Urteil des BPatG vom 30.06.2003

BPatG: verwechslungsgefahr, verkehr, kennzeichnungskraft, bestandteil, abspaltung, patent, nummer, begriff, rom, tierarzneimittel

BPatG 152
10.99
BUNDESPATENTGERICHT
30 W (pat) 110/02
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die angegriffene Marke 398 49 862
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 30.
Juni
2003 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr. Buchetmann, des Richters Schramm und der Richterin Hartlieb
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beschlossen:
Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewie-
sen.
G r ü n d e
I.
Die Marke
Enaprilgamma
ist am 4. Dezember 1998 unter der Nummer 398 49 862 für
"pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse,
sowie Präparate für die Gesundheitspflege; diätetische Er-
zeugnisse für medizinische Zwecke, Nahrungsergänzungs-
mittel für medizinische Zwecke und/oder für nicht-medizini-
sche Zwecke, nämlich Vitamine, Mineralstoffe, Aminosäuren,
Stoffe tierischen und pflanzlichen Ursprungs; Mittel zur Kör-
per- und Schönheitspflege"
in das Markenregister eingetragen worden.
Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der Marke Nummer 767 131
GENABIL
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die seit dem 5. November 1962 für
"Tierarzneimittel, nämlich ein Mittel gegen Rübenvergiftung
und ähnliche indegestiöse Leiden"
eingetragen ist.
Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat den
Widerspruch wegen fehlender Verwechslungsgefahr zurückgewiesen. Die beiden
Marken hielten auch bei identischen Waren den erforderlichen Abstand ein, da sie
sich in der Wortlänge, im Zeichenaufbau, im Buchstabenbestand, im Sprech-
rhythmus, in der Vokalfolge und im Konsonantengerüst wesentlich unterschieden.
Hiergegen hat die Widersprechende Erinnerung eingelegt mit der Begründung, bei
der angegriffenen Marke sei allein auf den Bestandteil "Enapril" abzustellen, da
der Bestandteil "gamma" im medizinischen Bereich als Kurzzeichen für Gamma-
strahlen stünde, und bei mehreren anderen eingetragenen Marken als Wortbe-
standteil verwendet werde, so dass der Wortteil "gamma" ein allgemein verwende-
ter Begriff ohne Kennzeichnungskraft sei, der abgespalten werde. "Enapril" und
"GENABIL" verfügten über die gleiche Silbenzahl, die gleiche Vokalfolge und den
gleichen Sprech- und Betonungsrhythmus, und unterschieden sich lediglich am
Wortanfang und Ende.
Die Erinnerung hat das Deutsche Patent- und Markenamt zurückgewiesen.
Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt und im wesentlichen auf die Erin-
nerungsbegründung Bezug genommen.
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Die Widersprechende beantragt sinngemäß,
die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle aufzuheben
und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.
Die Markeninhaberin beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die angefochtenen Be-
schlüsse der Markenstelle sowie den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Es besteht auch
nach Auffassung des Senats keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1
Nr 2 MarkenG. Der Widerspruch ist deshalb von der Markenstelle gemäß §§ 42
Abs 2 Nr 1, 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG zu Recht zurückgewiesen worden.
Ob Verwechslungsgefahr besteht, hängt nach § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG ab von der
Identität oder Ähnlichkeit der sich gegenüber stehenden Marken einerseits und an-
dererseits von der Identität oder Ähnlichkeit der von den beiden Marken erfassten
Waren. Darüber hinaus sind auch alle weiteren Umstände zu berücksichtigen, die
sich auf die Verwechslungsgefahr auswirken können, insbesondere die Kenn-
zeichnungskraft der älteren Marke, wobei die verschiedenen für die Beurteilung
der Verwechslungsgefahr heranzuziehenden Faktoren in einer Wechselwirkung
stehen (st. vgl BGH GRUR 2001, 507, 508 – EVIAN/REVIAN; GRUR 2000, 506,
508 - ATTACHÉ/TISSERAND).
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Der Entscheidung ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte eine durch-
schnittliche Kennzeichnungskraft und damit ein normaler Schutzumfang der Wi-
derspruchsmarke zu Grunde gelegt.
