Urteil des BPatG vom 03.04.2003

BPatG: gegen die guten sitten, neue medien, stadt rom, internet, computer, software, telekommunikation, ausbildung, eugh, forschung

BPatG 152
10.99
BUNDESPATENTGERICHT
25 W (pat) 152/01
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung 399 82 947.4
hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 3. April 2003 unter Mitwirkung der Richterin Sredl als Vorsitzender
sowie des Richters Engels und der Richterin Bayer
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e
I.
Die Bezeichnung
urbi et orbi
ist am 30. Dezember 1999 für die Waren und Dienstleistungen
"Verfahren, Apparate und Software zur Aufzeichnung, Übertra-
gung und Wiedergabe von Ton und Bild; Anwendungen zur Bild-
aufnahme, Bildübertragung und Bilddarstellung unter Verwendung
komprimierter Daten, insbesondere über Computernetze, wie zB
Internet; Anwendungen zur Tonaufnahme, Tonübertragung und
Tonwiedergabe unter Verwendung komprimierter Daten, insbe-
sondere über Computernetze, wie zB Internet; Datenverarbei-
tungsgeräte und Computer, insbesondere der in diesen Geräten
benutzten Verfahren zur komprimierten Datenübertragung über
entsprechende Datennetze; Computer gesteuerte Verfahren und
Software für den Zahlungsverkehr an computerisierten Dienstlei-
stungen in Verwendung als Verkaufsautomat von über Computer
angebotenen oder zugänglich gemachten Produkten; Aufzeich-
nungsdatenträger, magnetisch (zBsp Disketten), optisch (zB CD)
magnetooptisch (zB MO); Elektronikkomponenten für die Starak-
und Schwachstromtechnik, Sensoren, Signalaufnehmer, Regel-
und Steuerungen, insbesondere für die zur Klasse 9 gehörigen
Anwendungen, zB für die Schifffahrt, dito für Flugwesen; Wer-
bung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung, Büroarbeiten;
Geldgeschäfte, insbesondere für die Abwicklung über Computer
bzw Computernetze, dito für Versicherungswesen, Finanzwesen,
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Immobilienwesen; Telekommunikation, insbesondere Telekommu-
nikation über Computernetze; Transportwesen, Verpackung und
Lagerung von Waren, Veranstaltung von Reisen; Erziehung, Aus-
bildung, Schulung, Unterhaltung, insbesondere über Computernet-
ze, kulturelle Aktivitäten, sportliche Aktivitäten; Verpflegung in Lo-
kalen, wie zB Cafes, Internet-Cafes, Beherbergung von Gästen,
Ärztliche Versorgung, insbesondere via Medien, zB Internet, Psy-
chotherapeutische Dienste, insbesondere via Medien, zB Internet,
Gesundheitspflege, Schönheitspflege, Dienstleistungen auf dem
Gebiet der Tiermedizin und Landwirtschaft, Rechtsberatung und -
vertretung, insbesondere via Internet, Wissenschaftliche und Indu-
strielle Forschung, Lizenzüberwachung, insbesondere von Schutz-
rechten, Patenten, Urheberrechten und Eintreibung (Inkasso) von
Lizenzgebühren, Erstellen von Programmen für die Datenverarbei-
tung; Ausbildung und Schulung in dogmatischem Denken, insbe-
sondere durch neue Medien, zB Internet, Esoterik, esoterische
Dienstleistungen und kulturelle Aktivitäten, insbesondere durch
neue Medien, zB Internet"
zur Eintragung in das Markenregister angemeldet worden.
Die Markenstelle für Klasse 42 hat nach entsprechender Beanstandung mit Be-
schluß einer Beamtin des höheren Dienstes die Anmeldung gemäß § 8 Abs 2 Nr 5
Halbsatz 2 MarkenG zurückgewiesen. Die Bezeichnung sei geeignet, das Empfin-
den eines beachtlichen Teils der beteiligten Verkehrskreise zu verletzen, da sie als
päpstlicher Segen verstanden werde und dadurch sittlich, politisch oder religiös
anstößig wirken könne oder als grobe Geschmacksverletzung empfunden werden
könne.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Anmelders mit der Begründung, die
von der Markenstelle angenommene Zahl von ca 27 Millionen Katholiken sei zu
hoch angesetzt. Heutzutage werde die angemeldete Bezeichnung eher als päpstli-
cher Gruß denn als Segen aufgefasst. Die Zurückweisung als religiös verletzend
sei übertrieben und mehr mit dem Instrumentarium der Inquisition zu vergleichen.
