Urteil des BPatG vom 16.07.2009

BPatG: stand der technik, fig, gebäude, patentanspruch, ausnahme, form, erfahrung, gefahr, gehalt, vollstreckbarkeit

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
5 Ni 90/09 (EU)
hinzuverbunden
5 Ni 115/09 (EU)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
16. Juli 2009
In der Patentnichtigkeitssache
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betreffend das europäische Patent 0 715 672
(DE 694 34 331)
hat der 5. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2009 durch die Richterin Schuster sowie die
Richter Gutermuth, Dipl.-Ing. Schneider, Dipl.-Ing. Hildebrandt und Dipl.-Ing. Küest
für Recht erkannt:
1. Das europäische Patent 0 715 672 wird mit Wirkung für das Ho-
heitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Pa-
tentansprüche 1 bis 8, 12 und des Patentanspruchs 15, soweit
dieser auf einen oder mehrere der Patentansprüche 1 bis 8 und
12 rückbezogen ist, für nichtig erklärt.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des am 30. August 1994 unter Inanspruch-
nahme der Priorität der australischen Anmeldung AU PM092193 vom
30. August 1993 angemeldeten und u. a. mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der
Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patentes EP 0 715 672
(Streitpatent), dessen deutscher Teil vom Deutschen Patent- und Markenamt un-
ter der Nummer DE 694 34 331 T2 geführt wird. Das in der Verfahrenssprache
Englisch veröffentlichte Streitpatent betrifft eine "Baustellenplattform" und umfasst
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nach der Streitpatentschrift (EP 0 715 672 B1) 17 Patentansprüche. Die Patentan-
sprüche 1 bis 8, 12 und 15 haben in der deutschen Übersetzung
DE 694 34 331 T2 der Streitpatentschrift folgenden Wortlaut:
1.
Baustellenplattform, umfassend eine feststehende Tragkon-
struktion (102, 107), die dafür ausgelegt ist, an einer Decke ei-
nes im Bau befindlichen Gebäudes ortsfest befestigt zu wer-
den, ein Aufnahmedeck (103) mit einer äußersten Kante, das
von der Tragkonstruktion getragen wird und hin sowie wieder
zurück bewegt werden kann, und zwar indem es waagerecht
zwischen mindestens einer Innenendposition und mindestens
einer Außenendposition relativ zu dem Gebäude verschoben
wird, und Sicherheitsabsperrmittel (104, 105), die sich mit dem
Deck bewegen lassen und sich längs dessen äußerster Kante
erstrecken, gekennzeichnet durch Feststellmittel (112; 126,
127, 128; 142), die dazu dienen, das Deck (103) in mindes-
tens einer Außenendposition lösbar zu verriegeln.
2.
Baustellenplattform nach Anspruch 1, die außerdem Antriebs-
mittel (108, 118, 119) umfasst, um das Deck zwischen den ge-
nannten Positionen zu verschieben.
3.
Baustellenplattform nach Anspruch 1 oder Anspruch 2, bei der
die feststehende Tragkonstruktion (102) zwei im Wesentlichen
parallele, quer mit einem Zwischenraum angeordnete Füh-
rungsträger (102) und zwei Paare von in der Länge einstellba-
ren Streben (107) umfasst, die jeweils mit den Führungsträ-
gern verbunden sind.
4.
Baustellenplattform nach einem der vorhergehenden Ansprü-
che, bei der die Sicherheitsabsperrmittel mindestens zwei sich
längs der Seitenkanten des Decks (103) erstreckende Absper-
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rungen (104) und mindestens ein sich längs einer Endkante
des Decks erstreckendes Tor (105) umfassen.
5.
Baustellenplattform nach Anspruch 3, bei der sich das beweg-
liche Deck (200) als selbsttragender Ausleger (200) erstrecken
kann, wenn es in der Außenendposition ist, und Seitenkanten-
ränder aufweist, die jeweils mit den Führungsträgern in Eingriff
stehen.
6.
Baustellenplattform nach Anspruch 5, bei der jeder Seitenkan-
tenrand des beweglichen Decks einen Deckträger (304) um-
fasst, der innerhalb eines Kanals eingebettet ist und sich in
Längsrichtung längs zu diesem bewegen lässt, wobei der Ka-
nal durch jeweils einen der Führungsträger (302) definiert ist,
und wobei ein Deckboden (301) von den Deckträgern getra-
gen wird und sich zwischen ihnen erstreckt.
