Urteil des BPatG vom 24.01.2001

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BPatG 152
10.99
BUNDESPATENTGERICHT
32 W (pat) 413/02
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung 399 38 306.9
hat der 32. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
10. Dezember 2003 durch Richter Viereck als Vorsitzenden, Richter Rauch und
Richter Sekretaruk
beschlossen:
Auf die Beschwerde werden der Beschluss des Deutschen Patent-
und Markenamts – Markenstelle für Klasse 41 – vom 24. Ja-
nuar 2001 insgesamt und der Beschluss vom 24. September 2002
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insoweit aufgehoben, als der angemeldeten Marke die Eintragung
versagt worden ist.
G r ü n d e
I.
Die am 30. Juni 1999 erfolgte Anmeldung der Wortmarke
Netline,
bestimmt für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 16, 35, 36, 38, 41 und
42, ist seitens der Markenstelle für Klasse 41 des Deutschen Patent- und Marken-
amts zunächst in einem Zwischenbescheid vom 22. März 2000 als nicht schutz-
fähige Bezeichnung – im Sinne eines Hinweises darauf, dass die beanspruchten
Waren und Dienstleistungen unmittelbar über das Netz von einem online-Anbieter
angeboten würden – beanstandet worden. Außerdem sei die Fassung des Waren-
und Dienstleistungsverzeichnisses teilweise zu unbestimmt. Der Anmelder hat
daraufhin am 23. Mai 2000 das nachfolgende Waren- und Dienstleistungsver-
zeichnis vorgelegt:
Kl. 09: elektrische und elektronische Geräte soweit in Klasse 9 enthal-
ten; Lehr-, Unterrichts- und Informationsmaterial in Form von
Disketten, CDs, CD-Roms, Audio- und Videokassetten oder
anderer Datenträger, Computer-Software, soweit in Klasse 9
enthalten; magnetische und optische Datenträger;
Kl. 16: Papier, soweit in Klasse 16 enthalten; Lehr-, Unterrichts- und
Informationsmaterial in Druckform, soweit in Klasse 16 enthal-
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ten; Druckerzeugnisse; gerahmte und ungerahmte Schnitte,
Bilder und Drucke;
Kl. 35: Werbung, Geschäftsführung für Dritte; Unternehmensberatung;
Personal- und Stellenvermittlung; Organisation und Veranstal-
tung von Messen für wirtschaftliche und gewerbliche Zwecke;
Telefonantwortdienste; Durchführung von Versteigerungen und
Auktionen im Internet; Entwicklung von Franchisekonzepten für
die Vermittlung von wirtschaftlichem und organisatorischem
Know how; Dienstleistungen im Internet, nämlich Veranstaltung
von Tauschbörsen, Vermittlung von Verträgen über den Ver-
kauf von Waren und deren Abrechnung (Online-Shopping) in
Computer-Netzwerken und/oder mittels anderer Vertriebska-
näle; Betrieb von elektronischen Märkten im Internet durch On-
line-Vermittlung von Verträgen sowohl über die Anschaffung
von Waren als auch über die Erbringung von Dienstleistungen;
Vermittlung und Abschluß von Handelsgeschäften im Rahmen
eines elektronischen Kaufhauses; Betrieb eines Call-Centers,
nämlich Abwicklung von Verträgen über den An- und Verkauf
von Waren (Auftrags- und Bestellannahme) sowie Beratung im
Hinblick darauf, Marktforschung, Betrieb einer Informations-,
Beschwerde- und Notfall-Hotline; vorgenannte Dienstleistungen
via Telekommunikation, insbesondere mit dem Ziel der Au-
ßendienstunterstützung/-optimierung, der Stammkundenpflege
und der Neukundengewinnung;
Kl. 36: Finanzdienstleistungen; Immobilienvermittlung; Wertpapierhan-
del; Bereitstellen von Informationen zum Wertpapierhandel;
Entwicklung von Franchisekonzepten für die Vermittlung von fi-
nanziellem Know how;
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Kl. 38: Telekommunikation; Anbieten von Dienstleistungen im Internet,
nämlich die elektronische Entgegennahme von Warenbestellun-
gen, Sammeln und Liefern von Nachrichten, Übermittlung von
Nachrichten; Zugangsvermittlung zu Verzeichnissen der in Da-
ten-Netzwerken, insbesondere im Internet, verfügbaren Infor-
mationen;
Kl. 41: Erziehung, Unterhaltung; Organisation und Veranstaltung von
Ausstellungen, Seminaren, Symposien und Kolloquien, Unter-
richt; schulischer Lese-, Rechtschreib-, Sprach- und Rechen-
unterricht; Schülerkurse, insbesondere Förderunterricht, Nach-
hilfeunterricht, Hausaufgabenhilfe, Sprachkurse, Musikunter-
richt, Examensvorbereitungen; Computer-, Internet- und Infor-
matikkurse; pädagogischer Unterricht aller Art; Erstellung von
Konzepten zur Anwendung individuell abgestimmter Lernme-
thoden, auch für Legastheniker; sämtliche vorgenannten
Dienstleistungen der Kl. 41, auch über Internet; Dienstleistun-
gen eines Verlegers, nämlich Herausgabe und Veröffentlichung
von Druckereierzeugnissen;
Kl. 42: Erstellung von Computer-Software; Verwaltung von Urheber-
rechten, Entwicklung (Design) von Marken und Produkten für
Dritte; Such- und Vermittlungsdienste, nämlich Suchen und
Auffinden von Informationen in einem Daten-Netzwerk, insbe-
sondere dem Internet; Vermittlung von Bekanntschaften, Brief-
und Chat-Freundschaften.
