Urteil des BPatG vom 21.10.2002

BPatG (mangel des verfahrens, software, beschreibende angabe, bezeichnung, marke, verkehr, eintragung, verwendung, begriff, verhandlung)

BUNDESPATENTGERICHT
30 W (pat) 244/01
_______________
(Aktenzeichen)
An Verkündungs Statt
zugestellt am
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung 301 38 893.8
BPatG 154
6.70
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hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die
mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 2002 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dr. Buchetmann, der Richterin Winter und des Richters Schramm
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
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zuletzt noch bestimmt für ein "Software-System zum Bestellen, Kaufen und Be-
zahlen von Waren und Dienstleistungen über drahtlose Mobilfunkgeräte mittels
zugehöriger Produktcodes".
Die Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die
Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft und des Bestehens eines Frei-
haltungsbedürfnisses gemäß § 8 Absatz 2 Nr 1 und 2 MarkenG zurückgewiesen,
weil sie nur eine beschreibende Sachangabe darstelle, die lediglich darauf hinwei-
se, daß das beanspruchte Software-Produkt auf der Basis einer Bestellübersicht
funktioniere; die Bezeichnung werde im maßgeblichen Produktbereich im Internet
bereits beschreibend verwendet und vom Verkehr ohne weiteres verstanden.
Die Anmelderin hat Beschwerde eingelegt. Sie hält mit näheren Ausführungen die
angemeldete Bezeichnung wegen Mehrdeutigkeit und einer der Struktur nach un-
gewöhnlichen Wortverbindung für schutzfähig. Sie verweist ferner auf bereits ein-
getragene Marken mit den Bestandteilen "order" und "View".
Die Anmelderin beantragt,
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den Beschluss der Markenstelle vom 11. Oktober 2001 aufzuhe-
ben.
Hilfsweise hat sie das Warenverzeichnis eingeschränkt durch den Zusatz "ausge-
nommen Software und Systeme, bei denen eine Bestellübersicht möglich ist" und
die Zulassung der Rechtsbeschwerde angeregt.
Ergänzend wird auf das schriftsätzliche Vorbringen und den Beschluss der Mar-
kenstelle Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Anmelderin ist in der Sache ohne Erfolg. Zu einer
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ohne Sachentscheidung (§ 70 Abs 3
MarkenG) besteht keine Veranlassung. Das mit der Anmeldung eingereichte Wa-
renverzeichnis entsprach nicht den Voraussetzungen von § 32 Abs 2 Nr 3 Mar-
kenG iVm § 14 MarkenV. Die im Schriftsatz vom 10. September 2001 gewählten
Formulierungen genügten – ungeachtet der Frage einer unzulässigen Erweite-
rung - diesen Anforderungen ebenfalls nicht. Auf die bestehenden Bedenken ge-
gen die Schutzfähigkeit der Marke unabhängig vom Klärungsbedarf insoweit war
die Anmelderin mit der Beanstandung hingewiesen worden. Die Klärung des Wa-
renverzeichnisses ist schließlich in der mündlichen Verhandlung erfolgt.
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Vorschriften des Markengesetzes von der Eintragung ausgeschlossen. Sie ist eine
beschreibende Angabe iSv § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG, der auch jegliche Unter-
scheidungskraft fehlt (§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG).
Nach § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG sind solche Marken von der Eintragung ausge-
schlossen, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im Verkehr
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ua zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Bestimmung oder sonstiger
Merkmale der Waren und Dienstleistungen dienen können (vgl BGH GRUR 2002,
64 –
INDIVIDUELLE; BGH MarkenR 2000, 420 -
RATIONAL SOFTWARE
CORPORATION; BGH GRUR 1999, 988, 989; - HOUSE OF BLUES; BGH GRUR
1999, 1093, 1094 - FOR YOU). Diese Voraussetzungen liegen bei der angemel-
deten Marke vor.
