Urteil des BPatG vom 11.02.2009

BPatG (stand der technik, reifen, gegenstand, patent, einspruch, anhörung, bestand, druckschrift, rückzahlung, herstellung)

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
14 W (pat) 39/05
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 197 40 413
hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in
der Sitzung vom 11. Februar 2009 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr. Schröder sowie des Richters Harrer, der Richterin Dr. Proksch-Ledig und des
Richters Dr. Gerster
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beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Das Patent 197 40 413 wird in vollem Umfang aufrechterhalten.
G r ü n d e
I
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 18. Mai 2005 hat die Patentabteilung 44
des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent 197 40 413 mit der Bezeich-
nung
„Verfahren und Vorrichtung zum Verarbeiten von Reifen“
widerrufen.
Der Widerruf ist im Wesentlichen damit begründet, dass der Gegenstand des er-
teilten Anspruchs 1 gegenüber der Lehre der Druckschrift
E1: DE 33 08 651 A1
nicht neu sei. Aus E1 sei ein Verfahren zum Verarbeiten von Reifen bekannt, bei
dem die Reifen durch eine Aufeinanderfolge von Schnitten derart zerlegt würden,
dass die zwei Seitenteile von der Lauffläche abgetrennt und die entstehenden Rin-
ge zu neuen Produkten miteinander verbunden würden, wobei das Verbinden
durch Flechten erfolgen könne. Damit sei das Verfahren gemäß Anspruch 1 aus
E1 bekannt.
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Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin, mit der
sie ihr Patent mit den der Erteilung zugrunde liegenden Ansprüchen 1 bis 11 wei-
terverfolgt.
Die Ansprüche 1, 7 und 9 lauten:
1.
Verfahren zum Verarbeiten von Reifen und zur Herstellung
von aus dem Reifenmaterial bestehenden Produkten, wobei die
Reifen durch eine Aufeinanderfolge von Schnitten zerlegt werden
derart, dass die zwei Seitenteile von der Lauffläche abgetrennt
werden und die entstehenden Ringe zu neuen Produkten mitei-
nander verbunden werden und das Verbinden der Ringe durch
Flechten erfolgt.
7.
Vorrichtung zum Schneiden von Reifen mittels Messern, wo-
bei der Reifen (3) in einer Führung (4) fixiert ist und von einer An-
triebsrolle (5) eine Wulst (7) erzeugt und auf einer Welle (6) min-
destens ein Messer (8) angeordnet ist, welches von Innen an der
Wulst (7) die Lauffläche (1) des Reifens (3) durchschneidet.
9.
Block, Matte oder Strang, bestehend aus miteinander verfloch-
tenen Ringen aus geschnittenen Reifen.
In ihrer Beschwerdebegründung macht die Patentinhaberin insbesondere geltend,
dass an keiner Stelle der E1 das Verbinden von Ringen durch Flechten beschrie-
ben werde, und dies auch aus keiner der Figuren der E1 zu ersehen sei. Die Her-
stellung von Körpern durch Verflechten von Ringen, wie im Streitpatent beschrie-
ben, sei durch ein Verschlingen von Bändern gemäß der E1 nicht möglich.
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Die Patentinhaberin beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent in vol-
lem Umfang aufrechtzuerhalten.
Außerdem beantragt sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr, da vom DPMA
eine sachdienliche Anhörung abgelehnt worden sei, deren Sachdienlichkeit sich
aus der Auffassung des Europäischen Patentamts im parallel gelagerten Ein-
spruchsverfahren ergebe, dass die Gegenstände der Patentansprüche unter Wür-
digung der auch im vorliegenden Verfahren vorliegenden Entgegenhaltungen neu
seien und der Einspruch zurückzuweisen sei.
Die Einsprechende hat mit Schriftsatz vom 28. Juli 2006 ihren Einspruch zurück-
genommen, nachdem sie sich mit der Inhaberin des Streitpatents, auf die zwi-
schenzeitlich das Streitpatent umgeschrieben wurde, geeinigt habe.
Wegen weiterer Einzelheiten, insbesondere zum Wortlaut der nachgeordneten An-
sprüche 2 bis 6, 8 und 10 bis 11 wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II
Die Beschwerde der Patentinhaberin ist zulässig und führt zu dem im Tenor ange-
gebenen Ergebnis.
1.