7.
Baustellenplattform nach Anspruch 5 oder Anspruch 6, bei der
sich die feststehenden Tragmittel (201) gänzlich innerhalb des
Gebäudes befinden.
8.
Baustellenplattform nach einem der vorhergehenden Ansprü-
che, die außerdem Sicherungsmittel (403, 404) umfasst, um
die Längsbewegung des beweglichen Decks (400) relativ zur
Tragkonstruktion (401) zu ermöglichen, aber die Trennung des
beweglichen Decks (400) von der Tragkonstruktion (401) zu
verhindern.
12. Baustellenplattform nach Anspruch 2, bei der die Antriebsmit-
tel einen Antriebsmotor (108, 208) umfassen.
- 5 -
15. Baustellenplattform nach einem der vorhergehenden Ansprü-
che, die außerdem manuell aufrichtbare Verstrebungsmit-
tel (129) umfasst, die die Tragkonstruktion (102) und das be-
wegliche Deck (103) versteifen, wenn das Deck in der Außen-
endposition ist.
Die Klägerinnen machen geltend, die Gegenstände der angegriffenen Ansprüche
des Streitpatents seien nicht patentfähig, da sie sich für den Fachmann in nahelie-
gender Weise aus dem Stand der Technik ergäben.
Sie berufen sich hierzu auf das Fachwissen des Fachmannes und folgende vor-
veröffentlichte Druckschriften:
Anlage KSB8:
AU 63 026/90
Anlage KSB9:
GB 759 187
Anlage KSB10: FR 1 528 135
Anlage KSB11: US 4 444 289
Anlage KSB12: EP 0 226 169.
Die Klägerinnen beantragen,
das europäische Patent 0 715 672 mit Wirkung für das Hoheitsge-
biet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentan-
sprüche 1 bis 8, 12 und des Patentanspruchs 15, soweit dieser auf
einen oder mehrere der Patentansprüche 1 bis 8 und 12 rückbezo-
gen ist, für nichtig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Er verteidigt das Streitpatent hilfsweise mit den in der Verhandlung überreichten
Fassungen des Patentanspruchs 1 (Hilfsanträge 1 und 2).
Bei Hilfsantrag 1 ist an Patentanspruch 1 angefügt:
"…, and wherein the entirety of an outbooard portion of the con-
struction platform is retractable inwardly."
Bei Hilfsantrag 2 ist an Patentanspruch 1 angefügt:
"…, and wherein the entirety of an outbooard position of the con-
struction platform is retractable inwardly to an inboard position."
Er tritt den Ausführungen der Klägerinnen in allen Punkten entgegen und hält den
Gegenstand des Streitpatents im angegriffenen Umfang für patentfähig, zumindest
in einer der beschränkten Fassungen, wobei die Unteransprüche von dem schutz-
fähigen Anspruch 1 getragen würden.
Zur Stützung seines Vorbringens übergibt er eine "Decision of a delegate of the
commissioner of patents" des australischen Patentamts (Patent Application
No. 680683).
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten
Schriftsätze und vorgelegten Unterlagen verwiesen. Die beiden Klagen vom
19. November 2007 (5 Ni 90/09 (EU)) und 15. April 2009 (5 Ni 115/09 (EU)) wur-
den mit Beschluss vom 4. Juni 2009 zur gleichzeitigen Verhandlung und Entschei-
dung verbunden.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klagen, mit denen der in Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Ab-
satz 1 lit a EPÜ i. V. m. Artikel 54 Absatz 1, 2 und Artikel 56 EPÜ vorgesehene
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Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, sind zu-
lässig und begründet.
I.
Das Streitpatent betrifft eine Baustellenplattform. Derartige Plattformen werden
z. B. bei einem im Bau befindlichen Gebäude von mehreren Stockwerken benötigt,
um die Zulieferung bzw. Beseitigung von Materialien zu erleichtern.
