Urteil des BPatG vom 14.10.2004

BPatG (druckschrift, stand der technik, anlage, herstellung, silber, patentanspruch, licht, fachmann, farbe, gegenstand)

BPatG 253
9.72
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
2 Ni 21/03
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
14. Oktober 2004
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das Patent 198 29 970
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2004 unter Mitwirkung des Vorsitzen-
den Richters Meinhardt sowie der Richter Dipl.-Phys. Dr. Kraus, Gutermuth,
Dipl.-Ing. Schuster und Dipl.-Phys. Dr. Zehendner
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist für die Beklagte im Kostenpunkt gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden
Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents 198 29 970
(Streitpatent), das am 4. Juli 1998 angemeldet worden ist und ein Verfahren zur
Herstellung von UV-Polarisatoren betrifft.
Das Streitpatent umfasst 15 Patentansprüche, von denen Patentanspruch 1 fol-
genden Wortlaut hat:
"1. Verfahren zur Herstellung von UV-Polarisatoren, bei denen die
Polarisation durch dichroitische Absorption erfolgt,
dadurch gekennzeichnet, daß
in einem ersten Verfahrensschritt in die Oberfläche eines Glases
Metallionen eingebracht werden,
- 3 -
in einem zweiten Verfahrensschritt das Glas getempert wird bis zu
einer Reduktion und Ausscheidung der Metallionen in der Oberflä-
che des Glases in Form kristalliner Partikel,
in einem dritten Verfahrensschritt eine Nachtemperung in einer
nichtreduzierenden Atmosphäre erfolgt zur Umwandlung der im
zweiten Verfahrensschritt erzeugten Partikel zu größeren Partikeln,
in einem vierten Verfahrensschritt Metallionen in das Glas analog
dem ersten Verfahrensschritt eingebracht werden,
in einem fünften Verfahrensschritt das Glas erneut getempert wird,
wobei sich die im vierten Verfahrensschritt eingebrachten Metallio-
nen in der Oberfläche des Glases in Form kristalliner Partikel klei-
nerer Größe als die im dritten Verfahrensschritt erzeugten Partikel
ausscheiden und
in einem sechsten Verfahrensschritt eine Deformation des Glases
bei Temperaturen nahe der Glasübergangstemperatur derart vor-
genommen wird, daß die Partikel unterschiedlicher Größe zu rotati-
onsellipsoidförmigen Partikeln mit unterschiedlichen Halbachsen-
verhältnissen umgeformt werden."
Wegen der Patentansprüche 2 bis 15 wird auf die Patentschrift (C 2) Bezug ge-
nommen.
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Streit-
patents sei nicht patentfähig, da er sich für den Fachmann in naheliegender Weise
aus dem Stand der Technik ergebe. Des weiteren sei die angebliche Erfindung
des Streitpatents nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann
sie ausführen könne.
Zum Nachweis fehlender Erfindungshöhe beruft sich die Klägerin auf folgende
Druckschriften:
- 4 -
1) Drost, W.-G.: Rotationsellipsoidförmige Silberkolloide in Glasoberflä-
chen. Dissertation 1991 (Anlage 1, Diss-1) mit den Seiten 3, 5 bis 7, 9
und 38 gemäß Anlage 17 zum Austausch der entsprechenden Seiten in
Anlage 1
2) US 5 122 907 (Anlage 2)
3) Mennig, M.: Zur Verformung sphärischer Silberkolloide durch plasti-
sche Deformation des sie umgebenden Glases. Dissertation 1986 (An-
lage 3, Diss-2)
4) Dissertation
Porstendorfer,
1997, S. 63 und 64 (Anlage 4)
5) Glaverbel: Glass Specification, 1.4.2003, S. 1 bis 14 (Anlage 5)
6) K.-J. Berg et al.: Small silver particles in glass surface layers produced
by sodium-silver ion exchange – their concentration and size depth pro-
file. In: Z. Phys. D – Atoms, Molecules and Clusters 20, 1991, S. 309
bis 311 (Anlage 6)
7) K.-J. Berg et al.: Colour-microstructured glass polarizers.
