Urteil des BPatG vom 01.06.2004

BPatG: eugh, widerspruchsverfahren, verwechslungsgefahr, wortmarke, werbung, herkunft, papier, verbraucher, inhaber, kennzeichnungskraft

BUNDESPATENTGERICHT
27 W (pat) 6/03
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
BPatG 152
10.99
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betreffend die Marke 399 35 540
hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 1. Ju-
ni 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Schermer sowie den Richter
Schwarz und die Richterin Prietzel-Funk
b e s c h l o s s e n:
1. Die Beschwerde der Widersprechenden zu 2 wird zurückgewie-
sen.
2. Das Verfahren hinsichtlich der Beschwerde der Widersprechen-
den zu 1 ist nach § 82 Abs. 1 MarkenG i.V.m. § 240 Satz 2 ZPO
unterbrochen.
G r ü n d e
I
Gegen die am 23. Dezember 1999 veröffentlichte Eintragung der Wortmarke
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Siempre
für „Bekleidungsstücke, insbesondere Mäntel, Jacken, Kostüme, Röcke, Blusen,
T-Shirts, Tops, Kleider, Overalls, Hosen, Anzüge, Hemden, Strümpfe, Unterwä-
sche, Miederwaren, Dessous, Morgenröcke, Badehosen, Badeanzüge, Bade-
mäntel, Bikini, Strandbekleidung, Halstücher, Strickwaren, Pullover, Strickjacken,
Handschuhe, Schuhwaren, Kopfbedeckungen“ hat Widerspruch eingelegt
1. die Widersprechende zu 1 aus der Wortmarke
SEMPRE
eingetragen am 15. Juli 1994 unter der Nr. 2 071 682 für „Bekleidungsstücke,
Kopfbedeckungen“ sowie
2. die Widersprechende zu 2 aus ihrer Wortbildmarke
eingetragen am 4. Januar 1994 unter der Nr. 2 053 506 ua für „frauenhygienische
Artikel, nämlich Damenbinden, Slipeinlagen, Tampons, Monatshöschen (Klas-
se 16)“
Der Inhaber der angegriffenen Marke hat im Widerspruchsverfahren die rechts-
erhaltende Benutzung beider Widerspruchsmarken bestritten und die Nichtbenut-
zungseinrede hinsichtlich beider Marken auch nach Vorlage eidesstattlicher Versi-
cherungen des Marketingleiters der Inhaberin der Widerspruchsmarke 2 071 682
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und des Geschäftsführers Einkauf International der Widersprechenden zu 2 auf-
rechterhalten.
Die Markenstelle für Klasse 25 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat mit
Beschluss vom 23. Oktober 2002 beide Widersprüche zurückgewiesen, weil eine
rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke 2 071 682 nicht glaubhaft
gemacht worden sei und die Waren, für welche eine Benutzung der Wider-
spruchsmarke 2 053 506 glaubhaft gemacht worden sei, den für die angegriffene
Marke geschützten Waren nicht ähnlich seien. Nach der neueren Rechtsprechung
bestehe bereits ein erheblicher Warenabstand zwischen Miederwaren und hygie-
nischen Artikeln. Erst recht werde der durchschnittlich informierte, aufmerksame
und verständige Verbraucher wegen der grundlegenden Unterschiede in der stoff-
lichen Beschaffenheit und den üblichen Vertriebswegen von Frauenbinden und
Tampons einerseits und Bekleidungsstücken andererseits regelmäßig nicht die
Vorstellung einer Herkunft aus denselben Unternehmen haben, selbst wenn ihm
die Waren unter derselben Kennzeichnung begegneten.
Gegen diesen Beschluss richten sich die Beschwerden beider Widersprechenden,
mit denen sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Stattgabe ihres
Widerspruchs beantragen.
Mit Beschluss vom 27. April 2004 hat das Amtsgericht München eine vorläufige
Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Inhaberin der Widerspruchsmarke
2 071 682 bestellt. Diese hat das Beschwerdeverfahren bislang nicht aufgenom-
men.
