 Rdn. 5).
2.2. In dem Zeitpunkt der Anmeldung des Schutzzertifikats in Deutschland am
13. Januar 1995 war Österreich aufgrund des am 1. Januar 1995 erfolgten Beitritts
zur Europäischen Union Mitglied der Gemeinschaft. Die in Österreich am
28. April 1992 für das Arzneimittel
„Proscar“ mit dem Wirkstoff „Finasterid“ für die
österreichische A… GmbH erteilte arzneimittelrechtliche Zulas-
sung erfüllt daher die Voraussetzung der ersten Genehmigung für das Inverkehr-
bringen „in der Gemeinschaft“.
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2.3. Der Berücksichtigung der Zulassung vom 28. April 1992 für die Berechnung
der Laufzeit steht auch nicht entgegen, dass es sich bei der ersten Genehmigung
für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft nach Art. 13 Abs. 1 AMVO um eine
Genehmigung „gemäß der Richtlinie 65/65/EWG“ handeln muss. Dies ergibt sich
bereits aus dem Wortlaut des Satzes 2 des Art. 3 b) AMVO, der durch Anhang I
Abschnitt
XI Buchstabe
F
I
a des Vertrages einschließlich Beitrittsakte und
Schlussakte zum Beitritt u. a. der Republik Österreich zur Europäischen Union in
der Fassung des Ratsbeschlusses vom 1. Januar 1995 (ABl EG 1995 L 1/1, 175)
eingefügt wurde. Danach gilt im Hinblick auf Art. 19 Abs. 1 AMVO (bei dem Ver-
weis auf Absatz 2 handelt es sich offensichtlich um ein Redaktionsversehen, vgl.
Benkard, PatG, 10. Aufl., Anh. § 16a, Rn. 20) eine nach den innerstaatlichen
Rechtsvorschriften Österreichs erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen „als
eine gemäß der Richtlinie 65/65/EWG bzw. der Richtlinie 81/851 erteilte Genehmi-
gung.“ Aufgrund der in Art. 3 b) Satz 2 AMVO enthaltenen Fiktion wird somit jede
in Österreich nach dem in Art. 19 Abs. 1 Satz 2 genannten Stichtag 1. Ja-
nuar 1982 erteilte arzneimittelrechtliche Genehmigung als eine gemäß der Richtli-
nie 65/65/EWG erteilte Genehmigung angesehen, damit das in Art. 3 b) Satz 1
AMVO aufgestellte Erfordernis für die Zertifikatserteilung, nämlich eine „gültige
Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 65/65/EWG“ in
Österreich, erfüllt ist bzw. erfüllt werden kann. Stellt eine solche nach den inner-
staatlichen Rechtsvorschriften Österreichs erteilte Genehmigung zugleich die ers-
te Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft dar (Art. 8 Abs. 1 a
iv und c), Art. 9 Abs. 2 e) i. V. m. Art. 3 b AMVO), ist sie aber auch für die Berech-
nung der Laufzeit des Schutzzertifikats gemäß Art. 13 Abs. 1 AMVO maßgeblich.
Dementsprechend hat Österreich bei der Berechnung der Laufzeit des auf Basis
des europäischen Patents 0 155 096 erteilten österreichischen Schutzzertifikats
auch die arzneimittelrechtliche Zulassung vom 28. April 1992 zugrunde gelegt und
die Laufzeit vom 21. Februar 2005 bis 28. April 2007 festgesetzt (vgl. NiK 7).
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3. Soweit die Beklagte die Ansicht vertritt, die Fiktion des Art. 3 b) Satz 2 AMVO
beziehe sich nur auf die für die Beitrittsländer geltende Übergangsregelung des
Art. 19 Abs. 1 AMVO, um in diesen Ländern die Voraussetzungen für die Erteilung
eines Schutzzertifikats zu schaffen, während das Fehlen einer entsprechenden
Regelung in Art. 13 AMVO zeige, dass für die Laufzeitberechnung von Schutzzer-
tifikaten in Altmitgliedstaaten wie Deutschland gerade keine von den Anforderun-
gen der Richtlinie 65765/EWG abweichende Genehmigung als Anknüpfungspunkt
vorgesehen sei, kann ihr der Senat nicht folgen.