In: Glastech. Ber. Glass Sci. Technol. 68 C1,1995, S 554 bis 559, (Anlage
7)
8) K.-J. Berg: Fensterglas wird zu Komponenten für optoelektronische
und mikrooptische Bauelemente. In: scientia halensis, 1/1994,
S. 35 bis 37 (Anlage 8)
9) DE 195 02 321 C1 (Anlage 10)
10) DE 31 50 201 A1 (Anlage 12)
11) S. Honkanen, A. Tervonen: Experimental analysis of Ag
+
- Na
+
ex-
change in glass with Ag film ion sources for planar optical waveguide
fabrication. In: J. Appl. Phys. 63(3), 1988, S.634 bis 639 (Anlage 13)
12) K.-J. Berg: Zur Färbung der durch Ionenaustausch Na
+
- Ag
+
verfestig-
ten Torgauer Tafelgläser. Forschungsbericht an das
WTZ Bauglas Torgau, 1978 (Anlage 14)
13) R. Gerlach: Die Färbung der durch Ionenaustausch Ag
+
- Na
+
verfestigten Natriumsilikatgläser. Diplomarbeit 1978 (Anlage 15)
14) E. Klein: Zur Silberkolloidbildung in Natrium-Kalk-Silikatglas nach Na-
trium-Silber-Ionenaustausch. Dissertation, 1986 (Anlage 16).
- 5 -
Die Klägerin beantragt,
das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält den
Gegenstand des Streitpatents für patentfähig.
Entscheidungsgründe:
Die Klage, mit der die in § 22 Abs.2 iVm § 21 Abs.1 Nr.1 und 2 PatG vorgesehe-
nen Nichtigkeitsgründe fehlender Patentfähigkeit und unzureichender Offenbarung
geltend gemacht werden, ist zulässig, aber nicht begründet.
I.
1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von UV-Polarisatoren, bei
denen die Polarisation auf dichroitischer Absorption von UV-Licht in einem breiten
Wellenlängenbereich durch rotationsellipsoidförmige, metallische Partikel beruht,
die in ein Trägermaterial eingebaut sind, für das hauptsächlich Standard-Floatglas
verwendet wird.
Die Streitpatentschrift beschreibt einleitend, dass aus der US 3 653 863 ein Ver-
fahren zur Herstellung photochromer, polarisierender Gläser bekannt sei, bei dem
photochrome (silberhalogenidhaltige) Glaser getempert würden, um Silberhaloge-
nidpartikel der gewünschten Größe im Glas zu erzeugen. Das Glas werde bei ei-
ner Temperatur von 500 bis 600°C verstreckt, extrudiert oder gewalzt, um die Sil-
berhalogenidpartikeln zu Ellipsoiden zu verformen und zu orientieren. Wenn das
Glas UV-Strahlung ausgesetzt werde, scheide sich Silbermetall auf der Oberfläche
- 6 -
der Partikel ab. Derartige Gläser könnten deshalb durch Bestrahlung zwischen
klar - unpolarisiert und eingedunkelt - polarisierend geschaltet werden.
Aus der WO 98/14409 sei ein Polarisator bekannt, bei dem metallische Partikel mit
einer breiten Größenverteilung in ein Glas eingebaut seien. Zur Herstellung
würden im Glas zunächst Präzipitate unterschiedlicher Größe einer Metallverbin-
dung erzeugt. Anschließend werde das Glas mit den Ausscheidungen gestreckt,
so daß die Präzipitate zu Rotationsellipsoiden verformt und gleichzeitig parallel
zueinander ausgerichtet würden. Bei einem anschließenden Temperschritt würden
die verformten Präzipitate reduziert, so daß in der Oberfläche des Glases ro-
tationsellipsoidförmige Metallpartikel unterschiedlicher Größe vorhanden seien.
Aus der US 5 122 907 sei es bekannt, daß der gewünschte Wellenlängenbereich
derartiger Polarisatoren vom Volumen und vom Achsverhältnis der rotations-el-
lipsoidförmigen Metallpartikel abhänge, während die US 4 486 213 vorschlage, zur
Erzielung einer höheren Exzentrizität der Metallpartikel ein metallhalogenid-halti-
ges Glas vor dem Deformationsprozeß mit einem anderen Glas zu umgeben.
Ein genereller Nachteil der genannten Verfahren und Gläser sei es, daß dafür
komplexe und teure Spezialgläser erforderlich seien und daß es daher bisher nicht
gelungen sei, das Anwendungsfeld auf den kurzwelligen sichtbaren oder gar
ultravioletten Spektralbereich auszudehnen.
Für den praktischen Einsatz von Polarisatoren im ultravioletten Spektralbereich
seien breitbandige Extinktionskurven von besonderem Interesse, da als Licht-
quellen in diesem Bereich vorrangig Halogenlampen mit einem deutlichen Linien-
spektrum verwendet würden, so daß es zur Erzielung einer hohen Lichtintensität
erforderlich sei, mehrere Linien zu nutzen.