Die mit einer Beamtin des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle hat die An-
meldung mit Beschluss vom 24. Januar 2001 insgesamt als nicht unterschei-
dungskräftig und freihaltebedürftig zurückgewiesen. Die Wortfolge Netline werde
zwanglos mit „Netzwerk-online“ übersetzt. Es werde somit schlagwortartig zum
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Ausdruck gebracht, dass die beanspruchten Waren und Dienstleistungen über on-
line-Telekommunikations-Netzwerke angeboten und nachgefragt werden könnten.
Dem Beschluss waren Ausdrucke von zwei Internet-Seiten beigefügt, die nach An-
sicht der Markenstelle eine beschreibende Verwendung des Markenworts beleg-
ten.
Auf die Erinnerung des Anmelders hat die Markenstelle mit Beschluss einer Be-
amtin des höheren Dienstes vom 24. September 2002 den Erstbeschluss teil-
weise, hinsichtlich folgender Waren und Dienstleistungen:
Papier, soweit in Klasse 16 enthalten; gerahmte und ungerahmte
Schnitte; Bilder und Drucke; Dienstleistungen eines Verlegers, nämlich
Herausgabe und Veröffentlichung von Druckereierzeugnissen; Verwal-
tung von Urheberrechten, Entwicklung (Design) von Marken und Pro-
dukten für Dritte
aufgehoben. Im übrigen wurde die Erinnerung zurückgewiesen, weil nach Ansicht
der Erinnerungsprüferin die Marke insoweit nicht unterscheidungskräftig ist.
Der englischsprachige Bestandteil „line“ sei in unterschiedlichen Warenbereichen
als Bezeichnung für „Produktreihe“ und „Kollektion“ bekannt und stehe auf dem
Gebiet der Telekommunikation für „Verbindung“ oder „Leitung“ i.S.v. „online“. Der
Markenbestandteil „net“ habe die Bedeutung von „Netz“ bzw. „Netzwerk“ und
werde darüber hinaus auch als Ausdruck für das Internet gebraucht. In der Ge-
samtheit werde Netline ohne weiteres als „Netzwerkverbindung“ bzw. „Online-
Netzwerk“ verstanden. Die weiterhin versagten Waren in Klasse 9 könnten funktio-
naler Bestandteil eines modernen online-Netzwerks sein, für die versagten Waren
in Klasse 16 liege eine Inhaltsangabe vor. Die Dienstleistungen, für welche der
Marke die Eintragung weiterhin zu versagen sei, könnten mittels online-Netzwer-
ken (in digitaler Form oder über das Internet) erbracht werden.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Anmelders. Eine –
angekündigte – Begründung ist nicht zu den Gerichtsakten gelangt.
II.
Die Beschwerde des Anmelders ist zulässig und begründet.
Hinsichtlich der im Erinnerungsbeschluss weiterhin versagten Waren und Dienst-
leistungen steht einer Registrierung der angemeldeten Marke weder das Eintra-
gungshindernis der fehlenden Unterscheidungskraft (§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG),
noch das einer Angabe im Sinne von § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG entgegen.
1. Unterscheidungskraft ist die einer Marke innewohnende konkrete Eignung, vom
Verkehr als Unterscheidungsmittel für die von der Marke erfassten Waren oder
Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen
aufgefasst zu werden. Hauptfunktion der Marke ist es, die Ursprungsidentität der
gekennzeichneten Produkte und Angebote zu gewährleisten. Bei der Beurteilung
der Unterscheidungskraft ist grundsätzlich von einem großzügigen Maßstab aus-
zugehen. Kann einer Wortmarke kein für die fraglichen Waren (entsprechendes
gilt für Dienstleistungen) im Vordergrund stehender beschreibender Begriffsinhalt
zugeordnet werden und handelt es sich auch sonst nicht um ein gebräuchliches
Wort der deutschen oder einer bekannten Fremdsprache, das vom Verkehr – auch
wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung – stets nur als solches
und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden wird, so gibt es keinen tatsächli-
chen Anhaltspunkt dafür, dass ihr jegliche Unterscheidungseignung und damit jeg-
liche Unterscheidungskraft fehlt (stRspr.; vgl BGH BlPMZ 2002, 85 –
INDIVIDUELLE).