Gemäß den Ausführungen in der Streitpatentschrift umfassen frühere bekannte
einziehbare Plattformdecks im Allgemeinen semipermanente Tragbalken der Art,
wie sie für herkömmliche, unbewegliche Bodenplattformen verwendet werden, so-
wie ein von diesen Balken getragenes, horizontal bewegliches Aufnahmedeck. Je-
doch wurden die bereits bekannten Konstruktionen beweglicher Decks weithin als
instabil und daher unsicher erachtet und haben daher in der Praxis keine Anwen-
dung gefunden. Bei einigen Bauverfahren, insbesondere solchen mit Schwingge-
rüsten oder mechanischen Gerüstplattformen, die an Türmen auf- und absteigen,
waren die außen liegenden Teile der die Decks tragenden Balken hinderlich und
unerwünscht.
Davon ausgehend liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, eine Bauplattform
bereit zu stellen, die eines oder mehrere der oben genannten Defizite der früher
vorgeschlagenen Plattformen beseitigt oder zumindest vermindert.
Gelöst wird diese Aufgabe durch den erteilten Patentanspruch 1, der in geglieder-
ter Form folgende Fassung hat:
"Baustellenplattform, umfassend
1.
eine feststehende Tragkonstruktion (102, 107),
die dafür ausgelegt ist, an einer Decke eines im Bau befindli-
chen Gebäudes ortsfest befestigt zu werden,
2.
ein Aufnahmedeck (103) mit einer äußersten Kante,
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2.1
das von der Tragkonstruktion getragen wird,
2.2
das zwischen mindestens einer Innenendposition und min-
destens einer Außenendposition relativ zu dem Gebäude
waagrecht hin und zurück verschiebbar ist.
3.
Sicherheitsabsperrmittel (104, 105)
3.1
die sich mit dem Aufnahmedeck (103) bewegen lassen,
3.2
die sich längs der äußersten Kante des Aufnahme-
decks (103) erstrecken,
4.
Feststellmittel (112; 126, 127, 128; 142),
die dazu dienen, das Aufnahmedeck (103) in mindestens ei-
ner Außenendposition lösbar zu verriegeln.
Die Unteransprüche haben vorteilhafte Weiterbildungen der Baustellenplattform
zum Inhalt.
II.
1. Zur erteilten Fassung des Streitpatents
Es mag dahinstehen, ob der Gegenstand nach dem erteilten Patentanspruch 1
des Streitpatents neu ist, er ist zumindest nicht das Ergebnis einer erfinderischen
Tätigkeit. Nach dem Verständnis des Fachmanns, der hier in Übereinstimmung mit
den Parteien als Fachhochschulingenieur des Maschinenbaus mit mehrjähriger
Erfahrung in der Konstruktion von Baugeräten und Bauzubehör anzusehen ist, ist
die Baustellenplattform nach Anspruch 1 durch den Gegenstand der australischen
Anmeldeschrift AU 63 026/90 in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen na-
he gelegt.
Aus der AU 63 026/90 ist eine Bausstellenplattform bekannt, die mit Ausnahme
der Feststellmittel (Merkmal 4) alle Merkmale nach Anspruch 1 des Streitpatents
aufweist. Die Baustellenplattform nach der AU 63 026/90 (dort S. 1A, z. 2 und 3)
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umfasst also - in Bezug gesetzt zu den Merkmalen des Anspruchs 1 des Streitpa-
tents -
1.
eine feststehende Tragkonstruktion 94 (Fig. 40), die dafür aus-
gelegt ist, an einer Decke eines im Bau befindlichen Gebäu-
des ortsfest befestigt zu werden (S. 10, Z. 14 bis 18 i. V. m.
S. 8, Z. 20 bis 23 und Fig. 19),
2.
ein Aufnahmedeck 95 (Fig. 40) mit einer äußersten Kante,
2.1 das von der Tragkonstruktion 94 getragen wird (S. 10, Z. 19
bis 21)
2.2 das zwischen mindestens einer Innenendposition und mindes-
tens einer Außenendposition relativ zu dem Gebäude waag-
recht hin und zurück verschiebbar ist (S. 10, Z. 19 bis 21,
Fig. 40),
3.
Sicherheitsabsperrmittel 47 (Fig. 32, S. 8 Z. 14 bis 16)
3.1 die sich mit dem Aufnahmedeck 95 bewegen lassen (Fig. 40),
3.2 die sich längs der äußersten Kante des Aufnahmedecks 95 er-
strecken (Fig. 40).
Die anders lautenden Ausführungen des Beklagten, die Merkmale 1, 3 ,3.1 und
3.2 seien bei der Baustellenplattform nach der AU 63 026/90 nicht verwirklicht,
vermögen nicht zu überzeugen.