Die Streitpatentschrift nennt daher als Aufgabe, ein Verfahren zur Herstellung von
UV-Polarisatoren anzugeben, das es gestattet, UV-Polarisatoren mit Polarisati-
onswirkungen in einem möglichst breiten Wellenlängenbereich aus einfachem
Ausgangsmaterial kostengünstig herzustellen, vgl. Sp. 3, Z. 18 bis 23.
Dementsprechend beschreibt der Patentanspruch 1 in einer nach Verfahrens-
schritten gegliederten Fassung ein
- 7 -
Verfahren zur Herstellung von UV-Polarisatoren, bei denen die Polarisation
durch dichroitische Absorption erfolgt, wobei
1) in einem ersten Verfahrensschritt in die Oberfläche eines
Glases Metallionen eingebracht werden,
2) in einem zweiten Verfahrensschritt das Glas getempert wird
bis zu einer Reduktion und Ausscheidung der Metallionen in
der Oberfläche des Glases in Form kristalliner Partikel,
3 in einem dritten Verfahrensschritt eine Nachtemperung in
einer nichtreduzierenden Atmosphäre erfolgt zur Umwandlung
der im zweiten Verfahrensschritt erzeugten Partikel zu größe-
ren Partikeln,
4) in einem vierten Verfahrensschritt Metallionen in das Glas
analog dem ersten Verfahrensschritt eingebracht werden,
5) in einem fünften Verfahrensschritt das Glas erneut getempert
wird, wobei sich die im vierten Verfahrensschritt eingebrachten
Metallionen in der Oberfläche des Glases in Form kristalliner
Partikel kleinerer Größe als die im dritten Verfahrensschritt
erzeugten Partikel ausscheiden und
6) in einem sechsten Verfahrensschritt eine Deformation des
Glases bei Temperaturen nahe der Glasübergangstemperatur
derart vorgenommen wird, daß die Partikel unterschiedlicher
Größe zu rotationsellipsoidförmigen Partikeln mit unterschied-
lichen Halbachsenverhältnissen umgeformt werden.
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist patentfähig, da er unbestritten neu
ist und sich für den Fachmann, einen mit der Entwicklung und Herstellung polari-
sierender Gläser befaßten Dipl.- Physiker mit langjähriger Erfahrung auf diesem
Gebiet, nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.
Die Druckschrift 1 beschreibt ein auf dichroitischer Absorption beruhendes Verfah-
ren zur Färbung von handelsüblichem Flachglas. Dabei werden in das Glas ein-
gebrachte, sphärische Silberpartikel bzw. –kolloide durch Deformation des Glases
- 8 -
zu Rotationsellipsoiden verformt, die einheitlich orientiert sind. Die Größe der Ex-
zentrizität bzw. des Halbachsenverhältnisses der Rotationsellipsoide bestimmt die
Farbe des Glases. Denn die Farbwirkung beruht darauf, daß das Glas wegen der
rotationsellipsoidförmigen Silberpartikel eine im sichtbaren Wellenlängenbereich
liegende Extinktions- bzw. Absorptionsbande für Licht aufweist, das parallel zur
großen Halbachse der Partikel linear polarisiert ist, wobei die Lage des Maximums
der Bande von der Größe der Exzentrizität abhängt und sich mit zunehmender
Exzentrizität zu längeren Wellenlängen verschiebt, vgl. Abb. 31, Kurve 1 sowie in
Druckschrift 8 die Abbildung 2. Wie die Abb. 31, Kurve 3, zudem zeigt, weist das
Glas für Licht, das senkrecht zur großen Halbachse linear polarisiert ist, ebenfalls
eine Extinktionsbande auf, die jedoch im UV-Wellenlängenbereich liegt und daher
für die Farbwirkung des Glases ohne Bedeutung ist.
Die Druckschrift 1 befaßt sich ausschließlich mit dem Problem, dem Glas eine
einheitliche bzw. klare Farbe zu geben. Voraussetzung dafür ist nach Druckschrift
1 die Erzeugung von sphärischen Silberpartikeln gleicher Größe bzw. mit einer
schmalen Größenverteilung in einem oberflächennahen Bereich des Glases. Mit
dem in dieser Druckschrift angegebenen Verfahren werden daher sphärische Sil-
berpartikel mit – extrem formuliert - „monodisperser“ Größenverteilung und einem
Radius von 10 nm, mindestens aber mit enger Größenverteilung und einem mittle-
ren Radius von 5 nm
≤ R
≤ 15 nm erzeugt, die dann durch die anschließende
Deformation des Glases zu Rotationsellipsoiden verformt werden, vgl. S. 3, Abs.
