Urteil des BPatG vom 12.07.2006

BPatG: patentanspruch, sammelstelle, anbau, erfindung, nichtigkeitsgrund, vollstreckbarkeit, fig, sicherheitsleistung, klagebegehren

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
4 Ni 43/05
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
12. Juli 2006
In der Patentnichtigkeitssache
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betreffend das deutsche Patent 37 14 115
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche
Verhandlung vom 12. Juli 2006 durch …
für Recht erkannt:
1. Das deutsche Patent 37 14 115 wird insoweit für nichtig er-
klärt, als Patentanspruch 1 über folgende Fassung hinaus-
geht:
Münzschloss mit einer Kopplungseinrichtung zum Anbau an
Transportwagen, insbesondere an Einkaufswagen, wobei das
Münzschloss auf Pfandbasis ein An- und Abkoppeln frei ste-
hender Transportwagen untereinander und/oder ein An- und
Abkoppeln von Transportwagen ermöglicht, die mit einer fest
installierten Sammelstelle direkt oder über weitere Transport-
wagen indirekt mit dieser Sammelstelle verbunden sind,
dadurch gekennzeichnet,
dass das Münzschloss mit einem oder mit zwei Schiebegriff-
abschnitten ausgestattet ist und dass Endbereiche des Münz-
schlosses zur Befestigung an den Transportwagen bestimmt
sind,
wobei im Fall eines Schiebegriffabschnittes ein Endbereich
der Endbereich eines Schiebegriffabschnittes ist und
wobei im Fall von zwei Schiebegriffabschnitten zwei Endberei-
che die Endbereiche der Schiebegriffabschnitte sind.
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2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgeho-
ben.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Gerichtskosten gegen Sicher-
heitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betra-
ges vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des deutschen Patents 37 14 115 (Streitpatent), das am
28. April 1987 angemeldet worden ist. Das Streitpatent betrifft ein Münzschloss mit
einer Kopplungseinrichtung zum Anbau an Transportwagen, insbesondere an Ein-
kaufswagen, und umfasst 7 Ansprüche, von denen nur Anspruch 1 angegriffen ist.
Dieser lautet ohne Bezugszeichen wie folgt:
Münzschloss mit einer Kopplungseinrichtung, zum Anbau an
Transportwagen, insbesondere an Einkaufswagen, das auf Pfand-
basis ein An- und Abkoppeln frei stehender Transportwagen unter-
einander und/oder ein An- oder Abkoppeln von Transportwagen
ermöglicht, die mit einer fest installierten Sammelstelle direkt oder
über weitere Transportwagen indirekt mit dieser Sammelstelle ver-
dadurch gekennzeichnet
mit einem oder mit zwei Schiebegriffabschnitten ausgestattet ist
und dass Endbereiche des Münzschlosses zur Befestigung an den
Transportwagen bestimmt sind.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Streitpatentschrift DE 37 14 115 C2
Bezug genommen.
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Die Klägerin behauptet, der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents gehe
über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus. Dazu beruft sie sich auf fol-
gende Druckschrift:
NiK2
Die Klägerin beantragt,
das Patent DE 37 14 115 insoweit für nichtig zu erklären, als es in
Anspruch 1 über folgende Fassung hinausgeht:
„Münzschloss mit einer Kopplungseinrichtung zum Anbau an
Transportwagen, insbesondere an Einkaufswagen, wobei das
Münzschloss auf Pfandbasis ein An- und Abkoppeln frei stehender
Transportwagen untereinander und/oder ein An- und Abkoppeln
von Transportwagen ermöglicht, die mit einer fest installierten
Sammelstelle direkt oder über weitere Transportwagen indirekt mit
dieser Sammelstelle verbunden sind,
wobei
das Münzschloss mit zwei Schiebegriffabschnitten ausgestattet ist
und die Endbereiche der beiden Schiebegriffabschnitte des Münz-
schlosses zur Befestigung an den Transportwagen bestimmt sind“,
hilfsweise,
das Streitpatent insoweit für nichtig zu erklären, als es in An-
spruch 1 über folgende Fassung hinausgeht:
„Münzschloss mit einer Kopplungseinrichtung zum Anbau an
Transportwagen, insbesondere an Einkaufswagen, wobei das
Münzschloss auf Pfandbasis ein An- und Abkoppeln frei stehender
Transportwagen untereinander und/oder ein An- und Abkoppeln
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von Transportwagen ermöglicht, die mit einer fest installierten
Sammelstelle direkt oder über weitere Transportwagen indirekt mit
dieser Sammelstelle verbunden sind,
dadurch gekennzeichnet,
dass das Münzschloss mit einem oder mit zwei Schiebegriffab-
schnitten ausgestattet ist und dass Endbereiche des Münzschlos-
ses zur Befestigung an den Transportwagen bestimmt sind,
wobei im Fall eines Schiebegriffabschnittes ein Endbereich der
Endbereich eines Schiebegriffabschnittes ist und
wobei im Fall von zwei Schiebegriffabschnitten zwei Endbereiche
die Endbereiche der Schiebegriffabschnitte sind.“
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Klagevorbringen voll umfänglich entgegen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, mit der der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung
des Gegenstands des erteilten Patents (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG) geltend gemacht
wird, ist teilweise begründet.