Gemäß Merkmal 1 soll die feststehende Tragkonstruktion dafür ausgelegt sein, an
einer Decke eines im Bau befindlichen Gebäudes ortsfest befestigt zu werden.
Wie der Beschreibung der AU 63 026/90 S. 10, Z. 16 bis 18 zu entnehmen ist,
kann die Tragkonstruktion 94 bei Bedarf mit sog. "props" in Position gehalten wer-
den. Was unter "props" zu verstehen ist, ergibt sich aus S. 8, Z. 20 bis 22 und
Fig. 19, nämlich Stützen 43, 44 mit höhenverstellbaren Stempeln 35. Bei Verwen-
dung dieser Stützen ergibt sich somit eine feststehende Tragkonstruktion, die da-
für ausgelegt ist, an einer Decke eines im Bau befindlichen Gebäudes ortsfest be-
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festigt zu werden, wie es auch im Merkmal 1 des erteilten Anspruchs 1 bean-
sprucht ist.
Die Merkmale 3, 3.1 und 3.2, wonach Sicherheitsabsperrmittel vorgesehen sind,
die sich mit dem Aufnahmedeck bewegen lassen und sich längs der äußersten
Kante des Aufnahmedecke erstrecken, gehen eindeutig aus Fig. 40 der
AU 63 026/90 hervor.
Als Unterschied zu der Baustellenplattform nach der AU 63 026/90 verbleibt aus-
schließlich das Merkmal 4:
Feststellmittel, die dazu dienen, das Aufnahmedeck in mindestens
einer Außenendposition lösbar zu verriegeln.
In der AU 63 026/90 ist keinerlei Aussage über derartige Feststellmittel gemacht
worden. Für den Fachmann ist es jedoch gerade bei Konstruktionen auf einer
Baustelle selbstverständlich, Unfallgefahren zu erkennen und Vorrichtungen so zu
gestalten, dass Unfälle vermieden werden. Aus fachmännischer Sicht ist es des-
halb nahe liegend, wenn nicht sogar erforderlich, an der Baustellenplattform ent-
sprechende Feststellmittel vorzusehen, welche eine unkontrollierte Bewegung des
Aufnahmedecks verhindern. Ein unkontrolliertes Bewegen und Sich-Verschieben
des Aufnahmedecks würde nämlich eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der
Bauarbeiter darstellen. Deswegen wird ein Fachmann das Vorhandensein von
Feststellmitteln als ganz selbstverständlich erachten und deren Notwendigkeit au-
tomatisch beim Studium der AU 63 026/90 mitlesen, selbst wenn diese Feststell-
mittel dort nicht ausdrücklich erwähnt sind.
Lediglich beispielhaft für das Wissen und die Kenntnisse des Fachmannes sei in
diesem Zusammenhang auf die GB 759 187 verwiesen, die eine Baustellenplatt-
form (S. 1, Z. 9 bis 14) zeigt, bei der ein Aufnahmedeck 68 vorgesehen ist, das ge-
genüber einer Tragkonstruktion 47 verschoben werden kann (S. 3, Z. 52 bis 68).
Weiterhin ist ein Feststellmittel 77 vorgesehen, welches das Aufnahmedeck 68 in
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einer beliebigen Position - und damit auch in einer Außenendposition - verriegeln
kann (S. 3, Z. 66 bis 68).
2. Zu den Hilfsanträgen 1 und 2
a) Die Patentansprüche gemäß den Hilfsanträgen sind zulässig.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 ergibt sich aus dem
erteilten Patentanspruch 1 i. V. m. Sp. 10, Z. 4 bis 8 der Streitpatentschrift. Der
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ergibt sich aus dem erteilten Patentan-
spruch 1 i. V. m. Sp. 2, Z. 15 bis 19 der Streitpatentschrift. Die Unteransprüche
entsprechen den Unteransprüchen gemäß Hauptantrag.
Die Zulässigkeit des Patentanspruchs gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 ist von
den Klägerinnen bestritten worden. Die hinzugefügten Merkmale sind jedoch so-
wohl ursprünglich als auch in der Streitpatentschrift offenbart und beinhalten ent-
gegen der Auffassung der Klägerinnen auch gegenständliche Merkmale, welche
eine spezielle konstruktive Ausgestaltung des Baustellenplattform bedingen.
b) Der Gegenstand nach Hilfsantrag 1 bzw. 2 ist zumindest nicht das Ergebnis er-
finderischer Tätigkeit.
