Urteil des BPatG vom 17.03.2000

BPatG: ältere marke, verwechslungsgefahr, weiterbildung, unternehmen, kennzeichnungskraft, anbieter, inhaber, gesamteindruck, auflage, ausbildung

BUNDESPATENTGERICHT
33 W (pat) 225/99
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
BPatG 152
10.99
- 2 -
betreffend die Marke 395 27 157
hat der 33. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 17. März 2000 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Winkler,
des Richters v. Zglinitzki und der Richterin Pagenberg
beschlossen:
1.
Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Be-
schlüsse der Markenstelle für Klasse 35 des Patentamts vom
19. August 1998 und vom 10. September 1999 aufgehoben.
2.
Die Löschung der angegriffenen Marke 395 27 157 wird we-
gen des Widerspruchs aus der IR-Marke 615 830 angeordnet.
G r ü n d e
I
Beim Deutschen Patentamt (seit dem 1. November 1998 "Deutsches Patent- und
Markenamt") ist gegen die - am 30. Juli 1996 veröffentlichte - Eintragung der
Marke 395 27 157
ABBI
für die Dienstleistungen
"Unternehmensberatung; Personalberatung"
- 3 -
auf Grund der für zahlreiche Dienstleistungen der Klassen 35, 36, 37, 41, 42 inter-
national registrierten Marke 615 830
ABB
gestützt auf ihre Dienstleistungen
"formation et formation continue de personnel, formation de gestion,
en particulier de préférence dans l'organisation et la conduite des
entreprises, en production, logistique, conception assistée par
ordinateur, fabrication intégrée par ordinateur, en vente, en gestion
de project et en service de produits"
Widerspruch erhoben worden.
Die Markenstelle für Klasse 35 des Patentamts hat den Widerspruch durch Be-
schluß vom 19. August 1998 und die Erinnerung der Widersprechenden durch
Beschluß vom 10. September 1999 wegen fehlender Verwechslungsgefahr ge-
mäß § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG iVm §§ 43 Abs 2, 107 MarkenG zurückgewiesen. In
den Gründen ist ausgeführt worden, die Dienstleistungen der jüngeren Marke
seien ähnlich mit den besonderen Aus- und Fortbildungsdiensten der Wider-
spruchsmarke, die spezielle unternehmensbezogene Leistungen seien, die sich
auf die Geschäftsführung, Organisation und Unternehmensführung sowie die ih-
nen zugeordneten Teilbereiche bezögen. Zu den auf Grund der Unternehmensbe-
ratung und Personalberatung erkannten Struktur-, Verwaltungs- und Organisa-
tionsproblemen würden entsprechende Schulungen und Unterrichtungen in Ar-
beitskreisen angeboten. Eine Verwechslungsgefahr bestehe aber nicht, weil die
Marken für den angesprochenen geschulten Verkehrskreis noch hinreichenden
Abstand aufwiesen.
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Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt. Sie vertritt die Ansicht, die Dar-
legungen der Markenstelle hinsichtlich der Ähnlichkeit der beiderseitigen Dienst-
leistungen seien zwar zutreffend, die Marken seien aber schriftbildlich
verwechselbar ähnlich. Der Großbuchstabe "I" sei nur ein Strich am Ende der
ausgeprägt in Erscheinung tretenden Buchstaben "ABB".
Sie beantragt sinngemäß,
die Beschlüsse der Markenstelle des Patentamts aufzuheben und
die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.
Der Inhaber der angegriffenen Marke beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er trägt im wesentlichen vor, da sich die beiderseitigen Dienstleistungen an hoch-
spezialisierte Verkehrskreise richteten, die ihre Auswahlentscheidung erst nach
sorgfältiger Prüfung träfen, scheide eine Verwechslungsgefahr auch bei einem an-
genommenen größeren Ähnlichkeitsgrad der Marken aus. Im klanglichen Ge-
samteindruck der jüngeren Marke sei eine selbständig kennzeichnende Stellung
von "ABB" oder eine Erinnerung an die ältere Marke nahezu ausgeschlossen.