1.3 und S. 4.
Zur Erzeugung einer engen Größenverteilung werden in einem ersten Verfahrens-
schritt durch Silber-Natrium-Ionenaustausch bei möglichst niedriger Temperatur
und einer entsprechend niedrigen Diffusionsgeschwindigkeit Silberionen in das
Glas eingebaut, wobei zur Begrenzung der Eindringtiefe der Silberionen auf den
oberflächennahen Bereich des Glases der Ionenaustausch nur kurzzeitig stattfin-
det. In einem zweiten Verfahrensschritt erfolgt eine Temperung zur Reduktion und
zur Bildung sphärischer Silberpartikel in einer reduzierenden Atmosphäre. Die
damit erzielbare Größenverteilung der Partikel zeigt die Abb. 29, S. 37. In einem
dritten Verfahrensschritt wird das Glas durch Zug verformt, so daß die sphärischen
Partikel zu rotatationsellipsoidförmigen Partikeln umgeformt werden. Dieses
- 9 -
Verfahren läßt sich nach Druckschrift 1 dahingehend modifizieren, daß anschlie-
ßend an die beiden ersten Verfahrensschritte ein zweiter zum ersten identischer
Ionenaustausch mit darauffolgender erneuter Temperung in einer reduzierenden
Atmosphäre erfolgt. Dadurch nimmt die Größe der sphärischen Silberpartikel
weiter zu und zugleich wird eine noch engere Größenverteilung gemäß Abb. 30,
S. 37, erzielt, vgl. Abschnitt 2.1.1, S. 6 und 7 iVm S. 37 sowie Tabelle 3.1, S. 95.
Mit den der Deformation des Glases vorausgehenden Verfahrensschritten soll also
eine Größenverteilung der sphärischen Silberpartikel erzielt werden, die im
Idealfall „monodispersiv“ ist, damit die durch die Verformung des Glases entste-
henden, rotatationsellipsoidförmigen Partikel eine schmale Extinktionsbande für
eine bestimmte Wellenlänge im sichtbaren Bereich ergeben, so daß das Glas eine
reine Farbe im parallel zur großen Halbachse der Partikel linear polarisierten Licht
hat. Hingegen finden sich keine Maßnahmen, die auf die Erzielung eines mög-
lichst breiten Extinktions- bzw. Absorptionsbereichs im UV-Wellenlängenbereich
zur Verwendung des Glases als UV-Polarisator gerichtet sind.
Diese Druckschrift 1 kann demnach keine Anregung für das Verfahren zur Her-
stellung von UV-Polarisatoren mit den im Patentanspruch 1 des Streitpatents an-
gegebenen Verfahrensschritten geben, insbesondere für die Abfolge der Schritte 1
bis 5 zur Erzielung einer breiten Größenverteilung der Silberpartikel in einem
oberflächennahen Bereich des Glases, wobei das Verfahren nicht auf die Ver-
wendung von Standard-Floatglas beschränkt ist. Diese Größenverteilung ist die
Voraussetzung, daß sich durch die Deformation des Glases rotatationsellipsoid-
förmige Partikel mit unterschiedlich großen Halbachsenverhältnissen ergeben, so
daß mindestens zwei Extinktionsbanden im UV-Wellenlängenbereich mit deutlich
unterschiedlichen Maximumslagen vorhanden sind, wobei sich jedoch die Banden
überlappen und eine breite Extinktions- bzw. Absorptionsbande entsteht, vgl.
Streitpatentschrift, Abb. 1 sowie Sp. 3, Z. 39 bis 49. In Verbindung mit dem dritten
Verfahrensschritt, der sich an die aus Druckschrift 1 an sich bekannten ersten
beiden Verfahrensschritte anschließt und durch den sich die mit den ersten beiden
Verfahrensschritten erhaltenen, kleinen, sphärischen Silberpartikeln zu größeren
Partikeln umbilden, vgl. Streitpatentschrift, Sp. 4, Z. 37 bis 40, führt die dar-
auffolgende, aus Druckschrift 1 an sich bekannte Wiederholung der beiden ersten
- 10 -
Verfahrensschritte zur Bildung neuer kleiner sphärischer Silberpartikel, ohne daß
die im dritten Verfahrensschritt gebildeten großen Partikel wesentlich verändert
werden und so eine breitere Größenverteilung erzeugt wird, vgl. Sp. 4, Z. 41 bis
47.