"Orderview" ist ein Begriff der englischen Sprache, der in dem hier maßgeblichen
Bereich des online-Handels wörtlich übersetzt "Bestellungsansicht/Bestellan-
sicht/Auftragsansicht" bedeutet (order=Bestellung Auftrag, im Englischen wie im
Deutschen, vgl Duden Oxford, Großwörterbuch Englisch S 1366 und Duden
Fremdwörterbuch S 703; view=Ansicht, vgl Duden Oxford aaO S 1667 und Schul-
ze, Computer-Englisch, S 365). "Orderview" wird in dieser Bedeutung auch bereits
verwendet; wie die der Anmelderin in der mündlichen Verhandlung übergebenen
Beispiele zeigen, werden bei der Suchmaschine Google bei Eingabe des Such-
begriffs "orderview" 1090 Resultate genannt, die vorwiegend den Bereich des on-
line-Handels betreffen (vgl zB www. kickasp.com/orders.htm); auch das der An-
melderin von der Markenstelle übersandte Beispiel erwähnt dazu im Zusammen-
hang mit der Ansicht aller vorhergehenden Bestellungen das Anklicken des "Pre-
vious Order View button" (www.edidemo.ihost.com/edi/de/help.htm). Lediglich zur
Veranschaulichung wird auf die Anzeige "Order View" mit der Orderansicht bei
data.island.com/ds/tools/orderview sowie auf folgenden Text verwiesen: "Wenn
Sie "Order View" wählen, wird eine Liste mit Bestellungen angezeigt"
(www.xiameter.com). Der Aufruf des Suchbegriffs "Bestellansicht" ergibt Resultate
mit Hinweisen wie "Bestellansicht für Kunden" oder "..können Sie über den Link
Warenkorb...in die Bestellansicht gelangen.." (Nachweise überreicht in der Ver-
handlung).
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die sinnvolle und zur Beschreibung geeignete Sachaussage, daß das "Software-
System zum Bestellen, Kaufen und Bezahlen von Waren und Dienstleistungen
über drahtlose Mobilfunkgeräte mittels zugehöriger Produktcodes" über eine Be-
stellansicht verfügt, die beim Online-Handel in der Kommunikation zwischen Her-
stellern/Lieferanten/Endabnehmern die Daten über Bestellmengen und Preise der
gewählten Verkaufsartikel/ Dienstleistungen in einer Ansicht zur Verfügung stellen
kann.
Die gemäß der Terminologie auf den einschlägigen Technologiebereichen
sprachüblich gebildete, schon aus sich heraus ohne weiteres verständliche, zu-
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das hier angesprochene, meist einschlägig interessierte und mit den grundsätzli-
chen Sprachgepflogenheiten des DV-Bereichs bzw der online-Bestellungen ver-
traute Publikum in der dargelegten, für die beanspruchten Waren beschreibenden
Bedeutung ohne weiteres einer klaren und eindeutigen Begriffsbestimmung zu-
gänglich. Im Zusammenhang mit diesem Software-Produkt wird die Anmeldung
daher kaum in der ihm in der englischen Sprache (auch) innewohnenden allge-
meinen Bedeutung "Befehlsprüfung" oder "Skizzenreihenfolge" oä verstanden
werden, sondern nächstliegend als der im Bereich Internet-Shopping geläufige
und bekannte Begriff für "Bestellansicht". Verwendet nämlich der Verkehr bereits
einen Ausdruck in einem bestimmten Sinn, so belegt dies auch ohne weiteres ein
Interesse der Mitbewerber, diesen Begriff ungehindert verwenden zu können. Der
Gesichtspunkt, dass der Verkehr mitunter unklare, ob ihrer Mehrdeutigkeit eher
schwammige Begriffe nicht benötige, spielt dann keine Rolle (mehr). Erst recht
kann der Meinung der Anmelderin nicht gefolgt werden, das Zeichen könne alle,
den Einzelwörtern order und view als Substantiv wie als Verb zukommenden Be-
deutungen haben. Verben lassen sich schon rein sprachlich nicht zu einem zu-
sammengesetzten Begriff verbinden, gegen die Deutung als Kombination von
Verb und Substantiv spricht das fehlende to, so dass zwanglos nur die Kombina-
tion der beiden Substantive vorliegt. Die Binnengroßschreibung des "V" in "View"
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unter Zusammenziehung der beiden Worte ist als häufig anzutreffende werbeübli-
che Schriftzuggestaltung nicht geeignet, die Sachaussage in den Hintergrund tre-
ten zu lassen. Die angemeldete Marke kann daher, auch in der konkreten
Schreibweise, im Verkehr zur Beschreibung der angemeldeten Waren dienen, ist
also als beschreibende freihaltebedürftige Angabe iSd § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG
von der Eintragung ausgeschlossen.