Wie bereits oben ausgeführt, ist eine Baustellenplattform nach der erteilten Fas-
sung des Streitpatents durch die in der AU 63 026/90 offenbarte Baustellenplatt-
form in Verbindung mit dem Wissen des Fachmanns zur Unfallverhütung nahe ge-
legt.
Von dieser bekannten Baustellenplattform unterscheidet sich die Baustellenplatt-
form nach den Hilfsanträgen 1 bzw. 2 dadurch, dass der außen befindliche Teil
der Plattform teilweise (Hilfsantrag 1) oder ganz (Hilfsantrag 2) in das Gebäude
zurückgezogen werden kann.
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Eine Baustellenplattform, die über die Gebäudefront hinausragt, kann Arbeiten an
anderen Teilen des Gebäudes behindern, insbesondere an übereinander liegen-
den Stockwerken. Wenn der Fachmann sonach ausgehend von der Baustellen-
plattform nach der AU 63 026/90 vor der Aufgabe steht, eine derartige Baustellen-
plattform so weiterzubilden, dass keine Teile der Baustellenplattform über die
Front des Gebäudes überstehen, so wird er sich im einschlägigen Stand der Tech-
nik umsehen und dabei auf die FR 1 528 135 stoßen. Diese Druckschrift offenbart
bereits eine Baustellenplattform, umfassend eine feststehende Tragkonstruktion 1,
2, 3, die dafür ausgelegt ist, an einer Decke eines im Bau befindlichen Gebäudes
ortsfest befestigt zu werden (Fig. 5 bis 8), ein Aufnahmedeck 4 mit einer äußers-
ten Kante, das von der Tragkonstruktion 1, 2, 3 getragen wird und hin sowie wie-
der zurück bewegt werden kann, und zwar indem es zwischen mindestens einer
Innenendposition und mindestens einer Außenendposition relativ zu dem Gebäu-
de verschoben wird. Diese bekannte Baustellenplattform zeichnet sich darüber
hinaus auch noch dadurch aus, dass der außen befindliche Teil der Plattform ganz
in das Gebäude zurückgezogen werden kann (vgl. Fig. 5 bis 8).
Wenn der Fachmann diese Lehre auf eine Baustellenplattform nach der
AU 63 026/90 überträgt, gelangt er auf direktem Wege und ohne Schwierigkeiten
zu einer Baustellenplattform nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2. Eine
derartige Übertragung hat auch nahe gelegen, da dem Fachmann bereits allein
durch eine Betrachtung der Figuren der FR 1 528 135 die nunmehr beanspruchte
Ausgestaltung als Lösung der Aufgabe, ein Überstehen über die Gebäudefront zu
verhindern, ins Auge fällt.
Die Patentansprüche 1 gemäß Hilfsantrag 1 und 2 unterscheiden sich lediglich da-
durch, dass die Plattform gemäß Hilfsantrag 2 ganz, gemäß Hilfsantrag 1 dagegen
nur teilweise in das Gebäude zurück gezogen werden soll.
Wenn aber - wie oben ausgeführt - ein vollständiges Zurückziehen der Plattform
durch den nachgewiesenen Stand der Technik nahe gelegt ist, so gilt dies auch für
ein nur teilweises Zurückziehen der Plattform, da es im Belieben des Fachmannes
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liegt, ob er die Plattform ganz oder nur teilweise in das Gebäude zurückziehen
möchte.
Der Patentanspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 ist somit nicht gewährbar.
3. Hinsichtlich der angegriffenen Unteransprüche 2 bis 8, 12 und 15 in der erteilten
sowie in den hilfsweise beanspruchten Fassungen, die der Beklagte wegen der
nach seiner Auffassung bestehenden Schutzfähigkeit des Gegenstands nach An-
spruch 1 ebenfalls für schutzfähig hält, ist ein eigenständiger erfinderischer Gehalt
nicht ersichtlich (BGH Urt. v. 12. Dezember 2006 - X ZR 131/02, GRUR 2007, 309
- Schussfädentransport).
III.
Als Unterlegener hat der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 84
Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs. 1 PatG, 709 ZPO.
Schuster
Gutermuth
Schneider
Hildebrandt
Küest
Pü/Cl/Pü