Auch in schriftbildlicher Hinsicht sei auf Grund der Kürze der Marken von einer nur
geringen Ähnlichkeit auszugehen. Da mit der zunehmenden Spezialisierung auch
die Anforderungen an die beiderseitigen Dienstleistungen stiegen, werde
einerseits der personelle und sonstige Aufwand und andererseits die Zahl der
entsprechenden Anbieter immer größer und deren Art immer unterschiedlicher, so
daß die Annahme relativ fern liege, ein und derselbe Anbieter könne Beratung und
Ausbildung gleichzeitig anbieten.
II
- 5 -
Die Beschwerde der Widersprechenden ist begründet.
Der Senat hält - entgegen der Beurteilung der Markenstelle des Patentamts - die
Verwechslungsgefahr gemäß § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG zwischen der angegriffenen
Marke "ABBI" und der Widerspruchsmarke "ABB" für gegeben. Die Löschung der
angegriffenen Marke ist deshalb gemäß § 43 Abs 2 Satz 1 MarkenG iVm §§ 9
Abs 1 Nr 2, 42 Abs 2 Nr 1, 107 MarkenG anzuordnen.
Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr iSd § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG umfaßt alle
Umstände des Einzelfalls und würdigt die in Betracht kommenden Faktoren,
insbesondere der Ähnlichkeit der beiderseitigen Dienstleistungen und der Ähn-
lichkeit der Marken sowie der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, auch
in ihrer Wechselbeziehung untereinander (vgl EuGH GRUR 1998, 922, 923 Ez 16,
17, 18 - Canon; BGH GRUR 1999, 731, 732 - Canon II; BGH GRUR 1999, 995,
997 - HONKA; BGH GRUR 1999, 241, 242 f - PATRIC LION).
Die Dienstleistungen "Unternehmensberatung, Personalberatung" der angegriffe-
nen Marke einerseits und die (oben im einzelnen genannten) Dienstleistungen der
Widerspruchsmarke "formation et formation continue de personnel, formation de
gestion" ("(betriebliche) Ausbildung und Weiterbildung von Perso-
nal/Belegschaften/Mitarbeitern; Managementschulung/-training"), auf die sich der
Widerspruch stützt, sind in einem näheren bis zumindest mittleren Grade ähnlich.
Soweit der Inhaber der angegriffenen Marke vorträgt, mit den zunehmenden An-
forderungen, die mit hohem Aufwand verbunden seien, steige auch die Speziali-
sierung der Anbieter in den zahlreichen unterschiedlichen Bereichen der beider-
seitigen Dienstleistungen, trifft diese Ansicht nur teilweise zu und vermag somit die
Dienstleistungsähnlichkeit nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. Denn sowohl die
"Unternehmensberatung, Personalberatung" als auch die "(betriebliche) Aus- und
Weiterbildung" dienen dem Zweck, betriebswirtschaftliche Modernisierungen und
Verbesserungen zu erreichen. Die mit den beiderseitigen Dienstleistungen
gleichermaßen angesprochenen Verkehrskreise der Unternehmen werden daher
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häufig die Erbringung dieser sich ergänzenden Leistungen als Gesamtlösung aus
einer Hand erwarten. Darauf haben sich insbesondere mittlere und größere
Unternehmens- und Personalberatungsgesellschaften auch eingestellt. Die
Einbindung der Unternehmensberater bei der Implementierung der erarbeiteten
Prolemlösungskonzeptionen nimmt tendenziell zu (vgl auch zB Gabler,
Wirtschafts-Lexikon, 13. Auflage 1993, S 3398 unter "Unternehmensberatung",
S 682 ff, 686 unter "Consulting"). In diesen Implementierungsprozeß werden alle
Mitarbeiter einbezogen und durch Schulungen (Aus- und Weiterbildung) auf die
Veränderungen vorbereitet (vgl auch zB Gabler, Wirtschafts-Lexikon aaO). Zur
Personalberatung gehört insbesondere auch das spezielle Teilgebiet der
Personalentwicklung, die im wesentlichen die Aus-, Fort- und Weiterbildung der
Mitarbeiter in Unternehmen beinhaltet (vgl zB BPatGE 39, 95, 96 - DPM). Da die
beiderseitigen Dienstleistungen sich somit häufig in ihren Zielen der Optimierung
organisatorischer, personeller und technischer Unternehmensstrukturen ergänzen
und gegenseitig bedingen sowie von denselben Dienstleistungsunternehmen
erbracht werden, müssen die angesprochenen Verkehrskreise bei (vermeintlicher)
Markenidentität regelmäßig auf den identischen Anbieter schließen.