Wegen des in bezug auf die beanspruchten Waren für die angesprochenen Ver-
kehrskreise erkennbar im Vordergrund stehenden rein beschreibenden Begriffsin-
halts der angemeldeten Wortzusammensetzung und der lediglich einfachen wer-
beüblichen Gestaltung des Schriftbildes fehlt der angemeldeten Marke auch jegli-
che Unterscheidungskraft nach § 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG (vgl ua BGH GRUR 2001,
1153 - antiKalk; BGH WRP 2001, 1082, 1083 - marktfrisch).
Von der Anmelderin angeführte Eintragungen von Marken mit den Bestandteilen
"order" und "view" sind ohne Einfluß auf die Entscheidung. Selbst wenn es sich
um vergleichbare Eintragungen handeln sollte, würde daraus grundsätzlich keine
anspruchsbegründende Bindungswirkung für später angemeldete Marken er-
wachsen, da die Entscheidung über die Schutzfähigkeit einer Marke keine Ermes-
sens-, sondern eine reine Rechtsfrage darstellt (vgl ua BGH GRUR 1997, 527,
529 – Autofelge, BlPMZ 1998, 248, 249 – Today).
Der Fassung des Warenverzeichnisses nach dem Hilfsantrag, die ausdrücklich
"Software und Systeme, bei denen eine Bestellübersicht möglich ist" ausnimmt,
steht das Eintragungshindernis nach § 8 Abs 2 Nr 4 in Verbindung mit § 37 Abs 3
MarkenG entgegen; danach sind solche Marken von der Eintragung ausgeschlos-
sen, die geeignet sind, das Publikum insbesondere über die Art, Beschaffenheit
oder die geographische Herkunft der Waren oder Dienstleistungen zu täuschen,
wenn die Eignung zur Täuschung ersichtlich ist. Das ist hier der Fall. Die Bezeich-
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von Waren und Dienstleistungen über drahtlose Mobilfunkgeräte mittels zugehöri-
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ger Produktcodes, ausgenommen Software und Systeme, bei denen eine Bestell-
übersicht möglich ist", ist ersichtlich geeignet, das Publikum über die Beschaffen-
heit der damit gekennzeichneten Waren zu täuschen. Wie ausgeführt, wird mit
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ein so gekennzeichnetes Software-System zum Bestellen, Kaufen und Bezahlen
von Waren und Dienstleistungen über drahtlose Mobilfunkgeräte mittels zugehöri-
ger Produktcodes auch eine Bestellansicht bietet. Genau dies ist aber nach der
geänderten Fassung des Warenverzeichnisses nicht der Fall, so daß der Verkehr
eine unrichtige verkehrswesentliche Information über die Waren erhält und somit
getäuscht wird. Da nach dieser Einschränkung des Warenverzeichnisses auch
kein Raum für eine Verwendung der Marke in einem sachlichen Zusammenhang
mit Bestellübersichten mehr besteht, mithin also kein Fall einer nicht täuschenden
Verwendung mehr denkbar ist, ist die Eignung zur Täuschung dann auch ersicht-
lich im Sinne von § 37 Abs 3 MarkenG (vgl Althammer/Ströbele MarkenG 6. Aufl
§ 8 Rdnr 230; vgl auch – jeweils veröffentlicht bei PAVIS PROMA CD-ROM
- BPatG 26 W (pat) 36/01 – KOMBUCHA; 30 W (pat) 170/00 – INTERNET schnell
& einfach).
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde fehlt es an den gesetzlichen Vorausset-
zungen des § 83 Abs 2 MarkenG. Angesichts der vorliegenden konkreten Einzel-
fallgestaltung, in der die Verwendung der angemeldeten Bezeichnung als Sach-
angabe nachgewiesen ist, sieht der Senat weder den Zulassungsgrund der grund-
sätzlichen Rechtsfrage noch den der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung als gegeben. Eine Abweichung von den Ent-
scheidungen 28 W (pat) 311/96 (TransferSafe) und 32 W (pat) 43/01 (intelligent
views) ist schon deshalb nicht gegeben, weil im Gegensatz zu den dort behan-
delten Wortkombinationen hier eine beschreibende Verwendung im maßgeblichen
Warenbereich nachweisbar ist. Entgegen den Erwägungen der Anmelderin fehlt
es auch an einem wesentlichen Mangel des Verfahrens vor dem Patentamt, wie
oben bereits ausgeführt. Welche Aufklärungspflichten das Bundespatentgericht
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mit einem Hinweis auf Teilschutzfähigkeit einer Marke vor dem sachlichen Hinter-
grund des vorliegenden Verfahrens verletzen können soll, ist nicht erkennbar.
Dr. Buchetmann
Winter
Schramm
Hu