3.1. Die von der Beklagten vorgenommene Differenzierung zwischen Beitrittslän-
dern einerseits und Alt-EU-Mitgliedstaaten andererseits hinsichtlich des Begriffs
„in der Gemeinschaft“, jedenfalls soweit er für die Bestimmung der Laufzeit nach
Art. 13 Abs. 1 AMVO maßgebend ist, findet in der AMVO keine Grundlage. Ent-
scheidend ist insoweit allein, ob im Zeitpunkt der Anmeldung des Schutzzertifikats
eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen „in der Gemeinschaft“ vorliegt.
Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen ein Schutzzertifikat in dem jeweiligen
EU-Staat erworben werden kann, berührt nicht die Frage, ob dieses Land zur „Ge-
meinschaft“ i. S. von Art. 13 Abs. 1 AMVO zählt. Es ist weder dem Wortlaut der
AMVO zu entnehmen noch mit der durch diese Verordnung innerhalb des gemein-
samen Marktes angestrebten homogenen Lösung vereinbar (vgl. EuGH GRUR Int.
1995, 906 Rdn. 35, 36 - Königreich Spanien/Rat der Europäischen Union; GRUR
2005, 139, 140 Rdn. 21 - Dostinex), wenn zur Erfüllung der unverzichtbaren Be-
dingungen für die Erteilung eines Schutzzertifikats in Österreich, Finnland oder
Schweden eine nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften dieser Staaten erteil-
te Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Art. 3 b) AMVO als ausreichend
- weil einer Genehmigung gemäß der Richtlinie 65/65/EWG gleichgestellt - ange-
sehen wird, dieselbe Genehmigung aber - in Fallkonstellationen wie der vorliegen-
den - für die Berechnung der Laufzeit eines später in einem anderen Mitgliedstaat
(hier: Deutschland) angemeldeten Schutzzertifikats nicht herangezogen würde. Ob
Österreich ein Beitrittsland i. S. v. Art. 19 AMVO und Deutschland ein „Alt-EU-Mit-
gliedstaat“ ist, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.
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3.2. Der Senat sieht sich in dieser Auslegung durch die „Omeprazol“-Entscheidung
des EuGH bestätigt, in der dieser mehrfach betont hat, dass der Begriff „erste Ge-
nehmigung für das Inverkehrbringen“ nicht je nach der Vorschrift der AMVO, in der
er sich befindet, unterschiedlich ausgelegt werden darf, was erst recht für den Be-
griff „erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft“ gilt
(GRUR 2004, 225 Rdn. 57 und 72, dort mit Hinweis auf die Entscheidung EuGH
„Yamanouchi Pharmaceutical“, GRUR Int. 1997, 908 Rdn. 23 f. betreffend Art. 19
und Art. 13 AMVO).
4. Die Berücksichtigung der österreichischen arzneimittelrechtlichen Genehmigung
vom 28. April 1992 für die Laufzeitberechnung nach Art. 13 AMVO verstößt auch
nicht gegen das Gebot der Rechtssicherheit. Denn zum maßgeblichen Zeitpunkt
der Anmeldung des Schutzzertifikats steht fest, welche Länder Mitgliedstaaten der
Europäischen Union sind und ob relevante gültige arzneimittelrechtliche Genehmi-
gungen für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels in diesen Ländern
bestehen. Dies gilt jedenfalls für solche nach innerstaatlichen Vorschriften erteilte
Genehmigungen, die durch die AMVO - wie in dem hier allein zu entscheidenden
Fall für Österreich - ausdrücklich Genehmigungen gemäß der Richtlinie
65/65/EWG bzw. nunmehr der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parla-
ments und des Rates vom 6. November 2001 (vgl. hierzu Benkard/Grabinski,
10. Aufl., § 16a PatG, Rn. 20 m. w. N.) gleichgestellt sind. Dies bedeutet, dass in-
nerstaatliche Genehmigungen für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels in Län-
dern, die zum Zeitpunkt der Anmeldung des Schutzzertifikats (noch) nicht der Ge-
meinschaft angehören, mangels Genehmigung „in der Gemeinschaft“ ebenso au-
ßer Betracht bleiben wie Genehmigungen in Ländern, die erst nach dem Anmelde-
tag der Europäischen Union beitreten, da hier die genannte Bedingung nicht zum
Anmeldezeitpunkt vorliegt und auch nicht nachträglich eine Änderung der Laufzeit
aus diesem Grunde rechtfertigen kann. In dem letzteren Fall besteht daher inso-
weit Bestandsschutz.
