Urteil des BPatG vom 18.07.2006

BPatG: stand der technik, fig, daten, frequenz, form, patentanspruch, widerstand, mangel, rückzahlung, realisierung

BUNDESPATENTGERICHT
17 W (pat) 96/03
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
18. Juli 2006
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 198 00 370.6-53
hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 18. Juli 2006 unter Mitwirkung …
BPatG 154
08.05
- 2 -
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Die vorliegende Patentanmeldung ist am 9. Januar 1998 beim Deutschen Patent-
und Markenamt unter Beanspruchung der japanischen Priorität 9-151194 vom
9 Juni 1997 unter der Bezeichnung
„Magnetplattenlaufwerk mit einem Lesekanal, in welchem die
Niederfrequenz-Grenzfrequenz relativ hoch eingestellt ist, um die
thermische Oberflächen-Unebenheit in den Griff zu bekommen“
angemeldet worden.
Sie ist von der Prüfungsstelle für Klasse G 11 B des Deutschen Patent- und
Markenamts durch Beschluss vom 8. August 2003 mit der Begründung zurück-
gewiesen worden, dass der Patentanspruch 1 dem Fachmann - auch unter
Hinzuziehung der übrigen Unterlagen - keine klare und vollständige Lehre zum
technischen Handeln gebe und die in der Anmeldung angegebene Aufgabe nicht
zu lösen vermöge.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Anmelderin mit der Beschwerde.
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Sie beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte
Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Patentanspruch 1, noch anzupassender Beschreibung und 5 Blatt
Zeichnungen mit 5 Figuren, jeweils vom Anmeldetag.
Die Anmelderin führt aus, dass die in der Beschreibung, den Figuren 4 und 5 so-
wie den Unteransprüchen 2 bis 5 vom Anmeldetag angegebenen Formeln zwar
zugestandenermaßen falsch seien, dass der Fachmann diese aber im Rahmen
seines Fachwissens richtig stellen würde. Hierzu weist sie auf folgendes japani-
sches Fachbuch hin, zu dem sie ausschnittsweise eine englische Übersetzung
eingereicht hat:
Designing of Active Filters, Takeshi Yanagisawa, Kaoru Kanemitsu,
Electronics Selection Book, ISBN 4-87184-009-3, 1987, Seiten 95 bis
103.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
„1. Magnetplattenlaufwerk,
mit
einer für eine Drehung angetriebenen Platte;
einem Kopf zum Reproduzieren von Daten, die auf Spuren
aufgezeichnet sind, welche in Form von konzentrischen Kreisen
auf der Platte ausgebildet sind, und von Servoinformationen, die in
dieser Form aufgezeichnet sind, um die Bereiche von den Daten
auf der Spur aufzuteilen;
einer Daten-Demodulierschaltung zum Verarbeiten der
Datensignale, die durch den Kopf reproduziert wurden;
einer Servo-Demodulierschaltung zum Verarbeiten der
Servosignale, die durch den Kopf reproduziert wurden;
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einem Positioniermechanismus zum Positionieren des Kopfes auf
den Spuren auf der Grundlage der Ausgangsgröße der Servo-
Demodulierschaltung;
wenigstens einem Schaltungsabschnitt, der in einer ersten
Übertragungsleitung angeordnet ist, die von einem
Signalausgangsanschluss des Kopfes bis zu einem
Verzweigungsabschnitt zwischen der Daten-Demodulierschaltung
und der Servo-Demodulierschaltung reicht und der
Übertragungseigenschaften
besitzt, um Niederfrequenz-
Grenzfrequenzeigenschaften festzulegen oder zu bestimmen; und
einer Entzerrerschaltung, die in einer zweiten Übertragungsleitung
angeordnet ist, welche von dem Verzweigungsabschnitt bis zu der
Servo-Demodulierschaltung reicht;
wobei die Entzerrerschaltung eine Übertragungskennlinie besitzt,
die eine Beziehung einer inversen Funktion zu lediglich einem
Niederfrequenzabschnitt der Übertragungskennlinie der ersten
Übertragungsleitung besitzt.“
Die der Anmeldung zugrundeliegende Aufgabe besteht gemäß Beschreibung
Seite 4 vorletzter Absatz darin, ein Sektor-Servosystem-Magnetplattenlaufwerk zu
schaffen, welches die Wellenform-Verzerrung eines Servosignals zum Zeitpunkt
der Reproduktion reduzieren kann und auch eventuell zu einer Verbesserung der
Positioniergenauigkeit eines Kopfes beitragen kann.
Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt sind keine
Druckschriften ermittelt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt ver-
wiesen.
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II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet, da die Anmeldung in ihrer ur-
sprünglichen Fassung eine Lehre nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass
ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 Abs 4 PatG).
Als Fachmann ist hier ein Ingenieur der Elektrotechnik mit Hochschulabschluss
und mit Erfahrung in der Entwicklung von Plattenlaufwerken anzusehen.
Den Anmeldeunterlagen entnimmt ein solcher Fachmann zunächst folgende
allgemeine Hinweise:
Die Anmeldung betrifft ein Magnetplattenlaufwerk, in dem beim Lesen wie üblich
mit Hilfe eines Kopfes die Spuren einer Magnetplatte abgetastet werden. Hierbei
werden sowohl Daten- als auch Servosignale erzeugt, wobei das Servosignal zum
Positionieren des Kopfes eingesetzt wird. Der Abtastkopf schwebt beim Lesen
sehr dicht über der Platte. Im Lauf der Zeit bilden sich auf der Platte
mikroskopische Erhebungen, die mit dem Abtastkopf kollidieren können. Durch die
bei einer solchen Kollision entstehende Reibungswärme entstehen
Schwankungen in den gelesenen Signalen. Um diese Schwankungen zu
unterdrücken, durchlaufen im in der Anmeldung beschriebenen Stand der Technik
die Daten- und Servosignale gemeinsam einen Schaltungsabschnitt mit
bestimmten Übertragungseigenschaften („Niederfrequenz-Grenzfrequenz“), vgl.
S. 1 letzter Abs. bis S. 2 Abs. 1, S. 3 letzter Abs. bis S. 4 Abs. 1 und 2 i. V. m.
Fig. 1. Dies führt zu einer Verzerrung der Wellenform des Servosignals; hierdurch
kann die Positioniergenauigkeit des Kopfes verringert werden, vgl. S. 4 Abs. 3.
Um die Verzerrung des Servosignals zu reduzieren, wird in der vorliegenden
Anmeldung nach der Trennung von Daten- und Servosignal eine
Entzerrerschaltung eingesetzt, die nur auf das Servosignal einwirkt, vgl. Fig. 3
Bezugszeichen 20
mit
Beschreibung.
Die Übertragungskennlinie dieser
Entzerrerschaltung soll in einem Niederfrequenzabschnitt invers zur
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Übertragungskennlinie des Wegs sein, den Daten- und Servosignal hinter dem
Signalausgang des Kopfes gemeinsam durchlaufen, vgl. S. 5 Z. 11 bis 14 sowie
den Anspruch 1.
Zu der Frage, welcher Art die Schaltung und Übertragungskennlinie im von Daten-
und Servosignalen gemeinsam (sowohl im Stand der Technik gemäß Fig. 1 als
auch anmeldungsgemäß, vgl. Fig. 2 und 3) durchlaufenen Weg und die nur auf
das Servosignal wirkende, anmeldungsgemäße Entzerrerschaltung und
Übertragungskennlinie sein sollen, ist den Anmeldeunterlagen Folgendes zu
entnehmen:
Servo- und Datensignale durchlaufen gemeinsam den Weg zwischen dem
Signalausgangsanschluss
P1 des Abtastkopfes und dem
Verzweigungsabschnitt P2, an dem Daten- und Servosignale getrennt werden, vgl.
den Anspruch 1 sowie Fig. 1, 2 und 3. Das Servosignal besitzt niedrigere
Frequenzkomponenten als das Datensignal, vgl. S. 2 Z. 5 und 30 bis 32. Diese
Frequenzkomponenten werden einer Verzerrung unterworfen, da die
„Niederfrequenz-Grenzfrequenz“ im gemeinsamen Weg relativ hoch eingestellt ist,
vgl. S.