Die Widersprechende zu 2 bestreitet, dass die einander gegenüberstehenden Wa-
ren keine Ähnlichkeit aufwiesen. Die Waren „Unterwäsche, Miederwaren, Des-
sous“ der jüngeren Marke seien zu den Waren, für welche die Widerspruchsmarke
2 053 506 benutzt werde, schon deshalb ähnlich, weil diese Waren in der Regel
von denselben Herstellern stammten, ihrer Funktion nach nahe beieinander lägen
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und sich gegenseitig ergänzten sowie im Handel oft nebeneinander präsentiert
und beworben würden. Wegen dieser hochgradigen Warenähnlichkeit und der
Identität der angegriffenen Marke mit der allein von dem Wort „siempre“ geprägten
älteren Marke in klanglicher, schriftbildlicher und begrifflicher Hinsicht sei die
jüngere Marke für die noch als ähnlich anzusehenden Waren zu löschen.
Der Inhaber der angegriffenen Marke hat sich zu den Beschwerden nicht ge-
äußert.
II
A.
Das Verfahren über die Beschwerde der Widersprechenden zu 1 ist nach § 82
Abs. 1 MarkenG i.V.m. § 240 Satz 2 ZPO kraft Gesetzes unterbrochen.
B.
Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden zu 2 erweist sich als nicht
begründet.
Dabei ist davon auszugehen, dass der ursprünglich gegen „alle ähnlichen
und/oder identischen Waren“ eingelegte Widerspruch, der sich nach allgemeiner
Ansicht gegen alle für die angegriffene Marke eingetragene Waren richtet (vgl.
Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl., § 42 Rdn. 61) nicht auf die für die jün-
gere Marke geschützten Waren „Bekleidungsstücke, insbesondere Unterwäsche,
Miederwaren, Dessous“ beschränkt wurde. Zwar hat die Widersprechende zu 2
sowohl im Widerspruchsverfahren als auch im vorliegenden Beschwerdeverfahren
nur zur Ähnlichkeit dieser Waren mit „Binden und Tampons“ vorgetragen, für die
eine Benutzung der Widerspruchsmarke geltend gemacht worden ist, den Wider-
spruch aber nicht ausdrücklich nur auf diese Waren beschränkt. Der Beurteilung
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der Verwechslungsgefahr sind daher alle für die angegriffene Marke eingetrage-
nen Waren zugrundezulegen.
Durch die bereits im Widerspruchsverfahren eingereichten Unterlagen ist eine
rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für die Waren „Flügelbinden
und Tampons“, welche unter den registrierten Oberbegriff „frauenhygienische Arti-
kel, nämlich Damenbinden, Tampons“ fallen, für beide vom 23. Dezember 1994
bis 23. Dezember 1999 und von März 1999 bis März 2004 laufenden Zeiträume
des § 43 Abs. 1 MarkenG glaubhaft gemacht. Der vorgelegten eidesstattlichen
Versicherung des Geschäftsführers der Widersprechenden zu 2 kann dabei ent-
nommen werden, dass in den Jahren 1997 bis 2000 diese Waren in erheblichem
Umfang vertrieben wurden. Aus den eingereichten Kopien der hierbei verwende-
ten Verpackungen ergibt sich auch, dass die Widerspruchsmarke ohne Verände-
rung ihres kennzeichnenden Charakters benutzt worden ist. Soweit der Marken-
inhaber im Widerspruchsverfahren hiergegen eingewandt hatte, die Benutzungs-
form stimme wegen der in den Abbildungen erkennbaren zusätzlichen Worte
„ultradünne Flügelbinde mit Wäscheschutz“ und „18 ULTRA PLUS“ und der
ebenfalls mit enthaltenen Zeichnungen einer Binde bzw. eines Tampons nicht mit
der registrierten Marke überein, kann dem nicht gefolgt werden. Denn hierbei han-
delt es sich nicht um Zusätze, die der Durchschnittsverbraucher als Produktkenn-
zeichnung auffasst; vielmehr wird der überwiegende Teil des Verkehrs diese An-
gaben als bloße Sachbeschreibungen ansehen, wie sie vielfältig üblich sind.