Der Antrag der Klägerin, das Patent im Umfang nach Hauptantrag für nichtig zu
erklären, ist unbegründet, denn sie vermochte den Senat nicht davon zu überzeu-
gen, dass insoweit der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung i. S. v.
§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG vorliegt. Der Senat konnte nämlich nicht feststellen, dass
die Behauptung der Klägerin zutrifft, es sei ursprünglich kein Münzschloss offen-
bart, das nur einen Schiebegriffabschnitt aufweist, wobei dessen Endbereich zur
Befestigung an dem Transportwagen bestimmt ist.
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Das Merkmal, dass das Münzschloss mit nur einem Schiebegriffabschnitt ausge-
stattet ist, ist aus den ursprünglichen Unterlagen für den Fachmann - einen Kons-
trukteur, der über Erfahrungen in der Entwicklung von Münzschlössern für Trans-
portwagen verfügt - zweifelsfrei entnehmbar. Dies wird auch von der Klägerin nicht
bestritten. Die Figur 2 der ursprünglichen Unterlagen sowie die zugehörige Be-
schreibung (Offenlegungsschrift Sp. 4 Z. 5 - 31) zeigen ein derartiges Münz-
schloss. Ein solches Münzschloss mit einem einzigen Schiebegriffabschnitt wird
außerdem auch in Spalte 3, Zeile 33 bis 41, der Offenlegungsschrift beschrieben.
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist dieses Merkmal aber auch in Verbindung mit
dem weiteren Merkmal aus den ursprünglichen Unterlagen entnehmbar, dass
Endbereiche der Schiebegriffabschnitte zur Befestigung an dem Transportwagen
bestimmt sind.
Die Befestigung der Endbereiche der Schiebegriffabschnitte wird in Figur 3 und
der zugehörigen Beschreibung beschrieben. In Figur 3 ist zwar nur ein Ausschnitt
mit einem Schiebegriffabschnitt gezeigt, die Beschreibung deutet jedoch darauf-
hin, dass sich die Darstellung in Figur 3 auf ein Münzschloss mit zwei Schiebegriff-
abschnitten bezieht (Sp. 4 Z. 64 - 68). Dies steht aber einer Offenbarung der die
Befestigung des Schiebegriffabschnitts betreffenden Merkmale auch in Verbin-
dung mit einem Münzschloss mit nur einem Schiebegriffabschnitt nicht entgegen.
Ein Patentanspruch kann nämlich nicht nur in der Weise beschränkt werden, dass
sämtliche Merkmale eines Ausführungsbeispiels insgesamt in den Patentanspruch
eingefügt werden müssten. Bei der Befestigung des Münzschlosses an den End-
bereichen der Schiebegriffabschnitte handelt es sich um ein Merkmal, das den Er-
folg der Erfindung auch für sich (d. h. insb. auch ohne das weitere Merkmal des in
Figur 3 und der zugehörigen Beschreibung beschriebenen Ausführungsbeispiels
von zwei Schiebegriffabschnitten) fördert (BGH „Spleißkammer“, GRUR 1990,
Heft 06, Seite 432).
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Hingegen ist das Klagebegehren der Klägerin nach ihrem Hilfsantrag begründet,
denn die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1, die über den im Hilfsantrag
beschriebenen Umfang hinausgehen, sind für den Fachmann aus den ursprüngli-
chen Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend entnehmbar.
