Urteil des BPatG vom 28.03.2006

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BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 4/05 (EU)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
28. März 2006
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das europäische Patent 0
(DE
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 28. März 2006 unter Mitwirkung …
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des am 1. Februar 1997 unter Inanspruch-
nahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung DE 196 11 397 vom
22. März 1996 angemeldeten und u. a. mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bun-
desrepublik Deutschland erteilten europäischen Patentes EP 0 796 950 (Streitpa-
tent), das vom Deutschen Patent- und
Markenamt unter der Nummer
DE 597 01 460 geführt wird. Das Streitpatent betrifft „Verfahren und Vorrichtung
zum Auswechseln eines in eine Asphaltdecke eingelassenen Rahmens einer
Schachtabdeckung“ und umfasst nach der Streitpatentschrift (EP 0 796 950 B1)
4 Patentansprüche, von denen der mit der vorliegenden Nichtigkeitsklage allein
angegriffene Patentanspruch 1 wie folgt lautet:
- 3 -
„1. Verfahren zum Auswechseln eines in eine Asphaltdecke ein-
gelassenen Rahmens (7) einer Schachtabdeckung, wobei ho-
rizontal verfahrbare Spreizarme 6) einer Hebeeinrichtung (5)
bis in Höhe einer Mörtelfuge, auf der der Rahmen (7) aufliegt,
gebracht und dann mit ihren keilförmigen, horizontalen Schen-
keln unter den Rahmen (7) in die Mörtelfuge gedrückt werden,
danach ein konzentrisch außenseitig des Rahmens (7) verlau-
fender, sich in seiner Tiefe zumindest bis zur Unterkante des
Rahmens (7) erstreckender Schlitz eingefräst wird, anschlie-
ßend der Rahmen (7) mittels der Hebeeinrichtung (5) ausge-
hoben, ein neuer Rahmen (7) eingesetzt und der Schlitz ver-
gossen wird.“
Der Kläger macht geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil dessen Ge-
genstand - soweit angegriffen - nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Zur Be-
gründung bezieht sich der Kläger auf folgende Dokumente:
Anlage Ni 5: WO 94 / 06966 A1,
Anlage Ni 6: DE 73 43 325 U1,
Anlage Ni 7: US 4 924 951,
Anlage Ni 8: CH 665 863
Anlage Ni 10: Urteil des LG Düsseldorf vom 20. Januar 2005
(Az: 4b O 16/04)
Anlage Ni 11: DE 1 229 265.
Der Kläger macht weiterhin eine offenkundige Vorbenutzung des Gegenstandes
des Streitpatents geltend und beruft sich insoweit auf folgende Unterlagen:
Anlage Ni 2: Prospektblatt „Beck’s Schacht-Markierungs- und
Kantenfräse“,
Anlage Ni 3: Prospektblatt „Beck’s Schacht-Rahmenheber“,
Anlage Ni 4: Bestätigungsschreiben der Firma Beck GmbH.
- 4 -
Der Kläger beantragt,
das europäische Patent 0
796
950 bezüglich des Patentan-
spruchs 1 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik
Deutschland für nichtig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise verteidigt er das Streitpatent mit dem Patentanspruch 1
gemäß dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsan-
trag I, weiterhin hilfsweise mit dem Patentanspruch 1 gemäß dem
in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsantrag II und be-
antragt insoweit Klageabweisung.
Er tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen und hält das Streitpatent in dem an-
gegriffenen und verteidigten Umfang für patentfähig.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit steht
dem Streitpatent, soweit mit der vorliegenden Nichtigkeitsklage angegriffen, nicht
entgegen, Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 52, 54,
56 EPÜ.
- 5 -
I
1.
wechseln eines in eine Asphaltdecke eingelassenen Rahmens einer Schachtabde-
ckung (Streitpatentschrift Abs.