1 letzter Abs. bis S.
2 Abs.
1. Dies deutet darauf hin, dass die
Übertragungskennlinie des gemeinsamen Wegs eine Hochpasscharakteristik
aufweist, d. h. einer Funktion folgt, die für sehr niedrige Frequenzen einen Wert
nahe Null hat und im Bereich um eine untere Grenzfrequenz („Niederfrequenz-
Grenzfrequenz“) mit wachsender Frequenz betragsmäßig ansteigt. Soweit die in
den Figuren dargestellten Schaltbilder überhaupt konkrete Schaltungsdetails
zeigen, also Fig.
1 für den Stand der Technik und Fig.
3 für eine
erfindungsgemäße Schaltung, führen sie den Fachmann ebenfalls zu der
Interpretation „Hochpass“: Die „Niederfrequenz-Grenzfrequenz-Eigenschaften“ der
Übertragungskennlinie des gemeinsamen Wegs werden durch die
Zeitkonstante
(CR) des aus einem RC-Glied bestehenden Wechselstrom-
Kopplungsabschnitts 50 festgelegt, vgl. S. 3 letzter Abs. bis S. 4 Abs. 1 i. V. m.
S. 3 Abs.
1. In den Blockschaltbildern gemäß Fig. 1 bzw. 3 ist gestrichelt
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angedeutet, dass die Ausgangsgröße des Wechselstrom-Kopplungsabschnitts 50
bzw. 13 die über dem Widerstand R abfallende Spannung ist (diese dient als
Eingangsgröße für die nachfolgende AGC
&
Entzerrerschaltung). Wie dem
Fachmann bekannt ist, wirkt ein derart geschaltetes RC-Glied als Hochpass. Unter
der „Niederfrequenz-Grenzfrequenz“ wäre dann die untere Grenzfrequenz 1/RC
des Hochpasses zu verstehen, die invers zur Zeitkonstante CR ist.
Wie oben ausgeführt, soll die Übertragungskennlinie der auf das Servosignal
wirkenden Entzerrerschaltung in einem niederfrequenten Bereich invers zur
Übertragungskennlinie des gemeinsamen Übertragungswegs sein; dadurch soll
die Verzerrung der niederfrequenten Anteile des Servosignals kompensiert
werden. Wenn die Übertragungskennlinie des gemeinsamen Übertragungswegs
eine Hochpasscharakteristik aufweist, muss somit die Übertragungskennlinie der
Entzerrerschaltung einer Funktion folgen, die im Bereich um die untere
Grenzfrequenz mit wachsender Frequenz betragsmäßig abnimmt.
Im Widerspruch dazu stehen jedoch sämtliche in der Anmeldung mit Hilfe von
Formeln dargestellten Ausführungsbeispiele für Kennlinien einer nur auf das
Servosignal einwirkenden Entzerrerschaltung (8 in Fig. 2 bzw. 20 in Fig. 3), vgl.
die ursprünglichen Ansprüche 2, 3, 4 und 5, die Beschreibung auf S. 9 und 10
sowie die Figuren 4 und 5.
Dort sind folgende Übertragungsfunktionen
E(s) für Entzerrerschaltungen
angegeben:
E(s) = A (s +
ω
) /
ω
(invers
zur
„primären
Übertragungskennlinie“)
oder E(s) = A [s
2
+ (
ω
/Q)s +
ω
2
] /
ω
2
(invers zur „sekundären
Übertragungskennlinie“),
wobei A eine willkürliche Konstante,
ω
eine „Grenzfrequenz-Winkelfrequenz“,
Q ein „Qualitätsfaktor“ (Q = 1/
√2 gemäß S. 10 Z. 15) und s offensichtlich eine
Frequenzvariable ist.