Der erteilte Patentanspruch 1 betrifft ein Münzschloss, das mit seinen Endberei-
chen am Transportwagen befestigt ist. Die Endbereiche des Münzschlosses sind
im Patentanspruch 1 nicht näher definiert. Da die Schiebegriffabschnitte entspre-
chend dem ersten Merkmal des Kennzeichnungsteils des Patentanspruchs 1 Teil
des Münzschlosses sind, beschreibt der Patentanspruch 1 als eine mögliche Alter-
native, dass es sich bei den Endbereichen um Endbereiche der Schiebegriffab-
schnitte handelt. Diese Alternative entspricht unstreitig der Offenbarung in den ur-
sprünglichen Unterlagen. Bei den Endbereichen kann es sich aber nach der allge-
meinen Fassung des Patentanspruchs 1 auch um Endbereiche handeln, die sich
direkt am Münzschlossgehäuse befinden. Damit umfasst der Patentanspruch 1
auch ein Münzschloss, bei dem Endbereiche des Münzschlossgehäuses zur Be-
festigung am Transportwagen bestimmt sind, wobei die Schiebegriffabschnitte nur
mit dem Münzschlossgehäuse in Verbindung stehen, ohne selbst direkt am Trans-
portwagen befestigt zu sein. Ein derartiger Transportwagen ist aus den ursprüngli-
chen Unterlagen nicht entnehmbar.
Im Patentanspruch 1 fehlt somit gegenüber der ursprünglichen Offenbarung das
Merkmal, dass Endbereiche des Münzschlosses zur Befestigung an den Trans-
portwagen bestimmt sind, wobei im Fall eines Schiebegriffabschnittes ein Endbe-
reich der Endbereich eines Schiebegriffabschnittes ist und im Fall von zwei
Schiebegriffabschnitten zwei Endbereiche die Endbereiche der Schiebegriffab-
schnitte sind.
Der Gegenstand des Patents geht insoweit über den Inhalt der Anmeldung in der
ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Ein Einkaufswagen ohne dieses
Merkmal ist in den ursprünglichen Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend of-
fenbart. Wenn in den ursprünglichen Unterlagen im Zusammenhang mit der Be-
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festigung des Münzschlosses am Transportwagen von Endbereichen die Rede ist,
sind damit immer die Endbereiche 8 der Schiebegriffabschnitte 4 gemeint (Sp. 1
Z. 51-52: „der Endbereich eines jeden Schiebegriffabschnitts (4)“; S. 7 Z. 49: „End-
bereiches 8 eines Schiebegriffabschnittes 4“). In Spalte 4, Zeile 64-67, wird ausge-
führt, dass das Münzschloss 1 „mit den beiden Endbereichen 8 jeweils auf die
eben beschriebene Art und Weise“ am Einkaufswagen befestigt wird. Dort fehlt
zwar der ausdrückliche Hinweis, dass es sich bei den Endbereichen um Endberei-
che der Schiebegriffabschnitte handelt. Aus dem Gesamtzusammenhang des Ab-
satzes, der Bezugnahme auf Figur 3 und dem für die Endbereiche angegebenen
Bezugszeichen 8 wird jedoch deutlich, dass mit den genannten Endbereichen die
Endbereiche der Schiebegriffabschnitte gemeint sind.
Die Beklagte verweist zur Offenbarung des fraglichen Merkmals auf die beiden
vorhergehenden Absätze der Offenlegungsschrift (Sp. 4 Z. 32-47). Aus dem ers-
ten dieser Absätze (Sp. 4 Z. 32-38) ist zu entnehmen, dass die in den Figuren 1
und 2 dargestellten Münzschlösser u. a. aus einer Schiebegriffeinrichtung 3 beste-
hen, die wiederum aus wenigstens einem Schiebegriffabschnitt 4 besteht. Dies
kann jedoch nicht zu einer anderen Beurteilung der Frage der ursprünglichen Of-
fenbarung führen, wie die obigen Ausführungen zeigen, denen das Merkmal, dass
der wenigstens eine Schiebegriffabschnitt Teil des Münzschlosses ist, bereits zu
Grunde liegt. Der zweite Absatz (Sp. 4 Z. 39-47) betrifft die lösbare Verbindung
zwischen den Schiebegriffabschnitten und dem Münzschlossgehäuse und verlangt
hierfür als Voraussetzung eine ausreichende Stabilität. Hinweise auf die Befesti-
gung des Münzschlosses am Transportwagen sind aus dieser Textstelle nicht zu
entnehmen.
Für den Fall eines Münzschlosses mit nur einem Schiebegriffabschnitt (Fig. 2) sind
aus den ursprünglichen Unterlagen keine ausdrücklichen Angaben zu entnehmen,
wie das Münzschloss auf der Seite des Münzschlossgehäuses am Transportwa-
gen befestigt ist. Es mag zwar sein, dass der Fachmann als unerlässlich mitliest,
dass das Münzschlossgehäuse in diesem Fall am Transportwagen befestigt ist.
Dies ändert jedoch nichts daran, dass aus den ursprünglichen Unterlagen für die
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dem Münzschlossgehäuse abgewandte Seite nur die Befestigung eines Endbe-
reichs des Schiebegriffabschnitts am Transportwagen zu entnehmen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 ZPO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m.
§ 709 ZPO.
gez.
Unterschriften