Bezüglich der Offenbarung der erteilten Anspruchsfassung bestehen keine
Bedenken. Der Anspruch 1 geht aus den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 2 her-
vor. Die Ansprüche 2 bis 10 entsprechen ursprünglichen Ansprüchen 3 bis 6, 9 bis
11, 13 und 16. Der Anspruch 11 basiert auf den ursprünglichen Ansprüchen 17
und 7.
- 5 -
2.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu. Er betrifft ein Verfahren zum Verar-
beiten von Reifen mit den Merkmalen:
1. Verfahren zum Verarbeiten von Reifen und zur Herstellung von
aus dem Reifenmaterial bestehenden Produkten, wobei
2. die Reifen durch eine Aufeinanderfolge von Schnitten zerlegt wer-
den,
3. die zwei Seitenteile von der Lauffläche abgetrennt werden,
4. die entstehenden Ringe zu neuen Produkten miteinander verbun-
den werden und
5. das Verbinden der Ringe durch Flechten erfolgt.
Aus E1 sind Netzwerke bekannt, die aus Fahrzeugreifen in zerschnittener Form
aufgebaut sind, wobei das Netzwerk aus in einzelne Ringe zerschnittenen Reifen
aufgebaut werden kann (Ansprüche 1, 17 und 20). Damit sind aus E1 die Merkma-
le 1 bis 4 des Anspruchs 1 bekannt. Die einzelnen Netzwerksglieder können ge-
mäß E1 mit herkömmlichen Mitteln aneinander gefügt oder ohne die Verwendung
von Befestigungsmitteln einfach ineinander geschlungen werden (vgl Anspruch 2
i. V. m. S. 12 Abs. 3). Für Netzwerke, die insbesondere für längs geschnittene Rei-
fenlaufflächen geeignet sind, wird die Vermaschung von längs geschnittenen Rei-
fenlaufflächen und die Bildung von Schlingen gezeigt. Die längs geschnittenen
Reifenlaufflächen werden dadurch gewonnen, dass von einem Reifen die Laufflä-
che abgetrennt und einmal durchgeschnitten wird, woraus Laufflächenbänder ent-
stehen. Für diese Reifenlaufflächen wird durchgängig in E1 das Bezugszeichen 17
verwendet, wogegen in einzelne Ringe zerschnittene Laufflächen das Bezugszei-
chen 18 tragen (vgl. S. 20 Abs. 3 bis S. 21 Abs. 3, S. 22 Abs. 2 und Fig. 6 bis 9
i. V. m. S. 19 Abs. 2 bis S. 20 Abs. 1 sowie Fig. 3 bis 5). Das Verbinden der Rei-
fenteile durch Vermaschen oder Schlingen ist in E1 also lediglich für durchge-
schnittene Ringe aus Reifen, d. h. Bänder, beschrieben, nicht aber für Ringe aus
Reifen. Das Merkmal 5 ist daher von E1 nicht vorweggenommen.
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Damit wird auch der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 9, der Block, Mat-
te oder Strang aus miteinander verflochtenen Ringen aus geschnittenen Reifen
betrifft, von E1 nicht neuheitsschädlich vorweggenommen.
Die weiteren im Verlauf des Einspruchsverfahren genannten Entgegenhaltungen
liegen dem Gegenstand des Anspruchs 1 ferner und wurden weder im angegriffe-
nen Beschluss der Einspruchsabteilung noch im Beschwerdeverfahren aufgegrif-
fen.
3.
Auch der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 7 ist neu.
Der Anspruch 7 betrifft eine Vorrichtung zum Schneiden von Reifen mittels Mes-
sern, wobei der Reifen in einer Führung fixiert ist, von einer Antriebsrolle eine
Wulst erzeugt und auf einer Welle mindestens ein Messer angeordnet ist, welches
von Innen an der Wulst die Lauffläche des Reifens durchschneidet.
Vorrichtungen zum Schneiden von Reifen sind zwar aus den Entgegenhaltungen
E7: US 3 733 941
E8: DE 27 42 286 A1
E9: US 5 054 351
E10: US 5 235 888
bekannt. Aus keiner dieser Druckschriften geht aber hervor, gemäß Anspruch 7
bei einer Reifenschneidevorrichtung von Innen an der mittels Antriebsrolle erzeug-
ten Wulst die Lauffläche des Reifens zu durchschneiden. Die weiteren im Ein-
spruchsverfahren genannten Entgegenhaltungen liegen dem Gegenstand des An-
spruchs 7 noch ferner.
4.
Die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1, 7 und 9 beruhen auch auf
einer erfinderischen Tätigkeit.