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Diese Funktionen steigen im Widerspruch zum oben Ausgeführten im gesamten
Frequenzbereich mit wachsender Frequenz betragsmäßig an (dies gilt auch für die
zweite Formel, wenn der Qualitätsfaktor Q positiv ist, insbesondere für Q=1/
√2).
Eine Funktion, die einer Übertragungskennlinie des gemeinsamen Übertragungs-
wegs entspricht, muss im niederfrequenten Bereich um die Grenzfrequenz
ω
zu
E(s) invers sein, d.
h. sie muss zwangsläufig im genannten Bereich mit
wachsender Frequenz abnehmen, also dort nicht Hochpass-, sondern
Tiefpasscharakter besitzen.
Eine im gemeinsamen Übertragungsweg anzuordnende Schaltung mit einer derar-
tigen Charakteristik wäre durchaus realisierbar: Sie könnte im primären Fall
(ähnlich wie beim Hochpass) durch ein RC-Glied realisiert werden, dessen
Ausgangsgröße dann nicht die über dem Widerstand R, sondern die über dem
Kondensator C abfallende Spannung ist, vgl. im von der Anmelderin genannten
japanischen Fachbuch die linke Spalte der Tabelle 7.3 auf Seite 96. Durch die in
diesem Buch in Tabelle 7.4 auf Seite 97 angegebene Schaltung wäre auch im
sekundären Fall eine Realisierung möglich.
Die der Anmeldung zu entnehmenden Angaben sind somit bereits widersprüchlich
in Bezug auf die Form der Übertragungskennlinien im gemeinsamen
Übertragungsweg. Der Fachmann kann diese Widersprüche nicht im Rahmen des
ursprünglich Offenbarten klarstellen, auch nicht unter Heranziehung seines
Fachwissens. Es sind zwei verschiedene Interpretationen denkbar, die beide
realisierbar sind, sich jedoch gegenseitig ausschließen. Welcher Interpretation der
Vorzug gegeben werden soll, ist aus den einander widersprechenden
Anmeldeunterlagen nicht ersichtlich.
Somit ist auch nicht klar, welche Form die Übertragungskennlinie der nur auf das
Servosignal einwirkenden, anmeldungsgemäßen Entzerrerschaltung aufweisen
soll, die die im gemeinsamen Übertragungsweg erfolgten Verzerrungen
kompensieren soll. Da in den Anmeldeunterlagen keinerlei Schaltungsdetails für
eine solche Entzerrerschaltung angegeben sind, ist auch auf diesem Weg keine
Klärung möglich.
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Aufgrund der genannten Widersprüche liefert die gesamte Anmeldung keine so
klare und eindeutige Lehre, dass der Fachmann sie ausführen kann (§ 34
Absatz 4 PatG).
Daher ist es auch nicht möglich, aus dem in diesen Unterlagen Offenbarten ge-
währbare Patentansprüche zu bilden, die gemäß § 34 Absatz 3 Satz 3 PatG an-
geben, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll. Dem Antrag der An-
melderin kann somit nicht stattgegeben werden.
Deshalb konnte auch dahingestellt bleiben, dass der Antrag der Anmelderin im
Hinblick auf die Beschreibung („noch anzupassend“) ungenau ist.
Bei dieser Sachlage war die Beschwerde der Anmelderin zurückzuweisen.
Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr war nicht angezeigt. Es ist kein Mangel
im Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt erkennbar.
Insbesondere war eine Verletzung des Rechts auf Äußerung nicht gegeben, da
die Anmelderin auf den dem Zurückweisungsbeschluss zugrunde liegenden
Versagungsgrund bereits im Amtsbescheid vom 3. August 1999 hingewiesen
wurde und sich hierzu äußern konnte.
gez.
Unterschriften