Unter Berücksichtigung der bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr mitein-
ander in Wechselbeziehung stehenden Komponenten der Waren- und Marken-
ähnlichkeit sowie der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke (vgl. EuGH
GRUR 1998, 922, 923 - Canon; MarkenR 1999, 236, 239 - Lloyd/Loints), wobei
ein geringer Grad der Ähnlichkeit der Waren durch einen größeren Grad der Ähn-
lichkeit der Marken ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl.
EuGH GRUR 1998, 387, 389 Tz. 23 f. - Sabèl/Puma; EuGH GRUR 1998, 922, 923
Tz. 16 f. - Canon; BGH GRUR 1999, 241, 243), scheidet eine rechtserhebliche
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Verwechslungsgefahr zwischen beiden Marken wegen der teils erheblichen Ferne
und im übrigen auch von der Widersprechenden nicht in Zweifel gezogenen Un-
ähnlichkeit der Waren aus.
Entgegen der Auffassung der Widersprechenden weisen die Waren, für welche
die Widerspruchsmarke benutzt worden ist, zu den Waren „Bekleidungsstücke,
insbesondere Unterwäsche, Miederwaren, Dessous“, für welche die jüngere
Marke u.a. geschützt ist, wenn überhaupt, allenfalls eine am äußersten Rand lie-
gende Ähnlichkeit auf. Soweit sich die Widersprechende zur Stützung ihrer
gegenteiligen Ansicht auf die Entscheidung des 2b-Beschwerdesenats des Deut-
schen Patentamts vom 1. Oktober 1959 (BlPMZ 1960, 152, 153 – Mira/IRA mit
Anm. Heydt in GRUR 1960, 292 f.) beruft, übersieht sie, dass hierbei die damals
noch üblichen Textil-Damenbinden berücksichtigt wurden, die auch in Textilge-
schäften erhältlich waren; in der Entscheidung wurde aber bereits ausgeführt,
dass trotz des damals bereits überwiegend vollzogenen Übergangs von alten
(Textil-) Monatsbinden auf (Zellstoff-) Binden und des damit einhergehenden
Wechsels ihrer Herstellung von der Textilindustrie auf die Papier und Zellstoff ver-
arbeitende Industrie eine Warengleichartigkeit nur noch wegen der fortdauernden
Vorstellungen der Verbraucher über eine gemeinsame betriebliche Herkunft der
Waren angenommen werde, die nicht zuletzt durch den Vertrieb der Waren in
Textilgeschäften zumindest des ländlichen Bereichs bedingt sein könnten. Für die
heute üblichen frauenhygienischen Artikel aus Papier bzw. Zellstoff ist dagegen
bereits früher Warenungleichartigkeit mit Miederwaren festgestellt worden (vgl.
Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 12. Aufl., S. 234
unter „Miederwaren“ und S. 325 unter „Tampons“ jeweils unter Hinweis auf
27 W (pat) 46/67). Dem steht auch die bloße Behauptung der Widersprechenden
zu 2 nicht entgegen, diese Waren stammten von denselben Herstellern; denn ab-
gesehen davon, dass der Widersprechenden zu 2 eine Konkretisierung dieser Be-
hauptung als Branchenangehöriger ohne weiteres möglich sein müsste, konnte
der Senat Feststellungen für die Richtigkeit dieser Behauptung nicht treffen. Auch
die Widersprechende selbst stellt, wie den von ihr vorgelegten Benutzungsunterla-
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gen entnommen werden kann, keine (Damen-) Unterwäsche her. Nach den Fest-
stellungen des Senats werden diese Waren heute auch nicht mehr typischerweise
in den gleichen Verkaufsstellen angeboten. So haben auch große Textilgeschäfte
und Boutiquen einschließlich der auf (Damen-) Unterwäsche spezialisierten Ge-
schäfte normalerweise keine frauenhygienschen Artikel in ihrem Sortiment. Soweit
in großen Super- und Drogeriemärkten Tampons und Damenbinden einerseits und
(Damen-) Unterwäsche andererseits angeboten werden, erfolgt der Verkauf re-
gelmäßig deutlich getrennt nach Warenarten in unterschiedlichen Abteilungen.