Der Anmelder beantragt,
den Beschluß der Markenstelle für Klasse 42 vom 9. Novem-
ber 2000 aufzuheben und die angemeldete Bezeichnung zur Ein-
tragung zuzulassen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Der Senat ist mit der Markenstelle der Auffassung, dass der Eintragung der ange-
meldeten Bezeichnung die Bestimmung des § 8 Abs 2 Nr 5 Halbsatz 2 MarkenG
entgegensteht.
Gegen die guten Sitten verstoßen ua Marken, die geeignet sind, das Empfinden
eines beachtlichen Teils der beteiligten Verkehrskreise zu verletzen, indem sie re-
ligiös anstößig wirken (vgl BGH GRUR 1964, 136 – Schweizer). Dies ist im vorlie-
genden Fall anzunehmen.
Die Bezeichnung "urbi et orbi", die mit ihrer Bedeutung "der Stadt (Rom) und dem
Erdkreis" an das Weltbild der römischen Antike erinnert, ist einer breiten Öffent-
lichkeit als Formel für Segensspendungen des Papstes bekannt (vgl hierzu PONS,
Deutsche Idiomatik, 1993, Ernst Klett Verlag für Wissen und Bildung Stuttgart –
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Dresden; DUDEN Das große Fremdwörterbuch, 2. Aufl 2000, Dudenverlag Mann-
heim-Leipzig-Wien-Zürich; Brockhaus, Die Enzyklopädie in 24 Bänden, 20. Aufl,
F.A. Brockhaus Leipzig-Mannheim). Besonders sind hier die Fernsehübertragun-
gen der Grußbotschaften des Papstes an Weihnachten und Ostern hervorzuhe-
ben, die von einer großen Zahl von Menschen auch in Deutschland verfolgt wer-
den und bei denen der Papst den Segen "urbi et orbi" spendet. Dabei handelt es
sich nicht nur, wie der Anmelder meint, um einen Gruß, sondern um einen Se-
gensspruch, wie die auch von der Markenstelle bereits genannten Fundstellen in
Lexika und im Internet belegen.
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Verwendung dieses Se-
gensspruches als Marke im Geschäftsverkehr und damit als kommerzielle Waren-
oder Dienstleistungskennzeichnung religiösen oder ethischen Wertvorstellungen
beachtlicher Teile der angesprochenen inländischen Verkehrskreisen widerspricht
und als anstößig empfunden wird. Diese Einschätzung trifft nicht nur für eine er-
hebliche Zahl von Katholiken in Deutschland, sondern darüber hinaus auch für
Christen insgesamt zu. Auch wenn sich die Ansichten über religiöse Dinge beson-
ders bei der jüngeren Generation gelockert haben mögen, kann dies nicht automa-
tisch dazu führen, an die Grundsätze, die bei der Beurteilung einer Bezeichnung
als Verstoß gegen die guten Sitten gemäß § 8 Abs 2 Nr 5 Halbsatz 2 MarkenG zu
beachten sind, geringere Maßstäbe anzulegen. Hier ist vielmehr zu berücksichti-
gen, dass die fragliche Bezeichnung nicht nur dem jüngeren Publikum, sondern
Verkehrsbeteiligten jeden Alters begegnet. Unabhängig von der Frage, wie viele
Katholiken von der Bezeichnung mit ihrer Bedeutung "der Stadt (Rom) und dem
Erdkreis" angesprochen werden bzw sie verstehen, ist weiter zu bedenken, dass
die religiösen Empfindungen auch von Minderheiten nach wie vor ein selbstver-
ständliches Gebot des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft sind (vgl
BPatGE 28, 41 – CORAN) und unter dem Schutz des Grundgesetzes stehen.
Würde die in Frage stehende Bezeichnung für rein kommerzielle Zwecke verwen-
det, wären zumindest derzeit noch beachtliche Teile des Publikums in ihrer religiö-
sen oder sittlichen Anschauung verletzt, wobei nicht auf einen flüchtigen oder un-
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informierten, sondern auf den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und
verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist (EuGH GRUR Int 1998,
795 – Gut Springenheide; Althammer/Ströbele/Klaka, MarkenG, 6. Aufl, § 8,
Rdnr 266 ff, 269).
Da sich das Problem der Anstößigkeit grundsätzlich aus der kommerziellen Ver-
wendung der Bezeichnung als Marke ergibt, liegt ein Verstoß gegen die guten Sit-
ten unabhängig davon vor, ob die Marke im Hinblick auf einzelne beanspruchte
Waren oder Dienstleistungen als anstößig empfunden wird, oder ob es sich um
wertneutrale Produkte handelt.
Die Beschwerde konnte daher keinen Erfolg haben und war somit zurückzuwei-
sen.
Sredl Engels
Bayer