0001). Ein solches Verfahren sei aus der
US A 4 924 951 bekannt (Streitpatentschrift Abs. 0002). Des Weiteren sei es be-
kannt, Rahmen hauptsächlich durch druckluftbetriebene Werkzeuge aus ihrem
Verbund mit der Asphaltdecke zu lösen und manuell auszubauen (Streitpatent-
schrift Abs. 0003). Da hierdurch keine halbwegs genaue Arbeitsweise möglich sei,
komme es zu unkontrollierten Ausbrechungen der Asphaltdecke, die eine an-
schließende aufwendige Reparatur notwendig machten (Streitpatentschrift
Abs. 0004). All dies sei mit einem erheblichen Kostenaufwand verbunden, der sich
zum einen aus der erforderlichen Arbeitsintensität und zum anderen aus einem
über Gebühr hohen Materialeinsatz ergebe (Streitpatentschrift Abs. 0006).
2
liegende Aufgabe darin, ein Verfahren zu schaffen, das weitgehend automatisier-
bar ist und ein Auswechseln des Rahmens ohne wesentliche Nacharbeit bzw. Vor-
bereitung der Baustelle möglich ist (Streitpatentschrift Abs. 0007).
3
1.
Rahmens einer Schachtabdeckung mit folgenden Verfahrensschritten:
2.
Höhe einer Mörtelfuge, auf der der Rahmen aufliegt, gebracht;
3.
gen, horizontalen Schenkeln unter den Rahmen in die Mörtelfuge ge-
drückt;
- 6 -
4.
sich in seiner Tiefe zumindest bis zur Unterkante des Rahmens erstre-
ckender Schlitz eingefräst;
5.
ein neuer Rahmen eingesetzt und der Schlitz vergossen.
II
1. Das Verfahren nach Patentanspruch 1 ist gegenüber dem angeführten Stand
der Technik patentfähig.
1.1 Das zweifellos gewerblich anwendbare Verfahren nach dem Patentanspruch 1
ist neu, wie von der Klägerseite auch nicht bestritten wurde. Keine der aufgegriffe-
nen Entgegenhaltungen bzw. behaupteten Vorbenutzungen offenbart nämlich ein
Verfahren mit sämtlichen Merkmalen des Patentanspruchs 1 und schon gar nicht
deren zeitliche Abfolge.
1.2 Das angegriffene Verfahren beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Wie von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt
wurde, ist ein entscheidender Aspekt der patentierten Lehre hinsichtlich der Lö-
sung der zugrundeliegenden Aufgabe in der speziellen Reihenfolge der im Patent-
anspruch 1 angegebenen Verfahrensschritte (Merkmale 2 bis 5) zu sehen, welche
es ermöglicht, das Auswechseln eines in eine Asphaltdecke eingelassenen Rah-
mens einer Schachtabdeckung quasi in einem Zug und unter weitgehender Scho-
nung der umgebenden Asphaltdecke durchzuführen. Hierbei werden die horizontal
verfahrbaren und bis in die Höhe einer Mörtelfuge, auf der der Rahmen aufliegt,
gebrachten Spreizarme einer Hebeeinrichtung zunächst nur mit ihren keilförmigen
horizontalen Schenkeln unter den Rahmen der Mörtelfuge gedrückt, was für den
Fachmann erkennbar auch dem Zweck der Zentrierung der Hebeeinrichtung dient,
ohne die Verbindung zur Mörtelschicht bereits zu lösen und damit unkontrollierte
- 7 -
Beschädigungen der Asphaltdecke hervorzurufen. Die Verbindung zur Mörtel-
schicht wird erst nach dem Einfräsen eines konzentrischen, sich zumindest bis zur
Unterkante des Rahmens erstreckenden Schlitzes gelöst, was dann im Wesentli-
chen ohne Beeinträchtigung dieser eine Auflage bildenden Schicht erfolgen kann
(Streitpatentschrift Abs. 0040).
Bereits von daher können die zum Stand der Technik in Betracht gezogenen
Druckschriften nicht ohne erfinderisches Zutun zu dem angegriffenen Verfahren
führen. Denn während sich die Druckschriften Ni 5 und Ni 7 mit dem Freifräsen ei-
nes Schachtdeckels o. dgl. befassen, der nicht materialschlüssig (etwa über eine
Mörtelschicht) mit darunter liegenden Schachtteilen verbunden ist, zeigen Ni 6,
Ni 8 und Ni 11 Vorrichtungen bzw. Verfahren zum Untergreifen und Anheben von
Schachtringen ohne eine Möglichkeit zum Aufschneiden oder Fräsen des umge-
benden Straßenbelags. Der zuständige Fachmann, ein Bauingenieur mit Berufser-
fahrung im Bereich Tiefbau, hätte somit, um zum Gegenstand des Patentan-
spruchs 1 zu gelangen, die aus jeweils einer das Untergreifen und Anheben be-
treffenden Entgegenhaltung (Ni 6, Ni 8 oder Ni 11) bekannten Verfahrensschritte
mit solchen aus einer der sich mit dem Ausfräsen der Asphaltdecke beschäftigen-
den Druckschriften (Ni 5 oder Ni 7) kombinieren müssen, und zwar in der richti-
gen, die Vorteile des angegriffenen Verfahrens, schaffenden zeitlichen Reihenfol-
ge.