Die Druckschrift 1 in Verbindung mit einer der Druckschriften 3, 6, 12 oder 14 führt
entgegen der Auffassung der Klägerin ebenfalls nicht zu dem streitpatentgemäßen
Verfahren.
Die Druckschrift 3 betrifft ein auf dichroitischer Absorption beruhendes Verfahren
zur Färbung von kommerziellem Fensterglas, bei dem durch Silber-Natrium-Io-
nenaustausch Silberionen in das Glas eingebaut werden, anschließend das Glas
zur Bildung von sphärischen Silberkolloiden getempert und dann deformiert wird,
so daß sich rotationsellipsoidförmige Silberkolloide ergeben, vgl. S. 38 ff. Der
90 Minuten dauernde Ionenaustausch erfolgte bei 400°C und das Glas wurde 20h
lang bei 600°C getempert. Damit ergibt sich eine Größenverteilung der sphäri-
schen Silberkolloide in Abhängigkeit vom Abstand zur Glasoberfläche. Diese tie-
fenabhängige Größenverteilung stellt die Abb. 21 a, S 46 dar. Es zeigt sich, daß
im oberflächennahen Bereich die Größe der Silberkolloide so gering ist, daß sie
bei der Deformation des Glases nicht zu Rotationsellipsoiden verformt werden.
Abhängig von dem Abstand zur Oberfläche ergeben sich die in Abb. 26, S. 60
dargestellten Absorptionsbanden. Diese sind im UV-Wellenlängenbereich
schmalbandig und die Maximumslagen unterscheiden sich kaum, da diese Ban-
den im wesentlichen richtungsunabhängige bzw. nicht dichroitische Absorptions-
banden sind, die sich durch die nicht verformten Silberkolloide ergeben. Diese Sil-
berkolloide führen im übrigen im sichtbaren Wellenlängenbereich zu einer Überla-
gerung der auf dichroitischer Absorption durch verformte Silberkolloide beruhen-
den Farbwirkung mit einer gelben Farbe, wie in der Druckschrift 1, S.3,
Abschnitt 1.3 ausgeführt ist.
Die Druckschrift 6 betrifft ein Verfahren zur Erzeugung sphärischer Silberkolloide
in Glas, das zu einer tiefenabhängigen Größenverteilung der Silberkolloide führt,
- 11 -
wie die Fig. 1 deutlich zeigt. Diesbezüglich geht die Druckschrift 6 nicht über den
Inhalt der Druckschrift 3 hinaus.
Die Druckschrift 12 beschreibt ein Verfahren zur Färbung von Gläsern, das auf der
richtungsunabhängigen bzw. nicht dichroitischen Absorption von Licht durch
sphärische Silberkolloide (submikroskopische metallische Silberpartikel) im Glas
beruht, wobei die Intensität und Art der Farbe durch die Menge an kolloidalem Sil-
ber bzw durch den Kolloidradius bestimmt ist. Die Dauer und Temperatur der
Temperung, die sich an einen Silber-Natrium-Ionenaustausch anschließt, be-
stimmt die Kolloidgröße. Die Färbung ist auf eine dünne Oberflächenschicht von
50 bis 100 µm beschränkt und die Durchmesser der Kolloide liegen zwischen 4
und 10 nm, wobei am Ende der verfärbten Zone der Durchmesser 90 nm erreicht,
vgl. die Zusammenfassung, S. 57 und 58.
Das dieser Druckschrift entnehmbare Verfahren zur Erzeugung von Silberkolloi-
den im Glas ergibt Kolloide, deren überwiegende Größe so gering ist, daß sie
mittels einer Deformation des Glases nicht zu Rotationsellipsoiden verformt wer-
den können, was Voraussetzung für das Entstehen dichroitischer Absorptions-
banden ist.
Die Druckschrift 14 befaßt sich mit der Bildung sphärischer Silberkolloide nach ei-
nem Silber-Natrium-Ionenaustausch mit anschließender Temperung, wobei Kol-
loide in der Größe von 0,5 bis 1,3 nm entstehen, vgl. insbesondere S. 108, letzter
Abs. Dieses Verfahren ist daher ungeeignet, Silberkolloide von einer Größe zu er-
zeugen, die eine Umformung der Kolloide zu rotationsellipsoidförmigen Kolloiden
durch Deformation des Glases ermöglicht.