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5. Da nach Ansicht des Senats bereits aus der Fiktion des Art. 3 b Satz 2 AMVO
folgt, dass die nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften Österreichs erteilte
arzneimittelrechtliche Genehmigung vom 28. April 1992 bei der Laufzeitberech-
nung nach Art. 13 Abs. 1 als erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der
Gemeinschaft gemäß der Richtlinie 65/65/EWG zu berücksichtigen ist, kommt es
nicht mehr entscheidungserheblich auf die Frage an, ob die „Omeprazol“-Ent-
scheidung des EuGH (a. a. O.) so zu verstehen ist, dass eine Genehmigung „ge-
mäß der Richtlinie 65/65/EWG“ nur dann vorliegt, wenn sie aufgrund bereits um-
gesetzten „harmonisierten Rechts“ erteilt wurde - so die Beklagte unter Bezugnah-
me auf BPatG Mitt. 2006, 550 - Aceclofenac) - oder ob der in der mündlichen Ver-
handlung vertretenen Ansicht der Klägerin zu folgen ist, der EuGH habe den Be-
griff der Genehmigung „gemäß der Richtlinie 65/65/EWG“ im Sinne einer hinsicht-
lich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln dem Schutz der Ge-
sundheit dienenden verwaltungsrechtlichen Genehmigung definiert, wie sie ihrer
Art nach Gegenstand der Richtlinie 65/65/EWG bilde, in Abgrenzung zu anderen
Genehmigungen betreffend etwa Preisfestsetzungen.
6. Im Hinblick auf das gegen die vorliegende Entscheidung gegebene Rechtsmittel
der Berufung hat der Senat gemäß Art. 234 Satz 3 EG davon abgesehen, das
Verfahren auszusetzen und die Sache entsprechend der hilfsweisen Anregung der
Beklagten dem EuGH zur Vorabentscheidung über die von ihr genannten Fragen
und insbesondere die Frage vorzulegen, ob bei der Laufzeitberechnung eines in
Deutschland nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union angemeldeten
Schutzzertifikats eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels
zu berücksichtigen ist, die in Österreich vor dem Beitritt erteilt wurde. Der Ansicht
der Klägerin, eine Vorlage erübrige sich, weil die Rechtslage nach den Grundsät-
zen der „Omeprazol“-Entscheidung (EuGH a. a. O.) so eindeutig sei, dass kein
Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Rechts-
frage bleibe (vgl. EuGH NJW 1983, 1257 Rdn. 16 - CILFIT; BGH GRUR 2006, 346
- Jeans II a. a. O.), kann der Senat allerdings nicht folgen. Denn die nach der
„Omeprazol“-Entscheidung gebotene einheitliche Auslegung des Begriffs der „ers-
ten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft“ in allen Vor-
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schriften der AMVO führt in der vorliegenden Fallkonstellation zu einer dem Zweck
des Art. 13 AMVO an sich entgegenstehenden unterschiedlichen Laufdauer der
auf dem europäischen Grundpatent EP 0 155 096 basierenden Schutzzertifikate je
nachdem, ob diese vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union (vgl. An-
lage B3: Irland, Belgien, Dänemark, Großbritannien, Niederlande) oder nach die-
sem Zeitpunkt (Österreich, Deutschland) angemeldet wurden.
7. Im Hinblick auf die beantragte teilweise Nichtigerklärung des angegriffenen
Schutzzertifikats durch Reduzierung der Laufzeit nach dem 17. Erwägungsgrund
der PSMVO i. V. m. Art. 17 Abs. 2 PSMVO kann dahingestellt bleiben, ob auch
der weiterhin geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nach Art. 15 Abs. 1 a), Art. 3 c)
AMVO gegeben ist, mit dem die Klägerin ebenfalls eine Nichtigerklärung des
Schutzzertifikats für die Zeit ab dem 29. April 2007 begehrt. Allerdings bestehen
nach Ansicht des Senats schon erhebliche Bedenken gegen die Zulässigkeit eines
solchen auf eine zeitlich begrenzte Nichtigerklärung gerichteten Antrags, da für die
Nichtigkeitsgründe des Art. 15 AMVO gemäß § 16a Abs. 2 PatG i. V. m. § 22
Abs. 2 und § 21 Abs. 3 Satz 1 PatG eine Nichtigerklärung nur mit Wirkung „von
Anfang an“ (ex tunc) gesetzlich vorgesehen ist.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 ZPO. Die Ent-
scheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht auf Grund von § 99
Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
gez.
Unterschriften