In ihrer Gesamtheit weist die Marke netline für die noch strittigen Waren und
Dienstleistungen keinen im Vordergrund stehenden Begriffsinhalt auf. Zwar sind
die englischsprachigen Wörter net und line auch im Inland (weitgehend) bekannt
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und die Zusammenstellung als solche entspricht den Regeln dieser Sprache. Das
net im Deutschen „Netz“ bedeutet und vor allem im Zusammenhang mit dem In-
ternet häufig verwendet wird, unterliegt keinem ernsthaften Zweifel. Das Wort line
kann je nach Sprachzusammenhang neben den wörtlichen Übersetzungen Linie,
Reihe, Zeile auch Produktreihe, Kollektion, (Telefon-)Verbindung, Leitung bedeu-
ten (wobei dieser Aufzählung keineswegs abschließend ist; vgl. Langenscheidts
Handwörterbuch Englisch, 2. Aufl, S 379, 380). Ob die Kombination eines voran-
stehenden Begriffs mit der Endung line als beschreibend oder markenmäßig ver-
standen wird, lässt sich daher nicht generell beantworten, sondern hängt vom Ge-
samteindruck und der Gesamtaussage des so gebildeten Wortes und vom Bezug
zu den jeweiligen Waren und Dienstleistungen ab.
Die Wortbildung Netline (wobei allerdings der Zusammenziehung der Einzelteile
zu einem Begriff keine maßgebliche Bedeutung zukommt) ist angesichts der Un-
bestimmtheit des Aussagegehalts für einen (noch) entscheidungserheblichen Teil
des Verkehrs unterscheidungskräftig. Der von der Markenstelle unterstellte Sinn-
gehalt, die betreffenden Waren könnten online erworben bzw. die Dienstleistungs-
angebote auf diese Weise in Anspruch genommen werden, drängt sich nicht un-
mittelbar als im Vordergrund stehend auf (wenngleich ein derartiges Verständnis
im Einzelfall als möglich erscheint). Zudem fehlt es an Hinweisen darauf, dass
Netline (bzw. net line) bereits als Fachbegriff oder als sonstige Produktmerkmals-
angabe in Gebrauch wäre. Die dem Erstbeschluss als Anlage beigefügten Belege
(betreffend die NET-LINE Online-Dienste GmbH und die Rechtsberatung über
netline-recht.de) lassen eine marken- oder firmenmäßige Verwendung erkennen;
diese Belegstellen vermögen somit die Argumentation der Markenstelle nicht zu
stützen. Der Sinngehalt von Netline ist nicht hinreichend eindeutig, um vom ange-
sprochenen deutschen Verkehr in einem entscheidungserheblichen Umfang als
Sachaussage und damit nicht als betrieblicher Herkunftshinweis aufgefasst zu
werden.
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Diese Beurteilung gilt für sämtliche noch streitbefangenen Waren und Dienstleis-
tungen. Bezüglich der Geräte und Datenträger in Klasse 9 ist die Argumentation
der Markenstelle in sich widersprüchlich („bloße Herkunfts- und/oder Bestim-
mungsangabe“). Wenn es sich nach Auffassung der Markenstelle selbst (auch)
um eine Herkunftsangabe handeln kann, bleibt unklar, warum ihr gleichwohl kein
Hinweis auf die betriebliche Herkunft entnommen wird. Als Bestimmungsangabe
ist Netline wenig geeignet; vielmehr läge es – um Missverständnisse zu vermeiden
– viel näher, sich insoweit der geläufigen Fachbegriffe wie online und Internet zu
bedienen. Bezüglich Lehr-, Unterrichts- und Informationsmaterial in Klasse 16 gilt
entsprechendes. Bei sonstigen Druckerzeugnissen dieser Klasse liegt ein wörtli-
ches Verständnis von line (Linie, Zeile) an sich viel näher, wobei dann bei Voran-
stellung von Net aber offen bleibt, worauf die Aussage „Netzlinie“ sachbezogen
hinweisen soll. Für allgemeine Dienstleistungen wie etwa Werbung, Geschäftsfüh-
rung, Unternehmensberatung, Organisation von Messen und Ausstellungen sowie
Vermittlungsdienste aller Art ist Netline ersichtlich keine Merkmalsbeschreibung.
Entsprechendes gilt für Unterhaltung, Erziehung und Unterrichtsangebote. Soweit
sich derartige Dienstleistungen auf das Internet und/oder einen Computereinsatz
beziehen, mag zwar die gedankliche Verbindung zum Fachbegriff online nicht fern
liegen, ohne dass deshalb eine eindeutige Beschaffenheits- oder Bestimmungsan-
gabe vorläge.
2. Da die Markenstelle einen aktuellen beschreibenden Gebrauch der Bezeich-
nung Netline nicht belegt hat und es auch dem Senat nicht möglich war, entspre-
chende Verwendungsformen zu ermitteln, fällt die Marke nicht unter die Regelung
des § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG. Ausreichende Anhaltspunkte für eine zukünftige de-
skriptive Verwendung der Marke auf den maßgeblichen Waren- und Dienstleis-
tungssektoren liegen ebenfalls nicht vor.
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3. Dem Deutschen Patent- und Markenamt bleibt es unbenommen, das geltende
Waren- und Dienstleistungsverzeichnis nochmals auf seine Bestimmtheit zu über-
prüfen.
Viereck Rauch
Sekretaruk
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