Der Senat geht - ebenso wie schon die Markenstelle des Patentamts - hinsichtlich
des hier betroffenen Dienstleistungsgebietes von einer normalen Kennzeich-
nungskraft der Widerspruchsmarke "ABB" aus. Bei der Widersprechenden mit der
Kurzbezeichnung "ABB" handelt es sich zwar durchaus um ein nicht unbekanntes
Unternehmen, aber die Dienstleistungen der Aus- und Weiterbildung gehören si-
cher nicht zu den hauptsächlichen Geschäftssegmenten, die ihr
Unternehmensprofil prägen (vgl zB Artikel "ABB: Unternehmensverkäufe bessern
das Ergebnis auf" in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. März 2000, S 41).
Die Widersprechende hat auch weder eine Bekanntheit der Widerspruchsmarke
vorgetragen, noch eine überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft in Anspruch
genommen.
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In der Gesamtwürdigung kann angesichts der zumindest mittleren Ähnlichkeit der
Dienstleistungen und der normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke
die Verwechslungsgefahr nicht verneint werden, weil die sich gegenüberstehen-
den Marken "ABBI" und "ABB" jedenfalls schriftbildlich sehr ähnlich sind und die
hinreichende Übereinstimmung der Marken in einer Hinsicht regelmäßig ausreicht
(vgl BGH aaO - PATRIC LION).
Der Inhaber der angegriffenen Marke hat zutreffend darauf hingewiesen, daß die
mit den beiderseitigen Dienstleistungen angesprochenen Verkehrskreise aus-
schließlich aus gewerblichen Fachkreisen bestehen, die Kennzeichnungen stets
besondere Aufmerksamkeit widmen. Allerdings muß ebenso berücksichtigt wer-
den, daß einerseits die angesprochenen Verkehrskreise in der Regel keine
Fachleute auf den Gebieten der hier betroffenen Dienstleistungen sind und ande-
rerseits Verwechslungen ähnlicher Kennzeichnungen in der üblichen Routine der
Tagesgeschäfte ohne weiteres auch hochqualifizierten Mitarbeitern der angespro-
chenen Unternehmen unterlaufen können, zumal die mit den Marken gekenn-
zeichneten Angebote zumeist nicht unmittelbar zum Vergleich nebeneinander lie-
gen werden.
Die angegriffene Marke "ABBI" unterscheidet sich schriftbildlich von der Wider-
spruchsmarke "ABB" lediglich durch den am Ende angehängten Buchstaben "I".
Zunächst wird der Gesamteindruck eines Markenwortes ohnehin regelmäßig
durch den stärker beachteten Wortanfang bestimmt (vgl Althammer/Ströbele,
Markengesetz, 5. Auflage 1997, § 9 Rdn 83). Hier kommt aber noch hinzu, daß
der einzig abweichende Buchstabe "I" der jüngeren Marke nur etwa ein zehntel
des Schriftbildes einnimmt und unauffällig am Ende meist wie ein Strich wirkt, der
leicht übersehen werden kann.
III
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De Beteiligten tragen die ihnen erwachsenen Kosten des Beschwerdeverfahrens
jeweils selbst (§ 71 Abs 1 Satz 2 MarkenG).
Winkler Pagenberg
v.
Zglinitzki
Cl