Zu diesem Schritt fehlt aber im gesamten druckschriftlich aufgezeigten Stand der
Technik jeglicher Hinweis; vielmehr gibt jede der Entgegenhaltungen eine in sich
abgeschlossene Lehre zur Erfüllung der jeweils gestellten Aufgabe, ohne dass
sich darin Anhaltspunkte erkennen ließen, welche eine Ausweitung des offenbar-
ten Verfahrens auf weitere Arbeitsschritte nahelegten.
Dass es entgegen den Ausführungen des Klägers bei dem vorliegenden Verfahren
sehr wohl auf die einzuhaltende zeitliche Abfolge der einzelnen Verfahrensschritte
ankommt, wird durch entsprechende Angaben wie „und dann“, „danach“ und „an-
schließend“ im Anspruchswortlaut selbst gestützt.
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Im Übrigen wird der Fachmann die Ni 6, Ni 8 und Ni 11 auch deswegen zur Lö-
sung der zugrunde liegenden Problemstellung nicht heranziehen, weil dort von ei-
ner anderen Zielsetzung ausgegangen wird, nämlich einen Schachtring bzw. -rah-
men lediglich anzuheben, um diesen nach erfolgter Höhenanpassung durch eine
entsprechende Unterfütterung wieder abzusenken. Zum kompletten Ausheben des
Schachtteils mit dem Ziel, dieses auszuwechseln, sind die dort gezeigten Vorrich-
tungen nicht geeignet. Somit kann von diesem Stand der Technik auch keine
Anregung dazu ausgehen, ein Verfahren zum Ausfräsen der Asphaltdecke um ei-
nen Schachtdeckel durch geeignete Maßnahmen zum Ausheben und Einsetzen
eines Schachtrahmens zu ergänzen.
Noch weiter ab vom Patentgegenstand liegt der in den behaupteten Vorbenutzun-
gen nach Ni 2 und Ni 3 - deren Offenkundigkeit als gegeben unterstellt - offenbarte
Stand der Technik.
So zeigt Ni 2 eine „Schacht-Markierungs- und Kantenfräse“, welche ausweislich
der dort angegebenen Daten lediglich dazu geeignet ist, Spuren mit einer maxima-
len Tiefe von 4,5 m rund um einen Schachtdeckel zu fräsen. Ein Schlitzfräsen zum
Freilegen eines Schachtrahmens i. S. der patentierten Lehre ist damit nicht mög-
lich.
In Ni 3 ist ein „Schachtrahmenheber“ beschrieben, welcher zwar auch ein Aushe-
ben eines Schachtrahmens ermöglicht, jedoch keinerlei Hinweis auf einen kombi-
nierten Einsatz mit einer Schlitzfräse enthält.
Auch die behaupteten Vorbenutzungen stehen somit der Patentfähigkeit des an-
gegriffenen Verfahrens nicht entgegen, so dass der Frage ihrer Offenkundigkeit,
insbesondere der Frage, ob sich das Bestätigungsschreiben der Beck GmbH
(Ni 4) auf die in der Ni 2 gezeigte „Schacht-Markierungs- und Kantenfräse bezieht
oder auf eine Fräse zum Freifräsen des Schachtrahmens, nicht nachgegangen
werden musste.
- 9 -
Der angegriffene Patentanspruch 1 ist daher bestandsfähig.
2. Da dem Hauptantrag des Beklagten stattgegeben wurde, brauchte auf die
Hilfsanträge nicht eingegangen zu werden.
III
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m.
§ 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
gez.
Unterschriften