Die angegriffene Marke berührt nicht mehr den Schutzbereich der Widerspruchs-
marke, da trotz zum Teil möglicher Warenidentität die beiden Bezeichnungen nicht
so ähnlich sind, dass sie für den angesprochenen Verkehr die Gefahr von Ver-
wechslungen im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG begründen können.
Nach dem Gesamteindruck der beiden Marken, auf den bei der Prüfung der Ver-
wechslungsgefahr abzustellen ist, sind die Marken hinreichend verschieden, so
dass weder in klanglicher noch in schriftbildlicher Hinsicht Verwechslungen in Be-
tracht kommen können. Dies bedarf keiner weiteren Begründung, soweit die Mar-
ken als Ganze wertungsfrei gegenüber gestellt werden. Insoweit wird zur Vermei-
dung von Wiederholungen auf die Begründung der angefochtenen Beschlüsse
verwiesen.
Für die von der Widersprechenden angeführte Ansicht, der Verkehr spalte den
Markenteil „gamma“ ab, fehlen hinreichend sichere Anhaltspunkte. Bei diesem von
der Rechtsprechung des BPatG entwickelten Sonderfall der Verwechslungsgefahr
ist besonders große Zurückhaltung angezeigt, zumal der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs in neuerer Zeit deutliche Bedenken gegen diese Art der Ver-
wechslungsgefahr zu entnehmen sind (vgl. hierzu Ströbele/Hacker, MarkenG,
7. Aufl. § 9 Rdn 444 ff mNachw). So kommt selbst bei Bestandteilen, die wesent-
lich deutlicher und allgemein als Sachhinweise bekannt sind, eine Abspaltung
nicht in Betracht. So ist zB bezüglich „gel“ (25 W (pat) 121/99), „pharm“
(25 W (pat) 41/96), „bio“ (24 W (pat) 131/95), lite (28 W (pat) 160/93), Platin
(28 W (pat) 76/94 oder „san“ (30 W (pat) 194/94) (Kurzfassungen jeweils auf
PAVIS-PROMA CD-ROM) Abspaltung verneint worden. Dafür, dass gamma die
Abspaltungsvoraussetzungen erfülle, lassen sich erst recht keine Anhaltspunkte
feststellen.
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Hinzukommt, dass die angesprochenen Verkehrskreise den Wortteil "Enapril" in
der angegriffenen Marke wegen seiner starken Anlehnung an den INN
ENALAPRIL als nur schwach kennzeichnend einstufen werden. Dabei ist nicht
entscheidend, ob dieser INN allgemein geläufig, insbesondere auch Laien bekannt
ist (BGH GRUR 1990, 453 L-Thyroxin). Es besteht somit auch von daher kein An-
haltspunkt für die Annahme, der Verkehr werde dem Wortteil gamma nicht eine
wenigstens mitbestimmende Funktion für die Betriebskennzeichnung zumessen
(vgl. hierzu Ströbele/Hacker, aaO Rdn 449).
Ob es im Einzelfall in Betracht kommt, die Rechtsprechung zur Prägung mehr-
gliedriger Marken durch einen einzelnen Bestandteil auch auf Fälle der vorliegen-
den Art anzuwenden, braucht hier nicht entschieden zu werden. Die Prägetheorie
(vgl. hierzu Ströbele/Hacker, aaO § 9 Rdn 372 ff) passt grundsätzlich nur auf Kom-
binationszeichen (vgl. Hacker, Allgemeine Grundsätze bei Beurteilung der Ver-
wechslungsgefahr bei Kombinationszeichen, GRUR 1992, 92). Aber selbst wenn
frühere Formulierungen des Bundesgerichtshofs (vgl zB GRUR 1993, 118
Corvaton/Corvasal, 972 Sana/Schosana), in denen der Begriff Prägung auch für
Wortteile innerhalb eines geschlossenen Wortes verwendet wurden, in eine ande-
re Richtung weisen sollten, so kann hier die angegriffene Marke aus den dargeleg-
ten Gründen durch den nur schwach kennzeichnenden Wortteil Enapril auch nicht
(allein) geprägt werden.
Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlass,
§ 71 Abs 1 MarkenG.
Dr. Buchetmann
Schramm
Hartlieb
Ko