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Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und eine Vorrichtung
zu schaffen, mit welchen eine effektive Aufarbeitung von verschiedensten Reifen
ermöglicht wird und mit einfachen Mitteln preiswert herstellbare Zwischenprodukte
und neue Endprodukte mit hohem Verwendungswert geschaffen werden (vgl. S. 1,
Abs. [0006]. Den am nächsten kommenden Stand der Technik und Ausgangs-
punkt zur Lösung der Aufgabe durch das Verfahren gemäß Anspruch 1 und durch
die Erzeugnisse gemäß Anspruch 9 bildet die Druckschrift E1. Wie vorstehend
dargelegt, sind daraus ein Verfahren gemäß den Merkmalen 1 bis 4 des An-
spruchs 4 sowie verschiedene aus Reifenbestandteilen aufgebaute Netzwerke be-
kannt. E1 beschreibt zwar eine große Zahl von Möglichkeiten Reifenbestandteile
und auch aus Reifen geschnittene Ringe miteinander zu verbinden und daraus
verschiedene Netzwerke zu bilden. Nicht angeregt wird von E1 aber, gerade
Ringe aus Reifen durch Flechten gemäß Merkmal 5 des Anspruchs 1 zu verbin-
den und Blöcke, Matten oder Stränge aus miteinander verflochtenen Ringen ge-
mäß Anspruch 9 bereitzustellen. Auch die weiteren dem Senat vorliegenden Ent-
gegenhaltungen liefern hierfür keine Anregungen. Die Gegenstände der unabhän-
gigen Ansprüche 1 und 9 sind daher vom Stand der Technik nicht nahegelegt.
Das gleiche gilt für den Gegenstand des Anspruchs 7. Der Vorrichtung zum
Schneiden von Reifen mittels Messern gemäß Anspruch 7 kommt die Entgegen-
haltung E7 am nächsten. Dabei wird aber im Gegensatz zur Vorrichtung gemäß
Anspruch 7 das Messer in der Weise angeordnet, dass die Lauffläche des Reifens
von Außen durchschnitten wird. Auch die weiteren Entgegenhaltungen E8, E9 und
E10 regen den Fachmann nicht dazu an, die Lehre der E7 in der Weise abzuän-
dern und das Messer so anzuordnen, dass die Lauffläche des Reifens gemäß An-
spruch 7 von Innen durchschnitten wird, und dabei noch gemäß Anspruch 7 eine
Antriebswelle vorzusehen, die einen Wulst im Reifen erzeugt, in den das Messer
schneidet.
Die unabhängigen Ansprüche 1, 7 und 9 haben damit Bestand.
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Die auf die Ansprüche 1, 7 und 9 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 6, 8, 10 und 11,
die besondere Ausgestaltungen der Gegenstände der unabhängigen Ansprüche
betreffen, haben mit diesen Ansprüchen ebenfalls Bestand.
5.
Der Anregung der Patentinhaberin, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr
anzuordnen (PatG § 80 Abs. 3), war nicht stattzugeben.
Die Patentinhaberin hat zwar mit Eingabe vom 21. August 2003 die Anberaumung
einer Anhörung beantragt, deren Durchführung jedoch als nicht sachdienlich anzu-
sehen war. Es bestand bis zum Erlass des Beschlusses über den Einspruch am
18. Mai 2005 ausreichend Gelegenheit sich schriftlich zu äußern, die sowohl von
der Pateninhaberin als auch von der Einsprechenden wahrgenommen wurde. Ins-
besondere wurde im schriftlichen Verfahren von beiden Seiten die Druckschrift E1
ausführlich diskutiert, auf die sich die Patentabteilung in ihrem Beschluss gestützt
hat. Der Senat kann daher im vorliegenden Fall keine fehlerhafte Sachbehandlung
des DPMA erkennen, die aus Billigkeitsgründen die Rückzahlung der Beschwer-
degebühr rechtfertigen könnte. Auch durch die gegenüber der Einschätzung der
Patentabteilung in ihrem Beschluss über den Einspruch andere Beurteilung des
Europäischen Patentamts im parallel gelagerten Einspruchsverfahren führt entge-
gen der Ansicht der Patentinhaberin nicht zur Sachdienlichkeit einer Anhörung, da
Entscheidungen des europäischen Patentamts für Entscheidungen des DPMA und
des Bundespatentgerichts nicht vorgreiflich sind.
Schröder
Harrer
Proksch-Ledig
Gerster
Ko