Urteil des BPatG vom 20.07.2006

BPatG: stand der technik, einspruch, patentanspruch, vergleich, widerruf, neuheit

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
14 W (pat) 333/04
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 100 60 875
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hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in
der Sitzung vom 20. Juli 2006 unter Mitwirkung …
beschlossen:
Das Patent wird widerrufen.
G r ü n d e
I
Die Erteilung des Patents 100 60 875 mit der Bezeichnung
„Mineralischer Formkörper, Verfahren zur Herstellung sowie deren
Verwendung“
ist am 8. April 2004 veröffentlicht worden. Es umfasst 24 Patentansprüche, von
denen Anspruch 1 wie folgt lautet:
„Mineralischer Formkörper enthaltend ein Blähglasgranulat als
Leichtfüllstoff mit einer Schüttdichte im Bereich zwischen 15 und
35 kg/m
3
und ein Alkalisilicat als Bindemittel, wobei der Formkör-
per eine Rohdichte im Bereich zwischen 50 und 150 kg/m
3
be-
sitzt.“
Zum Wortlaut der auf Anspruch 1 rückbezogenen Erzeugnisansprüche 2 bis 8 und
Verwendungsansprüche 22 bis 24 sowie des nebengeordneten, auf ein Verfahren
zur Herstellung eines mineralischen Formkörpers mit einer Rohdichte im Bereich
von 50 und 150 kg/m
3
gerichteten Patentanspruchs 9 und der hierauf unmittelbar
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oder mittelbar rückbezogenen Verfahrensansprüche 10 bis 21 wird auf die Streit-
patentschrift verwiesen.
Gegen das Patent ist am 8. Juli 2004 Einspruch erhoben worden, der auf die Be-
hauptung gestützt ist, der Gegenstand des Streitpatents beruhe gegenüber dem
u. a. durch die Entgegenhaltungen
D1 WO 00/61512 und
D2 DE 197 12 835 A1
belegten Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Einsprechende beantragt,
das Patent in vollem Umfang wegen mangelnder erfinderischer
Tätigkeit zu widerrufen.
Die Patentinhaberin hat mit Schreiben vom 3. Juli 2006 mitgeteilt, dass keine Er-
widerung auf den Einspruchsschriftsatz erfolgen wird.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II
Der Einspruch ist frist- und formgerecht erhoben und mit Gründen versehen. Er ist
somit zulässig und führt zum Widerruf des Patents.
Gegen die Zulässigkeit der erteilten Patentansprüche sind Bedenken weder gel-
tend gemacht worden noch für den Senat erkennbar.
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Die Neuheit des beanspruchten mineralischen Formkörpers ist unbestritten und
steht auch nach Auffassung des Senats außer Zweifel; der Gegenstand des er-
teilten Anspruchs 1 beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Mineralische Formkörper mit einem Blähglasgranulat als Leichtfüllstoff und einem
Alkalisilicat als Bindemittel waren im Stand der Technik, beispielsweise aus D2
(Ansprüche 1 und 6 i. V. m. Beispielen 1, 3 u. 4), bekannt.
Diese Formkörper weisen Rohdichten im Bereich von 150 bis 750 kg/m
3
auf (An-
spruch 3 i. V. m. Beispielen 1, 3 u. 4), was gemäß Streitpatentschrift Abschnitt
[0007] als Nachteil angesehen wird.
Dem Streitpatent liegt demzufolge die Aufgabe zugrunde, (die Nachteile des Stan-
des der Technik zu beseitigen und damit) mineralische Formkörper zu liefern, die
eine deutlich niedrigere Rohdichte aufweisen ([0011]).
Diese Aufgabe soll durch den mineralischen Formkörper nach Anspruch 1 da-
durch gelöst werden, dass ein Blähglasgranulat mit einer Schüttdichte im Bereich
zwischen 15 und 35 kg/m
3
als Leichtfüllstoff verwendet wird und der Formkörper
eine Rohdichte im Bereich zwischen 50 und 150 kg/m
3
besitzt.
Diese Lösung ergibt sich für den Fachmann in nahe liegender Weise durch Be-
rücksichtigung der in D1 gegebenen Lehre.
Die Entgegenhaltung D1 betrifft Schaumglasgranulat mit einer Schüttdichte im Be-
reich zwischen 10 und 50 kg/m
3
(= 0,01 bis 0,05 g/cm
3
), die erheblich niedriger
liegt als die Schüttdichte vorbekannter Schaumglasgranulate mit 100 bis 700
kg/m
3
(Anspruch 14 i. V. m. Anspruch 1 sowie S. 1 Z. 29 bis 31 u. S. 2 Z. 11 bis
13). Typische Schüttvolumina liegen bei 32, 23, 25, 24 und 35 kg/m
3
(= g/l, Bei-
spiele 2, 4, 7 u. 9), also im Bereich zwischen 15 und 35 kg/m
3
.
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Neben dem niedrigen Schüttvolumen weisen die Schaumglasgranulate gute
Komstabilität und Druckfestigkeit auf (S. 5 Abs. 1 u. S. 7 Z. 1/2). Als Ver-
wendungszwecke sind u. a. Isoliermaterial, Leichtzuschlagstoff für Gips- oder Ze-
mentsysteme oder Zuschlagstoffe in Baustoffen wie Putze und Mörtel aufgeführt
(S. 5 Z. 16 bis 22).
Für den Fachmann, der ausgehend von D2 Formkörper mit niedrigerer Trocken-
rohdichte erhalten will, drängt es sich geradezu auf, das am Anmeldetag dieser
Entgegenhaltung handelsübliche Blähglasgranulat durch das der Fachwelt erst
durch die spätere Entgegenhaltung D1 bekannt gewordene Schaumglasgranulat
mit besonders niedriger Schüttdichte zu ersetzen. Aufgrund der - im Vergleich zu
vorbekannten Produkten - wesentlich niedrigeren Dichte dieses Leichtzuschlag-
stoffes war eine niedrigere Rohdichte des Formkörpers (aus Leichtzuschlagstoff
und Bindemittel) ohne weiteres vorhersehbar. Dass es hierzu einer besonderen
weiteren Modifizierung des aus D2 bekannten Herstellungsweges für den Form-
körper bedurft hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Ermittlung der
Rohdichte am Formkörper ist eine triviale Maßnahme.
Somit kann der erteilte Patentanspruch 1 mangels erfinderischer Tätigkeit seines
Gegenstandes keinen Bestand haben. Mit ihm müssen die Ansprüche 2 bis 24
fallen, da über das Streitpatent nicht in Teilen entschieden werden kann.
gez.
Unterschriften