Auch der Behauptung der Widersprechenden, die Waren dienten derselben Funk-
tion, nämlich der Hygiene, vermag der Senat nicht zu folgen. Hygienische Ge-
sichtspunkte stehen bei Tampons und Binden im Vordergrund und werden in der
Werbung dementsprechend besonders herausgestellt. Unterwäsche wird vom
Verkehr dagegen ausschließlich dem Bekleidungsbereich zugeordnet, wobei in-
soweit – wie der Werbung ohne weiteres entnommen werden kann – überwiegend
ästhetische, aber auch funktionale Bedürfnisse (z.B. bei Sportunterwäsche) eine
maßgebende Rolle spielen. Ein Berührungspunkt zwischen den Waren besteht
nur insofern, als Damenbinden meist mit Klebestreifen zum Zweck der Befesti-
gung in Damenslips oder –Unterhosen versehen sind und ebenso wie Tampons in
unmittelbarer räumlicher Beziehung mit derartiger Unterwäsche verwendet wer-
den. Es handelt sich hier aber nicht um das nach der Rechtsprechung zur
Warenähnlichkeit wesentliche Merkmal einer gegenseitigen Ergänzung der Waren
in einem funktionalen Sinn (vgl. EuGH GRUR 1998, 922, 923 [Rn. 23] – Canon),
wie es bei Waren vorliegt, die einander beim Gebrauch ergänzen (vgl. BGH
GRUR 1999, 496 – TIFFANY; BPatGE 38, 1 – Banesto; BPatG MarkenR 2003,
409 – TWIN-LITE) oder traditionell gemeinsam konsumiert werden (vgl. BGH
GRUR 2001, 507, 508 – EVIAN/REVIAN; BGH GRUR 1999, 245, 247 – LIBERO).
Ein solcher funktionaler Bezug besteht nach Auffassung der angesprochenen Ver-
kehrskreise aber zwischen Damenbinden und Tampons einerseits und Unterwä-
sche, nämlich Slips und Unterhosen andererseits nicht, weil die beiden Produkt-
gruppen sowohl in der Werbung stets getrennt voneinander angeboten und dar-
gestellt werden als auch – wie bereits ausgeführt – keine sonstigen Übereinstim-
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mungen in Beschaffenheit, Bestimmungszweck, Herstellungs- und Vertriebsstät-
ten bestehen.
Selbst wenn im übrigen die gemeinsame Verwendung der Waren durch dieselben
Verbraucherkreise noch die Annahme einer Warenähnlichkeit rechtfertigen
könnte, ist diese als so gering einzustufen, dass in Wechselwirkung dazu allenfalls
bei Identität der Marken und erhöhter Kennzeichnungskraft der Widerspruchs-
marke eine Verwechslungsgefahr angenommen werden könnte. Diese Vorausset-
zungen liegen aber nicht vor, denn die angegriffene Wortmarke unterscheidet sich
im Gesamteindruck deutlich von der bildlich ausgestalteten Widerspruchsmarke.
Allein die klangliche Identität der Markenwörter reicht in Anbetracht der Ferne der
Waren nicht aus, um eine noch erhebliche Gefahr verwechslungsbegründender
Begegnungen der Marken im Geschäftsverkehr annehmen zu können.
Da die Markenstelle dem Widerspruch somit zu Recht den Erfolg versagt hat, war
die hiergegen gerichtete Beschwerde der Widersprechenden zu 2 zurückzuwei-
sen.
Es sind keine Gründe ersichtlich, von dem Grundsatz des § 71 Abs 1 Satz 2 Mar-
kenG abzuweichen, dass jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt.
Dr. Schermer
Prietzel-Funk
Schwarz
Na