Den übrigen Druckschriften 2, 4, 7 bis 11 und 13 ist ebenfalls nichts entnehmbar,
was in naheliegender Weise zum Verfahren gemäß Patentanspruch 1 führen
könnte.
Die Druckschrift 2 betrifft die Herstellung von Polarisatoren durch Aufdampfen von
ellipsoidförmigen Metallpartikeln auf eine Glasoberfläche, vgl. Abstract.
- 12 -
Die Druckschrift 4 zeigt die Abhängigkeit der Maximumslage der dichroitischen
Absorptionsbanden im sichtbaren und infraroten Wellenlängenbereich von dem
Halbachsenverhältnis rotationsellipsoidförmiger Metallpartikel im Glas.
Die im wesentlichen inhaltsgleichen Druckschriften 7 und 8 zeigen dichroitische
Absorptionsbanden im UV- und sichtbaren Wellenlängenbereich in Abhängigkeit
von der Verformung des Glases, vgl. Fig. 1 bzw. Abb. 2.
Die Druckschrift 9 beschreibt ein Verfahren zum Verformen von Gläsern großer
Flächenabmessung mit eingebauten submikroskopisch kleinen Metallpartikeln
bzw. Metallkolloiden zur Herstellung polarisierender Gläser. Ein Verfahren zur Er-
zeugung der Kolloide ist in dieser Druckschrift nicht angegeben.
Die Druckschrift 10 betrifft ein Verfahren zur Herstellung polarisierender Brillen-
gläser, bei dem ein Glas verwendet wird, das bereits ein reduzierbares Metall, z.
b. Bleioxid, enthält. Das Glas wird in einer reduzierenden Atmosphäre zur Reduk-
tion des Metalloxids erhitzt und im erweichten Zustand auf das 10- bis 30-fache
verstreckt, so daß die Metallpartikel gedehnt werden und nach dem Abkühlen des
Glases eine dauerhafte Oberflächenpolarisation bewirken, vgl. die Zusammenfas-
sung.
Die Druckschrift 11 befaßt sich mit der Herstellung von planaren Lichtwellenleitern
mittels Silber-Natrium-Ionenaustausch in einem Glassubstrat.
Die Druckschrift 13 betrifft ebenso wie die bereits erwähnte Druckschrift 12 ein
Verfahren zur Färbung von Gläsern, die auf einer nicht dichroitischen Absorption
von Licht durch sphärische Silberkolloide im Glas beruht. Diese Druckschrift be-
stätigt im wesentlichen die in Druckschrift 12 genannten Ergebnisse bezüglich der
Größenverteilung der sphärischen Kolloide, vgl. Zusammenfassung, insbesondere
Punkt 4 und 5.
Die Druckschrift 5 bleibt außer Betracht, da sie nachveröffentlicht ist.
- 13 -
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht demnach auf einer erfinderischen
Tätigkeit.
Mit dem Patentanspruch 1 haben auch die auf ihn zurückbezogenen Patentan-
sprüche 2 bis 15 Bestand.
3. Die Erfindung ist auch so deutlich und vollständig offenbart, daß sie der vorge-
nannte Fachmann ausführen kann.
Mit dem Ausführungsbeispiel 2 bzw. 3 sind die wesentlichen Parameter für das mit
dem Patentanspruch 1 bzw. 2 beanspruchte Verfahren angegeben, die den
Fachmann in die Lage versetzen, das Verfahren nacharbeiten zu können. Denn
der Fachmann kennt selbstverständlich das in Druckschrift 9 beschriebene Ver-
fahren zur Deformation von Gläsern großer Flächenabmessungen, bei dem eine
schmale Heizzone über das unter Zugspannung stehende Glas bewegt wird.
Weiterhin bedarf es allenfalls weniger Versuche, um eine geeignete Zusammen-
setzung für die Salzschmelze hinsichtlich des AgNO
3
- Gehalts zu finden, der üb-
licherweise im Bereich von 0,1 bis 2 Masse-% liegt, vgl. z. B. Druckschrift 1, S. 7
die Angabe: 0,1 –0,2 Masse-% AgNO
3
. Da das Verfahren nach Patentanspruch 1
nicht auf die Verwendung von Standard-Floatglas beschränkt ist, ist das diesbe-
zügliche Vorbringen der Parteien unbeachtlich.
Demnach war die Klage abzuweisen.
- 14 -
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO,
der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709
ZPO.
Meinhardt
Dr. Kraus
Gutermuth
Schuster
Dr. Zehendner
Pr