Urteil des BPatG vom 09.07.2003

BPatG: telekommunikation, beschreibende angabe, ältere marke, kennzeichnungskraft, verwechslungsgefahr, internet, datenverarbeitung, werbung, gesamteindruck, verkehr

BPatG 154
6.70
BUNDESPATENTGERICHT
29 W (pat) 183/02
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
9. Juli 2003
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
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betreffend die Marke 300 16 313
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die
mündliche Verhandlung vom 9. Juli 2003 unter Mitwirkung der Vorsitzenden
Richterin Grabrucker, der Richterin Pagenberg sowie des Richters Voit
beschlossen:
1.
Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 3. Juli 2002 wird aufgehoben.
2.
Die Marke 300 16 313 wird wegen des Widerspruchs aus der
Marke 399 01 808 für alle Waren und Dienstleistungen mit Aus-
nahme der Ware "Büroartikel (ausgenommen Möbel)" antrags-
gemäß gelöscht.
G r ü n d e
I
Gegen die Eintragung der Bildmarke 300 16 313
siehe Abb. 1 am Ende
- 3 -
mit dem Waren- und Dienstleistungsverzeichnis
09:
Elektrische, elektronische, optische, Mess-, Signal-, Kontroll-
oder Unterrichtsapparate und –instrumente (soweit in
Klasse 9 enthalten); Apparate zur Aufzeichnung, Übertra-
gung, Verarbeitung und Wiedergabe von Ton, Bild oder Da-
ten; maschinenlesbare Datenaufzeichnungsträger; Verkaufs-
automaten und Mechaniken für geldbetätigte Apparate; Da-
tenverarbeitungsgeräte und Computer;
16: Druckereierzeugnisse,
insbesondere bedruckte und/oder ge-
prägte Karten aus Karton oder Plastik; Lehr- und Unter-
richtsmittel (ausgenommen Apparate); Büroartikel (ausge-
nommen Möbel);
35:
Werbung und Geschäftsführung;
38: Telekommunikation;
Betrieb
und Vermietung von Einrichtun-
gen für die Telekommunikation, insbesondere für Funk und
Fernsehen;
42:
Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitung; Dienst-
leistungen einer Datenbank, nämlich Vermietung der
Zugriffszeiten zu und Betrieb von Datenbanken, sowie Sam-
meln und Liefern von Daten, Nachrichten und Informationen,
Vermietung von Datenverarbeitungseinrichtungen und Com-
putern; Projektierung und Planung von Einrichtungen für Te-
lekommunikation
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ist Widerspruch erhoben aufgrund der Bildmarke 399 01 808
siehe Abb. 2 am Ende
die für die Waren und Dienstleistungen
Computerprogramme, Datenbanklösungen auf Datenträgern; Wer-
bung, einschließlich Konzeption und Realisierung von Unterneh-
menspräsentationen in den Bereichen Internet, Printpublikationen,
TV/Video/Film, CD-Rom; Telekommunikation; Entwicklung von in-
teraktiven Programmen, bei denen die Kommunikation mit dem
Endanwender über das Internet erfolgt; Dienstleistungen im Be-
reich der Internettechnologie (Softwareprogrammierung,
HTML-Programmierung) und der Computer-Graphik und Compu-
teranimation; Forschung und Produktentwicklung in den Bereichen
Software, Schnittstellen, User-Interface, e-Commerce, Security,
Datenbanken, Virtual-Reality
eingetragen ist.
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Die Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den
Widerspruch mit Beschluss vom 3. Juli 2002 zurückgewiesen, weil keine Ver-
wechslungsgefahr bestehe. Die Vergleichsmarken könnten für zum Teil identische
Waren und Dienstleistungen eingesetzt werden. Bei der Widerspruchsmarke
werde normale Kennzeichnungskraft unterstellt. Eine bildliche Verwechslungsge-
fahr sei nicht gegeben, weil die angegriffene Marke erkennbar an das @-Zeichen
angelehnt sei. Der visuelle Gesamteindruck der Zeichen sei unterschiedlich. Eine
Verwechslungsgefahr bestehe auch bei Benennung der Marken nicht, weil erheb-
liche Teile des Verkehrs in der Widerspruchsmarke schon nicht den Buchstaben
"d" erkennen würden. Vor allem aber sei der Buchstabe "d" auf dem Waren- und
Dienstleistungsgebiet der Vergleichsmarken schutzunfähig.
Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt. Sie trägt im wesentlichen vor,
dass es sich bei beiden Zeichen nicht um Buchstaben des lateinischen Alphabets
handele. Auch komme es nicht darauf an, inwieweit das @ Zeichen jeweils Anre-
gungen zur Ausgestaltung der Zeichen gegeben habe. Ihrer Ansicht nach stehen
sich graphische Eigenschöpfungen von mindestens normaler Kennzeichnungs-
kraft gegenüber, deren Unterschiede nicht hinreichend ins Gewicht fielen, um die
Ähnlichkeit der Zeichen auszuschließen. Die Waren und Dienstleistungen der bei-
den Marken seien mit Ausnahme der "Büroartikel" identisch bzw ähnlich. Insoweit
beschränkt sie mit ihrem Schreiben vom 7. April 2003 ihren Widerspruch.
Sie beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die angegriffene
Marke für alle Waren und Dienstleistungen mit Ausnahme der "Bü-
roartikel" zu löschen.
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Die Markeninhaberin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hebt insbesondere die Unterschiede der Marken hervor und stützt sich im üb-
rigen auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses.
II
Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden ist begründet. Zwischen den
beiden Bildmarken besteht im Umfang des Tenors Verwechslungsgefahr gemäß
§ 9 Abs 1 Nr MarkenG.
Die Beurteilung der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr ist unter Berücksich-
tigung der Wechselbeziehung umfassend vorzunehmen, die zwischen den maß-
geblichen Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der
damit gekennzeichneten Waren sowie der Kennzeichnungskraft der älteren
Marke, besteht. Dabei kann ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren durch
einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder eine hohe Kennzeichnungs-
kraft der älteren Marke ausgeglichen werden und umgekehrt (std.Rspr: vgl BGH
GRUR 1996, 198, 200 – Springende Raubkatze; GRUR 2002, 1067 – DKV/OKV).
Für die Frage der Markenähnlichkeit ist der jeweilige Gesamteindruck der Marken
maßgeblich, bei dem grundsätzlich nicht die gegebenen Unterschiede, sondern
das Maß an Übereinstimmung den Beurteilungsmaßstab bilden (vgl BGH GRUR
2003, 519, 521 – Knabberbärchen).
Hinzu kommt, dass bei Bildmarken noch weniger als bei Wortmarken davon aus-
gegangen werden kann, dass die beteiligten Verkehrskreise die ältere Marke in
allen Einzelheiten im Gedächtnis behalten. Vielmehr bleibt in der Regel nur das
ungefähre Bild in der Erinnerung (vgl Ströbele/Hacker MarkenG 7. Aufl § 9
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Rdn 235, 236). Denn der Verkehr nimmt die beiden Marken regelmäßig nicht
gleichzeitig nebeneinander wahr, so dass er sie nicht miteinander vergleichen
kann (std.Rspr BGH GRUR 2001, 158, 160 – Drei-Streifen-Kennzeichnung; EuGH
GRUR Int 1999, 734, 736 (Nr 26) – Lloyd).
Die Waren und Dienstleistungen der Widerspruchsmarke "Computerprogramme,
Datenbanklösungen auf Datenträgern; Werbung einschließlich Konzeption ...; Te-
lekommunikation; Entwicklung von interaktiven Programmen ...; Softwarepro-
grammierung etc" sind identisch mit den beanspruchten Waren und Dienstleistun-
gen "maschinenlesbare Datenaufzeichnungsträger; Werbung; Telekommunikation
und Telekommunikations-Dienstleistungen; Erstellen von Programmen für die
Datenverarbeitung". Enge Berührungspunkte bestehen auf den Gebieten der Da-
tenverarbeitung, der Telekommunikation und der Programmierung mit den Appa-
raten und Geräten der Klasse 9, die für die Erbringung dieser Dienstleistungen
erforderlich sind und in engstem Zusammenhang mit ihnen stehen (vgl Rich-
ter/Stoppel Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen 12. Aufl S 104, 105,
393).
Die "Druckereierzeugnisse, insbesondere bedruckte und/oder geprägte Karten aus
Karton oder Plastik" der jüngeren Marke sind als Datenträger sehr ähnlich mit den
Datenträgern, für die die Widerspruchsmarke Schutz genießt. Ein hoher Grad an
Ähnlichkeit ist zwischen den besonderen Werbedienstleistungen der Widerspre-
chenden mit denen der "Geschäftsführung" der Markeninhaberin zugrunde zu le-
gen. Die Dienstleistungen der Widersprechenden in der Klasse 38 "Entwicklung
von interaktiven Programmen, bei denen die Kommunikation mit dem Endanwen-
der über das Internet erfolgt", zu denen insbesondere die Wissensvermittlung des
E-Learnings gehört, sind gleichfalls ähnlich mit den von der Markeninhaberin be-
anspruchten "Lehr- und Unterrichtsmitteln (ausgenommen Apparate)".
Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist leicht unterdurchschnittlich, weil
diese durch die sog. Klammeraffenlinie auf den Zusammenhang der Waren und
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Dienstleistungen mit dem Internet hinweist. Für den durchschnittlich informierten,
aufmerksamen und verständigten Normalverbraucher mit etwas Spezialwissen im
Bereich der einschlägigen Waren und Dienstleistungen, von dem hier auszugehen
ist (vgl EuGH GRUR Int 1998, 795, 797 (Nr 31) – Gut Springenheide) ist jedoch
ohne weiteres zu erkennen, dass es sich bei der Widerspruchsmarke ebenso wie
bei der angegriffenen Marke nicht um das auf dem Waren- und Dienstleistungsge-
biet schutzunfähige @-Zeichen handelt, sondern um eine Abwandlung des Einzel-
buchstaben "d", der auf dem in Rede stehenden Waren- und Dienstleistungsgebiet
keine beschreibende Bedeutung hat.
Entgegen der Begründung der Markenstelle sind Buchstaben nämlich nicht pau-
schal als kennzeichnungsschwach oder generell als Typenangaben anzusehen,
sondern wie sonstige Wortmarken zu behandeln und dahingehend zu prüfen, ob
sie eine beschreibende Angabe darstellen (vgl hierzu BGH GRUR 2001, 161, 162
- Buchstabe K; GRUR 2003, 343 – Buchstabe Z; BPatG GRUR 2003, 794 - @).
Das gilt für den Einzelbuchstaben "d" ebenso. Weder hat die Markenstelle eine
beschreibende Verwendung ermittelt noch konnte der Senat für den Buchstaben
"d" auf dem Gebiet der EDV oder der Telekommunikation eine beschreibende
Bedeutung feststellen. Der Buchstabe "d" ist auch nicht die Abkürzung des Be-
griffs "digital".
Beide Bildmarken weisen in ihrem jeweiligen Gesamteindruck einen besonders
hohen Grad an Ähnlichkeit auf, denn sie zeigen in nahezu gleicher Weise jeweils
die graphische Figuration des Buchstaben "d", der in Anlehnung an das @-Zei-
chen von einer sog. Klammeraffenlinie umgeben ist. Für die Erfassung beider
Zeichen als "d" besteht beim Verkehr um so mehr Veranlassung, als auf dem
Gebiet der Datenverarbeitung, Telekommunikation und des Internets Einzelbuch-
staben allein oder als Teil eines Wortes häufig mit einer Klammeraffenlinie umge-
ben werden, um auf die Verbindung mit dem Internet hinzuweisen.
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Der hohe Grad an Ähnlichkeit der Marken besteht in erster Linie in bildlicher Hin-
sicht auf Grund der überwiegenden Gemeinsamkeiten in ihrem visuellen Eindruck.
Die Abweichungen in der Linienstärke (gleichmäßiger Strich gegenüber Feder-
strich) und in der Linienführung (Verlauf durch den Oberstrich des "d" bei der Wi-
derspruchsmarke und oberhalb in der jüngeren Marke) sind allenfalls bei einem
unmittelbaren Nebeneinander der Marken auszumachen. Auch sind sie zu gering,
um den Bildeindruck hinreichend zu verändern. Da der Verkehr die jeweiligen
Bildmarken in der Regel nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht,
fallen die übereinstimmenden Merkmale in einem undeutlichen Erinnerungsein-
druck stärker ins Gewicht als die Unterschiede, wenn er ihnen – wie hier – auf
identischen oder sehr ähnlichen Waren und Dienstleistungen begegnet. Die
Schrägstellung ist ebenfalls kein geeignetes Unterscheidungskriterium, weil die
Anbringung der Marke auf der Ware dadurch nicht festgelegt ist, genausowenig
wie ihre Präsentation im Markt (BGH GRUR 2002, 171 – Marlboro-Dach).
Darüber hinaus besteht die Gefahr von Verwechslungen in klanglicher Hinsicht.
Eine bestimmte Benennung – vergleichbar dem @ - ist zwar nicht vorgegeben. Es
kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Marken vom Publikum jeweils
in der selben Weise ausgesprochen werden, nämlich als "Klammeraffen – d", als
"d" mit "Internetkringel" oder bloß als "d".
Die Abwägung aller einzubeziehenden Faktoren, nämlich der großen Ähnlichkeit
der beiden Bildmarken, der Identität bzw. des hohen Grads an Ähnlichkeit der da-
mit zu kennzeichnenden Waren und Dienstleistungen sowie der leicht unterdurch-
schnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, führt zur Annahme der
Verwechslungsgefahr iSv § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG.
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Für eine Kostenauferlegung nach § 71 Abs 1 MarkenG bestand keine Veranlas-
sung.
Grabrucker Pagenberg
Richter Voit ist abgeordnet und da-
her verhindert zu unterschreiben.
Grabrucker
Hu
Abb. 1
Abb. 2